15.10.2015

Rückforderung von Zuwendungen

Keine automatische Kürzung bei Neubewertung eines Sachverhalts

Rückforderung von Zuwendungen

Keine automatische Kürzung bei Neubewertung eines Sachverhalts

Rein verwaltungsinterne Neubewertung bewirkt keine automatische Reduzierung einer Zuwendung. | © Tatjana Balzer - Fotolia
Rein verwaltungsinterne Neubewertung bewirkt keine automatische Reduzierung einer Zuwendung. | © Tatjana Balzer - Fotolia

Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 16. 06. 2015 – 10 C 15.14 klargestellt, dass die rein verwaltungsinterne Neubewertung abgeschlossener Zuwendungsfälle keine auflösende Bedingung eintreten lässt und damit keine automatische Reduzierung einer Zuwendung bewirkt. Es ist damit der bisherigen gegenteiligen Rechtsprechung entgegengetreten. Zu Unrecht habe diese die in Nr. 2.1 ANBest-K enthaltene Regelung, dass der Rückgang der im Finanzierungsplan veranschlagten zuwendungsfähigen Ausgaben zu einer Ermäßigung der Zuwendung führe, als auflösende Bedingung verstanden. Die Entscheidung wird erhebliche Auswirkungen auf die Verwaltungspraxis der Zuwendungsbehörden haben.

Problematik: Zuwendungsfähige Ausgaben verringern sich

Oft stellt sich nach Abschluss eines geförderten Projekts heraus, dass dessen zuwendungsfähige Ausgaben unter den zugrunde gelegten Ausgaben geblieben sind. Entweder konnte der Zuwendungsempfänger das Projekt kostengünstiger durchführen oder aber einzelne geförderte Projektausgaben sind nicht zuwendungsfähig.

Nach den einschlägigen Allgemeinen Nebenbestimmungen zum Zuwendungsbescheid (z. B. Nr. 2.1 ANBest-K) ermäßigt sich der Zuwendungsbetrag, wenn sich die zuwendungsfähigen Ausgaben ermäßigen. Demzufolge haben die Zuwendungsbehörden in diesen Fällen stets die Unwirksamkeit des Zuwendungsbescheids wegen Eintritts einer auflösenden Bedingung festgestellt und die zu viel gewährten Zuwendungsleistungen zurückgefordert.


Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof und andere Gerichte haben dieses Handeln mehrfach bestätigt und Nr. 2.1 ANBest-K stets als auflösende Bedingung verstanden. Es sei unerheblich, aus welchem Grund sich die zuwendungsfähigen Ausgaben ermäßigen. Nach dem Wortlaut der Nr. 2.1 ANBest-K genüge jeder Unterschied zwischen dem bei Bewilligung angenommenen und dem später festgestellten Umfang der zuwendungsfähigen Ausgaben, auch wenn er lediglich auf einer Neubewertung durch die Bewilligungsbehörde beruhe.

Die Entscheidung des BVerwG vom 16. 06. 2015

Das Bundesverwaltungsgericht ist dieser Rechtsprechung nicht gefolgt. Die in Nr. 2.1 ANBest-K enthaltene Regelung sei zu Unrecht als auflösende Bedingung verstanden worden.

Art. 36 Abs. 2 Nr. 2 BayVwVfG definiere die Bedingung als Bestimmung, nach der der Eintritt oder der Wegfall einer Vergünstigung oder einer Belastung von dem ungewissen Eintritt eines zukünftigen Ereignisses abhängt.

