22.09.2020

Legal Chatbots auf dem Vormarsch

Marktübersicht und Einsatzmöglichkeiten

Legal Chatbots auf dem Vormarsch

Marktübersicht und Einsatzmöglichkeiten

Machine Learning und künstliche Intelligenz: moderne Technik in der Welt der Juristen. | © Maksim Kabakou - stock.adobe.com
Machine Learning und künstliche Intelligenz: moderne Technik in der Welt der Juristen. | © Maksim Kabakou - stock.adobe.com

Waren Chatbots 2016 noch völlig unbekannt, so gewinnen sie neuerdings zunehmend an Interesse. Spannend sind dabei die Einsatzmöglichkeiten, denn Legal Chatbots können sehr vielseitig verwendet werden. Sie sind daher sowohl interessant für Kanzleien als auch für Rechtsabteilungen, Verbraucherschützer, Legal Tech Unternehmen und Rechtsschutzversicherungen.

Marktübersicht aktueller Legal Chatbot-Anwendungen

Der erste Legal Chatbot wurde im Jahr 2014 von dem damals 19-jährigen Engländer Joshua Browder programmiert, nachdem dieser 30 Strafzettel wegen Falschparkens erhalten hatte. Er entwickelte daraufhin eine Software, die nach Abfrage diverser Daten automatisiert ein Widerspruchsdokument für die zuständige Verwaltungsbehörde erstellt. Innerhalb von 21 Monaten konnten durch seinen Chatbot über 160.000 Strafzettel in Höhe von insgesamt ca. 4 Millionen € Bußgeldern abgewendet werden. Die Erfolgsrate für die Verwender des Chatbots lag bei 64 % und das, ohne die Hilfe eines Rechtsanwalts in Anspruch nehmen zu müssen.

Später wurde dieser „DoNotPay“ genannte Chatbot in England und den USA auf rechtliche Felder wie Flugausfallentschädigung und die Formulareinreichung für Flüchtlinge erweitert. Technisch betrachtet bittet „DoNotPay“ den User um die Eingabe von einigen Daten und um die Beantwortung von vordefinierten Fragen. Anhand dieser aufgenommen Ergebnisse erstellt er am Ende ein downloadfähiges bzw. druckbares Dokument, welches der User dann an die Behörde versenden kann.


Ende 2018 wurde „DoNotPay“ erstmalig auch als App für Smartphones angeboten und um viele Angebote erweitert, darunter Funktionen, wie zum Beispiel:

– eine Klage ohne die Hilfe eines Anwalts direkt auf Knopfdruck einreichen zu können,

– sich gegen ungerechte Bank-, Kreditkarten- und Überziehungsgebühren zu wehren oder

– Rückerstattungen von Uber und Lyft zu fordern, wenn ein Fahrer zu weit gefahren war.

Außerdem ist ein Service zum Schutz der Privatsphäre bei Facebook, Twitter und Instagram verfügbar und die Möglichkeit, sich gegen betrügerische Transaktionen auf dem Bankkonto zu wehren.

Andere bekannte Legal Chatbots sind der britische BillyBot, der dem Anwender bei der Suche nach einem passenden Anwalt oder einem Mediator hilft. LISA, ebenfalls ein Legal Chatbot aus Großbritannien, kann NDA (also Geheimhaltungsvereinbarungen) erstellen. Der US-amerikanische Visabot hilft bei der Beantragung von Visa und Lawbot ist ein britischer Legal Chatbot, der bei Vertragsanalysen im B2B-Bereich Unterstützung leistet. In Deutschland gibt es mit Ratis den ersten Legal Chatbot, der bei Flugausfallentschädigungen und bei arbeitsrechtlichen Kündigungen hilft.

Zukünftige Einsatzmöglichkeiten von Legal Chatbots

Im Folgenden sind die aktuellen Anwendungsfelder für Legal Chatbots beschrieben:

Legal Chatbots für die Erstberatung und Mandantenakquise

In absehbarer Zeit werden immer mehr Kanzleien Chatbots für die Akquise von Mandanten auf ihrer Webseite einsetzen. Ein Chatbot eignet sich dafür besonders gut, da er nicht nur erste Daten des Mandanten abfragen kann, sondern auch erste Tipps, ähnlich einer FAQ, für den Rechtsratsuchenden bereithält.

Weiterhin wäre es denkbar, dass der User auch Dokumente im Chatbereich hochladen und so an den Anwalt übermitteln kann. Auch Veranschaulichungen von Informationen über die Kanzlei unter Verwendung von Foto- oder Videoinhalten sind möglich.

Chatbots im Compliance-Bereich in Rechtsabteilungen

Ein weiteres Anwendungsgebiet von Legal Chatbots werden Compliance Chatbots sein. Diese werden in größeren Unternehmen von der Compliance- oder Rechtsabteilung aus eingesetzt, um den Angestellten der Firma automatisiert Antworten auf Rechtsfragen geben zu können. Dadurch können Mitarbeiter z. B. erfragen, wie sie sich rechtlich korrekt verhalten müssten oder wer der richtige Ansprechpartner für ihre Frage ist. Sinnvolle Anwendungen sind u. a. das Arbeitsrecht, das Lebensmittelrecht oder der Datenschutz (DSGVO).

Legal Chatbots für Verbraucherportale und Rechtsschutzversicherungen

Auch im Bereich für Verbraucherportale oder Rechtsschutzversicherungen macht der Einsatz eines Legal Chatbot Sinn. Dieser kann erste Kundendaten aufnehmen, Fragen beantworten oder Daten aus Verträgen extrahieren, wie z. B. Kündigungsfristen oder Vertragslaufzeiten.

Machine Learning und künstliche Intelligenz

Bereits heute sind viele Chatbot-Systeme mit einem Machine Learning-Bereich ausgerüstet und können durch viele Eingaben von Nutzern des Bots dauerhaft dazulernen. Verbreitet ist dabei der Einsatz von NLP (Natural Language Processing), einer Methode zur maschinellen Verarbeitung natürlicher Sprache. NLP verwendet dabei Methoden aus der Sprachwissenschaft und kombiniert diese mit Informatik und künstlicher Intelligenz. Die größte Herausforderung ist hierbei aber die Komplexität und Mehrdeutigkeit der menschlichen Sprache.

Fazit

Im Bereich der Chatbots befinden wir uns aktuell in einer Zeit vergleichbar mit Webdesign im Jahr 1995. Wenn man sich ansieht, was die Sprach-Chatbots Alexa und Siri bereits können, aber auch was diese, mit aller Marktmacht dahinter, eben auch noch nicht können, dann sieht man noch einen langen Weg vor sich, bis ein Legal Chatbot jemals eine Einschätzung zu einem Rechtsfall geben kann. Irgendwann wird dies aber sicherlich stattfinden. Bis dahin werden Chatbots jedes Jahr besser und eignen sich aktuell für die aufgezeigten Anwendungsfälle.

Hinweis der Redaktion: Der Beitrag entstammt aus dem »Der Wirtschaftsführer für junge Juristen«.

Um den Wirtschaftsführer auch unterwegs bequem lesen zu können, finden Sie hier unsere »Wirtschaftsführer-App«.

 

Patrick Prior

Jurist, SoftwareEntwickler und Legal Tech Experte
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