24.09.2020

Der Ausgleich eines (Sonder-)Vorteils

Die Beteiligung von Anliegergrundstücken an der Aufwandsverteilung im Straßenbaubeitragsrecht

Der Ausgleich eines (Sonder-)Vorteils

Die Beteiligung von Anliegergrundstücken an der Aufwandsverteilung im Straßenbaubeitragsrecht

Der Straßenausbaubeitrag ist auf den Ausgleich eines (Sonder-)Vorteils ausgerichtet. | © darknightsky - stock.adobe.com
Der Straßenausbaubeitrag ist auf den Ausgleich eines (Sonder-)Vorteils ausgerichtet. | © darknightsky - stock.adobe.com

Die obergerichtliche Rechtsprechung zur Beteiligung von Grundstücken an der Aufwandsverteilung im Straßenausbaubeitragsrecht ist zum Teil uneinheitlich, wie Entscheidungen des OVG NRW, des NdsOVG und ein aktueller Beschluss des VGH Bayern zeigen.

I. Ausgangsfall

Eine Gemeinde in Nordrhein-Westfalen verbessert die X-Straße und zieht Herrn A als Eigentümer eines an diese Straße sowie an die Y-Straße angrenzenden Grundstücks zu einem Straßenausbaubeitrag heran. Das Grundstück grenzt außer an die X-Straße auch an die Y-Straße. Der einschlägige Bebauungsplan weist für das Grundstück die Baugebietsart Gewerbegebiet aus und setzt auf seiner Höhe zur X-Straße hin ein Verbot für Ein- und Ausfahrten fest. Herr A wendet sich gegen seine Heranziehung und macht geltend, der Betrieb seines auf dem Gewerbegrundstück befindlichen Autohauses setze zwingend die Erreichbarkeit mit Kraftfahrzeugen voraus. Infolge der Festsetzung des Ein- und Ausfahrtverbots zur X-Straße dürfe jedoch von dieser Verkehrsanlage aus nicht auf sein Grundstück gefahren werden. Angesichts dessen müsse sein Grundstück bei der Verteilung des umlagefähigen Aufwands für die Verbesserung der X-Straße unberücksichtigt bleiben und sei der Heranziehungsbescheid als rechtswidrig aufzuheben.


II. Obergerichtliche Rechtsprechung zur Beteiligung von Grundstücken an der Aufwandsverteilung

Der Straßenausbaubeitrag ist – wie jeder kommunale Beitrag – ausgerichtet auf den Ausgleich eines (Sonder-)Vorteils. Grundstücke (bzw. deren Eigentümer) sollen an diesem Ausgleich teilnehmen, wenn ihnen durch die abzurechnende Straße ein Vorteil geboten wird. Nur wenn das der Fall ist, sind Grundstücke bei der Verteilung des umlagefähigen Aufwands für den beitragsfähigen Ausbau einer Anbaustraße zu berücksichtigen. Hinsichtlich der Anforderungen im Einzelnen, die für eine solche Beteiligung von Anliegergrundstücken erfüllt sein müssen, gibt es in der obergerichtlichen Rechtsprechung teilweise übereinstimmende und teilweise abweichende Meinungen. Nach einer kurzen Skizzierung der insoweit bestehenden Gemeinsamkeiten sollen hier die Unterschiede exemplarisch an der Rechtsprechung der OVG Münster und Lüneburg sowie des VGH München dargestellt werden.

1. In der obergerichtlichen Rechtsprechung besteht – soweit ersichtlich – Einigkeit in der Annahme, die Berücksichtigung eines Grundstücks bei der Verteilung des umlagefähigen Aufwands für den beitragsfähigen Ausbau einer Straße setze die Möglichkeit voraus, von dieser Straße aus zu dem Grundstück zu gelangen, setze – anders ausgedrückt – die Verschaffung einer Inanspruchnahmemöglichkeit der ausgebauten Straße zur Erreichung des Grundstücks voraus. Und zwar muss es sich um eine sog. qualifizierte Inanspruchnahmemöglichkeit handeln, d.h. eine Inanspruchnahmemöglichkeit, die durch eine räumliche Nähe des Grundstücks zur ausgebauten Verkehrsanlage gekennzeichnet ist, wie sie stets bei Anliegergrundstücken (und diesen gleichzustellenden Hinterliegergrundstücken) gegeben ist (u.a. OVG Schleswig, Beschluss v. 6.11.2008 – 2 LA 27/08). Es muss gewährleistet sein, dass das jeweilige Anliegergrundstück von der Straße aus ohne Weiteres, also ohne beachtliche rechtliche oder tatsächliche Hindernisse, erreicht werden kann.

Einigkeit besteht ferner darin, dass die Anforderungen für eine Beteiligung von Anliegergrundstücken an der Aufwandsverteilung unabhängig davon sind, ob es bei der durch die ausgebaute Anbaustraße vermittelten Erschließung um eine Erst- oder eine Zweiterschließung geht. Grundstücke, die an zwei  ausgebaute Straßen grenzen, nehmen – soweit die sonstigen Voraussetzungen erfüllt sind – an der

Verteilung des Aufwands für einen beitragsfähigen Ausbau jeder der beiden Verkehrsanlagen teil; es muss bei der Abrechnung einer dieser Straßen eine weitere an das Grundstück angrenzende Straße hinweggedacht werden (u.a. VGH Kassel, Urteil v. 18.7.1996 – 5 UE 2652/95).

Unterschiedlich wird dagegen in der obergerichtlichen Rechtsprechung die Frage beantwortet, welche Form der Erreichbarkeit einem Anliegergrundstück durch die abzurechnende Straße verschafft werden muss, damit es bei der Aufwandsverteilung zu berücksichtigen ist. Insoweit kommen grundsätzlich zwei verschiedene Erreichbarkeitsformen in Betracht, nämlich das „Heranfahrenkönnen“ und das „Herauffahrenkönnen“. