15.01.2013

Öffentliche Krankenhausfinanzierung

Kommunale Daseinsvorsorge auf dem Prüfstand des EU-Beihilfenrechts

Öffentliche Krankenhausfinanzierung

Kommunale Daseinsvorsorge auf dem Prüfstand des EU-Beihilfenrechts

Der Patient „Kommunale Krankenhausfinanzierung” im Spannungsfeld zwischen Daseinsvorsorge und EU-Beihilfenrecht. | © Sergey Nivens - Fotolia
Der Patient „Kommunale Krankenhausfinanzierung” im Spannungsfeld zwischen Daseinsvorsorge und EU-Beihilfenrecht. | © Sergey Nivens - Fotolia

Die Europäische Kommission erhält seit einiger Zeit vermehrt beihilfenrechtliche Beschwerden von Krankenhäusern in privater Trägerschaft, aber auch aus dem Kreise der niedergelassenen Ärzteschaft. Hintergrund ist, dass die Kommunen häufig Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft finanziell fördern und ihnen u. a. Verlustausgleichszahlungen gewähren, was den privaten Kliniken und den niedergelassenen Ärzten verwehrt bleibt, welche daher ohne solche Hilfen operieren müssen. Aufgrund der gehäuften Beschwerden rückt die beihilfenrechtliche Überprüfung der Finanzierung von öffentlichen Krankenhäusern mehr und mehr in den Fokus der Europäischen Kommission als die für das europäische Beihilfenrecht zuständige Aufsichtsbehörde. Gegenstand der Prüfung durch die Kommission sind direkte und indirekte Förderungen der öffentlichen Krankenhäuser, Verlustübernahmen sowie andere Unterstützungen und Entlastungen wie z. B. Unterstützungen bei Investitions- und Betriebskosten.

Spannungsfeld Daseinsvorsorge – Beihilfenverbot

Die Finanzierung von Krankenhäusern bewegt sich in einem gesellschaftlichen Spannungsfeld. Die optimale medizinische Versorgung der gesamten Bevölkerung ist einerseits eine Forderung, über deren Notwendigkeit ein breiter gesellschaftlicher Konsens besteht. Aufgrund der knapp kalkulierten Finanzierung der medizinischen Dienstleistungen durch gesetzliche und private Krankenversicherungen in Deutschland oder ähnliche Systeme in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union können die meisten öffentlichen Krankenhäuser ihre wirtschaftliche Existenz kaum ohne finanzielle Unterstützung sichern. Eine Gewinnerzielung ist ohnehin zumeist praktisch unmöglich. Außerdem darf nicht außer Acht bleiben, dass in Deutschland die Kommunen zur Daseinsvorsorge ihrer Bevölkerung gesetzlich verpflichtet sind, was auch die stationäre, teilambulante und ambulante medizinische Versorgung in einem Krankenhaus einschließt. In anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ist dies ähnlich. Andererseits gilt das europarechtliche Verbot staatlicher Beihilfen (Art. 107 Abs. 1 AEUV) auch im Falle der Finanzierung von – in aller Regel öffentlichen – Krankenhäusern durch die Kommunen. Wie die Kommission in ihren in 2011/2012 überarbeiteten, zum Almunia-Paket zusammengefassten Vorschriften für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse (DAWI) klarstellt (vgl. Beschluss vom 20. 12. 2011, K (2011) 9380, S. 3), ist ein Krankenhaus ein Unternehmen im Sinne des europäischen Beihilfenrechts. Auf die Rechtsform oder die Trägerschaft kommt es dabei nicht an. Finanzierungsmaßnahmen, die direkt oder indirekt einem Krankenhaus einen finanziellen Vorteil verschaffen und geeignet sind, den grenzüberschreitenden Wettbewerb zu verzerren, dürfen daher nicht ohne Weiteres gewährt werden. Vielmehr müssen solche Maßnahmen in der Regel zunächst bei der Kommission angemeldet (sog. Notifizierungspflicht) und von dieser freigegeben werden. Solange die Kommission die Beihilfen nicht genehmigt, besteht nach Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV ein Vollzugsverbot. Entgegen diesem Vollzugsverbot gewährte Förderungen sind schon formell rechtswidrig und müssen grundsätzlich zuzüglich Zinsen zurückgefordert werden. Dies gilt auch, wenn die Beihilfen an sich genehmigungsfähig, d. h. mit dem Binnenmarkt vereinbar sind. In besonderen Fällen findet keine Rückzahlung der gewährten Beihilfe selbst statt. Strafzinsen muss der Empfänger der Förderung aber in jedem Falle vom Zeitpunkt ihrer Gewährung an bis zu ihrer Genehmigung zahlen. Dies birgt ein erhebliches finanzielles Risiko für den Beihilfenempfänger, aber auch für die beteiligten öffentlichen Stellen.

