01.05.2020

Obskur, verkannt, geringgeschätzt

Verwertungsgesellschaften sind besser als ihr Ruf

Obskur, verkannt, geringgeschätzt

Verwertungsgesellschaften sind besser als ihr Ruf

Was kann daraus werden? Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. | © Grafvision - stock.adobe.com
Was kann daraus werden? Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. | © Grafvision - stock.adobe.com

Die Lektüre dieses Beitrags kostet Sie zirka drei Minuten und er wird höchstwahrscheinlich eine Wissenslücke schließen. Sie können zukünftig Ihren Standpunkt zu urheberrechtlichen Themen differenzierter vertreten, insbesondere wenn es um den Begriff der „Verwertungsgesellschaft“ geht.

Wenn der Name „GEMA“ fällt, dann assoziiert man damit die Institution, die den Obolus für Musiknutzungen eintreibt. Beim Bürger ist der Begriff häufig negativ besetzt, ein Jurist sollte auf jeden Fall gedanklich die Brücke zum Urheberrecht schlagen. Dass es in Deutschland Schwestern der „Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte“ gibt, dürfte weniger bekannt sein. Aktuell sind es 13 Gesellschaften[1].

Sie kümmern sich um die Werkarten Musik, Film, Text und Bild. Vertreten werden die Urheber- und Leistungsschutzrechte von Urhebern, ausübenden Künstlern, Filmproduzenten, Sendeunternehmen und Musikveranstaltern. Kennen sollte man die vier großen Institutionen: neben der GEMA (musikalische Urheberrechte) sind dies die GVL (musikalische Leistungsschutzrechte), die VG Wort (Rechte an Texten) und die VG Bild-Kunst (Rechte an visuellen Werken).


Was wird verwertet?

Das Urheberrecht gewährt den Schöpfern, den Interpreten und einigen Vermittlern von Werken das ausschließliche Recht, ihre Werke öffentlich zu nutzen. Mit „Nutzung“ ist die öffentliche Verbreitung der Werke gemeint. Sie erfolgt nach Maßgabe der zur Verfügung stehenden Technik, zum Beispiel durch Vervielfältigung, Aufführung, Sendung oder dem Anbieten über Onlinedienste. Mit der Verbreitung von Werken können diese monetarisiert werden. Es kommen und gehen vielfältige Geschäftsmodelle für die einzelnen Werkarten. In früheren Zeiten, bevor es ein Urheberrecht und dessen Vorläufer gab, waren alle Werke gemeinfrei. Freilich gab es vor der Erfindung des Buchdrucks auch weder die Möglichkeit, noch ein Interesse an einer massenhaften Verbreitung von Werken. Heute greift das moderne Urheberrechtsgesetz die unterschiedlichen Verbreitungswege auf und münzt sie in entsprechende „Verwertungsrechte“. Nur der Inhaber des Verwertungsrechts darf ein Werk in der entsprechenden Form nutzen. Meistens wendet sich der Urheber nicht direkt an die Öffentlichkeit, sondern an einen Werkmittler, der ihm die wirtschaftliche Verwertung abnimmt. Ihm überträgt der Urheber entsprechende „Nutzungsrechte“. Ein Romanautor könnte sich klassisch an einen Verlag wenden, Regisseure und Drehbuchautoren benötigen Filmproduzenten. Heute verwerten viele Urheber ihre Werke auch selbst: man denke an den Blogger, der seine eigene Seite betreibt und über Werbung finanziert, oder an den Designer, der seine Werke direkt an seine Auftraggeber lizenziert.

Was verwerten Verwertungsgesellschaften?