  • Unter den Begriff des Ereignisses fallen nach Auffassung des Gerichts nur von der Außenwelt wahrnehmbare Handlungen, Erklärungen oder Geschehnisse. Es müsse sich um einen „empirisch nachprüfbaren Vorgang” handeln. Dessen „Eintritt” bestimme den Zeitpunkt, ab dem der Verwaltungsakt einen anderen Regelungsgehalt erhalte. Da das Ereignis kraft Gesetzes ohne weiteren Zwischenschritt einen Rechtsverlust oder Rechtsgewinn herbeiführe, müsse sein Eintritt auch aus Gründen der Rechtssicherheit für alle gleichermaßen ohne Weiteres erfassbar sein. Bei „nur zur Gedankenwelt eines Beteiligten gehörenden Vorstellungen” sei das nicht der Fall.
  • Die Formulierung „Rückgang der zuwendungsfähigen Ausgaben” vermittle zwar das Bild eines empirisch wahrnehmbaren Vorgangs, doch sei der Ausgabenrückgang kein beobachtbares Ereignis. Er lasse sich nämlich nicht auf einfache Weise durch Sichtung und Addition der eingegangenen Abrechnungsbelege wahrnehmen. Die Zuwendungsfähigkeit müsse zunächst anhand jedes Einzelbelegs bewertet werden. Erst danach könnten die zuwendungsfähigen Ausgaben addiert und mit den veranschlagten zuwendungsfähigen Ausgaben verglichen werden.
  • Die Bedingung müsse auf ein künftiges Ereignis Bezug nehmen. Maßgeblich sei die zeitliche Perspektive bei Bescheiderlass. Das ungewisse zukünftige Ereignis müsse nach Erlass des Bescheides eintreten. Art. 36 Abs. 2 Nr. 2 BayVwVfG lasse es nach seinem eindeutigen Wortlaut nicht zu, dass die Wirksamkeit des Bescheides von vergangenen Ereignissen abhängig gemacht wird. Die rechtliche Bewertung von vor Erlass des Bescheides eingetretenen Umständen solle gerade im Verwaltungsakt selbst erfolgen.
  • Die Annahme einer auflösenden Bedingung würde auch eine unzulässige Umgehung der verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorschriften über die Bestandskraft und die Rücknahme von Verwaltungsakten (Art. 43 Abs. 2, Art. 48 Abs. 1 BayVwVfG) bewirken. Erweise sich ein Verwaltungsakt bei erneuter rechtlicher Bewertung durch die zuständige Behörde als rechtswidrig, bestehe ein austariertes Regelungssystem, das den Prinzipien der Rechtssicherheit und der materiellen Gerechtigkeit gleichermaßen Rechnung trage. Die Behörde müsse hier nach Anhörung des Betroffenen eine Ermessensentscheidung über das „Ob” und das „Wie” einer Rücknahme treffen und dabei neben dem Interesse an der Herstellung gesetzmäßiger Zustände auch das Interesse des Betroffenen am Erhalt der Zuwendung berücksichtigen. Das Gesetz räume – wie die Jahresfrist des Art. 48 Abs. 4 BayVwVfG zeige – dem Grundsatz der Rechtssicherheit besonderes Gewicht ein, wenn die zu beurteilenden Umstände und die Rechtswidrigkeit der Behörde seit mehr als einem Jahr bekannt sind.
  • Im Bereich des Zuwendungsrechts sei keine gesetzliche Wertung ersichtlich, die das in Art. 48 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG gewährte Ermessen einschränken würde. Der Grundsatz der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit der öffentlichen Verwaltung allein genüge dafür nicht.

Kommentierung der Entscheidung

Der Entscheidung ist zuzustimmen. Die nachträgliche rechtliche Neubewertung bedeutet stets eine Änderung der zum Zeitpunkt der Entscheidung vertretenen Rechtsauffassung und ist damit kein zukünftiges Ereignis. Die Zuwendungsbehörde hätte es sonst selbst in der Hand, immer dann eine auflösende Bedingung eintreten zu lassen, wenn sich ihre früher vorgenommene Bewertung als unrichtig herausstellt. Eine derartig „einfache” Voraussetzung für die Rückforderung von irrtümlich zu hoch gewährten Zuwendungen lässt ggf. für ein Fortbestehen des Bescheids sprechende Belange des Zuwendungsempfängers vollständig außer Acht und verstößt damit gegen rechtsstaatliche Grundsätze.

Es tritt bei behördeninterner Neubewertung kein für Dritte wahrnehmbares Ereignis ein. Die Zuwendungsbehörde ändert lediglich ihre Rechtsauffassung zur Förderfähigkeit bestimmter Ausgaben.

Wenig nachvollziehbar erscheint lediglich die Argumentation, dass auch der bloße Ausgabenrückgang kein beobachtbares Ereignis sein soll. Verringern sich die zuwendungsfähigen Ausgaben nur deshalb, weil der Zuwendungsempfänger eine günstigere Ausgabenentwicklung hatte, ist dieser Rückgang sehr wohl durch einfache Sichtung und Addition der Abrechnungsbelege und anschließendem Vergleich mit den veranschlagten Ausgaben festzustellen. Zuwendungsempfänger und Zuwendungsbehörde kommen hier zum gleichen Ergebnis. Eine Neubewertung wird nicht vorgenommen, weil sich an der generellen Zuwendungsfähigkeit der veranschlagten Ausgaben nichts geändert hat.