Die Kommission hat in ihrer bisherigen Praxis im Falle der Förderung von Krankenhäusern meist nur auf Beschwerden von Wettbewerbern hin geprüft, ob gewährte Förderungen beihilfenrechtskonform sind. Allerdings ist zuletzt ein Anstieg der Beihilfenbeschwerden in diesem Bereich zu verzeichnen und damit auch eine Zunahme der Kontrollintensität durch die Brüsseler Beihilfenwächter.


Vorgaben der Rechtsprechung

Der unlängst vom Gericht der Europäischen Union (EuG) entschiedene Fall zu den Brüsseler Krankenhäusern (EuG, Urt. v. 07. 11. 2012, CBI/Europäische Kommission, Rs. T-137/10, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht) hat dabei Leitbildfunktion für die gesamte Europäische Union. Im Falle der Brüsseler Krankenhäuser hob das Gericht die Entscheidung der Kommission (Entsch. v. 28. 10. 2009, C (2009) 8120) auf, mit der diese Beihilfen an öffentliche Krankenhäuser in der Region Brüssel-Hauptstadt auf der Basis des Art. 106 Abs. 2 AEUV für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt hatte (sog. Positiventscheidung). Auslöser des gerichtlichen Verfahrens war eine Nichtigkeitsklage, die private Wettbewerber gegen die Kommissionsentscheidung angestrengt hatten. Das EuG stellte in seiner Entscheidung klar, dass der Genehmigung einer solchen Finanzierungsmaßnahme eine vertiefte Prüfung des beihilfenrechtlichen Tatbestandes sowie vor allem der Rechtfertigungsvoraussetzungen für eine Beihilfe vorausgehen muss. Insbesondere ist laut EuG eine detaillierte Prüfung dahingehend erforderlich, ob es sich bei den vom jeweiligen Krankenhaus erbrachten Dienstleistungen tatsächlich um DAWI handelt und ob die von den Kommunen geleisteten Ausgleichszahlungen und sonstigen Vergünstigungen angemessen sind. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Urteil die Kommission in Zukunft veranlasst, die finanzielle Unterstützung von Krankenhäusern in öffentlicher Trägerschaft häufiger und detaillierter zu prüfen.

Voraussetzungen einer zulässigen Förderung

Dies bedeutet aber nicht, dass die Förderung kommunaler Krankenhäuser im Rahmen des EU-Rechts unmöglich wäre. In Anbetracht der gesellschaftlichen Bedeutung einer gesicherten medizinischen Versorgung der Bevölkerung und der knapp kalkulierten Finanzierung durch die Krankenkassen und die privaten Krankenversicherungen würde das Ausbleiben öffentlicher Förderungen auch voraussichtlich zu nicht hinnehmbaren Engpässen führen. Dies berücksichtigt auch die Kommission in ihrer Praxis. Allerdings müssen die Finanzierungsmaßnahmen zugunsten von öffentlichen Krankenhäusern – auch in Ansehung des finanziellen Risikos für die Beteiligten – beihilfenrechtskonform ausgestaltet werden.

