15.08.2012

Novelle des Baugesetzbuchs 2012

Überblick und Bewertung der wichtigsten geplanten Änderungen

Novelle des Baugesetzbuchs 2012

Überblick und Bewertung der wichtigsten geplanten Änderungen

Auch eine gemeindliche Tochtergesellschaft sollte Vertragspartnerin eines Erschließungsvertrags sein können. | © Martin Finkbeiner - Fotolia
Auch eine gemeindliche Tochtergesellschaft sollte Vertragspartnerin eines Erschließungsvertrags sein können. | © Martin Finkbeiner - Fotolia

Bereits im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP vom 26.10.2009 war vorgesehen, das BauGB im Sinne einer verstärkten Innenentwicklung und einer verbesserten Einbeziehung des Klimaschutzes zu überarbeiten. In einer Expertenrunde, den sogenannten „Berliner Gesprächen“, wurden im Herbst 2011 in diesem Zusammenhang die wesentlichen Änderungsbedarfe herausgearbeitet. Nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima wurden aus diesem Pool die ohnehin geplanten energie- und klimapolitischen Regelungen vorgezogen, die als Teil der „Atomausstiegsgesetze“ am 30.07.2011 in Kraft getreten sind.

Der jetzt vorliegende Kabinettsentwurf eines Gesetzes „zur Stärkung der Innenentwicklung in den Städten und Gemeinden und weiteren Fortentwicklung des Städtebaurechts“ soll nun die übrigen schon länger beabsichtigten Änderungen des BauGB und der BauNVO umsetzen und enthält darüber hinaus noch einige weitere vergleichsweise geringfügige Fortschreibungen des Bauplanungsrechts. Der Entwurf soll im Spätsommer in den Bundestag eingebracht werden. Offen ist, ob im federführenden Ausschuss des Deutschen Bundestages eine Expertenanhörung stattfinden soll. Ziel ist, das Gesetzgebungsverfahren bis Ende 2012 abzuschließen und das Gesetz zum 01.01.2013 in Kraft treten zu lassen.

Nachfolgend sollen nur die wichtigsten geplanten Änderungen in einem gerafften Überblick vorgestellt und eine erste Bewertung vorgenommen werden. Selbstverständlich ist es denkbar und sogar überwiegend wahrscheinlich, dass der Bundestag oder der Bundesrat noch Modifikationen im Entwurf beschließen wird bzw. dass noch zusätzliche Regelungen aufgenommen werden.


Ergänzung des § 1 und des § 1 a BauGB

In §§ 1 und 1 a BauGB sollen nochmals Hinweise auf die Vorrangigkeit von Maßnahmen der Innenentwicklung gegenüber Maßnahmen der Außenentwicklung aufgenommen werden. Eine echte inhaltliche Rechtsänderung dürfte damit nicht verbunden sein, da diese Punkte ohnehin seit je zum Abwägungsmaterial in der Bauleitplanung gehört haben.

Einfacher Bebauungsplan für Vergnügungsstätten (§ 9 Abs. 2b BauGB)

In einem neuen § 9 Abs. 2b BauGB soll den Gemeinden die Möglichkeit eingeräumt werden, in einem Bebauungsplan festzusetzen, dass Vergnügungsstätten oder bestimmte Arten von Vergnügungsstätten zulässig oder nicht zulässig sind oder nur ausnahmsweise zugelassen werden können. Das Gesetz selbst listet dann die Gründe auf, die ein solches Vorgehen rechtfertigen sollen:

– eine Beeinträchtigung von Wohnnutzungen oder anderen schutzbedürftigen Anlagen wie Kirchen, Schulen und Kindertagesstätten oder
– eine Beeinträchtigung der sich aus der vorhandenen Nutzung ergebenden städtebaulichen Funktion des Gebiets, insbesondere durch eine städtebaulich nachteilige Häufung von Vergnügungsstätten.

Die geplante Neuregelung bietet damit für die Gemeinde zwei Vorteile:

– Zwar wiederholt die Regelung im Grunde lediglich die in der Rechtsprechung bereits als tragfähig erachteten Rechtfertigungsgründe zur Steuerung von Vergnügungsstätten, allerdings ist jedenfalls der Hinweis auf die Beeinträchtigung sensibler Nutzungen eine gegenüber den vorhandenen Judikaten zumindest konkretisierende Regelung.
– § 1 Abs. 4 bis 9 BauNVO gibt der Gemeinde zwar bereits jetzt die Möglichkeit, über eine Feinsteuerung der Art der baulichen Nutzung Vergnügungsstätten oder sogar Spielhallen speziell zu steuern, allerdings ist dazu die Festsetzung eines Baugebietstyps der BauNVO notwendig. Dies ist gerade in bebauten Bereichen nicht immer unproblematisch. § 9 Abs. 2b BauGB würde eine Steuerung von Vergnügungsstätten auch ohne eine solche Festsetzung zulassen.

