09.05.2019

Online-Monitoring der Transformation von Gemeinschaftsrecht

Teil 1

Online-Monitoring der Transformation von Gemeinschaftsrecht

Teil 1

Transparente Umsetzung von EU-Richtlinien durch Monitoring-Seiten. | © artjazz - stock.adobe.com
Transparente Umsetzung von EU-Richtlinien durch Monitoring-Seiten. | © artjazz - stock.adobe.com

Während ein Mitgliedstaat die EU verlassen will, wird die Vertragstreue der anderen nicht nur an (netto-)Beitragszahlungen gemessen, sondern auch an der effektiven Umsetzung von EU-Recht. Formalisierte Anpassungspflichten beruhen auf EU-Richtlinien. Aber auch das Primärrecht, unmittelbar geltende Verordnungen und EuGH-Entscheidungen mit Fanalwirkung erzeugen Anpassungsdruck. Der Beitrag fragt nach objektiven Methoden, den Umsetzungswillen vergleichbar zu machen. Dazu weist er anhand konkreter Beispiele auf online-Dokumentationen von öffentlichen Stellen zur Umsetzung von EU-Recht in nationalen Vorschriften hin. Untersucht wird zum einen die Auffindbarkeit und Transparenz dieser Monitoring-Seiten. Ein weiterer Aspekt ist die wachsende Bedeutung der Präsentation transformationsbedürftiger EU-Rechtsakte als „Gegenstände“ im Internet.

1.      Rechercheansätze und amtliche Beobachtungsangebote

Nicht nur auf Unionsebene, auch in Nachbarstaaten und bei Unternehmen und Bürgern besteht ein Informationsinteresse hinsichtlich der Transformation von EU-Recht in die nationalen Rechtsordnungen sowie an Umsetzungsdefiziten. Dafür gibt es verschiedene durch die EU zentralisierte Angebote. In diesen wurde – zu Vergleichszwecken – gezielt nach jüngeren Beispielen gesucht für Richtlinien mit und ohne Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland. Für ersteres dient die Rüge unvollständiger Umsetzung der Berufsqualifikationsanerkennungsrichtlinie 2005/36/EG in der Fassung der Änderungsrichtlinie 2013/55/EU und der Verpackungsrichtlinie für Gemische 2014/27/EU, für letzteres die Transformation der Waffenbesitzrichtlinie 91/477/EWG in der Fassung der Änderungsrichtlinie 2017/853/EU.

Außerdem wurde die amtliche Dokumentation des Vertragsverletzungsverfahrens wegen Ausländerdiskriminierung durch die geplante Autobahnmaut für Personenkraftwagen nachvollzogen und ermittelt, ob die Nacharbeiten am nationalen Rechtssystem aufgrund der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) sowie aufgrund der Anpassung des Schengener Grenzkodex an das geplante Einreise-/Ausreisesystem gemäß den Verordnungen 2016/399, 2017/2225 und 2017/2226 Niederschlag auf Monitoring-Seiten gefunden haben.


