15.07.2015

Freizeitbäder und EU-Beihilfenrecht

Neue Vorgaben nach dem Beschluss Kristall Bäder der EU-Kommission

Freizeitbäder und EU-Beihilfenrecht

Neue Vorgaben nach dem Beschluss Kristall Bäder der EU-Kommission

Die öffentliche Unterstützung für Freizeitbäder bedarf verstärkt der beihilferechtlichen Rechtfertigung. | © perschfoto - Fotolia
Die öffentliche Unterstützung für Freizeitbäder bedarf verstärkt der beihilferechtlichen Rechtfertigung. | © perschfoto - Fotolia

Die Europäische Kommission (Kommission) hat in der jüngeren Vergangenheit verstärkt kommunale Fördermaßnahmen nach Europäischem Beihilfenrecht überprüft. Neue Orientierungshilfe speziell für den Bereich der staatlichen Bäderfinanzierung bietet der vor kurzem veröffentlichte Beschluss in Sachen Kristall Bäder AG (SA.33045 – Kristall Bäder). In diesem stellt die Kommission klar, dass jede öffentliche (Teil-)Finanzierung von Bädern beihilfenrechtskonform ausgestaltet werden muss. Ansonsten droht eine Rückforderung rechtswidriger Beihilfen. Mit ihrem Beschluss weicht die Kommission von ihrer früheren Linie ab, bei rein lokalen Projekten schon das Vorliegen einer Beihilfe zu verneinen, weil es an einer grenzüberschreitenden Wettbewerbsverzerrung fehlt (N 258/00 – Freizeitbad Dorsten). Zwar bringt der Kristall Bäder Beschluss beihilfenrechtlich auch neue Spielräume, indem er die Ausnahme für Sportinfrastruktur aus der Allgemeinen Freistellungsverordnung (AGVO) auf Freizeitbäder anwendet. Anders als früher wird aber die Finanzierung von Freizeitbädern verstärkt beihilfenrechtlich rechtfertigungsbedürftig.

Der Fall Kristall Bäder

Im Jahr 2011 ging bei der Kommission eine Beschwerde wegen einer möglicherweise unzulässigen staatlichen Beihilfe ein, die bayrische Behörden einer Tochtergesellschaft der Kristall Bäder AG gewährt haben sollten. Bei der Kristall Bäder AG handelt es sich um eine auf den Bau und den Betrieb von Thermal- und Freizeitbädern spezialisierte private Gruppe, die in Deutschland zahlreiche Thermal- und Freizeitbäder betreibt.

Der Beschwerde lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Gemeinde Kochel am See hatte beschlossen, in die umfassende Modernisierung und den Ausbau ihres defizitären öffentlichen Schwimmbads zu investieren, um einen modernen Schwimmbad-, Wellness- und Thermalbadkomplex zu schaffen. Der Bau und der künftige Betrieb sollten durch die Vergabe einer Konzession an den erfolgreichen Bieter eines europaweiten öffentlichen Vergabeverfahrens, die Kristall Bäder AG, erfolgen. Die Laufzeit des Konzessionsvertrags betrug 25 Jahre. Die verbleibende Finanzierungslücke für die Neuinvestition wurde in Form von Investitionszuschüssen und Betriebsbeihilfen sowohl durch die Gemeinde Kochel am See als auch den Freistaat Bayern geschlossen.


Die Gesamtinvestitionskosten beliefen sich auf ca. 12 Mio. Euro. Davon wurden ca. 6 Mio. Euro von der Konzessionärin durch die Vorabzahlung der Konzessionsgebühren gedeckt. Darüber hinaus wurde der Konzessionärin eine staatliche Entschädigung in Höhe von ca. 830 000 Euro für Mindereinnahmen während der Bauphase sowie jährliche Ausgleichsleistungen in Höhe von insgesamt ca. 1,7 Mio. Euro im Gegenzug für vergünstigte Eintrittspreise (Daseinsvorsorge) über einen Zeitraum von 23 Jahren gewährt. Die Finanzierungslücke, die mit staatlichen Mitteln geschlossen werden musste, entsprach im Ergebnis somit ca. 8,6 Mio. Euro.

Unternehmenseigenschaft: Enge Verknüpfung von Bau und Betrieb bei Infrastrukturmaßnahmen

Die Kommission kommt in ihrem Beschluss zu dem Ergebnis, dass derartige Finanzierungsmaßnahmen grundsätzlich den Tatbestand einer staatlichen Beihilfe erfüllen können. Beihilfen müssen grundsätzlich bei ihr angemeldet werden (Notifizierungspflicht).

