15.08.2012

Klimaschutz im Zeichen der Energiewende

Teil 1: Grundlagen und Wasserrecht

Klimaschutz im Zeichen der Energiewende

Teil 1: Grundlagen und Wasserrecht

Regenerative Energieerzeugung und \"klassische\" ökologische Belange lassen sich nicht so leicht unter einen Hut bringen. | © toa555 - Fotolia
Regenerative Energieerzeugung und \"klassische\" ökologische Belange lassen sich nicht so leicht unter einen Hut bringen. | © toa555 - Fotolia

Die stetig zunehmende Gefahr des Klimawandels und der beschlossene Atomausstieg machen nicht nur die absolute, sondern in drängendem Maße auch die zeitgerechte Steigerung des Anteils erneuerbarer Energien an der Energieerzeugung notwendig. Zur Umsetzung der Energiewende bedarf es faktisch u.a. der vermehrten und zeitgerechten Zulassung von Anlagen zur regenerativen Energieerzeugung.

Bei Zulassungsentscheidungen insb. für Windenergie- und Wasserkraftanlagen kollidieren die Interessen der regenerativen Energieerzeugung mit „klassischen“ ökologischen Belangen wie dem Gewässer-, Habitat- und Artenschutz. Wie haben die Zulassungsbehörden mit diesen Zielkonflikten umzugehen? Welches Gewicht haben die Klimaschutzbelange in den anzustellenden Abwägungen?

Klimaschutz als unions- und verfassungsrechtlich hochrangiges Umweltgut

Die unions- und verfassungsrechtlichen Vorgaben verpflichten die Behörden zu Umweltschutz, Nachhaltigkeit, Klimaschutz und zur Förderung erneuerbarer Energien: Art. 11 und 191 ff. AEUV sowie Art. 37 Grundrechtecharta zum Umweltschutz unter besonderer Betonung der Nachhaltigkeit. Art. 194 I c AEUV benennt ausdrücklich das Ziel der Förderung erneuerbarer Energien; Art. 191 I AEUV schreibt Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels vor. Hieran sind die mitgliedstaatlichen Behörden gerade bei der Anwendung der in Umsetzung des EU-Rechts erlassenen nationalen Rechtsvorschriften (hier: WHG und BNatSchG) gebunden. Im nationalen Verfassungsrecht ist es Art. 20 a GG, der den Umweltstaat unter Betonung der Nachhaltigkeit u.a. auf den Klimaschutz verpflichtet und die Behörden unter die Verantwortung stellt, Aktivitäten zu entfalten, um das Staatsziel Umweltschutz zu verwirklichen.


Aus dem Kyoto-Protokoll, dem der Bund mit Vertragsgesetz vom 27.04.2002 zugestimmt hat, ist die Bundesrepublik Deutschland zum Klimaschutz verpflichtet. Das Ziel der Steigerung des Anteils erneuerbarer Energien an der Stromversorgung ist in § 1 EEG und § 1 Abs. 1 EnWG Gesetz geworden. Das EEG macht zwar die Einspeisevergütung von der Erreichung von Umweltstandards abhängig (§§ 23 Abs. 4; 31 Abs. 5 EEG), regelt allerdings nicht die Zielkonflikte, die bei der Anwendung des materiellen Umweltrechts entstehen.

Diese unterliegen vielmehr den Regelungen des WHG bzw. des BNatSchG. Beide Gesetze enthalten aktuell sowohl im programmatischen als auch im normativen Teil etliche Vorschriften, die den Klimaschutz ausdrücklich zu einem (auch wasser- und naturschutzrechtlich) berücksichtigungspflichtigen Belang erheben und die Förderung der regenerativen Energieerzeugung bezwecken (s. nur §§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, Satz 2, 28 Nr. 1 lit. d) WHG; 1 Abs. 3 Nr. 4; 2 Abs. 1 Nr. 2 LG NRW).

Behördliche Berücksichtigungspflicht

Generell ist eine Berücksichtigung der Erfordernisse der Energiewende erforderlich, wenn Rechtsnormen auf Tatbestandsseite unbestimmte Rechtsbegriffe enthalten und/oder Ermessensspielräume bestehen, die nach der Gesetzessystematik diese Belange einschließen. Dies gilt namentlich für die zahlreichen Gemeinwohlklauseln, die die Exekutive nachdrücklich auf das Wohl der Allgemeinheit, das öffentlichen Interesse etc. verpflichten. Sofern eine Berücksichtigung von Belangen nach dem Normprogramm möglich ist, ist sie auch notwendig, um keine Ermessens-/Abwägungs- oder Beurteilungsfehler zu produzieren.

Nach der Abwägungsfehlerlehre des BVerwG kommen im Umgang mit den Belangen des Klimaschutzes verschiedene Abwägungsfehler in Betracht, z.B.:

– Abwägungsausfall: Die Behörde fühlt sich wasserrechtlich gebunden.
– Abwägungsdefizit: Die Behörde meint, im Rahmen einer naturschutzrechtlichen Entscheidung spiele der Klimaschutz keine Rolle.
– Abwägungsfehleinschätzung: Die Behörde berücksichtigt zwar die Interessen an einer regenerativen Energieerzeugung, verkennt aber ihr unions- und verfassungsrechtliches sowie ihr tatsächliches, seit der Energiewende gestiegenes Gewicht.
– Abwägungsdisproportionalität: Die Behörde stellt den Arten- oder Habitatschutz absolut voran oder gewichtet im Einzelfall die Wasserkraftnutzung gegenüber der Gewässerökologie nicht angemessen.

