03.01.2019

Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) 2017

Kein realer Rückgang der Kriminalität

Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) 2017

Kein realer Rückgang der Kriminalität

Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) für das Berichtsjahr 2017 liegt vor. | © Marco2811 - Fotolia
Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) für das Berichtsjahr 2017 liegt vor. | © Marco2811 - Fotolia

Die Veröffentlichung der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) für das Berichtsjahr 2017 wird mit Überschriften, die einen enormen Rückgang der Kriminalität verkünden, regelrecht gefeiert. Das Bundesministerium des Inneren postuliert in seiner Pressemitteilung vom 8. Mai 2018: „Niedrigste Zahl an verübten Straftaten seit 1992“. Und auch in der Presse finden sich Sätze wie: „2017 wurden so wenig Straftaten begangen, wie seit 25 Jahren nicht.“ Dabei sind Formulierungen, die einen realen Rückgang der Kriminalität postulieren, irreführend. Und während vor allem Diebstahlsdelikte in ihren Erfassungswerten deutlich einbrechen, steigen die Zahlen erfasster Roheitsdelikte sowie die der registrierten Drogenkriminalität deutlich an.

Systematik und Aussagekraft der PKS

Die PKS zählt seit 1953 sämtliche registrierte, also die bei der Polizei zur Anzeige gebrachten und an die Staatsanwaltschaft abgegebenen Straftaten. Wurde eine Anzeige bei der Polizei erstattet, diese aber innerhalb des Berichtsjahres (1.1. – 31.12) noch nicht so bearbeitet, dass sie an die Staatsanwaltschaft übergeben werden konnte, wird der Fall nicht in der PKS registriert. Demnach enthalten Jahresstatistiken zum Teil auch im Vorjahr angezeigte Delikte, während ein Teil der im aktuellen Jahr bekannt gewordenen Fälle erst im Folgejahr in die Statistik eingeht. Somit ist das Berichtsjahr nicht zwangsläufig auch das Kalenderjahr, und die Aktualität ist insbesondere durch Straftaten mit langer Ermittlungsdauer gemindert. Generell enthält die PKS Informationen zu den registrierten Fällen, zu den Tatverdächtigen, Opfern (z.B. Alter, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, ggf. Beziehung Täter und Opfer) und zum Tatort.


Die Erfassung der Daten erfolgt nach bestimmten „Regeln für die Fallerfassung“ und orientiert sich an einem unter teils strafrechtlichen, teils kriminologischen Aspekten aufgebauten „Straftatenkatalog“, der seit Einführung der elektronischen Datenverarbeitung 1971 mehrfach ergänzt und erweitert worden ist. Dabei deckt sich der dem Straftatenkatalog zu entnehmende Straftatenschlüssel nicht immer mit den entsprechenden Strafrechtsbestimmungen, auf den er bezogen wird. Nicht enthalten sind die ausschließlich von Staatsanwaltschaft, Finanzbehörden und Zoll (außer Rauschgiftdelikten) bearbeiteten Straftaten, originäre Staatsschutzdelikte, Straftaten, die außerhalb der Bundesrepublik Deutschland begangen wurden, Verstöße gegen strafrechtliche Landesgesetze sowie Verkehrsdelikte mit Ausnahme von gefährlichen Eingriffen in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr (§ 315 StGB), gefährlichen Eingriffen in den Straßenverkehr (§ 315b StGB) und dem missbräuchlichen Herstellen, Vertreiben oder Ausgeben von Kennzeichen (§ 22a StVG).

Die PKS stellt kein Abbild der Kriminalitätsrealität dar, sondern dokumentiert lediglich das sogenannte Hellfeld, also vor allem das Anzeigeverhalten durch Bürger und Polizei.  Gründe für eine Nicht-Anzeige von Geschädigten können die Überzeugung, eine Anzeige bringe nichts, Angst, Scham oder auch die Unkenntnis darüber sein, dass man Opfer von einer Straftat wurde.

Je nach Deliktsart variiert die Nähe der erfassten Kriminalität durch Strafanzeige zur Realität. Daher kann regelmäßig nicht von einem realen Ansteigen oder Absinken der Kriminalität gesprochen werden, wenn die Entwicklungen der PKS diskutiert werden. Auch der Vergleich zwischen den erhobenen Zahlen der PKS-Jahrgänge unterliegt mal mehr, mal weniger gravierenden Verzerrungsfaktoren. Beispielsweise ist eine Analyse der Zahlen von 1992 bis 2017 nur wenig aussagekräftig, da die PKS beispielsweise erst ab 1993 in den neuen Bundesländern valide geführt wurde. Auch der im Jahr 2011 erhobene Zensus, Novellierungen des Strafrechts oder Umstellungen in der Erfassungssystematik (z.B. Erweiterung der Deliktszählung in den verschiedenen Schlüsseln) schlagen sich auf veränderte Fallzahlen in der PKS nieder und schränken die Vergleichbarkeit der Jahrgänge stark ein.

