23.05.2019

Nachhaltigkeit im Klimaschutz

Völkerrechtliche Vorgaben und nationale Umsetzung

Nachhaltigkeit im Klimaschutz

Völkerrechtliche Vorgaben und nationale Umsetzung

Auf der Suche nach nachhaltigen Lösungen. | © nirutft - stock.adobe.com
Auf der Suche nach nachhaltigen Lösungen. | © nirutft - stock.adobe.com

So schlecht ist das Paris-Abkommen zum Klimaschutzrecht nicht. Es enthält keine Reduktionsverpflichtungen der Staaten, ermöglicht aber nachhaltige Klimaschutzpolitik.

Begriffsbestimmung

Nachhaltigkeit, so könnte man spöttisch sagen, ist ein Versöhnungsbegriff. Der Begriff changiert zwischen einem engen und einem weiten Verständnis. In einem engeren Sinne wird Nachhaltigkeit entsprechend ihrer Ursprünge in der Forstwirtschaft verstanden. Der ökologische Nachhaltigkeitsbegriff zielt auf die Schonung und langfristige Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen im Sinne einer dauerhaft-umweltgerechten Entwicklung. Hierzu zählt vor allem die Verpflichtung, bei der Bewirtschaftung erneuerbarer Ressourcen die Regenerationsrate nicht zu überschreiten und bei der Bewirtschaftung nicht erneuerbarer Ressourcen nach dem Grundsatz der Sparsamkeit zu verfahren.

Im Klimaschutz wird dagegen von einem weiten Verständnis der Nachhaltigkeit ausgegangen. Dem Völker- und Europarecht liegt ein mehrdimensionales, häufig als Drei-Säulen-Konzept bezeichnetes Verständnis zugrunde. Danach werden ökologische Belange gleichrangig neben ökonomische und soziale Belange gestellt. Das erlaubt die Berücksichtigung einer Vielzahl von Interessen um den Preis der Zurückstufung aller Interessen zu Abwägungsbelangen, was seine Aussagekraft in Zielkonflikten mindert. Solange der Begriff „Nachhaltigkeit“ eindimensional verstanden wurde, blieb seine rechtliche Verankerung spärlich. Das mehrdimensionale Verständnis förderte die rechtliche Anerkennung um den Preis verschwimmender Inhalte.


Immerhin erleichtert Art. 20a GG die Anerkennung des Nachhaltigkeitsgedankens im Recht. Über die Staatszielbestimmung, wonach der Staat zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen „auch in Verantwortung für die künftigen Generationen“ verpflichtet ist, werden nicht nur die Schichten des Nachhaltigkeit fordernden Völker- und Europarechts in das nationale Recht aufgenommen, sondern auch das in vielen Gesetzen aufgegriffene Nachhaltigkeitsprinzip in seiner Normativität verstärkt.

Jedoch ist weder dem überstaatlichen noch dem staatlichen Recht zu entnehmen, wie eine den Nachhaltigkeitsgedanken prägende „Langzeitverantwortung“ zu institutionalisieren ist, wer also im Sinne des Drei-Säulen-Konzepts die ökologischen, ökonomischen und sozialen Belange einer Entwicklung sichert, um den gegenwärtigen Bedarf zu decken, ohne späteren Generationen die Möglichkeit zur Deckung ihres Bedarfs zu verbauen.

Klimaschutz

In der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie von 2016 heißt es, Nachhaltigkeit fordere eine wirtschaftlich leistungsfähige, sozial ausgewogene, ökologisch verträgliche Entwicklung, wobei die planetaren Grenzen zusammen mit der Orientierung an einem Leben in Würde für alle die absolute äußere Beschränkung vorgeben. Und in der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung werden 17 Ziele normiert, die auf den Klimaschutz bezogen sind, etwa:

  • die Förderung nachhaltiger Landwirtschaft mit dem Ziel umweltverträglicher Nahrungsproduktion;
  • Gesundheit und Wohlergehen durch eine Verringerung der Luftbelastung;
  • hochwertige Bildung, um mehr Bewusstsein für den Klimaschutz und eine erhöhte Handlungsbereitschaft zu fördern;
  • die Ausrichtung von Städten und Kommunen, aber auch des Konsums und der Produktion an Nachhaltigkeit;
  • die Senkung von CO2-Emissionen sowie
  • Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen als eine Grundvoraussetzung für die Beschäftigung mit dem Klimawandel.

