15.10.2015

Pflichten der Gesundheitsämter

Infektionsschutz in Gemeinschaftsunterkünften für Asylbewerber

Pflichten der Gesundheitsämter

Infektionsschutz in Gemeinschaftsunterkünften für Asylbewerber

Infektionsschutz: Überwachungspflicht der Gesundheitsämter knüpft an die Art der Unterbringung an. | © Lars Koch - Fotolia
Infektionsschutz: Überwachungspflicht der Gesundheitsämter knüpft an die Art der Unterbringung an. | © Lars Koch - Fotolia

Gem. § 36 Abs. 1 Nr. 5 IfSG unterliegen Gemeinschaftsunterkünfte für Asylbewerber, Spätaussiedler und Flüchtlinge der infektionshygienischen Überwachung durch das Gesundheitsamt. Aufgrund der aktuell hohen Flüchtlingszahlen erfolgt die Unterbringung der Asylbewerber in vielen Kommunen zunehmend dezentral in Wohnungen bzw. in Ein- und Zweifamilienhäusern. Bei den Gesundheitsämtern vor Ort ist daher die Frage aufgetreten, ob auch in diesen Fällen eine infektionshygienische Überwachung erforderlich ist.

Definition des Begriffes „Gemeinschaftsunterkunft”

Entscheidend für eine Überwachungspflicht der Gesundheitsämter ist die Definition des Begriffes „Gemeinschaftsunterkunft”.

Das Infektionsschutzgesetz enthält sich einer Konkretisierung dieses Begriffes. Weder in § 36 IfSG selbst noch sonst irgendwo in dem betroffenen 6. Abschnitt („Zusätzliche Vorschriften für Schulen und sonstige Gemeinschaftseinrichtungen”) oder in den allgemeinen infektionsschutzrechtlichen Begriffsbestimmungen des § 2 IfSG findet sich eine Legaldefinition dieses unbestimmten Rechtsbegriffs. Er bedarf folglich der Auslegung.


Der Wortlaut „Gemeinschaftsunterkunft” lässt zunächst darauf schließen, dass es sich um eine Einrichtung handeln muss, die für eine Mehrzahl von Personen ausgelegt ist. Auch der Duden definiert diese als „Unterkunft, in der mehrere Personen untergebracht sind” (vgl. www.duden.de/suchen/dudenonline/Gemeinschaftsunterkunft, zuletzt aufgerufen: 08. 06. 2015).

Somit scheidet begrifflich die Unterbringung von einzelnen Personen jedenfalls aus. Eine weitergehende Abgrenzung lässt sich dem Wortlaut allerdings nicht ohne Weiteres entnehmen.

Die Regelung des § 36 Abs. 1 Nr. 5 IfSG besteht – abgesehen von bloßen redaktionellen Änderungen – seit Einführung des Infektionsschutzgesetzes im Jahre 2000. Laut Gesetzesbegründung wurde damit im Wesentlichen der Regelungsinhalt des früheren § 48a BSeuchG übernommen (BT-Drs. 14/2530, S. 78). Dieser sah allerdings keine ausdrückliche Erfassung von Gemeinschaftsunterkünften für Asylbewerber vor. Diese wurden insoweit von der Rechtsprechung unter „Massenunterkünften” subsumiert (vgl. BayObLG, Beschl. v. 12. 06. 1992, Az.: 3 ObOWi 46/92), was auch das Infektionsschutzgesetz noch erkennen lässt, wenn es in § 36 Abs. 1 Nr. 6 sodann als Auffangtatbestand von „sonstigen Massenunterkünften” spricht und damit Gemeinschaftsunterkünfte für Asylbewerber (Nr. 5) als eine bestimmte Form der Massenunterkunft charakterisiert.

Die Gesetzesbegründung erläutert, dass es bei der (ausdrücklichen) Erweiterung der zu überwachenden Einrichtungen im Infektionsschutzgesetz um solche gehe, „in denen eine erhöhte Gefahr der Krankheitsübertragung gegeben ist” (BT-Drs. 14/2530, S. 78). Zu der korrespondierenden Regelung des § 36 Abs. 4 IfSG führt die Gesetzesbegründung weiter aus, dass Personen „in den genannten Einrichtungen unter oft engen Wohnbedingungen untergebracht sind” und „somit einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt” sind (BT-Drs. 14/2530, S. 78).

Somit stellt der Gesetzgeber einen Zusammenhang zwischen der (zumeist dichten) Belegung dieser Einrichtungen und einer erhöhten Ansteckungsgefahr her. Dieser lässt sich auch schon in der Begründung der Einführung des § 48a BSeuchG im Jahre 1979 erahnen, wenn es dort heißt, dass sich „eine mangelnde seuchenhygienische Überwachung der genannten Einrichtungen (…) als sehr nachteilig erwiesen” habe (BT-Drs. 8/2468, S. 30).

