15.08.2014

„Rauchen” mit der E-Zigarette?

Entscheidende Fragen noch ungeklärt – Zum aktuellen Stand der Debatte

„Rauchen” mit der E-Zigarette?

Entscheidende Fragen noch ungeklärt – Zum aktuellen Stand der Debatte

Dampfen ist nicht gleich Rauchen – oder im Sinne des Gesetzes etwa doch? | © artikularis - Fotolia
Dampfen ist nicht gleich Rauchen – oder im Sinne des Gesetzes etwa doch? | © artikularis - Fotolia

Häufig sind innovative Produkte nicht nur ökonomisch von hoher Relevanz, sondern bieten auch mannigfaltige Anknüpfungs­punkte für rechtliche Fragestellungen. Der Beitrag geht dem am Beispiel der E-Zigarette (dazu schon PUBLICUS 2012.11) vor dem Hintergrund des aktuellen Diskussionsstandes nach.

Gesundheitliche Einstufung und Wirkungen

Trotz der zunehmenden Popularität der E-Zigarette liegen bis heute nur begrenzt Erkenntnisse in Bezug auf die Sicherheit der Konsumenten und passiv Exponierten vor. In einer Presseinformation aus 2012 legte das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) seine Einschätzung dar, dass eine gesundheitliche Belastung durch passive Inhalation aufgrund der unübersichtlichen Datenlage zu E-Zigaretten nicht auszuschließen sei und empfiehlt das Rauchen von E-Zigaretten in Nichtraucherzonen zu untersagen und sie im Sinne des Nichtraucherschutzes wie herkömmliche Zigaretten zu behandeln.

Eine aktuelle Studie aus 2013 analysierte u. a. die Konzentrationen der E-Zigaretten-Schadstoffe (Feinstaubpartikel, flüchtige organische Verbindungen, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, Karbonyle und Metalle) in der Innenraumluft sowie die Konzentration von Stickstoffmonoxid in der Ausatemluft. Die Ergebnisse der Studie bestätigen, dass E-Zigaretten nicht emissionsfrei sind und dass die Schadstoffe, die aus E-Zigaretten freigesetzt werden, als gesundheitlich bedenklich für Konsumenten und passiv Exponierte angesehen werden können (vgl. Schober u. a., International Journal of Hygiene and Environmental Health 2013, Heft 12). Insbesondere ultrafeine Partikel, die im Dampf entstehen, können sich in der Lunge ablagern. Nikotin, das sich im Aerosol aus E-Zigaretten befindet, scheint bei Inhalation zur Erhöhung des Stickstoffmonoxids, das als Molekül dem Körper entzündliche Prozesse signalisiert, beizutragen.


Arzneimittelrechtliche Bewertung

Die (arzneimittel)rechtliche Beurteilung insbesondere der nikotinhaltigen Liquids ist nicht einheitlich: Während einige Gerichte in Deutschland die Arzneimitteleigenschaft der nikotinhaltigen Liquids im Grundsatz bejaht haben (etwa VG Düsseldorf, Urteil vom 10. 10. 2012 – 16 K 3792/12 –), wurden sie vielfach auch als Genussmittel eingeordnet. Eine Entscheidung des LG Frankfurt in einem Strafverfahren hat die nikotinhaltigen Liquids gar als Tabakerzeugnis eingestuft (LG Frankfurt (Main), Urteil vom 24. 06. 2013 – 5/26 KLs 13/12 –). Die Rechtsfolgen sind beträchtlich: Während die Produkte als Genussmittel frei verkäuflich sind, würde bei einer Einstufung als Arzneimittel zum Inverkehrbringen eine Zulassungspflicht gelten.

Entscheidendes Merkmal eines Arzneimittels ist die pharmakologische Wirkung. Ein Produkt hat pharmakologische Wirkung, wenn es diese auf die menschlichen physiologischen Funktionen, also auf Stoffwechselvorgänge im menschlichen Organismus ausübt. Nikotin selbst wird von der Rechtsprechung als eine pharmakologisch wirksame Substanz angesehen. Wirkstoffhaltige Nikotinlösungen erfüllen daher wegen ihrer Wirkungsweise nach den einschlägigen Begriffsbestimmungen die Definitionsmerkmale eines Funktionsarzneimittels. Durch die pharmakologische Wirkung werden physiologische Funktionen beeinflusst, bei nikotinsüchtigen Rauchern werden darüber hinaus die Entzugssymptome reduziert bzw. ganz unterbunden. Hierdurch werden im Rahmen einer Selbstmedikation krankhafte Beschwerden gelindert, ohne die Krankheit „Nikotinsucht” zu heilen. Der Stoff Nikotin hat damit neben einer beeinflussenden Wirkweise die Fähigkeit, krankhafte Beschwerden zu lindern. Mit dem Konsum der E-Zigarette wird eine pharmakologisch wirksame Menge Nikotin aufgenommen, da sonst die beabsichtigte Wirkung (Befriedigung des Verlangens nach Nikotin) nicht erreicht werden kann. Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat bereits 2012 auch die Bundesregierung eine Einstufung nikotinhaltiger Liquids als (Funktions)Arzneimittel vorgenommen.

