15.10.2015

Asylbewerberunterkünfte light?

Überwindung gemeindlicher Widerstände mit § 37 Abs. 1 BauGB?

Asylbewerberunterkünfte light?

Überwindung gemeindlicher Widerstände mit § 37 Abs. 1 BauGB?

Akuter Notstand gegen das Bauplanungsrecht: Welche Unterkünfte können genehmigt werden. | © Marco2811 - Fotolia
Akuter Notstand gegen das Bauplanungsrecht: Welche Unterkünfte können genehmigt werden. | © Marco2811 - Fotolia

Der vor allem in den letzten Monaten zu verzeichnende enorme Zustrom von Flüchtlingen nach Deutschland ruft einen kaum zu bewältigenden Bedarf an Unterbringungsmöglichkeiten hervor. Insbesondere wenn es um die Schaffung größerer Einrichtungen geht, regt sich vor Ort aber oftmals Widerstand, so etwa in der Form, dass ein baurechtlich notwendiges gemeindliches Einvernehmen versagt wird. § 37 Abs. 1 BauGB eröffnet für bestimmte öffentliche Bauvorhaben die Möglichkeit der Überwindung gemeindlicher Widerstände und erlaubt es zudem, unter bestimmten Voraussetzungen von bauplanungsrechtlichen Vorgaben abzuweichen. Nach – nicht unumstrittener – Auffassung der Fachkommission Städtebau ist die Vorschrift unter bestimmten Voraussetzungen auch auf Asylbewerberunterkünfte anwendbar.

Die Ausgangslage

Während im Jahr 2014 noch 202.834 Asylbegehrende nach Deutschland kamen, zeichnete sich bereits Mitte 2015 ab, dass diese Zahl für 2015 deutlich übertroffen wird. Prognosen im Sommer gingen von 800.000 aus und steigerten sich im September auf über eine Million. Vor allem als ab Mitte August 2015 an mehreren Wochenenden jeweils bis zu 20.000 Flüchtlinge alleine in München ankamen, wurde die Notwendigkeit, möglichst schnell eine große Anzahl an Unterbringungsmöglichkeiten zu schaffen, immer deutlicher. Bereits vor dem gigantischen Anwachsen der Flüchtlingswelle im Sommer 2015 hat der Bundesgesetzgeber mit dem am 26. 11. 2014 in Kraft getretenen Flüchtlingsunterbringungs-Maßnahmengesetz (BGBl. I S. 1748) Erleichterungen im Bauplanungsrecht geschaffen, zu denen u. a. die zeitlich befristete Möglichkeit zählt, Asylbewerberunterkünfte unter weniger strengen Voraussetzungen in Gewerbegebieten zuzulassen. Abgesehen davon gibt es aber bereits seit jeher eine Norm im Baugesetzbuch, bei der sich die Frage stellt, ob auch durch sie unter bestimmten Voraussetzungen bauplanungsrechtliche Hindernisse für Asylbewerberunterkünfte überwunden werden können, nämlich § 37 Abs. 1 BauGB.

§ 37 BauGB als Sondervorschrift für Baumaßnahmen des Bundes und der Länder

Bei einer uneingeschränkten Anwendung der bauplanungsrechtlichen Vorschriften auf Bauvorhaben des Bundes oder eines Landes würden sich viele öffentliche Bauvorhaben als unzulässig herausstellen, da sich diese wegen ihrer Atypik oftmals nicht in die Planvorgaben nach den §§ 30 ff. BauGB einpassen. § 37 BauGB ermöglicht daher unter bestimmten Voraussetzungen ein Abweichen von den städtebaulichen Vorschriften für derartige Baumaßnahmen.


Dabei enthält § 37 Abs. 1 BauGB zwei Alternativen: Die erste betrifft den Fall, dass es die besondere öffentliche Zweckbestimmung einer Baumaßnahme des Bundes oder eines Landes erforderlich macht, von bauplanungsrechtlichen Vorschriften abzuweichen. Hierüber entscheidet – abweichend von den allgemeinen Zuständigkeitsvorschriften – die höhere Verwaltungsbehörde. Diese kann öffentliche Bauvorhaben, die wegen ihrer besonderen Zweckbestimmung an sich nicht genehmigungsfähig wären, gemäß § 37 Abs. 1 BauGB dennoch für baurechtlich zulässig erklären. Daneben erfasst der Anwendungsbereich der Norm in einer zweiten Alternative auch den Fall, dass die Gemeinde ihr Einvernehmen nicht erteilt hat. Bei baulichen Maßnahmen des Bundes und der Länder kann daher mit Hilfe des § 37 Abs. 1 BauGB das fehlende gemeindliche Einvernehmen überwunden werden.

Besondere öffentliche Zweckbestimmung und Erforderlichkeit

Grundvoraussetzung des § 37 Abs. 1 BauGB ist es, dass eine „besondere öffentliche Zweckbestimmung” vorliegt. Grundlegende Aussagen hierzu hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 16.07.1981 (ZfBR 1981, 243) gemacht: Danach muss das Vorhaben unmittelbar öffentlichen Zwecken dienen. Und aus dem Wort „besonders” ergibt sich, dass das Vorhaben wegen seiner Aufgabenstellung auf einen bestimmten Standort angewiesen sein muss; es muss sich nach seiner Art, seiner baulichen Ausführung oder Auswirkung von sonstigen Verwaltungsbauten unterscheiden. „Erforderlich” ist das Abweichen von den materiell-rechtlichen Vorschriften dann, wenn es zur Erfüllung oder Wahrung der in Rede stehenden besonderen öffentlichen Zweckbestimmung vernünftigerweise geboten ist. Dagegen ist es nicht notwendig, dass das Vorhaben mit der Abweichung steht und fällt, die Abweichung also das einzig denkbare Mittel zur Verwirklichung des Vorhabens ist (BVerwG, Urt. v. 03. 12. 1994, NVwZ 1993, 892).