Gegebenenfalls ist das Vorliegen einer Beihilfe zugunsten von Krankenhäusern bereits zu verneinen, wenn der finanziellen Förderung der grenzüberschreitende Charakter fehlt. Eine Maßnahme mit ausschließlich lokalen Auswirkungen beeinträchtigt nicht den zwischenstaatlichen Handel. Dies ist allerdings nur in dem Ausnahmefall national vollständig abgeschotteter Märkte oder bei rein lokalen Märkten anzunehmen, wie z. B. bei nur regionalen Tageszeitungen, bei Freizeitbädern mit begrenztem Einzugsgebiet und gegebenenfalls auch bei Krankenhäusern. So hat die Kommission in Bezug auf Krankenhäuser festgestellt, dass bei einer indirekten Förderung durch finanzielle Vorteile für die Investoren der grenzüberschreitende Bezug fehlen kann (Capital Allowances for Hospitals, Irland, Entscheidung vom 27. 02. 2002, N 543/01). Allerdings betont die Kommission in derselben Entscheidung auch, dass es sich hier um einen speziellen Fall handelte, da eine eindeutige Unterkapazität auf dem geförderten (irischen) Krankenhausmarkt bestand und nicht davon auszugehen war, dass Krankenhauskomplexe von einer solchen Größe entstehen würden, die Patienten aus anderen Mitgliedstaaten anzögen. Grundsätzlich beeinträchtige eine finanzielle Unterstützung im Krankenhaussektor zumindest potentiell den zwischenstaatlichen Handel, da staatliche Gesundheitsleistungen im europäischen Ausland, insbesondere in spezialisierten Bereichen vermehrt grenzüberschreitend in Anspruch genommen würden. Bei grenznahen Krankenhäusern und bei großen Kliniken kommt der Ausschluss einer Beihilfe wegen der grenzüberschreitenden Auswirkung von Unterstützungsmaßnahmen ohnehin nicht in Betracht. Gerade bei Letzteren ist immer auch der potentielle Betreibermarkt zu berücksichtigen, was es nach Praxis der Kommission fast immer ausschließt, dass es sich nur um einen lokalen Vorgang handelt.

Da Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft auch DAWI erbringen, kommt der Ausschluss einer Beihilfe auch in Betracht, wenn die sog. Altmark-Kriterien (EuGH, Urt. v. 24. 07. 2003, Altmark Trans, Rs. C-280/00, Slg. 2003, I-7747) erfüllt sind. Schon seit dem Jahre 2003 prüft man anhand der vier Altmark-Kriterien, ob es sich bei einer Finanzierungshilfe oder sonstigen Vergünstigung um eine zulässige Förderung von DAWI handelt. Sind diese vier Kriterien erfüllt, fehlt den Ausgleichsleistungen die Begünstigungswirkung und sie stellen daher schon tatbestandlich keine verbotenen Beihilfen dar.

Die vier Kriterien sind im Einzelnen:

  • tatsächliche Betrauung des Unternehmens mit klar definierten DAWI,
  • objektiv und transparent aufgestellte Berechnungsparameter für die Förderung,
  • keine Überkompensation (Nettomehrkostenausgleich),
  • Ermittlung einer angemessenen Förderung entweder durch Ausschreibung oder auf der Grundlage einer Analyse der Kosten, die ein durchschnittliches, gut geführtes Unternehmen verursachen würde, das so angemessen mit Mitteln ausgestattet ist, dass es den geltenden gesamtwirtschaftlichen Anforderungen genügen kann.

Die Einhaltung der vier kumulativ geforderten Voraussetzungen ist indes nicht einfach umzusetzen, gerade bei Ausgleichsleistungen. Problematisch ist zum einen, die Parameter für die Höhe des Defizitausgleichs vorab objektiv und transparent aufzustellen. Zum anderen ist das vierte Kriterium der Altmark-Entscheidung schwer zu erfüllen, sodass eine finanzielle Förderung öffentlicher Krankenhäuser oftmals den beihilfenrechtlichen Tatbestand erfüllt.

Spezielle Rechtfertigungsregelungen nötig

Aufgrund der gesellschaftlichen Bedeutung der Krankenhäuser und der kommunalen Pflicht zur Daseinsvorsorge bedarf es aber eines funktionierenden Krankenhaussektors, weshalb es für Ausgleichsleistungen zugunsten von DAWI erbringenden Krankenhäusern spezielle Regelungen gibt. Diese sind vornehmlich im Freistellungsbeschluss vom 20. 12. 2011 (K (2011) 9380) zu finden, der Teil des Almunia-Paketes ist und der auf dem Rechtfertigungstatbestand des Art. 106 Abs. 2 AEUV fußt. Sind dessen Vorgaben erfüllt, sind die Beihilfen notifizierungsfrei zulässig. Der Unterschied zwischen Altmark-Kriterien und Freistellungsbeschluss ist, dass nach dem Beschluss die Höhe des Ausgleichs nach den Kosten bemessen wird, die tatsächlich angefallen sind und somit das vierte Altmark-Kriterium entfällt. Nach dem Freistellungsbeschluss sind Förderungen des Krankenhaussektors zudem schwellenwertunabhängig zulässig, wodurch die Kliniken im Vergleich zu anderen – nicht soziale DAWI erbringenden – Unternehmen privilegiert sind. Letztere sind nach dem Freistellungsbeschluss nur bei einem Maximalförderbetrag von 15 Mio. Euro jährlich notifizierungsfrei zulässig. Um nach dem Beschluss notifizierungsfrei zulässig zu sein, müssen die Beihilfen zugunsten von Krankenhäusern zusätzlich folgende Voraussetzungen erfüllen:

