15.08.2012

Licht und Schatten

Die EU-Vorschläge zum Vergaberecht aus kommunaler Sicht – Teil II

Licht und Schatten

Die EU-Vorschläge zum Vergaberecht aus kommunaler Sicht – Teil II

Soll die EU auch die Vergabe von Konzessionen regeln? | © finecki - Fotolia
Soll die EU auch die Vergabe von Konzessionen regeln? | © finecki - Fotolia

Am 20.12.2011 hat die EU-Kommission ihre Richtlinienvorschläge zur Reform des EU-Vergaberechts vorgelegt. Vorangegangen war ein umfangreiches Konsultationsverfahren interessierter Kreise, insbesondere von Vertretern öffentlicher Auftraggeber und von Auftragnehmern. Basis der Konsultationen war das Anfang 2011 von der Kommission veröffentlichte „Grünbuch über die Modernisierung der europäischen Politik im Bereich des öffentlichen Auftragswesens“. Der nachfolgende Beitrag gibt – in Fortsetzung des in Ausgabe 2012.07 auf den Seiten 4 ff. erschienenen Artikels – eine Bewertung der geplanten Reform aus kommunaler Sicht.

Besserer Marktzugang für Kleine und Mittlere Unternehmen (KMU)

Der Vorschlag, künftig insbesondere bei der Prüfung der Unternehmenseignung verstärkt auf Eigenerklärungen zu setzen (s. Art. 57 des EU-Richtlinienvorschlags), ist zu unterstützen. In Übereinstimmung insbesondere mit den bereits existierenden deutschen VOL/A-Vorgaben kann auf diese Weise der Verwaltungsaufwand reduziert werden. Art. 57 sieht vor, von den Unternehmen dann keine erneute Vorlage einer Bescheinigung etc. zu verlangen, wenn dem öffentlichen Auftraggeber in den vergangenen vier Jahren für ein früheres Verfahren eine solche übermittelt wurde und diese nach wie vor gültig ist. Auch dieser Vorschlag ist aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung grundsätzlich richtig. Allerdings dürfte die den Auftraggebern obliegende Aufbewahrung und Prüfung dieser „4-Jahres-Bescheinigungen“ mit nicht unerheblichem Aufwand verbunden sein.

Art. 57 des Richtlinienvorschlags sieht darüber hinaus vor, dass die Auftraggeber vor der Auftragsvergabe von dem Bieter, an den der Auftrag vergeben werden soll, Unterlagen abfordern müssen. Der Vorschlag ist in dieser umfassenden Form zu einengend. Hier sollte im Sinne der deutschen VOL/A-Regelung ein Vertrauen auf die Eigenerklärung auch bei der Zuschlagserteilung ohne zusätzliche Abforderung von Unterlagen möglich sein.


Der „Europäische Pass für die Auftragsvergabe“ (Art. 59) ist als Ersatz für die Beibringung ansonsten erforderlicher konkreter Nachweise im Sinne einer Präqualifikation gerade von kleineren und mittleren Unternehmen zwar grundsätzlich zu begrüßen. Mit dem „Europäischen Pass für die Auftragsvergabe“ darf jedoch kein zusätzlicher Verwaltungsaufwand (Aufbau einer „Pass-Bürokratie“) verbunden werden.

Direkte Bezahlung von Unterauftragnehmern

Die vorgeschlagene Möglichkeit für die Mitgliedstaaten, wonach Unterauftragnehmer vom Auftraggeber eine direkte Zahlung verlangen können (s. Art. 71 Nr. 2), entspricht nicht der rechtlichen Vorgabe in Deutschland. Danach hat der Auftraggeber ein unmittelbares Vertragsverhältnis nur mit seinem Generalunternehmen. Dieser Vorschlag ist daher abzulehnen, weil hiermit rechtliche Komplikationen im Dreiecksverhältnis zwischen Auftraggeber, Generalunternehmer und Subunternehmer verbunden sind. Zudem betrifft der EU-Vorschlag nicht das Vergabeverfahren, sondern die vom EU-Vergaberecht nicht erfasste Vertragsabwicklung.