Der Anwendungsfall Asylbewerberunterbringung

Ob § 37 Abs. 1 BauGB auch auf Asylbewerberunterkünfte anwendbar ist, ist umstritten: Das Verwaltungsgericht Karlsruhe lehnt in seinem Beschluss vom 28. 09. 1998 (Az.: 5 K 2079/98) eine Anwendbarkeit ab und stützt sich dabei primär auf die Forderung des Bundesverwaltungsgerichts, dass das Vorhaben wegen seiner Aufgabenstellung auf einen bestimmten Standort angewiesen sein müsse. In dem vom VG Karlsruhe entschiedenen Fall ging es um die Umnutzung eines Hotels in eine Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber, für das das Gericht die von ihm als notwendig erachtete Ortsgebundenheit deshalb nicht als gegeben hielt, weil das Vorhaben an beliebigen Standorten in und außerhalb des Gemeindegebietes verwirklicht werden könne. Nach der Gegenansicht (Battis/Mitschang/Reidt, NVwZ 2014, 1609) sind bestimmte Asylbewerberunterkünfte „im Hinblick auf ihre besondere öffentliche Zweckbestimmung typischerweise von § 37 Abs. 1 BauGB erfasst.” Gestützt wird diese Auffassung auch von der Fachkommission Städtebau in ihren vom 03. 02. 2015 datierenden „Hinweisen zur bauplanungsrechtlichen Beurteilung von Standorten für Unterkünfte von Flüchtlingen und Asylbegehrenden in den verschiedenen Gebietskulissen”, dies jedenfalls insoweit, als es um Erstaufnahmeeinrichtungen geht.

Ob die Entscheidung des VG Karlsruhe aus dem Jahr 1998 heute, in einer Zeit, in der Deutschland von einer Flüchtlingswelle nie geahnten Ausmaßes förmlich überrollt wird, noch so haltbar ist, ist fraglich. Der Bedarf an Unterbringungsmöglichkeiten, die möglichst kurzfristig zur Verfügung stehen müssen, ist heute so immens, dass jeder Standort, der rein faktisch geeignet ist, in Betracht gezogen werden muss, auch wenn die rechtlichen, insbesondere bauplanungsrechtlichen Vorgaben zunächst dagegen stehen. Es ist aber eine staatliche Aufgabe, kurzfristig Unterbringungsmöglichkeiten für eine große Anzahl von Asylbegehrenden zu schaffen (vgl. § 44 AsylVfG), auch wenn die Standortauswahl begrenzt ist; diese besondere („atypische”) Situation rechtfertigt es, § 37 Abs. 1 BauGB anzuwenden.

Die Voraussetzungen im Einzelnen

Nicht jede Asylbewerberunterkunft ist von § 37 Abs. 1 BauGB erfasst, sondern nur, wenn es sich um eine bauliche Anlage des Bundes oder eines Landes handelt. Letzteres trifft auf Aufnahmeeinrichtungen i.S.v. § 44 AsylVfG zu. Die baulichen Anlagen, die der landesinternen Verteilung i.S.v. § 50 AsylVfG dienen, sind hingegen nur dann als Einrichtungen des Landes zu bewerten, wenn diese auch in der Zuständigkeit des Landes betrieben werden und das jeweilige Landesrecht diese Aufgabe nicht beispielsweise den Kommunen zuweist: So sieht z. B. in Bayern Art. 5 Abs. 1 AufnG vor, dass Träger derartiger Einrichtungen der Freistaat Bayern ist, wohingegen etwa in Brandenburg gem. § 4 Abs. 2 LAufnG die Landkreise und kreisfreien Städte verpflichtet sind, die erforderlichen Einrichtungen der vorläufigen Unterbringung (Übergangswohnheime und Übergangswohnungen) zu errichten und zu unterhalten. In Baden-Württemberg etwa sind gem. § 1 Abs. 1 FlüAG die Gemeinden verpflichtet, ausländische Flüchtlinge aufzunehmen und unterzubringen.

Nach den bereits erwähnten Hinweisen der Fachkommission Städtebau ergibt sich die von § 37 Abs. 1 BauGB geforderte „besondere öffentliche Zweckbestimmung” bei Aufnahmeeinrichtungen, bei denen der Bund oder ein Land Bauherr ist, aus der Notwendigkeit, kurzfristig Erstaufnahmekapazitäten für die räumlich zusammengeführte Unterbringung einer großen Anzahl von Flüchtlingen und Asylbegehrenden für einen befristeten Zeitraum zum Zwecke der beschleunigten Durchführung bestimmter Asylverwaltungsverfahren zu schaffen. Die Einrichtungen unterscheiden sich daher wegen dieser Aufgabenstellung nach Standort, Art, Ausführung und Auswirkung von sonstigen Verwaltungsbauten und weisen daher eine Atypik auf, wie sie das Bundesverwaltungsgericht für die Anwendung des § 37 BauGB fordert.

Zusammenfassung

Die eingangs aufgeworfene Frage, ob gemeindliche Widerstände gegen Asylbewerberunterkünfte mittels § 37 Abs. 1 BauGB überwunden werden können und ob die Norm es erlaubt, von bauplanungsrechtlichen Vorgaben abzuweichen, wenn es um die Genehmigung solcher Unterkünfte geht, ist nach der hier vertretenen Auffassung zu bejahen, sofern nur die genannten Voraussetzungen vorliegen.

 

Dr. Alfred Scheidler

Regierungsdirektor, Stv. Landrat des Landkreises Tirschenreuth, Landratsamt Neustadt an der Waldnaab
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