Die Kommission stellt zunächst klar, dass es sich bei den Tätigkeiten des neuen Bäderkomplexes um ein Unternehmen im beihilfenrechtlichen Sinne handelt. Ein Unternehmen ist seit jeher jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung. Die Einstufung einer bestimmten Einheit als Unternehmen hängt damit vollständig von der Art ihrer Tätigkeit ab. Sowohl die Finanzierung des Baus einer Infrastruktur als auch deren Betrieb stellen nach Auffassung der Kommission somit eine wirtschaftliche Tätigkeit dar, wenn diese Infrastruktur dazu verwendet wird oder verwendet werden wird, Güter oder Dienstleistungen auf einem Markt anzubieten. Bau (bzw. Ausbau) von Infrastruktur einerseits und Verwaltung und Betrieb derselben andererseits können nämlich so eng zusammenhängen, dass vom wirtschaftlichen Charakter der späteren Nutzung der Infrastruktur auch auf den wirtschaftlichen Charakter ihrer Errichtung geschlossen werden kann (T-443/08 – Flughafen Leipzig-Halle).

Da der neue Bäderkomplex im Ergebnis für die Erbringung von Dienstleistungen auf dem Markt des Thermen- und Wellness-Tourismus genutzt werden soll, wird er von der Kommission insgesamt als wirtschaftliche Tätigkeit eingestuft. Die Kommission folgt daher ihrer im Flughafenbereich verfolgten Linie, dass alleine schon die Errichtung von Infrastruktur eine wirtschaftliche Tätigkeit darstellen kann, wenn sie wie hier untrennbar mit dem späteren Betrieb verbunden ist.

Vorsicht bei der Nutzung des Grundsatzes des marktwirtschaftlich handelnden Kapitalgebers

Der Beschluss der Kommission unterstreicht erneut, dass bei der Nutzung des Arguments vom Grundsatz des marktwirtschaftlich handelnden Kapitalgebers Vorsicht geboten ist. Deutschland hatte vorgebracht, dass sich die Gemeinde Kochel am See auf gängige Kosten-Nutzen-Kriterien gestützt habe. Sie habe ihre Entscheidung bezüglich der drei möglichen Szenarien (i) Schließung, (ii) Weiterbetrieb ohne Veränderung und (iii) Wiederbelebung durch Investition in Modernisierung und Erweiterung im Einklang mit dem Grundsatz des marktwirtschaftlich handelnden Kapitalgebers getroffen.

Die Kommission gelangte jedoch zur gegenteiligen Auffassung. Sie verglich die erwarteten Einnahmen, die sich in der Vorabzahlung der Konzessionsgebühren in Höhe von ca. 6 Mio. Euro widerspiegelten, mit den Gesamtinvestitionskosten für das Vorhaben (ca. 12 Mio. Euro). Aufgrund der Diskrepanz gelangte die Kommission zu dem Schluss, dass ein privater Kapitalgeber die Investition nicht getätigt hätte. Keine Rolle spielte dabei, dass Kosten für eine Schließung des Schwimmbads vermieden wurden und der Komplex nach der 25-jährigen Laufzeit des Konzessionsvertrages im Eigentum der Gemeinde verbleiben sollte. Beide Punkte hätten nicht zu einer vorteilhafteren Kosten-Nutzen-Analyse geführt.

Daraus lässt sich folgende Schlussfolgerung ziehen: Solange nicht stichhaltig und substantiiert dargelegt werden kann, dass die Kalkulationen einer Behörde der klar strukturierten Kosten-Nutzen-Analyse der Kommission standhalten könnte, sollte auch im Bereich der staatlichen Finanzierung lokaler Bäderinfrastruktur davon abgeraten werden, die beihilfenrechtliche Rechtfertigung allein auf den Grundsatz des marktwirtschaftlich handelnden Kapitalgebers zu stützen. Die Praxis der Kommission ist hier zu restriktiv, um sich auf eine solche Lösung verlassen zu können.

Zwischenstaatlichkeit

Für die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der Zwischenstaatlichkeit spielt es keine Rolle (mehr), dass es sich nur um ein lokales Schwimmbad handelt, dessen Einzugsgebiet keine anderen EU-Mitgliedstaaten berührt. Die Kommission stellt explizit fest, dass der Handel zwischen den Mitgliedstaaten auch dann beeinträchtigt sein kann, wenn es sich bei den Badegästen um eine rein örtliche Klientel handelt. Ausreichend für den grenzüberschreitenden Bezug ist vielmehr, dass der Beihilfenempfänger auf wettbewerbsoffenen Märkten mit anderen Unternehmen konkurriert, die auch aus dem EU-Ausland kommen können.