Governance – Nationale Aufsichtsstelle

Die in Art. 84 für einen Mitgliedstaat vorgeschlagene und von diesem zu benennende „einzige unabhängige Stelle, die für die Beaufsichtigung und Koordinierung der Durchführungstätigkeiten verantwortlich ist“ („Aufsichtsstelle“), entspricht nicht dem föderalen deutschen Staatsaufbau und greift damit in staatsrechtliche Organisationsstrukturen ein. Es ist nicht vorstellbar, dass eine einzige „Superaufsichtsinstanz“ in Deutschland etwa die Vergaben der Städte und Gemeinden im Rahmen des dreigliedrigen deutschen Staatsaufbaus beaufsichtigen können soll.

Regelungen der Beziehungen zwischen öffentlichen Stellen

Die vorgeschlagene Regelung in Art. 11 über die Abgrenzung zur Anwendung bzw. Nichtanwendung des Vergaberechts bei „Beziehungen zwischen öffentlichen Stellen“ betrifft sowohl die vertikale In-House-Vergabe als auch die horizontale Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Auftraggebern.

Der hier unternommene Versuch, durch eine abschließende Aufzählung die Voraussetzungen einer ausschreibungsfreien (vertikalen) In-House-Vergabe sowie eine ausschreibungsfreie horizontale Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Auftraggebern zu regeln, ist abzulehnen.

Der Vorschlag wird der Vielgestaltigkeit der Beziehungen zwischen öffentlichen Stellen und den – bisher mit gutem Grund nicht kodifizierten – Voraussetzungen einer Vergaberechtsfreiheit nicht gerecht.

Die Kommission greift mit ihrem Vorschlag zu kurz, wenn sie auf der Grundlage der bisherigen, aber nicht abschließenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) den Versuch unternimmt, die vom EuGH getroffenen Einzelfallentscheidungen in generalisierender Form in das allgemeine Vergaberecht zu übernehmen.

Zudem sind die vorgeschlagenen Regelungen unverhältnismäßig. Den Mitgliedstaaten obliegt es in eigener Verantwortung, die Erbringung ihrer Leistungen zu organisieren und durchzuführen.

Die Kritik betrifft u. a. sowohl die generelle Mindestfestsetzung von 90 % für das Wesentlichkeitsmerkmal in Art. 11 Nr. 1b und Nr. 3b des Richtlinienvorschlags als insbesondere auch die vorgeschlagene Begrenzung des Kontrolltatbestandes in Art. 11 Nr. 3 Unterabsatz 2 Buchstabe c und d. Wenn dort als Voraussetzung für das Kontrollkriterium bestimmt ist, dass „die kontrollierte juristische Person keine Interessen verfolgen darf, die sich von mit ihr zusammenarbeitenden öffentlichen Behörden unterscheiden“ (Buchstabe c), findet sich dieses Kriterium in dieser generell einengenden Form nicht in der EuGH-Rechtsprechung wieder.

Auch wenn im Weiteren die kontrollierte juristische Person „keine anderen Einnahmen als diejenigen erzielen darf, die sich aus der Rückzahlung der tatsächlich entstandenen Kosten in Zusammenhang mit den von den öffentlichen Auftraggebern vergebenen Aufträgen ergeben“, finden diese Vorgaben ebenfalls weder eine zwingende und allgemein gültige Voraussetzung in der Rechtsprechung des EuGH noch sind diese rechtlich und tatsächlich sachgerecht. Vielmehr beschneiden die vorgeschlagenen Vorgaben der EU-Kommission die den Kommunen bisher möglichen In-house-Vergaben. Sie schränken damit (inter-)kommunale Handlungsspielräume über Gebühr ein.

Auch die in dem EU-Vorschlag (Art. 11 Nr. 4 a-e) genannten Voraussetzungen für eine Vergaberechtsfreiheit bei horizontalen interkommunalen Kooperationen sind zu einengend. So darf nach dem EU-Richtlinienvorschlag „die Vereinbarung keine anderen Finanztransfers zwischen den beteiligten öffentlichen Auftraggebern als jene, die die Rückzahlung der tatsächlichen Kosten der Leistungen betreffen“, beinhalten (Buchstabe d).