Aktuelle Zahlen der PKS 2017

Nach der PKS des Berichtsjahres 2017 wurden insgesamt 5.761.984 Straftaten erfasst. Werden die rein ausländerrechtlichen Verstöße berücksichtigt, sind es 5.582.136 erfasste Straftaten. Dies entspricht einem Rückgang der registrierten Straftaten um 5,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr (2016: 5.884.815). Die Aufklärungsquote (AQ) mit 55,7 % besaß gleichzeitig den höchsten Wert seit 2005 (Einführung der AQ). Als „aufgeklärt“ gilt eine Tat, sobald ein Tatverdächtiger ermittelt, d.h. der Polizei namentlich bekannt war, als die Anzeige an die Staatsanwaltschaft abgegeben wurde. Gerade diese Aufklärungsquote wird von Kriminologen häufig kritisiert, da ihre Aussagekraft sehr gering ist. Denn prinzipiell reicht es aus, wenn der bloße Name eines Tatverdächtigen von Zeugen genannt wird, ohne dass dies überprüft werden muss. Häufig zeigt sich im weiteren Ermittlungsverlauf, dass sich diesbezüglich noch sehr viel ändern kann (beispielsweise keine Erhärtung des Tatverdachtes o.Ä.). Der Name Aufklärungsquote suggeriert jedoch den tatsächlichen Abschluss eines Falles durch Ausermittlung, nicht selten stellen sich Menschen sogar die Verurteilung eines erwiesenen Täters vor, was damit faktisch nicht gemeint ist. Die AQ eignet sich somit absolut nicht als messbarer Erfolgsquotient der polizeilichen Arbeit.

Die Zahl der erfassten Tatverdächtigen liegt mit 1.974.805 Tatverdächtigen unter der des Vorjahres (2016: 2.022.414). Die Mehrheit der Tatverdächtigen ist männlich (2017: 75,6 Prozent) und wird zu 73 Prozent mit einer Straftat im Jahr polizeilich registriert. Der Anteil der erfassten nichtdeutschen Tatverdächtigen beträgt mit 599.357 etwa 30 Prozent (2016: 616.230). Von diesen wiederum sind 27,9 Prozent Zuwanderer (dabei handelt es sich nach Arbeitsdefinition des BKA um Menschen, die mit dem Aufenthaltsstatus Asylbewerber, Duldung, Kontingent-/Bürgerkriegsflüchtling oder unerlaubter Aufenthalt registriert sind; anerkannte Asylempfänger fallen nicht darunter). Dies entspricht einem Gesamtanteil von 8,5 Prozent an allen Tatverdächtigen.

Rückgang von Diebstahl und Wohnungseinbruchsdiebstahl

Bei der registrierten Diebstahlskriminalität verzeichnet die PKS einen Rückgang von 11,8 Prozent auf 2.092.994 Fälle. Dies liegt insbesondere am erheblichen Rückgang der Strafanzeigen von Taschendiebstahl (-22,7 Prozent). Wohnungseinbruchsdiebstahl (WED) verringerte sich um -23 Prozent (2017: 116.450 Fälle). 2015 war mit 167.136 registrierten Wohnungseinbrüchen der Höchststand der vergangenen Jahre erreicht worden. Jahrelang hatte die Zahl der Einbrüche in Deutschland bis dahin zugenommen. Gerade die Zahlen zur WED-Delinquenz gelten in der PKS generell und im Gegensatz zu anderen Delikten als aussagekräftig. Als sogenannte Versicherungsdelikte werden sie meistens von den Opfern angezeigt, so dass ein sehr realistisches Abbild der Straftaten in der PKS bilden.