Dies stellt eine auffällige – und auch überfällige – Abkehr von der bisher teilweise vertretenen Rechtsauffassung der Kommission dar. Die Entscheidungspraxis der Kommission in Fällen mit lokalem oder regionalem Bezug war bislang inkonsistent. Vor allem in der viel zitierten und umstrittenen Entscheidung Freizeitbad Dorsten hatte die Kommission hierzu mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet. In dieser Entscheidung hatte die Kommission eine Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels abgelehnt, ohne überhaupt zu untersuchen, ob die Beihilfe geeignet war, die Marktposition inländischer Unternehmen zulasten von Wettbewerbern aus anderen Mitgliedstaaten zu verbessern. Ausschlaggebend für die Kommission war ausschließlich die Nachfrageseite für die Inanspruchnahme der Dienstleistung (d. h. die Badegäste) und damit die Frage, ob diese einen grenzüberschreitenden Charakter haben, d. h. im Ausland entstehen könnte. Da nichts darauf hindeutete, dass das Freizeitbad Dorsten mehr als dem örtlichen Markt der Stadt Dorsten und ihren Nachbargemeinden dienen würde, und insbesondere der Einzugsbereich der Einrichtung mit ca. 50 km angegeben war und Dorsten etwas weiter von der Grenze zu den Niederlanden entfernt lag, sah die Kommission praktisch jede Beeinträchtigung des innergemeinschaftlichen Handels als ausgeschlossen an.

In dem vorliegenden Beschluss stellt die Kommission nunmehr eindeutig auch auf die Angebotsseite (Betreibermarkt) ab und führt im Einklang mit der Rechtsprechung der Unionsgerichte aus: „Stärkt eine von einem Mitgliedstaat gewährte Förderung die Stellung eines Unternehmens gegenüber anderen Wettbewerbern im Handel in der Union, so ist davon auszugehen, dass der Handel von der Förderung beeinträchtigt wird. Es reicht dabei aus, dass der Empfänger auf wettbewerbsoffenen Märkten mit anderen Unternehmen in Konkurrenz tritt. Bei der angemeldeten Maßnahme könnte die finanzielle Unterstützung […] seine Stellung gegenüber ähnlichen Infrastrukturen in der Union stärken und somit möglicherweise verzerrende Auswirkungen auf den Wettbewerb und den Handel haben” (Rn. 40).

Somit ist künftig bei der Frage, ob eine Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten vorliegen kann, bei Bäderinfrastruktur auch die Betreiberseite zu berücksichtigen.

In diesem Sinne hat sich die Kommission auch in einer Pressemitteilung vom 29. 04. 2015 zur Gewährung lokaler staatlicher Fördermaßnahmen geäußert (http://europa.eu/rapid/press-release_IP-15-4889_de.htm; Stand: 09. 06. 2015). Danach hat die Kommission festgestellt, dass sieben staatliche Maßnahmen zur Förderung rein lokaler Vorhaben keine Beihilfen beinhalten, da nicht mit einer (wesentlichen) Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten zu rechnen sei. Die Beschlüsse betrafen zwar keine staatliche Bäderfinanzierung, aber aus Sicht des Beihilfenrechts vergleichbare lokale Infrastrukturen (wie z. B. Sportinfrastruktur, Krankenhäuser und Häfen – siehe dazu PUBLICUS 2015.2 S. 4. Kernaussage ist, dass die Förderung eines Vorhabens mit rein lokalen Auswirkungen sich unter Umständen dann nicht auf den Handel innerhalb der EU auswirkt, wenn erstens der Beihilfenempfänger Güter bzw. Dienstleistungen nur in einem geografisch begrenzten Gebiet in einem einzigen Mitgliedstaat anbietet und somit wahrscheinlich keine Kunden aus anderen Mitgliedstaaten anzieht (Nachfrageseite). Zweitens darf die Maßnahme keine – oder höchstens marginale – vorhersehbare Auswirkungen auf grenzüberschreitende Investitionen in dem Sektor bzw. auf die Gründung von Unternehmen im EU-Binnenmarkt haben (Angebotsseite). Damit decken sich die Aussagen der Kommission inzwischen, wenn es um die beihilfenrechtliche Bewertung von lokalen staatlichen Fördermaßnahmen geht.