Das Urheberrecht ist grundsätzlich ausgerichtet auf die individuelle Verwertung. Verwertungsrechte entstehen mit der Werkschöpfung oder der Werkinterpretation beim Urheber und beim ausübenden Künstler. Diese übertragen ihre Rechte an die Werkmittler und erhalten dafür eine Vergütung. Das ist Gegenstand des Urhebervertragsrechts. Die Werkmittler oder Rechteverwerter kümmern sich dann um die eigentliche Verbreitung der Werke an die Öffentlichkeit: Die Rede ist von Buch- und Zeitschriftenverlagen, von Musiklabels, von Filmproduktionsfirmen und Sendeunternehmen, von Bildagenturen und schließlich von Online-Plattformen wie Spotify, Netflix oder YouTube. Die Kreativen erhalten in der üblichen Verwertungskaskade meist den geringsten Teil des Umsatzes, der mit den von ihnen geschaffenen Werken erwirtschaftet wird. Allerdings gehen sie in der Regel auch nicht ins wirtschaftliche Risiko.

Wenn die individuelle Rechteverwertung strukturell versagt, benötigt das Urheberrecht andere Mechanismen, um einerseits den Rechtenutzern die benötigten Rechte zu verschaffen und andererseits den Rechteinhabern zu ihrer Vergütung zu verhelfen. Hier kommen Verwertungsgesellschaften ins Spiel. Sie wurden nicht etwa vom Gesetzgeber ins Leben gerufen, sondern haben sich zunächst im musikalischen Bereich und später auch für die anderen Werkarten aus freiwilligen Zusammenschlüssen von Rechteinhabern entwickelt.

Massenhafte Werknutzungen

Vor allem im Bereich der Musikverwertung ist eine individuelle Rechteklärung häufig schlicht nicht möglich oder zumindest mit prohibitiven Transaktionskosten verbunden. Streaming-Plattformen wie Spotify, Deezer oder Apple Music leben davon, ihren Abonnenten ein möglichst umfangreiches Repertoire anbieten zu können. Auch für Fernseh- und Radiosender wäre eine individuelle Rechteklärung schwierig, ganz zu schweigen von den vielfältigen Musiknutzungen im Aufführungsbereich (Diskotheken, Bars, Restaurants, Hotels usw.).

GEMA und GVL füllen die Lücke und bilden das Bindeglied zwischen Kreativen und Verwertern: Aufführungsrechte vermitteln beide Gesellschaften, wobei nur die GEMA nach außen hin auftritt. Radiound Fernsehsender schließen Verträge mit beiden Gesellschaften ab. Im klassischen Phonobereich und beim Streaming lizensiert die GEMA die Urheberrechte, während die Leistungsschutzrechte von den Musiklabels selbst wahrgenommen werden.

Komponisten und Textdichter, also die Urheber der Musik, lassen ihre Rechte im Wesentlichen über die GEMA verwerten. Musikverlage sind dort tätig, wo eine individuelle Rechteklärung sinnvoll ist, also zum Beispiel bei der Einräumung von Filmherstellungsrechten an Spielfilmproduzenten oder Werbeagenturen. Musikinterpreten lassen ihre Rechte sowohl von der GVL, als auch von Musiklabels verwerten.

Gesetzliche Vergütungsansprüche

Das Urheberrecht sichert den Urhebern grundsätzlich das exklusive Verwertungsrecht an ihren eigenen Werken zu. Doch keine Regel ohne Ausnahme: Bestimmte Werknutzungen stuft der Gesetzgeber als sozialadäquat ein und erlaubt sie, ohne dass die Einholung einer Lizenz notwendig wird. Man nennt die entsprechenden Tatbestände „Schranken“ des Urheberrechts. Beispielhaft sei das Zitatrecht genannt (§ 51 UrhG), das Recht zur Berichterstattung über Tagesereignisse (§ 50 UrhG) oder die Panoramafreiheit (§ 59 UrhG).

Während einige urheberrechtliche Schranken von den Rechteinhabern einfach hingenommen werden müssen, gewährt der Gesetzgeber den Rechteinhabern für andere Schranken eine Entschädigung: das bekannteste Beispiel ist die Privatkopieschranke, die es jedermann ermöglicht, ohne gesonderte Erlaubnis Kopien von legal verfügbaren Werkexemplaren anzufertigen. Voraussetzung ist, etwas vereinfacht gesagt, dass die Kopien zu privaten Zwecken angefertigt werden.