Weiterhin ergibt sich auch der stetige Wechsel der Belegung als Charakteristikum der genannten Einrichtungen, wenn die – § 36 Abs. 4 IfSG entsprechenden – Vorgaben zur Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses des § 48a BSeuchG damit begründet werden, dass sie „zum Schutze der Bewohner (…) durch Neuhinzukommende (…) erforderlich” seien (BT-Drs. 8/2468, S. 30).

Schließlich ist auch die allgemeine Intention des Gesetzgebers zu beachten, dass die „Maßnahmen desÖGD (…) eine größere Effizienz erreichen” sollen und daher dem Prinzip folgen, „Kontrollen nur dort zu fordern, wo sie notwendig und sinnvoll sind” (BT-Drs. 14/2530, S. 39).

All dies spricht dafür, dass der Gesetzgeber die infektionshygienische Überwachung (nur) für solche Einrichtungen vorschreiben wollte, die aufgrund ihrer charakteristischen Belegungsart und -weise durch den gesteigerten gegenseitigen Kontakt der oftmals wechselnden Bewohner eine erhöhte Infektionsgefahr bergen.

Bei der dauerhaften Unterbringung von Familien oder Einzelpersonen in Wohnungen fehlt es somit zumindest an dem stetigen Wechsel der Mitbewohner. Eine dichte Belegung ist dagegen auch in Wohnungen oder Ein- und Zweifamilienhäusern grundsätzlich möglich, da es für die Beurteilung von „engen Wohnbedingungen” immer auf den konkreten Einzelfall und nicht auf eine generell bestimmbare Anzahl von Personen ankommen muss.

Das Ergebnis der historischen Auslegung wird durch Überlegungen zum Sinn und Zweck der Vorschrift aber weiter konkretisiert.

Allgemein versucht das Infektionsschutzgesetz gem. § 1 Abs. 1, „übertragbaren Krankheiten beim Menschen vorzubeugen, Infektionen frühzeitig zu erkennen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern.” Wenn § 36 Abs. 1 IfSG nun für bestimmte Einrichtungen eine infektionshygienische Überwachung durch das Gesundheitsamt vorschreibt, dann weil diesen ein besonderes, überdurchschnittliches Ansteckungsrisiko zugeschrieben wird (vgl. auch Pelchen, in: Erbs/Kohlhaas (Hrsg.), Strafrechtliche Nebengesetze, Stand: 201. Ergänzungslieferung [Januar 2015], § 36 IfSG, Rn. 1, der vom diesen Einrichtungen „innewohnende(n) Gefährdungspotential” spricht).

Dieses resultiert – wie schon im Rahmen der historischen Auslegung aufgezeigt – aus der Vielzahl der Personen, die in den genannten Einrichtungen unweigerlich aufeinandertrifft. Charakteristisch für solche Einrichtungen sind häufig Gemeinschaftstoiletten, eine gemeinsame Verpflegung sowie fehlende private Rückzugs- und Abgrenzungsmöglichkeiten, die den oben genannten gesteigerten Kontakt zwischen den Bewohnern hervorrufen. Insbesondere auf diesen „zwangsläufig(en) (…) gesteigerten gegenseitigen Kontakt” abstellend (BayObLG, Beschl. v. 12. 06. 1992, Az.: 3 ObOWi 46/92, juris-Rn. 8).

Daher hat das BayObLG richtigerweise die Unterbringung von Flüchtlingen in Hotelzimmern jedenfalls dann nicht als Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft eingestuft, wenn keine Überbelegung der einzelnen Zimmer stattfindet, weil den Betroffenen dann eine hinreichende Rückzugsmöglichkeit gegenüber den anderen Personen in dem Hotel gegeben ist. Dies überzeugt auch deshalb, weil normale Beherbergungsbetriebe gerade nicht in § 36 IfSG erwähnt werden und sich eine Überwachungspflicht des Gesundheitsamtes nicht allein aus dem Umstand ergeben kann, dass es sich bei den Untergebrachten um Asylbewerber handelt. § 36 IfSG knüpft seinem Sinn und Zweck nach gerade nicht an die untergebrachte Person, sondern die Art- und Weise der Unterbringung an.

Schließlich unterstreicht auch die Gesetzes-Systematik die hier gewonnene Auslegung.