Eine gänzlich andere Betrachtungsweise bevorzugt das OVG Münster (Urteil vom 17. 09. 2013 – 13 A 2541/12 –). Demzufolge fehle es an der Arzneimitteleigenschaft, wenn die fraglichen Stoffe oder Stoffzusammensetzungen keinen therapeutischen Nutzen haben und sie keine Beeinflussung der körperlichen Funktionen zum Positiven bewirken. Das Gericht vermisst die Eignung der E-Zigarette, Raucher nicht nur vom Rauchen zu entwöhnen, sondern auch von der Nikotinsucht zu heilen. Das Gericht weist darauf hin, dass die E-Zigaretten „durch die Verwendung von Nikotin” Tabakzigaretten „ähneln bzw. imitieren”. Und Letztere seien offensichtlich keine Arzneimittel, sondern unterfielen den tabakrechtlichen Bestimmungen; den Nutzern solle der Eindruck vermittelt werden, eine dem Rauchen einer Tabakzigarette vergleichbare oder ähnliche Tätigkeit auszuüben. Des Weiteren weist das OVG darauf hin, das „Vorhandensein von Aromastoffen” spreche gegen eine Arzneimitteleigenschaft der Liquids. Hierdurch solle die Inhalation des Liquiddampfes bei dem Nutzer einen „angenehmen Geschmack” erzeugen, sie solle ihm „schmackhaft” gemacht werden. Dies deute auf die Eigenschaft dieser Liquids als Genussmittel hin. Gegen die Entscheidung des OVG Münster wurde Revision eingelegt, die voraussichtlich noch in 2014 vom Bundesverwaltungsgericht entschieden wird.

Rauchverbot

Relativ unproblematisch ist die Rechtslage zu beurteilen, wenn der jeweilige Betriebsinhaber (etwa der Gastwirt, der Spielhallenbetreiber o. Ä.) kraft seines Hausrechts ein Rauchverbot verhängt, das durchaus auch den Konsum von E-Zigaretten erfassen kann. In der aktuellen Fassung ihrer Beförderungsbedingungen hat etwa die Deutsche Bahn die Nutzung der elektrischen Zigarette in allen Zügen untersagt (nicht jedoch auf den Bahnsteigen).

Der gesetzliche Befund ist nicht so eindeutig: Die Landes-Nichtraucherschutzgesetze wie auch das BNichtrSchG enthalten keine Legaldefinition des „Rauchens”. Eine Ausnahme stellt insoweit nur § 1 Abs. 1 NichtRSchutzG M-V dar, wonach als Rauchen das Anzünden oder Am-Brennen-Halten eines Tabakerzeugnisses anzusehen ist. Der Begriff des „Rauchens” stellt sich damit als weithin ergebnisoffen dar, bezieht sich aber jedenfalls primär auf den Konsum von Tabakwaren. Zur Auslegung des Begriffs „Tabakprodukte” greift die Rechtsprechung auf die Bestimmung des § 3 VTabakG zurück (vgl. VGH München, Beschluss vom 30. 11. 2010 – 9 CE 10.2468 –). Soweit es also um den Konsum von Tabakwaren etwa in Shishas (Wasserpfeifen) geht, nimmt die Rechtsprechung bislang einheitlich an, dass es sich dabei um „Rauchen” im nichtraucherschutzrechtlichen Sinne handelt (BVerfG, NVwZ 2011 S. 294 f.; BayVerfGH, Beschluss vom 13. 09. 2011 – Vf. 12-VII-10 –; OVG Münster, Beschluss vom 22. 05. 2012 – 4 B 220/12 –).

Weitgehend ungeklärt ist bislang, ob der Konsum einer E-Zigarette – unabhängig von den eingesetzten Inhaltsstoffen – dem Begriff des „Rauchens” unterfällt. Eine Entscheidung des VG Gießen (Urteil vom 20. 02. 2013 – 5 K 455/12.GI –) ist nun die ersichtlich erste Gerichtsentscheidung, die sich zu dieser Frage verhält. Die Nutzung einer elektronischen Zigarette unterliegt demnach dem umfassenden Rauchverbot im Schulgebäude und auf dem Schulgelände. Wenn auch das Verwaltungsgericht seine Entscheidung im Wesentlichen auf das hessische Schulgesetz stützt, so ist seine Argumentation doch auf die allgemeinen Nichtraucherschutzgesetze übertragbar – zumal wenn man berücksichtigt, dass der jeweilige Gesetzgeber überall nur vom Verbot des „Rauchens” spricht, ohne dies näher zu konkretisieren. Ziel aller Nichtraucherschutzgesetze ist der wirksame Schutz vor den erheblichen Gesundheitsgefahren durch Passivrauchen in der Öffentlichkeit. Zwar liegen vergleichbare gesicherte Erkenntnisse über die Gefahren des Passivrauchens bei den sog. E-Zigaretten bislang nicht vor (sh. oben). Auch bei den sogenannten „rauchlosen Zigaretten” kann indes eine Gesundheitsgefährdung für andere Menschen nicht ausgeschlossen werden. Dies ist auch der maßgebliche Argumentationsansatz des VG Gießen in der zitierten Entscheidung.