  • Verweis auf den Freistellungbeschluss im Betrauungsakt,
  • Befristung der Förderung auf höchstens 10 Jahre,
  • Einhaltung verschärfter Kontroll-, Berichts- und Transparenzpflichten,
  • Anwendung der im Freistellungsbeschluss näher konkretisierten Berechnungsmethode für Ausgleichszahlungen,
  • Vermeidung der Überkompensation und zwingende Rückabwicklung der Förderung im Falle der Überkompensation von mehr als 10 % der jährlichen Ausgleichsleistungen.

Das deutsche Bundesministerium für Gesundheit hat zur Konkretisierung der Vorgaben und Anforderungen eine „Auslegungs- und Anwendungshilfe zur Umsetzung des neuen Freistellungsbeschlusses der Europäischen Kommission vom 20. 12. 2011 [ABl. L 7 vom 11. 01. 2012, S. 3] im Gesundheitswesen, insbesondere im Krankenhaussektor und im Bereich der Langzeitpflege“, herausgegeben. Diese soll eine beihilfenrechtskonforme Ausgestaltung der Förderung von DAWI im genannten Sektor erleichtern. Das Ministerium betont in diesen Leitlinien insbesondere, dass nur Förderungen, die auf einem Betrauungsakt basieren, der den Vorgaben des Almunia-Paketes und der EU-Rechtsprechung genügt, notifizierungsfrei zulässig sind. In diesen Leitlinien formuliert das Ministerium, dass Betrauungsakte – deren Rechtsform frei wählbar ist (z. B. Verwaltungsakt oder öffentlich-rechtlicher Vertrag) – folgende Festlegungen enthalten müssen:

  • Gegenstand und Dauer der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen,
  • das beauftragte Unternehmen und den geographischen Geltungsbereich der Betrauung,
  • die Art der den Unternehmen gewährten etwaigen ausschließlichen oder besonderen Rechte,
  • den Ausgleichsmechanismus sowie die Parameter für die Berechnung, Überwachung und Änderung sowie
  • einen Mechanismus zur Vermeidung und Rückforderung von Überkompensationen.

Ausblick

Aufgrund eines zunehmenden Wettbewerbsdrucks steht zu erwarten, dass sich der Trend fortsetzt und in Zukunft die Beschwerden privater Krankenhausträger gegen die kommunale Förderung von Krankenhäusern fortsetzt. Für diesen Fall gibt die Kommission jedenfalls die oben genannten Anforderungen an eine beihilfenkonforme Förderung vor. Hilfreich sind die Regelungen ferner für Kommunen und andere Stellen der öffentlichen Hand, die anhand dieser Vorgaben eine beihilfenrechtskonforme Finanzierung strukturieren können. Im Hinblick auf die gesellschaftliche Bedeutung von Krankenhäusern wird es auch in Zukunft unerlässlich sein, diese finanziell zu unterstützen. Wegen der zunehmenden Prüfintensität der Kommission und im Hinblick auf die privaten Wettbewerber der Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft ist es aber unerlässlich, Förderungen im Einklang mit dem europäischen Beihilfenrecht zu gewähren. Nur so können finanzielle Risiken von den geförderten Kliniken sowie von den Kommunen selbst ferngehalten werden.

 

Prof. Dr. Robin van der Hout

Rechtsanwalt / Advocaat, Kapellmann und Partner Rechtsanwälte mbB, Brüssel
 

Anja Köhler

Rechtsanwältin, Kapellmann und Partner Rechtsanwälte mbB, Brüssel
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