15.08.2012

Medialer „Shitstorm“ verhüllt Realität

Das Bundesmeldegesetz - ein großer Fortschritt für die Gesellschaft

Medialer „Shitstorm“ verhüllt Realität

Das Bundesmeldegesetz - ein großer Fortschritt für die Gesellschaft

Die aktuelle Diskussion ignoriert die zentrale Bedeutung des Einwohnermeldewesens für eine moderne Verwaltung. | © Ben Chams - Fotolia
Die aktuelle Diskussion ignoriert die zentrale Bedeutung des Einwohnermeldewesens für eine moderne Verwaltung. | © Ben Chams - Fotolia

Die aktuelle Diskussion um das Bundesmeldegesetz greift eine in der täglichen Praxis relativ unbedeutende Teilfrage heraus, nämlich die Erteilung „einfacher Melderegisterauskünfte“ an Unternehmen der Werbung und des Adresshandels. Sie ignoriert die zentrale Bedeutung des Einwohnermeldewesens für eine moderne Verwaltung. Der Beitrag skizziert an einigen konkreten Beispielen, worin diese Bedeutung liegt und warum das Bundesmeldegesetz einen wesentlichen Beitrag zur Rationalisierung der Staats- und Kommunalverwaltungen und für mehr Bürgerservice leisten wird.

Der 28. Juni 2012 – ein denkwürdiger Tag für das Einwohnermeldewesen

Den 28. Juni 2012 würde mancher Parlamentarier am liebsten nachträglich aus dem Kalender tilgen. Am Abend dieses Tages wurde nämlich von einem sehr mäßig besetzten Deutschen Bundestag in weniger als einer Minute das Bundesmeldegesetz in zweiter und dritter Lesung verabschiedet (Gesetzentwurf gemäß BT-Drs. 17/7746 vom 16.11.2011 unter Einbeziehung der Änderungen gemäß Beschlussempfehlung des Bundestags-Innenausschusses, BT-Drs. 17/10158 vom 27.06.2012).

Ein medialer „Shitstorm“ in seinem Gefolge

Zunächst interessierte das kaum jemanden. Doch mit gut einer Woche Verzögerung brach ein medialer Sturm der Entrüstung los, für den die bei bestimmten Internetkampagnen übliche Bezeichnung „Shitstorm“ durchaus passend erscheint. Die Einwohnermeldeämter wurden als Datenhändler hingestellt, die Bundesregierung distanzierte sich von einzelnen Punkten ihres eigenen Gesetzentwurfs und auch die Europäische Kommission fand scharfe Worte: „Wie will der Staat glaubhaft von Unternehmen wie Facebook und Google verlangen, dass sie sich an strenge Datenschutzauflagen halten, während er selbst einen Ausverkauf des Datenschutzes an die Privatwirtschaft betreibt?“, fragte EU-Justizkommissarin Reding in Richtung Deutschland.


Die Realität hinter der öffentlichen Diskussion

Mit der täglichen Praxis in den Einwohnermeldeämtern haben solche Diskussionen kaum etwas zu tun. Allerdings werden dort – wie gesetzlich vorgesehen – Auskünfte auch an Privatunternehmen und einzelne Privatpersonen erteilt. Fast durchweg handelt es sich dabei um „einfache Melderegisterauskünfte“, die kein berechtigtes Interesse oder dergleichen voraussetzen. Sie sind im Rahmenrecht des Bundes in § 21 MRRG geregelt, der durch Bestimmungen in den Meldegesetzen der Bundesländer ausgefüllt bzw. umgesetzt wird.

Bei solchen Auskünften geht es darum, die Gültigkeit einer Anschrift zu bestätigen oder – insbesondere nach einem Umzug des Betroffenen – seine neue Anschrift zu ermitteln und dem Antragsteller mitzuteilen. Dafür wird eine Gebühr gefordert (je nach Bundesland in der Höhe etwas unterschiedlich, meist handelt es sich um 8 – 10 Euro) – eine Tatsache, die teils polemisch als „Datenhandel“ interpretiert wurde.

Erneute Diskussion um die eigentlichen Aufgaben der Einwohnermeldeämter

Und selbstverständlich kann man die Frage stellen, ob es zu den Aufgaben einer staatlichen Behörde gehören soll, Privatpersonen und Privatunternehmen mit aktuellen Anschriften von Bürgern zu versorgen. Wer dies generell nicht dulden möchte, muss dann allerdings auch die Folgefrage beantworten, was beispielsweise ein Unternehmen tun soll, wenn es eine bestellte Ware nicht ausliefern kann, weil der Besteller inzwischen verzogen ist oder wenn es eine Mahnung verschicken möchte, jedoch die ihm bekannte Anschrift des Betroffenen nicht mehr stimmt. Es verwundert deshalb nicht, dass ein kritischer Beschluss der Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder aus dem Jahr 2001, in dem die Erteilung solcher Auskünfte grundsätzlich in Frage gestellt wurde, ohne jedes Echo geblieben ist.