AGVO

Die Kommission stellt klar, dass die sieben Beschlüsse die zum 01. 07. 2014 in Kraft getretene neue AGVO ergänzen sollen. Mit der AGVO wurden die Freistellungsmöglichkeiten von der Pflicht zur vorherigen Genehmigung durch die Kommission erheblich ausgeweitet. Damit wird das allgemeine Ziel verfolgt, den Verwaltungsaufwand für Behörden und Unternehmen weiter zu verringern und die Ressourcen der Kommission auf die Durchsetzung der Beihilfevorschriften in den Fällen mit der größten Auswirkung auf den Binnenmarkt zu konzentrieren. Dies ist ein wichtiges Ziel der Initiative der Kommission zur Modernisierung des Beihilfenrechts.

Staatliche Beihilfen sind nach EU-Recht grundsätzlich verboten und dürfen ohne vorherige Genehmigung durch die Kommission nicht durchgeführt werden. Ansonsten droht eine Rückforderung zuzüglich Zinsen. Bestimmte Beihilfen sind jedoch nicht per se verboten. Sie können ausnahmsweise ohne weitere Genehmigung seitens der Kommission vollzogen werden. Die AGVO sieht Bedingungen für staatliche Förderungen vor, die, soweit sie eingehalten werden, beihilfenrechtlich zulässig sind und automatisch als genehmigt gelten.

Diesen Weg über die AGVO geht die Kommission auch im Beschluss Kristall Bäder. Sie stützt sich insbesondere auf den Freistellungstatbestand des Art. 55 AGVO für Sportinfrastrukturen und multifunktionale Freizeiteinrichtungen. Die staatliche Förderung wird daher im Ergebnis als beihilfenrechtlich zulässig bewertet.

Praktische Hinweise

Die Entscheidung der Kommission macht deutlich, dass die öffentliche Unterstützung für Bäder auch zukünftig möglich ist. Die Möglichkeit, den Weg der Entscheidung Freizeitbad Dorsten zu gehen und aufgrund des lokalen Charakters des Sachverhalts den Tatbestand einer Beihilfe ohne weitergehende Prüfung der betroffenen Märkte auf Angebots- und auch auf Nachfrageseite zu verneinen, besteht zukünftig wohl nicht mehr. Daher ist nunmehr eine sorgfältige Einzelfallprüfung und Ausgestaltung staatlicher Zuwendungen unabdingbar, um nicht gegen EU-Recht zu verstoßen.

Neben der nach wie vor nutzbaren Lösungsmöglichkeit über den Beihilfetatbestand (durch ein Verneinen der Beeinträchtigung des grenzüberschreitenden Handels) bietet sich für staatliche Fördermaßnahmen für Bäder nun in erster Linie die Freistellung nach Art. 55 AGVO an. Das Vorliegen der Bedingungen für die Freistellung ist allerdings durch den Beihilfengeber (öffentliche Hand) und Beihilfenempfänger (Unternehmen) selbstverantwortlich zu prüfen. Erfolgt eine Förderung nach den Vorgaben der AGVO, ist es lediglich erforderlich, dass die Kommission über den Vorgang informiert wird. Hierzu ergeht an diese eine Mitteilung.

Werden die Bedingungen des Art. 55 AGVO nicht erfüllt, ist eine Maßnahme gleichwohl nicht per se unzulässig. Neben Ausnahmevorschriften für Beihilfen mit geringer Intensität (sog. De-minimis-Beihilfen) können auch Sonderregeln für sog. Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (DAWI) einschlägig sein. Als letztes Mittel steht auch der Weg über eine Einzelnotifizierung einer staatlichen Fördermaßnahme bei der Kommission zur Verfügung. Welche der vorhandenen beihilfenrechtlichen Lösungs- und Strukturmöglichkeiten am Ende gewählt werden kann und sollte, bedarf einer sorgfältigen Einzelfallabwägung. Verstöße gegen das Beihilfenverbot gem. Art. 107 Abs. 1 AEUV führen schließlich regelmäßig zur (Teil-)Nichtigkeit der jeweiligen Rechtsakte.

 

Sarah Blazek

E.MA, Rechtsanwältin
 

Prof. Dr. Robin van der Hout

Rechtsanwalt / Advocaat, Kapellmann und Partner Rechtsanwälte mbB, Brüssel
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