Der deutsche Gesetzgeber, der übrigens die Privatkopieschranke in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts erfunden hatte, ordnet nun den Rechteinhabern zum Ausgleich für die Schranke eine Entschädigung zu, einen „gesetzlichen Vergütungsanspruch“. Dieser richtet sich gegen die Hersteller und Importeure von Geräten, mit denen üblicherweise und in nennenswertem Umfang Kopien geschützter Werke vorgenommen werden können.

Die Privatkopievergütung kann nur von Verwertungsgesellschaften erhoben werden – ohne eine Zentralisierung kommt dieser Ausgleichsmechanismus nicht aus. Die deutschen Verwertungsgesellschaften haben sich zu diesem Zweck zusammengeschlossen und erwirtschaften jährlich ca. € 270 Mio. für die Rechteinhaber. Davon kommen drei Viertel den Urhebern und ausübenden Künstlern zu, ein Viertel geht vor allem an Filmproduzenten und Musiklabels.

Die meisten Verwertungsgesellschaften in Deutschland außerhalb des Musikbereichs sind gegründet worden, um gesetzliche Vergütungsansprüche wahrzunehmen. Eine Ausnahme bildet die VG Bild-Kunst, die für bildende Künstler – wie die GEMA für Komponisten und Textdichter – auch normale Verwertungsrechte wahrnimmt.

Direktvergütungsansprüche

Teilweise versagt das Urhebervertragsrecht, sodass Urheber und ausübende Künstler keine Chance haben, als Marktakteure eine angemessene Vergütung für die Nutzung ihrer Werke zu erzielen. Diese Situation tritt insbesondere dann auf, wenn die Nutzungsrechte erst eine „Verwertungskette“ durchlaufen, bevor die eigentliche Nutzung stattfindet. Meist tritt noch ein zeitlicher Aspekt hinzu, sodass der wirtschaftliche Wert der Verwertungsrechte bei Vertragsschluss gar nicht abgesehen werden kann. So schließen Regisseure, Drehbuchautoren und Schauspieler ihre Verträge mit den Filmproduzenten regelmäßig vor Produktionsbeginn. Sie übertragen darin sämtliche Nutzungsrechte am Film für alle erdenklichen Auswertungsarten. Die Filmproduzenten reichen die Rechte weiter an den Filmverleih, an Sendeunternehmen oder an Streaming-Plattformen. Wenn letztere teils Jahre später noch Umsätze mit der Filmnutzung erzielen, erfahren die Kreativen hiervon nichts mehr – ihr Ansprechpartner ist ja der Filmproduzent, der die Rechte meist gegen ein Fixum weitergereicht hatte. In diese Situation kann der Gesetzgeber eingreifen und den Urhebern und ausübenden Künstlern gesetzliche Direktvergütungsansprüche gegen die finalen Werkmittler einräumen, also z. B. gegen Streaming-Plattformen. Die Ansprüche werden sinnvollerweise verwertungsgesellschaftspflichtig ausgestaltet, um den Vergütungsschuldnern Planungssicherheit zu gewähren.

In Deutschland wurde das Instrument des Direktvergütungsanspruchs beim Videothekenverleih und auch bei der Kabelweitersendung eingesetzt. Derzeit wird diskutiert, ob es zugunsten von Filmurhebern bei der Lizensierung von Plattformen eingesetzt werden kann, die wie YouTube die Inhalte von ihren Nutzern hochladen lassen. Ohne ein solches Instrument besteht die Gefahr, dass die neue Plattformverantwortlichkeit im Filmbereich ausschließlich den Produzenten Vorteile bringt und die Filmurheber und Drehbuchautoren leer ausgehen.