Absehbare Änderungsforderungen des Bundesrats

Die Kritik aus Brüssel und die öffentliche Entrüstung wird Anlass zum Nachdenken darüber sein, ob solche Auskünfte auch Unternehmen der Werbung und des Adresshandels zur Verfügung stehen sollen, deren Geschäftszweck naturgemäß darin besteht, Daten zu „streuen“, also an zahlreiche Dritte weiterzugeben. Wahrscheinlich wird der Bundesrat im weiteren Gang der Gesetzgebung hier Einschränkungen durchsetzen. Solange dabei praktisch umsetzbare Regelungen entstehen, ist dagegen aus Sicht der Einwohnermeldeämter nichts einzuwenden. Kaum leben könnten sie allerdings wegen des dabei entstehenden Aufwands mit Regelungen, die Abwägungen im Einzelfall oder aufwendige Rückfragen beim Bürger erfordern. Dann sollte man Auskünfte für Unternehmen dieser Branchen besser gleich ganz untersagen.

Daten für Behörden als klassisches „Kerngeschäft“

Das „Kerngeschäft“ der Einwohnermeldeämter würde dadurch nicht berührt. Es besteht nämlich in der Belieferung von Kommunal- und Staatsverwaltungen mit Daten, die dort für die tägliche Arbeit benötigt werden, und nicht in der Erteilung von Auskünften an private Unternehmen oder Einzelpersonen.

Servicefunktion „im eigenen Rathaus“

Die Einwohnermeldeämter sind bekanntlich in den Kommunalverwaltungen angesiedelt und dies wird auch nach Inkrafttreten des Bundesmeldegesetzes (BMG), mit dem für Ende 2014 zu rechnen ist (das genaue Datum kann sich im Rahmen des Zustimmungsverfahrens im Bundesrat noch ändern), so bleiben. § 1 BMG überlässt nämlich die Bestimmung der Meldebehörden auch weiterhin dem jeweiligen Landesrecht.

Bereits innerhalb der Kommunalverwaltungen, zu denen sie gehören, erfüllen die Einwohnermeldeämter eine wesentliche Servicefunktion. Ein alltägliches Beispiel dafür bildet die Versendung etwa von Steuer- und Gebührenbescheiden durch Dienststellen einer Stadtverwaltung. Jeder Praktiker kennt das Problem, dass zumindest einige Prozent solcher Bescheide als unzustellbar zurückkommen. Die Nachbearbeitung verursacht erheblichen Aufwand, der dem einzelnen Betroffenen gar nicht oder nicht vollständig in Rechnung gestellt werden kann – der also von der Allgemeinheit aller Steuerzahler zu tragen ist.

Abgleich von Adresslisten vor dem Versand von Bescheiden

Deshalb ist es in gut organisierten Verwaltungen schon seit Jahren üblich, die entsprechenden Adresslisten vor Versendung der Bescheide mit dem Datenbestand des Einwohnermeldeamts abzugleichen. Veränderungen oder Fehler fallen so sofort auf und können bereinigt werden. Das künftige Bundesmeldegesetz lässt diese Praxis, die bisher auf entsprechende landesrechtliche Regelungen gestützt wird, in seinem § 37 als „Datenweitergabe innerhalb der Verwaltungseinheit, der die Meldebehörde angehört“ ausdrücklich auch weiterhin zu.

Absatz 2 der Vorschrift legitimiert dabei auch die „Einrichtung automatisierter Verfahren zur Datenübertragung“. Es wird also möglich sein, Datenabgleiche der beschriebenen Art auch automatisiert abzuwickeln. Die Zulässigkeit eines solchen Vorgehens, die bisher da und dort noch bezweifelt wird, ist damit geklärt.

Belange des betroffenen Bürgers werden dabei in keiner Weise negativ berührt. Es wird lediglich – automatisiert und ohne eigenes Zutun des Betroffenen – etwas erledigt, wozu er im Allgemeinen ohnehin rechtlich selbst verpflichtet wäre: die Aktualisierung seiner Anschrift in einer Dienststelle, der er seine neue Anschrift sonst selbst mitteilen müsste. Kritik ist deshalb allenfalls gegenüber Kommunalverwaltungen angezeigt, die solche Möglichkeiten bisher nicht nutzen, obwohl sie es könnten.