Vereinbarungen über die Erschließung werden zu städtebaulichen Verträgen

Der Gesetzentwurf beabsichtigt, die Regelung über den Erschließungsvertrag in § 124 BauGB zu streichen und eine solche Vereinbarung in den Katalog der städtebaulichen Verträge nach § 11 BauGB aufzunehmen. Dies ist eine Reaktion auf eine Entscheidung des BVerwG (Urteil vom 01.12.2010, BVerwGE 138, 244). Das Gericht hat darin zum einen § 124 BauGB als Spezialvorschrift gegenüber § 11 BauGB angesehen, was in der Konsequenz bedeutet, dass außerhalb des klassischen Erschließungsvertrags in der Konstellation des § 124 BauGB keine anderen Formen der vertraglichen Behandlung von Erschließungsanlagen und -kosten (z. B. Kostenübernahmevertrag) möglich wären. Zum anderen hat das Gericht – kurz gefasst – Erschließungsverträge mit gemeindlichen Eigengesellschaften verboten.

Der Gesetzentwurf korrigiert – völlig zu Recht – die erstgenannte Folge und reiht die Erschließungsverträge in den Kanon der städtebaulichen Verträge ein. Damit würden beispielsweise Kostenübernahmeverträge problemlos zulässig. Ob die hergebrachte Konstruktion des § 124 BauGB nicht im Gesetz hätte beibehalten werden sollen, wäre aber zumindest überlegenswert gewesen. Bedauerlich ist aber, dass die Problematik, ob nicht auch eine gemeindliche Tochtergesellschaft Vertragspartner eines Erschließungsvertrags sein kann, jedenfalls nicht ausdrücklich angesprochen und im Sinne einer grundsätzlichen Zulässigkeit gelöst wird. Dies sollte im Gesetzgebungsverfahren noch unbedingt nachgeholt werden.

Änderungen des § 34 BauGB

In § 34 BauGB sind zwei Änderungen geplant:

– § 34 Abs. 3a BauGB soll zukünftig ein Abweichen vom Einfügungsgebot im Einzelfall auch dann erlauben, wenn ein Gewerbe- oder Handwerksbetrieb zu einem Wohnzwecken dienenden Gebäude umgenutzt werden soll.
– Darüber hinaus soll § 31 BauGB (Ausnahmen und Befreiungen) auch auf Innenbereichssatzungen i.S.d. § 34 Abs. 4 BauGB angewandt werden dürfen.

Die erste Änderung ist nicht unproblematisch. § 34 Abs. 3a BauGB erlaubt in bestimmten Konstellationen eine Abweichung vom Einfügungsgebot, wenn – kurz gefasst – eine befreiungsähnliche Lage gegeben ist. Bisher hatte die Vorschrift eine Erweiterung, Änderung oder Nutzungsänderung eines zulässigerweise errichteten Gewerbe- oder Handwerksbetriebs und diejenige einer zulässigerweise errichteten baulichen Anlage zu Wohnzwecken geregelt. Nun soll auch die Umnutzung eines bislang gewerblich oder handwerklich genutzten Gebäudes in eine Wohnnutzung erfasst werden. Eine solche Umnutzung wäre allerdings ganz regelmäßig in einem Misch- oder Dorfgebiet problemlos möglich; der Anwendungsbereich der Vorschrift muss also dort liegen, wo eine entsprechende Nutzungsänderung am Einfügungsgebot scheitern würde, also etwa in einem Gewerbegebiet. Hier ist jedoch die Aufnahme einer Wohnnutzung städtebaulich kaum vertretbar.

Eine begrüßenswerte Flexibilisierung wird allerdings die angedachte Möglichkeit enthalten, dass nun auch bei Satzungen im Sinne des § 34 Abs. 4 BauGB Ausnahmen und Befreiungen möglich sind. Zwar dürfte dies wegen der Kleinteiligkeit einer solchen Satzung eher selten vorkommen; die Anwendung des § 31 BauGB entspricht aber den Bedürfnissen der Praxis.

Änderungen des § 35 BauGB

Auch in § 35 BauGB sollen zwei Änderungen vorgenommen werden:

– Zum einen soll eine Intensivtierhaltung, die der Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterliegt, nicht mehr nach § 35 Abs. 1 BauGB privilegiert sein.
– Darüber hinaus soll im Rahmen der Umnutzungsmöglichkeit land- und forstwirtschaftlicher Bausubstanz nach § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 BauGB im Einzelfall auch eine Neuerrichtung des Gebäudes infrage kommen.