Folgen des Urteils

Bei Neubewertung der Zuwendungsfähigkeit von Ausgaben dürfen Rückforderungen nicht mehr mit dem Eintritt einer auflösenden Bedingung, sondern allein mit der insofern bestehenden Rechtswidrigkeit des Zuwendungsbescheids und einer Entscheidung über dessen (Teil-)Rücknahme begründet werden. Da das Bundesverwaltungsgericht eine ermessenslenkende Wirkung des haushaltsrechtlichen Grundsatzes der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit verneint, wird tunlichst besonderes Augenmerk auf die Vermeidung von Ermessensfehlern zu legen sein. Es gilt die Jahresfrist des Art. 48 Abs. 4 BayVwVfG.

Verneint man mit dem BVerwG auch in Fällen von geringer bleibenden Ausgaben den Eintritt einer auflösenden Bedingung, ist insoweit allein ein Widerruf wegen nicht zweckentsprechender Mittelverwendung (Art. 49 Abs. 2a Satz 1 Nr. 1 BayVwVfG, § 49 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwVfG) mit Wirkung für die Vergangenheit möglich und im Regelfall auch veranlasst.

Künftige Verwaltungspraxis – Vorschläge

Nachfolgende Vorschläge dienen der Diskussion und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

  • Es bietet sich an, Zuwendungsbescheide bei Anteils- oder Fehlbedarfsfinanzierung mit dem Vorbehalt zu versehen, die zuwendungsfähigen Ausgaben nach Vorlage des Verwendungsnachweises (ggf. der Verwendungsbestätigung) neu zu ermitteln und die Zuwendung neu festzusetzen. Dieser Vorbehalt ist in die Tenorierung des als vorläufig zu bezeichnenden Zuwendungsbescheids (vorläufiger Verwaltungsakt, siehe hierzu nur BVerwG v. 14. 04. 1983 – BVerwGE 67, 99) aufzunehmen und zu begründen.
  • Die Neuermittlung und Neufestsetzung ergeht durch einen Schlussbescheid. Dieser ersetzt den vorläufigen Verwaltungsakt, sodass sich dieser nach Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG „auf andere Weise” erledigt. Die Vorschriften über Rücknahme und Widerruf eines Verwaltungsakts sind hierauf nicht anwendbar. Die Rückforderung erfolgt in analoger Anwendung des Art. 49a Abs. 1 BayVwVfG (BVerwG v. 19. 12. 2009, LS 2 und Rn. 31 – NVWZ 2010, 648).
  • Unbeschadet hiervon bleibt die Möglichkeit des Widerrufs eines nicht für vorläufig erklärten Zuwendungsbescheids bei nicht zweckentsprechender Mittelverwendung, wenn die zuwendungsfähigen Ausgaben „einfach nur” unter der veranschlagten Höhe geblieben sind.
  • Ergibt sich erst nach Erlass des Schlussbescheids, dass nicht zuwendungsfähige Ausgaben gefördert worden sind, bleibt allein die Prüfung der Rücknahme nach Art. 48 BayVwVfG.
  • Denkbar wäre auch, die ANBest dahingehend zu ändern, dass der Zuwendungsbescheid mit dem Vorbehalt der Neuberechnung der zuwendungsfähigen Ausgaben und der Neufestsetzung der Zuwendung versehen wird und insofern vorläufig ist.
  • Möglicherweise könnte auch u. a. in Nr. 2.1 ANBest-K eine Formulierung aufgenommen werden, die ein – jedenfalls empirisch wahrnehmbares – Geschehen als Eintritt einer auflösenden Bedingung definiert. Damit könnte die Neufestsetzung der Zuwendung bei bloßer Reduzierung der zuwendungsfähigen Ausgaben (auch weiterhin) mit der auflösenden Bedingung begründet werden. Allerdings bleibt das Risiko, dass diese Alternative vor den Gerichten keinen Bestand hat.
 

Georg Gass

Ministerialrat, Bayerisches Staatsministerium für Umwelt
und Verbraucherschutz, München
n/a