1.1.           N-Lex

Das Informationsangebot „N-Lex“ (nicht zu verwechseln mit NATLEX[1] der International Labour Organization ILO) kann als amtliches Monitoring mit nationaler redaktioneller Verantwortung bezeichnet werden. Wenn man beispielsweise auf der Seite http://eur-lex.europa.eu/n-lex/index_de die deutsche Flagge anklickt und in der Suchmaske im Feld ‚Text enthält:‘ „Altgeräte“ sowie im Feld ‚in Verbindung mit:‘ „Richtlinie“ eingibt, erhält man Treffer aus dem deutschen Elektro- und Elektronikgerätegesetz vom 20. Oktober 2015 (BGBl. I S. 1739, geändert BGBl. I 2017 S. 1966), welches z.B. in § 8 ausdrücklich Transformationspflichten nach der Richtlinie 2012/19/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über Elektro- und Elektronik-Altgeräte (ABl. L 197 vom 24.07.2012, S. 38) anspricht. Dieses Angebot ermöglicht also eine Recherche via Volltextsuche, wenn man bereits weiß, wonach man ungefähr sucht. Für eine eher journalistische Recherche fehlt es hingegen an Transparenz. Das Angebot ist für das deutsche Recht inhaltlich lediglich eine Weiterleitung auf die Seite „gesetze-im-internet.de“ von der Juris AG, der eine allgemeine Suchseite vorgeschaltet wurde. Auch für andere nationale Rechtsordnungen geht es bei N-Lex hinter dem ersten Suchformular auf Internetangeboten weiter, die nicht von der EU selbst betrieben werden. Zum Beispiel ergibt eine Suche nach „Drohnen“ für Österreich RIS-Treffer in der Außenhandelsverordnung und für Deutschland Juris-Treffer in der Außenwirtschaftsverordnung. Für eine Nachprüfung, ob Deutschland die Berufsanerkennungsrichtlinie in der Fassung von 2013 vollständig umgesetzt hat, eignet sich dieses Suchformular nicht. Immerhin zeigt die Recherche aber, dass die Änderungsrichtlinie von 2013 in aktuellen Einzelvorschriften der Gewerbeordnung und in Regeln über Rechtsdienstleistungen gemeinsam mit der Basis-Richtlinie aus 2005 ausdrücklich zitiert wird. Zweifel an der Europarechtskonformität der Vorschriften über die Pkw-Autobahnmaut zeigen die aufrufbaren deutschen Vorschriften nur indirekt dadurch, dass der Beginn der Abgabenerhebung nach § 16 des Infrastrukturabgabengesetzes[2] noch offen ist. Allerdings hat der wissenschaftliche Dienst des Bundestages 2017 ein Gutachten[3] erstellt, welches entsprechende Vorbehalte deutlich äußert (Zusammenfassung auf Seite 51 des Gutachtens). Zur Waffenbesitzrichtlinie 91/477/EWG in der Fassung der Änderungsrichtlinie 2017/853/EU findet sich in N-Lex gar kein Anhaltspunkt.

Bei unmittelbar geltendem Europarecht erscheint es vordergründig unnötig, nationale Umsetzungsmaßnahmen zu beobachten. Der Schengener Grenzkodex beispielsweise[4] wird im deutschen Recht vorausgesetzt, was z.B. durch § 15 des Aufenthaltsgesetzes illustriert wird, welcher unter anderem auf das Fehlen der Voraussetzungen für einen Grenzübertritt nach Artikel 5 Grenzkodex abstellt. Allerdings hat man am Beispiel der DSGVO gesehen, dass dies nicht selbstverständlich ist: Einem ersten Gesetz zur Anpassung des Datenschutzrechts an die Verordnung (EU) 2016/679[5] wird Anfang 2019 ein zweites solches Anpassungsgesetz mit über 100 Seiten an Änderungen in der nationalen Rechtsordnung folgen.[6] — Solche Umsetzungsgesetze erkennt man im Bereich N-Lex überhaupt nicht, denn sie werden „stillschweigend“ in die Stammvorschriften eingearbeitet und das Änderungsgesetz selbst mit seiner BGBl.-Fundstelle taucht in der Datenbasis gar nicht auf, welche von der N-Lex-Recherche durchsucht wird. – Nachdem die Verhältnismäßigkeit der umfassenden Datenerfassung und des Datenabrufs nach dem Entry-Exit-System der VO (EU) 2017/2226 rechtspolitisch umstritten ist, könnte es durchaus auch von Interesse sein, die hierzu notwendigen Umsetzungsmaßnahmen in den nationalen Rechtsordnungen zu beobachten, allerdings erscheint die N-Lex-Recherche hierfür ebenfalls ungeeignet.