Der Rückgang der in der PKS erfassten Zahlen sollte somit mit einem tatsächlichen Absinken des WED einhergehen. Dafür gibt es mehrere Gründe: Zum einen erschwert die inzwischen geschlossene Balkanroute mobilen Banden aus Südosteuropa die Einreise nach Deutschland. Zudem wurde in den vergangenen zwei Jahren deutlich mehr in die Sicherheit des eigenen Hauses durch die Bürger selbst investiert. Und auch die Bemühungen der Polizei, die mit verstärktem personellen Einsatz zur gezielten Bekämpfung von WED, computergestützte Methoden des Predictive Policing (z.B. mittels Programmen wie SKALA in NRW oder PreCops in Bayern) oder auch verstärkter Initiative durch Schleierfahndung in den meisten Bundesländern (außer in NRW, Berlin und Bremen) vorgegangen sind, haben sich positiv ausgewirkt. Die gelobte Aufstockung der Polizeibehörden durch Neueinstellungen insbesondere der letzten zwei Jahre, sprich von mehr Polizeianwärtern, kann sich hier allerdings noch nicht niederschlagen, da das Studium für den Polizeivollzugsdienst im gehobenen Dienst drei Jahre beträgt.

Registriertes Aufkommen von weiteren Deliktsbereichen

Andere Delikte haben sich in der PKS allerdings negativ entwickelt, d.h., die registrierten Fallzahlen sind nach oben gegangen: Rauschgiftdelikte sind mit +9,2 Prozent stark angestiegen. Über 330.000 Fälle wurden registriert. Die Registrierung von Rauschgiftdelinquenz resultiert vor allem auf Kontrollen, Initiativen und Ermittlungen der Polizei. Somit kann die Zunahme registrierter Drogendelinquenz durchaus als Erfolg polizeilicher Maßnahmen verstanden werden.

Schwere Gewaltdelikte sind mit -2,4 Prozent leicht zurückgegangen (2017: 188.946). Derweil macht Häusliche Gewalt (HG) einen immer größeren Anteil aus. Generell sind die Zahlen Sexualdelinquenz wegen der starken Abhängigkeit von der Anzeigebereitschaft kaum für objektive Vergleiche nutzbar. 2017 explodieren die erfassten Vergewaltigungen und sexuelle Nötigungen/Übergriffe nach § 177 StGB auf 11.282 (2016: 7.919).  Dies kann allerdings auf die Gesetzesänderung des Sexualstrafrechts vom November 2016 zurückzuführen sein, die sich nun im Berichtsjahr 2017 erstmalig niederschlägt. Ein starker Anstieg wurde im Deliktsfeld der Kinderpornografie registriert. Die Polizeiliche Kriminalstatistik weist für die Verbreitung, den Erwerb, den Besitz und die Herstellung von sog. kinderpornografischen Schriften für das Jahr 2017 6.500 Fälle aus (+ 14,5 % zu 2016) und hinsichtlich der Verbreitung von sog. jugendpornografischen Schriften 1.300 Fälle (+ 24 % zu 2016). Im Jahresbericht 2017 der Internet Watch Foundation (IWF) wird zudem darauf hingewiesen, dass die Anzahl der aufgefundenen Websites mit sog. kinderpornografischen Inhalten im Vergleich zum Vorjahr um 35 % gestiegen ist; im Vergleich zu 2014 hat sie sich mehr als verdoppelt (von rund 31.000 Websites im Jahr 2014 auf rund 68.000 Websites im Jahr 2016 und auf über 80.000 Websites im Jahr 2017). Nach Angaben der IWF zeigen 35 % der kinderpornografischen Websites Vergewaltigungen oder sexualisierte Folter von Kindern, 55 % der abgebildeten Kinder sind unter 10 Jahre alt und 2 % der Kinder jünger als 2 Jahre. 86 % der Kinder sind Mädchen.

Jugendkriminalität wurde in der PKS über Jahre hinweg als rückläufig ausgewiesen und von diversen Kriminologen auch entsprechend so verstanden. Allerdings ist die demografische Entwicklung als eine Haupterklärung sinkender Kriminalität zu nennen; weniger junge Menschen bedeuten weniger Jugendkriminalität. 2017 steigt die Anzahl der registrierten jugendlichen Tatverdächtigen jedoch an. Dies korrespondiert mit verschlechterten Zuständen an deutschen Schulen. Etliche Bundesländer registrierten für 2017 einen teils spürbaren Anstieg von Kriminalität und Gewalt, wie aus den Statistiken der Landeskriminalämter hervorgeht. In Niedersachsen beispielsweise nahm die Zahl minderjähriger Tatverdächtiger nach zehnjährigem Rückgang in dem Flächenland um vier Prozent zu; die Zahl tatverdächtiger Kinder stieg sogar um 21 Prozent. Nach Angaben des LKA Nordrhein-Westfalen stiegen die registrierten Körperverletzungen an Schulen von 5.600 auf 6.200, Vergewaltigungen und sexuelle Nötigungen von 40 auf 55 Fälle. Insgesamt waren in NRW im vergangenen Jahr 22.913 Straftaten an Schulen (1-. – 13. Klasse) registriert worden, etwa 1.000 mehr als noch im Vorjahr.