Gesetzlicher Rahmen für Verwertungsgesellschaften

Im Mai 2016 löste das Verwertungsgesellschaftengesetz (VGG)[2] das Urheberrechtswahrnehmungsgesetz ab. Es fußt auf einer entsprechenden EU-Richtlinie aus dem Jahr 2014[3]. Die wesentlichen Arbeitsprinzipien für Verwertungsgesellschaften sind aber gleichgeblieben:
Verwertungsgesellschaften lassen sich von ihren Wahrnehmungsberechtigten, also den satzungsgemäß vertretenen Rechteinhabern, über einen Standardvertrag (Wahrnehmungs- oder Berechtigungsvertrag) Rechte und Vergütungsansprüche zur ausschließlichen Wahrnehmung einräumen.

Das Rechtepaket wird im Rahmen einer kollektiven Rechteverwaltung an Nutzer lizenziert, Vergütungsansprüche werden gebündelt gegenüber den im Gesetz definierten Vergütungsschuldnern geltend gemacht. Die Preise müssen in Tarifen veröffentlicht werden, um dem Transparenz- und Gleichbehandlungsgebot zu genügen. Mit Nutzervereinigungen werden Rahmenverträge (Gesamtverträge) geschlossen. Die eingezogenen Vergütungen wiederum werden nach Abzug der Kosten und einem Anteil für kulturelle und soziale Zwecke vollständig an die Berechtigten ausgeschüttet. Verwertungsgesellschaften arbeiten insofern als Treuhänder ohne Gewinnerzielungsabsicht.

Die Ausschüttungen erfolgen nach festen Regeln, die im Verteilungsplan normiert

sind. Maßgebend ist das Leistungsprinzip, d. h. die Höhe der Ausschüttung richtet sich nach der Intensität der Nutzung der Werke eines bestimmen Ausschüttungsberechtigten. Ist die Nutzungsintensität nicht feststellbar, darf der Verteilungsplan pauschalieren. Außerdem ist das Wirtschaftlichkeitsgebot zu beachten. Über die gesamte Tätigkeit wacht das Deutsche Patent- und Markenamt als Aufsichtsbehörde.

Im Binnenverhältnis sind GEMA, VG Wort und VG Bild-Kunst als wirtschaftliche Vereine konstituiert. Die Mitgliederversammlungen entscheiden gemäß VGG über alle wesentlichen Aspekte der Tätigkeit, insbesondere über den Verteilungsplan. Verwertungsgesellschaften sind somit als von den Rechteinhabern selbstverwaltete Institutionen einzustufen.

Ausblick

Verwertungsgesellschaften werden benötigt, damit das Urheberrecht funktioniert. Man findet sie weltweit in allen Ländern mit entwickeltem Urheberrecht. Aufgrund des Treuhandprinzips und komplexer Entscheidungsstrukturen fallen ihnen freilich schnelle Reaktionen auf Marktentwicklungen und risikobehaftete Investitionen in Zukunftstechnologien schwer. Manche halten sie deshalb für Auslaufmodelle. Jedoch werden Datenschutz, Treuhand und Selbstverwaltung – sprich: Vertrauen – in der digitalen Welt in Zukunft eine wachsende Bedeutung  erhalten. Deshalb ist perspektivisch eher mit einem Bedeutungszuwachs von Verwertungsgesellschaften zu rechnen.

Hinweis der Redaktion: Der Beitrag entstammt aus dem »Der Wirtschaftsführer für junge Juristen«.

Um den Wirtschaftsführer auch unterwegs bequem lesen zu können, finden Sie hier unsere »Wirtschaftsführer-App«.

[1] Auf der Webseite des Deutschen Patent- und Markenamtes findet sich eine Übersicht, die bei der Google-Suche nach „Verwertungsgesellschaften“ als erstes Ergebnis angezeigt wird.

[2] Gesetz über die Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten durch Verwertungsgesellschaften (Verwertungsgesellschaftengesetz – VGG) vom 24. 05. 2016.

[3] Richtlinie 2014/26/EU vom 26. 02. 2014.

 

Dr. Urban Pappi

Geschäftsführender Vorstand, Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst, Bonn
n/a