1.2.      Register der Beschlüsse über Vertragsverletzungsverfahren

Ein amtliches Monitoring der Europäischen Kommission kann man zum Beispiel auffinden, indem man eine Google-Suche nach „List of infringement proceedings“ durchführt. Diese findet unter anderem den Treffer „http://ec.europa.eu/atwork/applying-eu-law/infringements-proceedings/­infringement_decisions/­?lang_code=de“. In EU-Amtsdeutsch heißt diese online-Datenbasis „Register der Beschlüsse über Vertragsverletzungsverfahren“. Auf der gefundenen Seite steht aber nicht diese Bezeichnung, sondern, im Sinne einer Pseudo-Breadcrumb-Navigation: „Die Europäische Kommission bei der Arbeit, Europäische Kommission .. > Anwendung des EU-Rechts > Vertragsverletzungen > Entscheidungen in Verletzungsverfahren“. Diese Seite selbst ist eine übersichtliche Suchmaske. Mit einer Voreinstellung „Deutschland / 2016 bis 2018 / offene“ erscheinen 46 Treffer, ohne Einschränkung auf offene ergeben sich im selben Zeitraum 125. Ein Download für Excel ist möglich. Die Tabelle ordnet den monierten Verstößen jeweils pro Verfahrensschritt eine Zeile zu, sodass sich inklusive der Verfahrenseinstellungen 284 Zeilen ansammeln.

Die bloße Nicht-Anpassung der nationalen Rechtsordnungen an unmittelbar geltendes Verordnungsrecht ist aufgrund des Anwendungsvorrangs des Europarechts nicht direkt relevant für diese Listen. Wenn aber Vertragsverletzungen auf einer Verletzung von EU-Verordnungsrecht beruhen, kommt es vor, dass auch Verordnungen Erwähnung finden, so z.B. in den Vertragsverletzungsverfahren Nr. 20152179 (Verordnung [EG] 765/2008) oder 20124071 (Verordnung [EG] 1907/2006). Ansonsten wird der Inhalt dieser Datenbank wesentlich von Rügen der Nicht-Umsetzung von Richtlinien und Rahmenbeschlüssen bestimmt. Soweit deren Umsetzung stattfindet, solange die Umsetzungsfrist nicht abgelaufen ist und solange keine Rügen vorliegen, findet demnach kein Monitoring im positiven Sinne statt, es wird nur gelistet, wenn etwas nicht umgesetzt wird oder wenn ein anderer Mitgliedstaat oder die Kommission der Ansicht sind, dass eine Rüge erforderlich ist.

Infolgedessen finden sich auf dieser Seite Listeneinträge zu allen Verfahrensschritten gegen Deutschland hinsichtlich der erwähnten Umsetzungsdefizite bei der Verpackungsrichtlinie für Gemische (Nr. 20150267) und der Berufsqualifikationsanerkennungsrichtlinie (Nr. 20160176) sowie zu den Gleichheitsverstößen bei der Gesetzgebung zur Pkw-Autobahnmaut (Nr. 20152122). Die anderen angesprochenen Konstellationen werden (noch) nicht dokumentiert.

1.3.      Binnenmarktanzeiger der Europäischen Kommission

Eine aktuelle Pressemitteilung der Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland[7] verweist auf ihren „Binnenmarktanzeiger“. Dieser heißt „Single Market Scoreboard“ und ist derzeit nur in englischer Sprache zu finden unter der Adresse http://ec.europa.eu/internal_market/scoreboard/. Unter dem Gliederungspunkt der Ausgabe 07/2018 findet sich als einer von vielen bewerteten Punkten die Umsetzung von Unionsrecht „Transposition of Law“. Hier findet man lediglich statistische Angaben, beispielsweise zur Anzahl nichtumgesetzter Richtlinien, Dauer der Umsetzung von Gerichtsentscheidungen, Entwicklung von Vertragsverletzungsverfahren und die Abstände zum Durchschnitt aller EU-Staaten. Konkrete Links zu einzelnen nicht umgesetzten Rechtsakten enthält diese Seite aber nicht.

1.4.      Jahresberichte über die Kontrolle der Anwendung des EU-Rechts

Auch bei diesen Jahresberichten handelt es sich um amtliches Monitoring der Europäischen Kommission. Eine deutsche Version des jüngsten Jahresberichts „COM(2018) 540“ soll der Link https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/report-2017-annual-report-monitoring-application-eu-law_de.pdf enthalten, er enthält aber (Stand 31.12.2018) nur ein Deckblatt. Die englische Version[8] ist vollständig. Sie enthält allgemeine Erläuterungen der Politik der Kommission hinsichtlich der Umsetzung von EU-Recht. Dazwischen findet man Links zu Pressemitteilungen in den neuen Vertragsverletzungsverfahren, z.B. die Mitteilung, dass Deutschland wegen fixer Tarife für Architekten und Ingenieure wegen Verletzung der Dienstleistungsrichtlinie (2006/123/EG) verklagt worden sei.[9]