Fazit: Diskrepanz zwischen gefühlter und tatsächlicher Kriminalität?

Die Kritik an der PKS ist nicht neu. Auch ihre Mängel müssen Politikern hinlänglich bekannt sein. Nichtsdestotrotz wird sie als Erfolgsbarometer politischer Programmatik dargestellt und somit als Bewertungskriterium der Polizei zugrunde gelegt. Doch Fakt ist: Bei der PKS handelt es sich um registrierte Straftaten. Sie bildet angezeigte Fälle und damit nur ein „Hellfeld“ ab. Sie unterliegt mitunter von Land zu Land unterschiedlichen Registrierungssystematiken. Was als eine Tat gezählt wird, ist ebenfalls nicht selbsterklärend, denn beispielsweise werden mehrere zeitnahe Delikte eines Täters statistisch zu einer Tat zusammengefasst. Auch die Intensität beispielsweise bei Gewaltdelinquenz wird nur unzureichend erfasst. Der scheinbare „Rückgang der Kriminalität“ im PKS-Berichtsjahr 2017 auf Werte von 1992 beruht in erster Linie auf dem Rückgang registrierter Fallzahlen von Diebstahldelikten.

Die Aussagekraft der PKS muss immer in Hinblick auf ihre methodischen Schwächen und generellen Grenzen betrachtet werden.  Dennoch ist es das umfassendste Instrument zur Kriminalitätserfassung, das zur Verfügung steht. Trends in der Kriminalitätsentwicklung lassen sich damit skizzieren. Probleme und Kriminalität im Zusammenhang mit bestimmten Stadtgebieten oder auch im Kontext der Flüchtlingskrise, Zuwanderung und Migration müssen näher untersucht werden. Gerade der Anstieg der registrierten Gewaltkriminalität durch Jugendliche und Kinder wirkt alarmierend und bedarf wirksamer Konzepte, um gegenzusteuern. Dieses Problem als solches zu erfassen und zu thematisieren, ist ein erster Schritt. Ursachenanalysen und darauf abgestimmte Interventionen müssen nun folgen.

Die Aussagekraft der PKS muss auch in Hinblick auf eigene Darstellungen der Polizei geprüft werden, da gerade im und für das Jahr 2017 die hohe Belastung der Polizeibehörden thematisiert wurde. So wurde im Februar 2018 bekannt, dass das LKA Berlin im Jahr 2017 55.000 Fälle aufgrund völliger Auslastung nicht bearbeiten konnte. Diese Fälle sollten also auch nicht in der PKS erfasst worden sein. Insofern ist die Frage, ob die als historisch niedrig gefeierten Fallzahlen nicht auch aufgrund von Überlastung und Nicht-Bearbeitung derart niedrig ausfallen, zwingend zu prüfen.

Nun wurde die PKS von dem ein oder anderen Kriminologen und auch der Politik der wahrnehmbaren Verunsicherung der Menschen in Deutschland, die sich in mehreren Umfragen widerspiegelt, als Faktenlage entgegengehalten. Die empfundene Unsicherheit mit diesem in der Aussagekraft doch eingeschränkten Zählwerk als Einbildung zu geißeln, kann allerdings nicht der richtige Weg sein, um das Vertrauen in die Sicherheit wieder aufzubauen. Kein Weihnachtsmarkt, kein Fußballspiel und insgesamt kein mehr oder weniger großes Ereignis kommt ohne diverse sichtbare und aufwendige Sicherheitsmaßnahmen aus. Und nicht nur in den Medien und über soziale Netzwerke erfahren Menschen von Gewalt und Kriminalität, sondern auch im persönlichen Nahraum, weil eigene Erfahrungen gemacht werden, auch an öffentlichen Plätzen, an denen man sich weniger sicher fühlt und sie deswegen vermehrt meidet. Sowohl Politiker, Journalisten aber insbesondere auch Kriminologen sind hier angehalten, seriös mit den Daten umzugehen. Die Arbeit der Polizei lässt sich nicht an diesen Zahlen und noch weniger in der mehr als streitbaren Aufklärungsquote messen. Versteifen sich Verantwortliche dennoch darauf, um politische Erfolge zu dokumentieren, riskieren sie auch und vor allem den Vertrauensverlust der Menschen in den Staat und damit in die Polizei.

 

 

Prof. Dr. Dorothee Dienstbühl

Professorin an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (HSPV) Nordrhein Westfalen

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