Die Absicht des Gesetzgebers, gewerbliche Tierhaltungsbetriebe, die bislang im Prinzip unbeschränkt gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB privilegiert sind, im Außenbereich zu begrenzen, ist sicher begrüßenswert. Ob die Abgrenzung zwischen den privilegierten und den nicht privilegierten Betrieben, die der Gesetzentwurf sucht und in der Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung finden will, sinnvoll ist, muss aber zumindest bezweifelt werden. Dies ergibt sich daraus, dass das UVPG die Umweltverträglichkeitsprüfungspflicht nicht (nur) an feste Grenzen bindet, sondern auch Instrumente kennt, die eine solche Pflicht lediglich bei Vorliegen bestimmter Umstände des Einzelfalls fordern (allgemeine Vorprüfung im Einzelfall, standortbezogene Vorprüfung im Einzelfall). Damit würde durch die geplante Fassung des Gesetzes eine alles andere als präzise Grenze für die Anwendung dieses Privilegierungstatbestands gezogen.

Auch über die zweite geplante Änderung des § 35 BauGB wird noch zu diskutieren sein. Bislang ist ein Vorhaben nach § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 BauGB nur dann zulässig, wenn es „einer zweckmäßigen Verwendung erhaltenswerter Bausubstanz“ dient. Zwar ist die Rechtsprechung in diesem Zusammenhang vergleichsweise großzügig, ein Abriss und Neubau des Gebäudes wird aber von der Vorschrift sicherlich nicht mehr gedeckt. Genau dies soll jedoch durch den vorliegenden Gesetzentwurf ermöglicht werden. Damit wird der „Bestandsschutz“ für ehemals landwirtschaftlich genutzte bauliche Anlagen nochmals deutlich ausgeweitet. Unabhängig von der Frage, ob dies sinnvoll ist oder nicht, ist zumindest der beabsichtigte Wortlaut der Vorschrift dringend verbesserungswürdig. Er arbeitet mit einer Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe (z. B. mit dem kaum klar konturierten Begriff „in begründeten Einzelfällen“) und dürfte in der Praxis nur schwer handhabbar sein.

Kinderbetreuungseinrichtungen in reinen Wohngebieten

Anlagen zur Betreuung von Kindern – Kindergärten, Kinderkrippen, Horte – sind nach der Begrifflichkeit der BauNVO „Anlagen für soziale Zwecke“. In reinen Wohngebieten sind solche Anlagen bislang nur ausnahmsweise zulässig. Die Vorgängerfassungen der BauNVO enthalten diese Regelung in den jeweiligen Bestimmungen über das reine Wohngebiet überhaupt nicht, woraus folgt, dass Kinderbetreuungseinrichtungen dort nur über eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB realisiert werden können. Hier will die Änderung des § 3 Abs. 2 BauNVO helfen, die vorsieht, dass in reinen Wohngebieten Anlagen zur Kinderbetreuung, die den Bedürfnissen der Bewohner des Gebiets dienen, in Zukunft allgemein zulässig sein sollen. Die Regelung soll nach dem beabsichtigten § 245a BauGB auch für alte Bebauungspläne gelten. Diese Klarstellung ist uneingeschränkt zu begrüßen.

Anlagen zur Nutzung solarer Strahlungsenergie und Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen als Nebenanlagen

Vor allem in reinen Wohngebieten tritt im Augenblick das Problem auf, dass Anlagen zur Nutzung solarer Strahlungsenergie und Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen lediglich über eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB zugelassen werden können. Dies folgt daraus, dass der von diesen Anlagen erzeugte Strom hauptsächlich in das öffentliche Netz eingespeist wird, so dass es sich bei den Anlagen nicht um Nebenanlagen im Sinne des § 14 BauNVO, sondern um gewerbliche (Haupt)Anlagen handelt. § 14 Abs. 3 BauNVO n.F. will diese Anlagen jetzt in den Katalog der Anlagen nach § 14 Abs. 1 S. 1 BauNVO aufnehmen. Dies würde bedeuten, dass sie in allen Baugebieten regelmäßig zulässig wären. Diese Änderung entspricht einem dringenden Bedürfnis der Praxis und ist daher uneingeschränkt begrüßenswert.

 

Dr. Franz Dirnberger

Direktor beim Bayerischen Gemeindetag Referat Baurecht und Landesplanung, München
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