Die „Rückmeldung“ – ein segensreiches Instrument mit Tücken und Lücken

Der beschriebene Datenabgleich funktioniert bisher allerdings nur dann völlig reibungslos, wenn der Betroffene innerhalb der Gemeinde umgezogen ist, in der er schon bisher gewohnt hat. Insbesondere bei mehreren Umzügen kurz hintereinander in verschiedene Gemeinden in unterschiedlichen Bundesländern kommt es dagegen durchaus vor, dass der Betroffene mehr oder weniger „verloren geht“, also jedenfalls mit zumutbarem Aufwand kaum noch zu ermitteln ist.

Das liegt daran, dass zwar jede neue Zuzugsgemeinde eine „Rückmeldung“ gegenüber der bisherigen Wohngemeinde durchführen muss, in der sie auch die neue Anschrift mitteilt. Dadurch entstehen dann zumindest in der Theorie „Meldeketten“, mit deren Hilfe man unter Einschaltung aller beteiligter Gemeinden letztlich die jetzt aktuelle Anschrift des Bürgers ermitteln kann. In der Praxis funktioniert das bisher jedoch teils nur ungenügend oder in einer doch relevanten Zahl von Einzelfällen auch gar nicht. Die Folge sind dann beispielsweise auch Ausfälle bei Steuern und Gebühren, weil die rechtzeitige Zustellung von Bescheiden misslingt.

Unterschiedliche EDV-Infrastrukturen der Bundesländer

Grund für die beschriebenen Schwierigkeiten sind zum einen von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche technische Infrastrukturen. So verfügen keineswegs alle Bundesländer über zentrale Datenbestände, mit deren Hilfe eine Person landesweit und gemeindeübergreifend in einem einzigen Datenbestand gesucht werden kann. An diesem Problem kann auch das neue Gesetz kaum etwas ändern. Es überlässt auch weiterhin den Ländern selbst die Entscheidung, ob und in welcher Ausprägung sie zentrale Meldedatenbestände einrichten wollen (siehe § 55 Abs. 3 BMG). Eine andere Regelung wäre nach den Vorgaben des Grundgesetzes auch kaum machbar.

Bisher abweichende Rechtsvorgaben der Bundesländer

Aber auch die rechtlichen Vorgaben weichen zum Teil deutlich ab. Und hier kann der Bundesgesetzgeber, der inzwischen über die alleinige Gesetzgebungskompetenz im Meldewesen verfügt (siehe Art. 73 Abs.1 Nr. 5 i.V. m. Art. 71 GG), mit harmonisierten Regelungen im Bundesmeldegesetz ansetzen und tut es auch umfassend.

So kennen die bisherigen landesrechtlichen Bestimmungen unterschiedliche Ausnahmen von der Meldepflicht. Damit hängt es vom jeweiligen Landesrecht ab, ob eine „Meldekette“ im Einzelfall fortgeführt wird oder eben auch nicht, weil der Betroffene zwar an einen anderen Ort zieht, dort aber nach dem dortigen Landesrecht aus irgendwelchen Gründen nicht meldepflichtig ist. In diesem Punkt bringt das neue Gesetz eine dringend notwendige Vereinheitlichung (siehe § 27 BMG).Sie bezieht sich auch auf die Insassen von Justizvollzugsanstalten (siehe § 28 Abs.4), für die bisher je nach Bundesland teils deutlich abweichende Regelungen gelten.

Das mobile „dritte Drittel“ der Bevölkerung

Die Bedeutung solcher harmonisierter Regelungen darf keinesfalls unterschätzt werden. Zwar ziehen auch heute noch etwa zwei Drittel der Bevölkerung nur ein oder zweimal in ihrem Leben um. Sie verursachen daher in den Meldeämtern auch kaum Aufwand. Das „dritte Drittel“ mit Umzügen in teils kurzer Folge über mehrere Bundesländer hinweg oder mit Umzügen ins Ausland und aus dem Ausland zurück bindet dagegen erhebliche Ressourcen. Angesichts des ständigen Drucks zur Personaleinsparung haben bundesweit harmonisierte Regelungen in diesem Kontext einen erheblichen Rationalisierungseffekt.