1.5.      Eur-Lex: Amtliches Monitoring durch das Amt für amtliche Veröffentlichungen

Am Beispiel der Richtlinie zur Anpassung von Richtlinien an die Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen lässt sich zeigen, dass bei der Eur-Lex-Seite durchaus von einer Art amtlichem Monitoring durch geschickte Verlinkungsmechanismen gesprochen werden kann. Als Muster erwähnt sei hier die URL https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/NIM/?uri=CELEX:32014L0027&qid=1543421190662.

Die Richtlinie 2014/27/EU wurde unter Verletzung der Umsetzungsfrist 01.06.2015 erst durch eine Verordnung vom 15.11.2016, publiziert am 18.11.2016[10], umgesetzt. Dies kann nachgelesen werden, wenn man zunächst auf den Link „Nationale Umsetzung“ klickt und dann in der Liste „Nationale Umsetzungsmaßnahmen nach dem Mitgliedsstaat“ das Pluszeichen bei „Deutschland“ aufschlägt. Die dort verlinkte Verordnung zur Umsetzung der Richtlinie 2014/27/EU und zur Änderung von Arbeitsschutzverordnungen enthält die entsprechende Umsetzungsfußnote und Änderungen der Gefahrstoffverordnung, der Betriebssicherheitsverordnung, der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge sowie der Baustellenverordnung. Sie macht auch deren Verspätung transparent.

1.6.      Monitoring des deutschen Bundesministeriums für Wirtschaft

Die regelmäßige amtliche Information des deutschen Bundestages und der Europa-Staatssekretäre erfolgte gemäß einem Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des deutschen Bundestages[11] aufgrund einer beim Bundesministerium für Wirtschaft (BMWi) geführten Datenbank durch dieses Ministerium im Publikationsorgan „Schlaglichter der Wirtschaft“. Bis 2015 verwies diese Publikation quartalsweise zuverlässig auf den oben genannten Binnenmarktanzeiger der Europäischen Kommission und übersetzte zusammenfassend die Deutschland betreffenden Abschnitte. Aktuell findet sich diese Art von transparenter Wiedergabe nicht mehr in den „Schlaglichtern der Wirtschaft“. Die Homepage des BMWi verweist nur noch ganz allgemein gegen Ende eines langen Artikels über den EU-Binnenmarkt auf das Monitoring der EU unter „Single Market Scoreboard Online“ und verlinkt die URL http://ec.europa.eu/internal_market/scoreboard/.[12]

[1] https://www.ilo.org/dyn/natlex/natlex4.byCountry?p_lang=en

[2] BGBl. I 2015 Seite 904

[3] Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes und des Zweiten Verkehrssteueränderungsgesetzes in der Fassung der von der Bundesregierung beschlossenen Änderungsgesetze mit dem Unionsrecht (Aktenzeichen: PE 6 – 3000 – 5/17, Gutachten vom 6. Februar 2017, https://www.bundestag.de/blob/493516/ab77f6cf73cf5d38bc57a0193bf808c0/pe-6-005-17-pdf-data.pdf)

[4] Verordnung (EU) 2016/399

[5] BGBl. I 2017 Seite 2097

[6] http://dipbt.bundestag.de/extrakt/ba/WP19/2390/239070.html

[7] https://ec.europa.eu/germany/news/20180712-einhaltung-des-eu-rechts-2017_de

[8] https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/report-2017-annual-report-monitoring-application-eu-law.pdf

[9] http://europa.eu/rapid/press-release_IP-16-3646_EN.htm

[10] BGBl. I S. 2549

[11] PE 6 – 3000 – 78/15 vom 01.07.2015, Download unter  https://www.bundestag.de/blob/417390/8d9af26a272e817131151cbca8af055c/pe-6-078-15-pdf-data.pdf

[12] „EU-Binnenmarkt und wirtschaftspolitische Koordinierung“, https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Artikel/Europa/eu-binnenmarkt.html

 

Dr. Alexander Konzelmann

Leiter der Boorberg Rechtsdatenbanken RDB, Stuttgart

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