Berücksichtigung des Klimaschutzes im Wasserrecht

Im Rahmen des wasserrechtlichen Bewirtschaftungsermessens haben die Wasserbehörden gem. §§ 1, 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 5 + Satz 2 WHG zu berücksichtigen, dass

– die Gewässer auch zur Energieerzeugung zu nutzen sind,
– sowohl die öffentliche Energieversorgung als auch gerade die dem Klimaschutz dienende regenerative Energieerzeugung dem Wohl der Allgemeinheit dienen,
– die Zielvorgabe der Vorbeugung gegenüber den möglichen Folgen des Klimawandels nicht nur durch Gewässer-unterhaltungsmaßnahmen, sondern auch durch Entscheidungen über Art und Maß der Gewässernutzung verfolgt werden muss und
– die Berücksichtigung der Erfordernisse des Klimaschutzes im Rahmen einer nachhaltigen Gewässerbewirtschaftung auch eine verstärkte Bereitstellung der Gewässer für die Wasserkraftnutzung erfordert.

Bei der Anwendung der §§ 27, 34 und 35 WHG (Einstufung von Gewässern; Zulassung von Wasserkraftanlagen) ist schon bei der Anwendung der grundsätzlich bindenden Bewirtschaftungsgrundsätze eine Abwägung zwischen Ökologie und Klimaschutz anzustellen; dabei ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu beachten. Hierbei sind neben dem ökologischen Schutzziel auch die privaten Interessen des Betreibers sowie – mit verfassungsrechtlichem Gewicht – auch die Belange des Klimaschutzes und der Förderung erneuerbarer Energien zu berücksichtigen. Die Vorgaben der Bewirtschaftungsgrundsätze (Bewirtschaftungsziele, Maßnahmenprogramm) weisen zudem tatbestandliche Beurteilungsspielräume im Hinblick auf die fachliche Beurteilung auf; auch die gewässerabschnittsweise Betrachtung gewährt Spielräume.

Ausnahmeregelung nach § 31 Abs. 2 WHG

§ 31 Abs. 2 WHG lässt Ausnahmen von den Bewirtschaftungszielen zu, sofern eine neue Veränderung der physischen Eigenschaften eines Gewässers erfolgt (Nr. 1) und weitere Voraussetzungen erfüllt sind:

– Gründe von übergeordnetem öffentlichem Interesse (Nr. 2, 1. Alt.): Die Energieerzeugung an sich stellt einen Gemeinwohlbelang dar. Insbesondere weist die dem Klimaschutz dienende Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien einen herausgehobenen Gemeinwohlbezug auf (vgl. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3+5, Satz 2 WHG). Diese herausgehobene Stellung der regenerativen Energieerzeugung gilt nach der Energiewende in besonderem Maße. Jede einzelne Gewässerbenutzung/Gewässerausbaumaßnahme für ein Wasserkraftwerk trägt dazu bei, den möglichen Folgen des Klimawandels vorzubeugen. Welches konkrete Gewicht dieser Belang in der jeweiligen Abwägung gegenüber den jeweils betroffenen ökologischen Erhaltungszielen hat, ist freilich im Einzelfall zu entscheiden.
– Alternativ: Nutzenabwägung (Nr. 2, 2. Alt.): Die Nutzenabwägung belässt den Behörden nach Einschätzungen in der Literatur „kaum eingrenzbare Beurteilungsspielräume“. Es steht dabei fest, dass die Wasserkraftnutzung einen wasserrechtlich berücksichtigungspflichtigen Abwägungsbelang von Verfassungsrang darstellt; dessen Gewichtung und Abwägung mit der Wasserversorgung und den ökologischen Erhaltungszielen muss stets im Einzelfall erfolgen.
– Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit (Nr. 3): Die Ziele, die mit der Veränderung des Gewässers erreicht werden sollen, dürfen nicht mit anderen geeigneten Maßnahmen erreicht werden können, die wesentlich geringere nachteilige Umweltauswirkungen haben, technisch durchführbar und nicht mit unverhältnismäßig hohem Aufwand verbunden sind (Nr. 3). In die Alternativenprüfung für die Zulassung einer Wasserkraftanlage sind grds. nicht alternative Energieformen wie Windkraft- oder Biomasseanlagen in den Blick zu nehmen, sondern – gemäß dem Verfahrensgegenstand und dem Anwendungsbereich des WHG – alternative Gewässerbenutzungen, die einen direkten Sachzusammenhang mit dem beantragten Vorhaben aufweisen. Dabei kommen nur solche Maßnahmen in Betracht, die deutliche umweltbezogene Vorteile aufweisen. Schließlich darf die Alternative für den Vorhabenträger keinen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern.
– Minimierungsgebot (Nr. 4): Schließlich gilt ein Minimierungsgebot, d.h. Ausnahmen können nur dann akzeptiert werden, wenn alle praktisch geeigneten Maßnahmen ergriffen werden, um die nachteiligen Auswirkungen auf den Gewässerzustand zu verringern (Nr. 4). Dies erfordert eine Beurteilung der Umstände des Einzelfalls.

Im Ergebnis kommt die Ausnahme von den Bewirtschaftungszielen für die Zulassung von Wasserkraftanlagen grundsätzlich in Betracht, bedarf jedoch der genauen Beurteilung des Einzelfalls.

Hinweis der Redaktion: Der Beitrag wird in der nächsten Ausgabe PUBLICUS 2012.9 fortgesetzt und abgeschlossen mit Teil 2: Naturschutzrecht.

 

Prof. Dr. Thorsten Attendorn

Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW, Dortmund
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