§ 36 IfSG ist Bestandteil des 6. Abschnitts („Zusätzliche Vorschriften für Schulen und sonstige Gemeinschaftseinrichtungen”). Den in diesem Abschnitt erwähnten Einrichtungen ist dabei gemein, dass sie allesamt über ein eigenes, ex- oder internes Regelungssystem verfügen, das die individuelle Freiheit der Betroffenen beschränkt. Sei es in der Schule, im Pflegeheim, in der Justizvollzugsanstalt oder in der Obdachlosenunterkunft, überall sind die Betroffenen gemeinsam mit einer Vielzahl weiterer Personen besonderen Regelungen, auf die sie keinen (oder zumindest nur sehr begrenzten) Einfluss haben, unterworfen, durch die ihr Verhalten und ihre Tagesabläufe konditioniert werden, um das Zusammenleben in einer größeren Gruppe überhaupt zu ermöglichen. Insbesondere die Möglichkeit zur individuellen Abgrenzung ist dadurch eingeschränkt und es kommt unweigerlich zu näheren Kontakten der untergebrachten Personen (so auch schon BayObLG, Beschl. v. 12. 06. 1992, Az.: 3 ObOWi 46/92, juris-Rn. 9).

Darüber hinaus zeigt die systematische Auslegung auch, dass dem Gesetzgeber bei der expliziten Aufnahme der Gemeinschaftsunterkünfte für Asylbewerber in § 36 IfSG bekannt war, dass § 53 Asylverfahrensgesetz zwischen Gemeinschaftsunterkünften und anderen Formen der Unterbringung unterscheidet. Diese Unterscheidung findet sich bereits seit dem AsylVfG von 1982 (BGBl. I, S. 946), das im damaligen § 23 festschrieb, dass Asylbewerber „in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden”.

Besonders deutlich wird diese Unterscheidung in einigen Landesgesetzen, die ausdrücklich zwischen Gemeinschaftsunterkünften und Wohnungen unterscheiden (z. B. § 8 Abs. 1 Satz 1 FlüAG BW).

In der asylrechtlichen Literatur wird die Gemeinschaftsunterkunft dergestalt definiert, „dass sie auf die Unterbringung einer Vielzahl von Asylbewerbern ausgerichtet ist; negativ formuliert: es sich nicht um eine Einzelunterkunft für einen Asylbewerber oder eine Familie handelt” (Heusch, in: BeckOK AusländerR, § 53 AsylVfG, Rn. 8).

Dass der Gesetzgeber in Kenntnis dieser Unterscheidung für die Überwachungspflicht der Gesundheitsämter die Terminologie des § 53 AsylVfG übernommen hat, spricht daher ebenfalls dafür, dass es ihm gerade nicht um eine flächendeckende Überwachung aller Unterkünfte geht, in denen Asylbewerber leben.

Fazit

Somit bleibt festzuhalten, dass eine Überwachungspflicht der Gesundheitsämter für Wohnungen bzw. Ein- und Zweifamilienhäuser, in denen Asylbewerber untergebracht sind, regelmäßig nicht besteht, da die Überwachungspflicht gerade nicht an die untergebrachte Person, sondern die Art und Weise der Unterbringung anknüpft.

Ausnahmsweise kann eine infektionshygienische Überwachung allerdings auch bei der Unterbringung in Wohnungen oder Ein- und Zweifamilienhäusern angezeigt sein, wenn die Art und Weise der Unterbringung eine Gemeinschaftsunterkunft i.S.d. § 36 Abs. 1 Nr. 5 IfSG darstellt.

Konkrete Mindestbewohnerzahlen lassen sich hierfür nicht benennen, da die maßgebliche Einzelfallbetrachtung immer die konkrete Unterkunft berücksichtigen muss. Dabei ist auf die äußeren Umstände der Unterbringung abzustellen und insbesondere darauf zu achten, ob diese einen – unfreiwilligen – gesteigerten gegenseitigen Kontakt der Betroffenen hervorrufen. Kriterien hierfür sind etwa das Vorhandensein von Gemeinschaftssanitäreinrichtungen, die Verpflegung in Gemeinschaftsräumen oder allgemein beengte Wohnbedingungen. Für die Beurteilung des letztgenannten Merkmals lässt sich etwa an die Vorgaben der Wohnungsaufsichtsgesetze verschiedener Bundesländer anknüpfen, die allesamt eine Überbelegung von Wohnraum dann annehmen, wenn einer erwachsenen Person nicht mindestens 9 m² Wohnfläche zur Verfügung stehen (für Kinder bis sechs Jahren: 6 m²)(vgl. § 9 Abs. 1 WAG NRW, § 8 Abs. 1 BremWAG, § 7 Abs. 1 WAG Bln).

Hinweis der Redaktion: Der Verfasser ist Rechtsreferendar am Landgericht Essen und war im Rahmen seiner Verwaltungsstation der Gruppe 23 (Öffentliches Gesundheitswesen) im Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf zugewiesen.

 

Dennis Beckers

Rechtsreferendar, Essen/Düsseldorf
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