15.10.2015

Asylbewerber: Drängende Fragen

Leistungsgewährung durch Geld oder Sachleistung und im Krankheitsfall

Asylbewerber: Drängende Fragen

Leistungsgewährung durch Geld oder Sachleistung und im Krankheitsfall

Im Einzelfall Sachleistung statt Geldleistung? Eine komplexe Ermessensentscheidung! | © tunedin - Fotolia
Im Einzelfall Sachleistung statt Geldleistung? Eine komplexe Ermessensentscheidung! | © tunedin - Fotolia

Mitte August 2015 hat Bundesinnenminister de Maizière die bisherige Prognose des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zu den Flüchtlingszahlen im Jahr 2015 aktualisiert. Entgegen bisheriger Prognosen, die von 450.000 Flüchtlingen ausgingen, geht die Bundesregierung zwischenzeitlich davon aus, dass zum Ende des Jahres 2015 bis zu 800.000 Asylbewerber nach Deutschland gekommen sein werden.

Dies stellt nahezu eine Verdopplung des bisherigen Höchststandes aus dem Jahr 1992 dar. Damals waren rund 440.000 Asylbewerber nach Deutschland geflüchtet (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Asyl in Zahlen, 15. Auflage, S. 9.). Tatsächlich dürften die Zugangszahlen im Jahr 2015 noch höher ausfallen, da nicht alle Flüchtlinge einen Asylantrag stellen.

Enorme Anstrengungen erforderlich

Insbesondere für die Verwaltung der Bundesländer und der Kommunen bedeutet dieser Anstieg, dass enorme Anstrengungen erforderlich sind, um eine menschenwürdige Versorgung der Flüchtlinge zu sichern. Noch vor der Bearbeitung der Asylanträge spielt dabei die Leistungsgewährung die entscheidende Rolle. Die Sicherstellung der Gewährung des notwendigen Bedarfs an Ernährung, Unterkunft, Kleidung und Gesundheitspflege ist im Asylbewerberleistungsgesetz (Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 05. 08. 1997, zuletzt geändert durch Art. 3 G zur Verbesserung der Rechtsstellung von asylsuchenden und geduldeten Ausländern vom 23. 12. 2014 [BGBl. I S. 2439]) geregelt.


Auch weitere Leistungen wie beispielsweise Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt sieht das Asylbewerberleistungsgesetz vor. Dieses Gesetz ist erst zum März 2015 geändert worden und bietet die erforderliche Grundlage für sachgerechte Entscheidungen. Gerade die Entscheidungen, ob im Einzelfall an Stelle einer Geldleistung nach Ermessen Sachleistungen in Frage kommen und welche Leistungen bei Krankheit gewährt werden können, erfordern ein erhebliches rechtliches Fachwissen. Dies gilt insbesondere deshalb, weil das nationale Recht vom Europarecht überlagert wird. Zudem hat das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2012 strenge Vorgaben für die Leistungsgewährung gemacht.

Das Fortbildungsinstitut der Hochschule Kehl reagiert auf diese Entwicklung und möchte die Stadt- und Landkreise bei der Bewältigung des Problems unterstützen. Aus diesem Grund wird das Fortbildungsinstitut am 12. November 2015 eine ganztägige Fortbildungsveranstaltung zum Asylbewerberleistungsgesetz durchführen, um einen Beitrag zur Qualifizierung des (insbesondere neu eingestellten) Personals zu leisten.

Geld- oder Sachleistungen?

Gem. § 11 Abs. 1 Satz 2 FlüAG (Gesetz über die Aufnahme von Flüchtlingen (Flüchtlingsaufnahmegesetz – FlüAG) vom 19. 12. 2013, GBl 2013, 493) soll für die Dauer der vorläufigen Unterbringung eine Leistungsgewährung in Form von Sachleistungen außer Betracht bleiben, soweit dies aufgrund der Rechtsvorschriften des Bundes zulässig ist und nicht im Einzelfall Sachleistungen zur Sicherstellung des physischen Existenzminimums geboten sind. Die in diesem Zusammenhang maßgebliche Rechtsvorschrift des Bundes ist § 3 Abs. 2 Satz 1 AsylblG. Diese Vorschrift regelt die Leistungserbringung mit folgendem Wortlaut:

„Bei einer Unterbringung außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen im Sinne des § 44 des Asylverfahrensgesetzes sind vorbehaltlich Satz 4 vorrangig Geldleistungen zur Deckung des notwendigen Bedarfs nach Absatz 1 Satz 1 zu gewähren.”