Diese Begrenzung ist zu einengend und nach der bisherigen EuGH-Rechtsprechung auch nicht im Sinne einer allgemein geltenden Voraussetzung begründbar.

Die durch die kommunalfreundliche EuGH-Rechtsprechung des Großen Senats (EuGH, Stadtreinigung Hamburg vom 9. Juni 2009) nicht gerechtfertigten EU-Vorschläge verkennen die Bedeutung der interkommunalen Kooperation für die Daseinsvorsorgen. Sie berücksichtigen nicht, dass die interkommunale Zusammenarbeit eine reine Verlagerung von Organisationszuständigkeiten innerhalb von Kommunen ist und keine externe und damit ausschreibungspflichtige Beschaffung auf dem Wettbewerbsmarkt darstellt.

Überflüssig: Die eigenständige Richtlinie über Konzessionen

Die EU-Kommission hat eine eigenständige Richtlinie über die bisher vom förmlichen Vergaberecht nicht erfassten (Dienstleistungs-) Konzessionen vorgelegt.

Die kommunalen Spitzenverbände lehnen mit dem Verband kommunaler Unternehmen (VKU) eine eigene Richtlinie zur Vergabe von Konzessionen ab.

In der 893.Sitzung am 02.03.2012 und der 894. Sitzung am 30.03.2012 hat sich der Bundesrat deutlich gegen einen EU-Legislativakt für (Dienstleistungs-)Konzessionen ausgesprochen und die Subsidiaritätsrüge erhoben. Der Bundesrat hat seine ablehnende Position am 30.03.2012 bekräftigt. Er ist der Auffassung, dass die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen ausreichend auf nationaler Ebene geregelt werden könne und es dazu keiner Regelung auf Unionsebene bedürfe: Insbesondere sei die EU-Kommission den Nachweis der Notwendigkeit einer EU-Regelung schuldig geblieben. Jedenfalls ist die von der Kommission behauptete „Regelungslücke“ sowie „eine schwerwiegende Verzerrung des Binnenmarktes“, also ein aktuell bestehendes Marktversagen, das eine eigene (Dienstleistungs-) Konzessionsrichtlinie erfordert, bisher in keiner Weise von der Kommission substanziiert dargelegt. Eine ablehnende Haltung vertritt bisher auch die Mehrheit des EU-Parlaments.

Die kommunalen Spitzenverbände sehen im Bereich der Dienstleistungskonzession keine Notwendigkeit für eine Gesetzgebung auf europäischer Ebene. Neue EU-Vorgaben würden nicht zu einem Mehr an Rechtssicherheit, sondern allenfalls zu einer weiteren Verrechtlichung der Dienstleistungskonzession führen, gefolgt von zusätzlichem Verwaltungsaufwand, kostenintensivem Rechtsberatungsbedarf und zeitlichen Verzögerungen für alle Beteiligten. Konsequenz wäre eine unangemessene Einschränkung kommunaler Handlungsspielräume.

Zudem sind viele Regelungen der geplanten Richtlinie in ihrem jetzt vorgelegten Umfang und der Komplexität unverhältnismäßig und zeugen von einer in keiner Weise erforderlichen Detailtiefe.

Dienstleistungskonzessionen berühren viele kommunale Bereiche der Leistungen von allgemeinem (wirtschaftlichem) Interesse (Daseinsvorsorgeleistungen), wie z. B. die Wasserversorgung, Abwasserentsorgung, Rettungs- und Gesundheitsdienstleistungen, die Essensversorgung in Schulen, den Breitbandausbau sowie die öffentliche Parkraumbewirtschaftung. Gerade für diese Dienstleistungen würde eine europäische Konzessionsregelung keinen Mehrwert bringen, da sie nach ihrer Art und aufgrund ihres Umfangs sowie wegen der kommunal zugeordneten Aufgabenverantwortung zum großen Teil nicht grenzüberschreitend erbracht werden. Speziell im Bereich der Wasserversorgung droht zudem die Gefahr, dass durch vergaberechtliche Wettbewerbsregeln eine Liberalisierung durch die Hintertür eintritt. Dies ist nachdrücklich abzulehnen.