Hotelmeldepflicht und Fremdenverkehrsabgaben

Besonders in Kommunen, für die der Fremdenverkehr wichtig ist, sind die Regelungen über die „Hotelmeldepflicht“ stets Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit. Auch hier bringt das Bundesmeldegesetz eine dringend notwendige bundesweite Harmonisierung. Sie geht von folgenden Eckpunkten aus (siehe §§ 29 und 30 BMG):

– Beherbergte Personen sind verpflichtet, einen besonderen Meldeschein handschriftlich zu unterschreiben (§ 29 Abs. 2 BMG). Die bisherige Verpflichtung zum handschriftlichen Ausfüllen des gesamten Meldescheins entfällt dagegen.
– Die Daten, die der besondere Meldeschein enthalten muss, sind bundesweit abschließend festgelegt (§ 30 Abs. 2 BMG).
– Durch Landesrecht kann bestimmt werden, dass weitere Daten auf dem Meldeschein erhoben werden dürfen, um Fremdenverkehrs- und Kurbeiträge erheben zu können (§ 30 Abs.3 BMG).

Diese scheinbar rein formalen Regelungen klären Punkte, die in der Praxis bisher immer wieder zu Schwierigkeiten führen. Insbesondere ermöglichen sie es, vorausgefüllte Meldescheine aus den EDV-Systemen der Hotels zu erzeugen, die dem Gast dann zur Unterschrift vorgelegt werden. Das rationalisiert die Abwicklung beim Einchecken im Hotel erheblich. Zugleich bleibt die Verknüpfungsmöglichkeit zwischen dem Meldewesen und dem kommunal Kurbeitragswesen erhalten. Wäre diese Verknüpfung gelöst worden, hätten die betroffenen Kommunen mit erheblichem Aufwand ein paralleles System aufbauen müssen.

Der „vorausgefüllte Meldeschein“

Die Neuregelung der Hotelmeldepflicht ist nur ein Beispiel dafür, dass der sinnvolle Einsatz von EDV-Systemen auch den betroffenen Bürgern selbst Vorteile bringt. Mindestens genauso bedeutsam ist in dieser Hinsicht die Regelung über den „vorausgefüllten Meldeschein“. Gemeint ist damit, dass bei einem Umzug die Wegzugsmeldebehörde der Zuzugsmeldebehörde auf deren Anforderung hin die Daten des Bürgers auf elektronischem Weg übermittelt. Mit ihrer Hilfe wird dann in der Zuzugsgemeinde ein bereits ausgefüllter Meldeschein erstellt. Der Meldepflichtige muss lediglich noch die Angaben prüfen und gegebenenfalls korrigieren und dann den Meldeschein unterschreiben. An dieser Regelung sollte eigentlich lediglich überraschen, dass sie nicht schon bisher Standard in allen Bundesländern war. In den Kommunen, in denen der vorausgefüllte Meldeschein schon Anwendung findet, hat er sich hervorragend bewährt.

Rolle der Führungskräfte in den Verwaltungen

Insgesamt gesehen sollten sich gerade die Führungsebenen in den Kommunal- und Staatsverwaltungen von der kurzzeitig heftigen öffentlichen Diskussion über das Bundesmeldegesetz nicht verunsichern lassen. Vielmehr sollten sie sich darauf konzentrieren, die durch dieses neue Gesetz eröffneten Möglichkeiten – wie etwa den vorausgefüllten Meldeschein – in ihrem Zuständigkeitsbereich auch zu nutzen. Aller Wahrscheinlichkeit nach werden Bürger in den nächsten Jahren mit Unverständnis reagieren, wenn ein Service dieser Art in ihrer Gemeinde noch nicht angeboten wird. Und zu oft muss man in Einwohnermeldeämtern noch den Satz hören: „Wir haben das längst vorgeschlagen, aber unsere Meinung interessiert die da oben kaum“.

Künftige Dienstleistungen bei Umzug und KfZ-Ummeldung

Nur die volle Nutzung aller Möglichkeiten des neuen Rechts schafft die Basis dafür, dass künftig den Bürgern etwa bei einem Umzug noch weitere Dienstleistungen angeboten werden können. So ist derzeit in der Diskussion, ob bei einem Umzug das bisherige Kfz-Kennzeichen des eigenen Fahrzeugs beibehalten werden kann. Dies setzt dann natürlich eine entsprechende Meldung über die neue Anschrift des Halters an die Kfz-Zulassungsstelle voraus, die das Kennzeichen ausgegeben hat. Natürlich könnte man dem Bürger zumuten, diese Meldung selbst vorzunehmen. Für ihn wesentlich bequemer wäre es jedoch, wenn dies auf seinen Wunsch hin die Zuzugsmeldebehörde unmittelbar veranlassen würde. Und genau in diese Richtung gehen auch die aktuellen Überlegungen für eine entsprechende Regelung. Die Servicefunktion der Einwohnermeldeämter würde dadurch weiter gestärkt.

 

Dr. Eugen Ehmann

Regierungspräsident
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