Diese Vorschrift ist zum 01. 03. 2015 in Kraft getreten. Zuvor war eine Leistungsgewährung in Form von Sachleistungen vorrangig. Eine Leistungsgewährung in Form von Geldleistungen war nur möglich, „soweit es nach den Umständen erforderlich” (§ 3 Abs. 2 Satz 1 AsylblG in der Fassung bis zum 28. 02. 2015) war. Damit ist – jedenfalls nach dem Gesetzeswortlaut – eine vorrangige Leistungserbringung in Form von Geldleistungen erst seit wenigen Monaten möglich. In vielen Bundesländern erfolgte bereits vor der Gesetzesänderung eine Leistungsgewährung in Form von Geldleistungen. Mit dem Wortlaut des § 3 Abs. 2 Satz 1 AsylblG war dies allerdings nicht zu vereinbaren. Aber auch nach jetziger Rechtslage ist eine Erbringung von Sachleistungen nicht ausgeschlossen. § 3 Abs. 2 Satz 3 und 4 AsylblG regelt die Leistungsgewährung durch Sachleistungen wie folgt:

„Anstelle der Geldleistungen können, soweit es nach den Umständen erforderlich ist, zur Deckung des notwendigen Bedarfs Leistungen in Form von unbaren Abrechnungen, von Wertgutscheinen oder von Sachleistungen gewährt werden. Der Bedarf für Unterkunft, Heizung und Hausrat wird gesondert als Geld- oder Sachleistung erbracht.”

In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu:

„Die Regelung stellt klar, dass vom Vorrang des Geldleistungsprinzips zugunsten von unbaren Abrechnungen, Wertgutscheinen oder Sachleistungen, wenn es nach den Umständen erforderlich ist, auch zukünftig abgewichen werden kann. Solche Umstände können sich zum Beispiel aus den örtlichen Gegebenheiten oder Versorgungsengpässen bei hohen Flüchtlingszahlen ergeben oder auf den persönlichen Verhältnissen des Leistungsberechtigten beruhen“ (BT-Drs. 18/3144, S. 16).

Das heißt, Sachleistungen bleiben, um die Versorgung der Leistungsberechtigten angesichts steigender Asylbewerberzahlen auch zukünftig sicherstellen zu können, weiterhin möglich. Soll die Leistungsgewährung in Form von Sachleistungen erfolgen, ist hierüber nach Ermessen gem. § 40 LVwVfG(Verwaltungsverfahrensgesetz für Baden-Württemberg [Landesverwaltungsverfahrensgesetz – LVwVfG] in der Fassung vom 12. 04. 2005, GBl. 2005, 350) zu entscheiden. Hierbei ist insbesondere der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Die Ermessensausübung ist in der Verfügung zu begründen, § 39 Abs. 1 Satz 3 LVwVfG.

Die Möglichkeit der alternativen Leistungsgewährung für Unterkunft, Heizung und Hausrat nach § 3 Abs. 2 Satz 4 AsylblG soll angesichts bestehender Unterkunftsengpässe gewährleisten, dass die zuständigen Leistungsbehörden auch zukünftig Unterkünfte ohne erhöhten Begründungsaufwand selbst bereitstellen und diese den Leistungsberechtigten beheizt und mit Hausrat versehen zur Verfügung stellen können. Es besteht damit ein Auswahlermessen bezüglich der Frage, ob der Bedarf für Unterkunft, Heizung und Hausrat als Geld- oder Sachleistung erbracht wird. Auch dieses Auswahlermessen muss ermessensfehlerfrei ausgeübt werden.

Leistungen im Krankheitsfall

Die Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt sind in § 4 AsylblG geregelt. § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylblG regelt die Behandlung bei Krankheit wie folgt:

„Zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sind die erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen zu gewähren.”

Damit werden nur die Behandlung akuter Erkrankungen und von Schmerzzuständen von § 4 AsylblG abgedeckt. Unter einer akuten Erkrankung versteht man einen unvermutet auftretenden, schnell und heftig verlaufenden, regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand, der aus medizinischen Gründen der ärztlichen Behandlung bedarf (Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, AsylblG, 5. Auflage 2014, § 4 Rn. 11).

Unter einem Schmerzzustand versteht man einen mit einer aktuellen oder potentiellen Gewebeschädigung verknüpften, unangenehmen Sinnes- und Gefühlszustand, der aus medizinischen Gründen der ärztlichen Behandlung bedarf (Wahrendorf, a.a.O., § 4 Rn. 14).

Nicht abschließend geklärt ist, ob nur akute Schmerzen oder auch chronische bzw. wiederkehrende Schmerzen unter § 4 AsylblG fallen (siehe hierzu LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 06. 05. 2013, L 20 AY 145/11, juris Rn. 52 und 55).Die Behandlung chronischer Erkrankungen ohne Schmerzzustände ist jedenfalls nach § 4 AsylblG ausgeschlossen. Zahnersatzversorgung erfolgt nur, soweit dies aus medizinischen Gründen unaufschiebbar ist. Hilfsmittel zur Beseitigung einer Behinderung, z. B. Brille, Rollstuhl, Hörgerät, fallen ebenfalls nicht unter § 4 AsylbLG.