Die Liste ist nicht vollständig, zeigt aber bereits, dass Nachhaltigkeit und Klimaschutz als Zwillingsschwestern in Erscheinung treten. Einerseits wirkt sich die Verfolgung dieser Nachhaltigkeitspostulate auf den Klimaschutz positiv aus, andererseits gefährden die Folgen des Klimawandels die Agenda-Ziele. Wie sollte man politisch und rechtlich dieser „Verwandtschaft“ begegnen? Ist die gegenwärtige Klimaschutzpolitik nachhaltig? Das hängt von dem Rechtsrahmen ab, der auf seine Befähigung zur Nachhaltigkeit zu befragen ist. Damit ist in erster Linie das Völkerrecht adressiert, das mit dem 2016 in Kraft getretenen Paris-Abkommen einen neuen Rechtsrahmen bereitstellt. Fördern die wenig harten Vorgaben eine nachhaltige Wirtschaftsweise und unterstützen sie eine auf Nachhaltigkeit zielende Politik? Das wird vielfach bezweifelt, verzichtet das Paris-Abkommen doch – anders als zuvor das Kyoto-Protokoll – auf verbindliche Reduktionsverpflichtungen mit der Folge, dass ein Nichtstun hierzulande folgenlos bleibe.

Freilich ist in Deutschland eine Sehnsucht nach materiell-rechtlichen Regelungen auf internationaler Ebene verbreitet, die anderswo nicht von allen geteilt wird. Wir glauben, die großen Probleme wie der Klimaschutz ließen sich durch das Recht lösen, während im europäischen Ausland der Fokus eher auf die Politik gelenkt wird. Warum, so ist deshalb zu fragen, kann im Verzicht auf rechtsverbindliche völkerrechtliche Vorgaben ein Vorteil nachhaltiger Politik gesehen werden?

Eine Antwort auf diese Frage erleichtert das Verständnis des Klimaschutzrechts und „entlastet“ von zu hohen Erwartungen. Gerade weil Nachhaltigkeit im Klimaschutz einschneidende Maßnahmen erfordert, müssen politische Lösungen gefunden werden, die über eine hinreichende demokratische Legitimation verfügen. Zwar ist die idealiter auf eine Legislaturperiode beschränkte Kurzzeitlegitimation der nationalen Regierung ein Problem für die Sicherung „nachhaltiger“ Langzeitverantwortung.

Was heute beschlossen wird, kann unter geänderten Mehrheitsverhältnissen schon morgen wieder korrigiert werden. Dennoch sollte man die im nationalen Kontext eingegangenen Verpflichtungen zu weitreichenden Maßnahmen nicht unterschätzen, kann die prekäre Legitimation des Völkerrechts doch nur eine „konstitutionalistische“ Sichtweise ignorieren, die gerade deshalb vielfach auf Ablehnung stößt. Der Verzicht auf detaillierte rechtsverbindliche Vorgaben im Völkerrecht hält Wege offen und belässt der nationalen Politik einen Spielraum, der einen nachhaltigen Umgang mit dem Klimawandel überhaupt erst ermöglicht.

Sicherlich können die Staaten allein das globale Problem nicht lösen, aber die Suche nach internationalen Lösungen darf nicht verdecken, dass die nationale Politik im Hinblick auf die Wahrung der völkerrechtlichen Zielvorgaben über einen größeren legitimatorischen Rückhalt verfügt. So erzwingt das Paris-Abkommen nicht den Kohleausstieg in Deutschland. Ohne einen Ausstieg aus der Kohleverstromung dürfte Deutschland seine im Hinblick auf die Vorgaben der Paris-Abkommens formulierten Ziele aber kaum erreichen können.

Verkoppelungen

Nun wäre es sicherlich verkehrt, die eine Ebene gegen die andere Ebene auszuspielen. Allein auf die Staaten zu vertrauen, schafft keinen nachhaltigen Klimaschutz, für den es ökonomischer Anreize bedarf, um ökologische Zielvorgaben zu erreichen. Nur sollte eben nicht alles von der internationalen Politik erwartet werden. Es kommt auf den richtigen Mix aus völkerrechtlichen Vorgaben und nationaler Umsetzung an.