Der Vertrag von Lissabon gibt den Kommunen im Übrigen mit der Anerkennung der regionalen und lokalen Selbstverwaltung sowie mit dem Protokoll zu den Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse einen weiten Ermessensspielraum zur Aufgabenwahrnehmung von Leistungen der Daseinsvorsorge. Diesen gilt es, auch in Zukunft zu erhalten. Deshalb muss den Kommunen die Entscheidung darüber vorbehalten bleiben, ob sie die Leistungen der Daseinsvorsorge in eigener Regie, durch ihre Unternehmen oder durch Dritte erbringen lassen.

Weiterhin hat die EuGH-Rechtsprechung ausreichende und praxisgerechte Leitlinien für die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen aufgestellt. Diese ergeben sich insbesondere daraus, dass

– die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen nach dem EU-Primärrecht und damit in einem transparenten und nicht diskriminierenden Verfahren, das immer einen angemessenen Grad an Öffentlichkeit sicherstellen muss, stattzufinden hat (s. u. a. EuGH „Parking Brixen“);
– die Kriterien der In-House-Vergabe auch auf Dienstleistungskonzessionen mit der Folge anzuwenden sind, dass bei ihrem Vorliegen auch das EU-Primärrecht nicht zur Anwendung kommt (EuGH „Parking Brixen“ sowie EuGH „Coditel“);
– an das wirtschaftliche Risiko, das der Konzessionär zu tragen hat, keine allzu großen Anforderungen zu stellen sind. Dies bedingt, dass von dem Vorliegen einer Dienstleistungskonzession selbst bei einem Anschluss- und Benutzungszwang, etwa im Bereich der Wasserversorgung, ausgegangen werden kann (EuGH Rs. C-206/08 vom 10.09.2009 „Wasser- und Abwasserzweckverband Gotha“).

Insbesondere mit der EuGH-Rechtsprechung „Gotha“, wonach selbst bei einem Anschluss- und Benutzungszwang und einer dadurch bedingten erheblichen Reduzierung des Risikos für den Konzessionär eine bis dato vergaberechtsfreie Dienstleistungskonzession und gerade kein ausschreibungspflichtiger Dienstleistungsauftrag vorliegt, ist der Erwägungsgrund Nr. 7 in der Begründung zum EU-Richtlinienvorschlag über die Konzessionsvergabe nicht vereinbar.

Darin heißt es, dass zur Definition des Begriffs „Konzession“ insbesondere auf das „wesentliche Betriebsrisiko“ des Konzessionärs zu verweisen ist. Dieses „wesentliche Betriebsrisiko“ ist aber von der EuGH-Rechtsprechung als Voraussetzung für das Vorliegen einer Dienstleistungskonzession erheblich gelockert worden.

Der EU-Kommissionsvorschlag mit seinem in keiner Weise „schlanken Ansatz“ grenzt daher den weiten und durch den EuGH in seiner Rechtsprechung gesetzten Rechtsrahmen für das Vorliegen einer Dienstleistungskonzession über Gebühr ein. Der Vorschlag beinhaltet daher kein „Vergaberecht light“ und er beschränkt die Flexibilität und die kommunalen Handlungsspielräume. Er ist daher aus kommunaler Sicht abzulehnen.

Fazit

Die Richtlinienvorschläge der EU-Kommission zum Vergaberecht enthalten sowohl Licht als auch Schatten. Zu begrüßen sind die Ansätze, die Vergabeverfahren im Ablauf vom formellen Ballast zu befreien und etwa durch eine erleichterte Eignungsprüfung, verbesserte Fristenregelungen und eine Ausweitung des Verhandlungsverfahrens zielgerichteter und weniger formal auszugestalten. Nachdrücklich zu kritisieren sind die weitgehende Aufgabe der Unterscheidung bzw. die Angleichung zwischen den sog. „A“- und „B“-Dienstleistungen, die geplante Ausschreibungspflicht für kommunale Kreditgeschäfte, die zusätzlichen und einengenden Regeln für die Inhouse-Geschäfte und die interkommunale Zusammenarbeit und die geplante eigene Richtlinie über die (Dienstleistungs-) Konzessionen.

 

Norbert Portz

Deutscher Städte- und Gemeindebund, Bonn
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