15.10.2015

Mehr Extremismus in Deutschland?

Verfassungsschutzbericht 2014 gibt Anlass zur Sorge

Mehr Extremismus in Deutschland?

Verfassungsschutzbericht 2014 gibt Anlass zur Sorge

Die Gewalt der Terrormiliz des Islamischen Staates (IS) führt auch in Deutschland zu mehr Extremismus. | © Oleg_Zabielin - Fotolia
Die Gewalt der Terrormiliz des Islamischen Staates (IS) führt auch in Deutschland zu mehr Extremismus. | © Oleg_Zabielin - Fotolia

Die Unruhen in Syrien und im Irak sowie die noch immer andauernde Gewalt der Terrormiliz des Islamischen Staates (IS) sind nicht nur Auslöser gewaltiger Flüchtlingsströme. Wie der aktuelle Verfassungsschutzbericht der Bundesrepublik Deutschland aufweist, zeigt sich in diesem Zusammenhang auch ein Anstieg extremistischer Bestrebungen in Deutschland. Auch fremdenfeindliche Gewalt bleibt angesichts des Flüchtlingsstroms ein sicherheitspolitischer Brennpunkt. Interventionen zur Gefahrenabwendung können dabei nicht mehr ausschließlich sicherheitspolitischer Natur sein.

Der Verfassungsschutzbericht 2014

Der jährlich erscheinende Bericht informiert über verfassungsfeindliche Bestrebungen, deren Entwicklungen und Organisationen bzw. Gruppierungen, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten. Darüber hinaus informiert er über Spionageaktivitäten gegen Deutschland und Proliferation. Er basiert auf Erkenntnissen, die das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) gemeinsam mit den Landesbehörden für Verfassungsschutz gewonnen hat. Dem Bericht liegt der Gedanke zur Aufklärung der Bürger zugrunde; sie sollen sich eigenständig mit den verschiedenen Formen extremistischer Gedankengute auseinandersetzen können. Das BfV verweist stets darauf, dass die zur Verfügung gestellten Informationen und die Aufzählung nicht abschließend seien. Der diesjährige Bericht wurde im Sommer dieses Jahres vorgestellt.

Rechtsextremismus

Im Themenfeld „Politisch motivierte Kriminalität – rechts” wurden insgesamt 16.559 (2013: 16.557) Straftaten registriert. Mit 990 Gewalttaten ist die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten im Vergleich zum Vorjahr um 23,6 % angestiegen. Diese Steigerung ist im Wesentlichen auf die 176 registrierten Straftaten während der gewalttätigen Ausschreitungen der Kundgebung der „Initiative von Hooligans gegen Salafisten” (HoGeSa) am 26. Oktober 2014 in Köln zurückzuführen. Ein klarer Anstieg zeigte sich allerdings mit 512 fremdenfeindlichen Gewalttaten (2013: 473), die einen traurigen Höhepunkt seit dem geltenden Definitionssystem „Politisch motivierte Kriminalität” aus Jahr 2001 markieren. Demgegenüber sind die Gewalttaten gegen Linksextremisten oder vermeintliche Linksextremisten und gegen sonstige politische Gegner annähernd gleich geblieben. Die Zahl versuchter Tötungsdelikte sank von vier im Jahr 2013 auf einen.


Linksextremismus

Im Bereich „Politisch motivierte Kriminalität – links” wurden 4.424 (2013: 4.491) Straftaten registriert, davon 995 Gewalttaten (2013: 1.110). Davon waren 623 Gewalttaten (2013: 632) gegen Polizei und Sicherheitsbehörden gerichtet. Gewalttaten gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremisten waren mit 367 (2013: 566) und im Themenfeld „Kampagne gegen Umstrukturierung” mit 60 (2013: 151) deutlich rückläufig. Unerfreulich hoch ist im Berichtsjahr 2014 der Anstieg von drei auf sieben versuchte Tötungsdelikte aus linksextremistischen Motiven.

Islamismus

Das islamistische Personenpotenzial in Deutschland ist mit 43.890 Personen leicht angestiegen (2013: 43.190). Ursache hierfür ist insbesondere der Zuwachs bei den Mitgliedern/Anhängern salafistischer Szenen von 5.500 auf 7.000 bei gleichzeitig nicht mehr einheitlich von den Ländern gezählten Personenpotentialen der „Islamischen Gemeinschaft Millî-Görüş” (IGMG). Die ungebrochene Intensität der Reisebewegungen sogenannter „Foreign Fighters” in die Krisenregionen Syrien und Irak sind weiterhin Anlass zur Sorge der Sicherheitsbehörden. Und im September 2014 hat der Bundesinnenminister ein Betätigungsverbot für den „Islamischen Staat” in Deutschland verfügt. Bis Anfang 2015 lagen Erkenntnisse zu mehr als 600 deutschen Islamisten aus Deutschland vor, die in Richtung Syrien oder in den Irak ausgereist waren, um sich an Kampfhandlungen zu beteiligen oder die islamistische Gruppen zu unterstützen. Das entspricht einer Steigerungsrate von über 100 % innerhalb eines Jahres (Anfang 2014: 270 Ausreisen). Der IS hat sich inzwischen zur wichtigsten Anlaufstation für Dschihad-Willige aus Deutschland entwickelt.

Sonstiger Ausländischer Extremismus

Im Phänomenbereich „Politisch motivierte Ausländerkriminalität” wurden 2.014 (2013: 544) Straftaten erfasst, darunter 259 (2013: 76) Gewalttaten. Damit stieg die Anzahl der registrierten Straftaten in diesem Bereich um 270 % und die der Gewalttaten um 240 % an. Ein Grund für diesen Anstieg ist die Vielzahl der im Zuge der Proteste gegen den Vormarsch der Terrormiliz „Islamischer Staat” (IS) in Syrien und im Nordirak zwischen Islamisten und Kurden/Jesiden begangenen Straftaten, beispielsweise in Celle, Hamburg oder Herford. Entsprechend kam es von null im Jahr 2013 auf sechs versuchte Tötungsdelikte im Bereich der extremistisch motivierten Ausländerkriminalität.

Einschätzung und Ausblick

Nach wie vor geht eine erhebliche Gefährdung der inneren Sicherheit von den Wechselwirkungen zwischen islamistischen und rechtsextremen Bestrebungen aus. Beide Antipode liefern sich gegenseitige Begründungsmuster für ihre Gewalt. Aufgrund zunehmender Flüchtlingsströme und der steigenden Anzahl islamistischer Extremisten werden sich die Herausforderungen der nächsten Jahre vor allem auf die Bereiche ausländerfeindlicher Straftaten einerseits und des gewalttätigen Islamismus andererseits konzentrieren. Diese Gefährdungspotentiale sind allerdings keine alleinigen Aufgaben der deutschen Sicherheitsbehörden. So werden andere Bereiche, die nicht dem Verfassungsschutz zuzuordnen sind, immer wichtiger, wie beispielsweise transparente Regelungen und Beschleunigung von Asylverfahren, die notwendigerweise auch eine schnellere Abschiebung bei Nichtvoraussetzung beinhalten, sowie die politische und praktische Bedeutung von Prävention und Deradikalisierung.

 

Prof. Dr. Dorothee Dienstbühl

Professorin an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (HSPV) Nordrhein Westfalen
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