Die Regelung in § 4 AsylblG steht allerdings in Widerspruch zu europarechtlichen Regelungen. Nach Art. 17 Abs. 2 der RL 2013/33/EU (Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. 06. 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen [Neufassung], L 180/96), sorgen die Mitgliedstaaten dafür,

„dass die im Rahmen der Aufnahme gewährten materiellen Leistungen einem angemessenen Lebensstandard entsprechen, der (…) den Schutz der physischen und psychischen Gesundheit von Antragstellern gewährleistet.”

Nach Art. 19 Abs. 1 dieser RL tragen die Mitgliedstaaten dafür Sorge, „dass Antragsteller die erforderliche medizinische Versorgung erhalten, die zumindest die Notversorgung und die unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten und schweren psychischen Störungen umfasst.”

Nach Art. 19 Abs. 2 der RL geht die Hilfe bei „Antragstellern mit besonderen Bedürfnissen” darüber hinaus: Zu gewähren ist die „erforderliche medizinische Hilfe.”

Die Bundesregierung hat diese zwingenden europarechtlichen Vorgaben, die bis spätestens 20. 07. 2015 in nationales Recht umzusetzen waren (siehe Art. 31 Abs. 1 der RL 2013/33/EU), bisher nicht umgesetzt.Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat lediglich in einer Pressemitteilung vom 27. 08. 2014 angekündigt, durch eine Gesetzesänderung Änderungen im Bereich der Gesundheitsleistungen vorzunehmen, um Vorgaben der Richtlinie 2013/33/EU umzusetzen (siehe hierzu www.jugendhilfeportal.de/recht/artikel/eintrag/bmas-leistungen-fuer-asylbewerber-werden-verbessert-gesetzentwurf-vorgelegt/, abgerufen am 05. 09. 2015).

Fazit

Um sachgerecht über Leistungsanträge nach dem AsylblG entscheiden zu können, ist ein erhebliches rechtliches Fachwissen erforderlich. Beispielsweise erfordert die Entscheidung, ob im Einzelfall an Stelle einer Geldleistung Sachleistungen gewährt werden können, eine komplexe Ermessensentscheidung. Nicht einfach ist auch die Frage zu beantworten, welche Leistungen im Krankheitsfall zu gewähren sind. Die nationale Rechtslage weicht hier zu Lasten der Leistungsberechtigten von europarechtlichen Vorgaben ab.

Auch die Anwendung der weniger problematischen Vorschriften des AsylblG erfordert erhebliches Fachwissen. Das Seminar des Kehler Fortbildungsinstituts am 12.11.2015 hat daher zum Ziel, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ämter, die für den Vollzug des AsylblG zuständig sind, in die Lage zu versetzen, sicher und rechtlich fehlerfrei mit den Instrumentarien des Asylbewerberleistungsgesetzes umzugehen.

Allgemeine Grundsätze des Asylbewerberleistungsgesetzes, einschließlich des Ausländerrechts, werden erörtert. Zuständigkeiten werden geklärt und das Verwaltungsverfahren bis zum Erlass des Bescheides wird unter Bezugnahme auf die wichtigsten Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes dargestellt. Einen weiteren Schwerpunkt des Seminars bildet die Befassung mit dem leistungsberechtigten Personenkreis und den Leistungen des AsylblG (originäre Leistungen, Analogieleistungen, Leistungen bei Krankheit usw.). Auch auf die Möglichkeiten einer Anspruchseinschränkung wird im Rahmen des Seminars eingegangen. Nähere Informationen sind unter www.hs-kehl.de/weiterbildung/kehler-institut-fuer-fort-und-weiterbildung-kifo/soziales-leistungsverwaltung/soziale-nachhaltigkeit-leistungsverwaltung/ auf der Homepage des Kehler Instituts für Fort-und Weiterbildung (KIFO) abrufbar.

Hinweis der Redaktion: Das Seminar „Asylbewerberleistungsgesetz für Neueinsteiger” findet am 12. November in der Zeit von 10 bis 17 Uhr in der Hochschule Kehl statt. Anmeldungen nimmt das Kehler Institut für Fort- und Weiterbildung (KIFO) auf www.hs-kehl.de/kifo oder direkt bei Anita Hoffmann, Tel.: 07851–894-124, entgegen.

 

Prof. Dr. Jan Kepert

Fakultät Rechts- und Kommunalwissenschaften,
Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl
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