Ein nachhaltiger Klimaschutz wird auch nur erreichbar sein, wenn man stärker die sub- und nichtstaatlichen Akteure in den Blick nimmt, was in der „transnationalen“ Perspektive des Klimaschutzes inzwischen thematisiert wird. Dann sollte man sich aber auch von der strikten Entgegensetzung von Recht und Politik distanzieren. In der transnationalen Konstellation, in der sich der Klimaschutz heute befindet, verschwimmt die Grenze zwischen Recht und Nicht-Recht. Nicht nur, dass man sich vergegenwärtigen muss, dass Recht kein Ersatz für Politik ist, sondern Politik ermöglichen will. Man muss sich auch von zu einfachen Vorstellungen des Rechts befreien. Eine Regel verliert ihren Rechtscharakter nicht dadurch, dass auf eine Zwangsbewehrung verzichtet wird.

Gerade das Paris-Abkommen als ein völkerrechtlicher Vertrag ist nicht ohne Grund plastisch als ein „Interplay between Hard, Soft and Non-Obligations“ bezeichnet worden. So wie das nationale Klimaschutzrecht vor dem Hintergrund des internationale Klimaschutzrechts verstanden und ausgelegt werden muss, ist Letzteres mit Blick auf die Anleitung nationaler Strategien zu betrachten. Nachhaltig werden die nationalen Klimaschutzmaßnahmen nur sein, wenn sie angestoßen und ermöglicht, nicht aber erzwungen und sanktioniert werden. Denn nachhaltig, so ließe sich als Vermutungsregel zugespitzt sagen, ist eine Entscheidung nur, wenn sie eigenverantwortlich, nicht aber fremdbestimmt getroffen wird.

Nachhaltiger Klimaschutz setzt zweierlei voraus: Zum einen bedarf es im internationalen Klimaschutzrecht nicht notwendig materiell-rechtlicher Reduktionsverpflichtungen, wohl aber hinreichend konkreter prozeduraler Vorgaben, was mit den Bemühungen der 24. Vertragsstaatenkonferenz in Kattowitz um ein „rulebook“ zur Spezifizierung der Vorgaben des Paris-Abkommens deutlich wurde. Ist es schon schwer, einen erweiterten Transparenzrahmen für die Messung, Berichterstattung und Verifizierung für die Staaten zu schaffen, so ist völlig unklar, wie die Klimaschutzbeiträge nicht-staatlicher Akteure auf die gemeldeten Beiträge der Staaten angerechnet werden können.

Zum anderen ist es auf nationaler Ebene nicht allein damit getan, den Klimaschutzplan der Bundesregierung in ein Bundesklimaschutzgesetz zu überführen, um so zu einer stärkeren Verbindlichkeit zu gelangen. Es muss vielmehr gesehen werden, dass eine gesellschaftliche Rückbindung des Klimaschutzes unerlässlich ist. In dem Maße, wie es gelingt, die staatliche Klimapolitik aus naturwissenschaftlichen „Zwängen“ herauszuholen und gesellschaftlich zurückzubinden, wird ein Panorama eröffnet, das es den Staaten erlaubt, auch unpopuläre Maßnahmen zu ergreifen, die umso wichtiger werden, je länger es dauert einzusehen, dass ein Hinauszögern zur Erreichung der gemeinsamen Ziele nur zum Preis erheblicher volkswirtschaftlichen Kosten möglich sein wird.

Die für erforderlich gehaltenen Transformationsprozesse sollen mit den Worten des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) den Menschen aufzeigen, dass es nicht um den Verzicht auf Wohlstand und Komfort geht, sondern um eine positive Transformation der gewohnten Lebensweisen zu einer nachhaltigen Gesellschaft, in deren Verlauf sie an Lebensqualität und Teilhabe gewinnen.

Hinweis der Redaktion: Der Beitrag entstammt der aktuellen Ausgabe »Der Wirtschaftsführer für junge Juristen«.

Um den Wirtschaftsführer auch unterwegs bequem lesen zu können, finden Sie hier unsere »Wirtschaftsführer-App«.

 

Prof. Dr. Claudio Franzius

Forschungsstelle für Europäisches Umweltrecht, Universität Bremen

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