Dezidiert anderer Auffassung ist das VG Köln (Urteil vom 25. Februar 2014 – 7 K 4612/13 –). Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts wird eine E-Zigarette nicht im Sinne des Gesetzes „geraucht”. Beim „Rauchen” werde Rauch inhaliert, der durch die Verbrennung von Tabakprodukten entstehe. Da in der E-Zigarette eine – meist nikotinhaltige – Flüssigkeit verdampfe und kein Tabak verbrannt werde, werde schon vom Wortsinn her nicht geraucht. Das Nichtraucherschutzgesetz diene außerdem dem Schutz von Nichtrauchern vor den Gefahren des Tabakrauchs. Die Gefahren des Passivrauchens und die aus dem Konsum von E-Zigaretten folgenden Risiken seien demgegenüber nicht vergleichbar. Passivrauchen führe vielfach zu schwerwiegenden Gesundheitsgefahren in Form von Krebs- oder Herz-/Kreislauferkrankungen, die durch die schädlichen Stoffe im Tabakrauch ausgelöst würden. Diese Verbrennungsstoffe fehlten im Dampf der E-Zigarette. Auch gelangten deutlich weniger ultrafeine Partikel in die Raumluft, und Langzeitfolgen seien ungeklärt. Angesichts dieser Unterschiede zur herkömmlichen Zigarette hätte es einer hinreichend bestimmten und klaren Regelung des Gesetzgebers zur E-Zigarette im NiSchG bedurft, die fehle. Gegen die Entscheidung des VG Köln wurde Berufung beim OVG Münster eingelegt.

Wettbewerbsrecht

Entgegen den Werbeaussagen der Hersteller sind E-Zigaretten nämlich keineswegs frei von Schadstoffen – und dies unabhängig von der Verwendung von Nikotindepots. Das OLG Hamm (Beschluss vom 10. 09. 2013 – I – 4 U 91/13, 4 U 91/13 –) hat sogar eine Werbung, wonach E-Zigaretten deutlich weniger schaden als Tabakzigaretten, für unzulässig erklärt. Ein vorgelegtes Gutachten habe zwar ergeben, dass die E-Zigaretten, in denen elektronisch sogenannte Liquids verdampfen und dann inhaliert werden, deutlich weniger giftig als herkömmliche Zigaretten seien. Das OLG verwies aber auf fehlende aussagekräftige Untersuchungen zur Sicherheit und Langzeitfolgen von E-Zigaretten. Deshalb seien die Werbeaussagen unzulässig. Und auch nach Ansicht des OLG Frankfurt (Urteil vom 27. 02. 2014 – 6 U 244/12 –) dürfen, solange die Frage der von E-Zigaretten ausgehenden gesundheitlichen Risiken wissenschaftlich umstritten ist, solche Zigaretten in der Werbung nicht einschränkungslos als gesundheitlich unbedenklich dargestellt werden. Anders als das OLG Hamm beanstandet das OLG Frankfurt dagegen nicht den Hinweis, dass diese Zigaretten deutlich weniger schädlich sind als herkömmliche Tabakzigaretten.

Reform der EU-Tabakrichtlinie

Lange war in der EU um eine Neufassung der sogenannten Tabakrichtlinie gerungen worden. Einer der zentralen Streitpunkte war dabei auch die Regulierung der E-Zigarette. Nach jahrelangen Beratungen und Verhandlungen ist die neue Tabakproduktrichtlinie mittlerweile verabschiedet. Neben Tabakprodukten werden künftig auch elektronische Zigaretten im Rahmen der Tabakproduktrichtlinie reguliert. E-Zigaretten, die kein Nikotin enthalten, fallen nicht unter die Tabakproduktrichtlinie. Die Mitgliedstaaten können nikotinhaltige E-Zigaretten entweder als Tabakerzeugnisse einstufen (sofern der Nikotingehalt 20 mg/ml nicht übersteigt) oder als Arzneimittel (wenn der Nikotingehalt über 20 mg/ml liegt und sie als Entwöhnungshilfen beworben werden). Angesichts der suchterzeugenden und toxischen Wirkung des Nikotins legt die Richtlinie zum Schutz der Konsumenten darüber hinaus Vorschriften für Qualitäts- und Sicherheitsstandards fest. So sollen E-Zigaretten künftig unter anderem kindersicherer sein, mit Warnhinweisen versehen werden und den gleichen Werbebeschränkungen wie Tabakprodukte unterliegen. Die Mitgliedstaaten haben nunmehr zwei Jahre Zeit, diese in nationales Recht umzusetzen, so dass die neuen Regelungen in Deutschland ab Mitte 2016 gelten werden.

 

Dr. Frank Stollmann

Leitender Ministerialrat
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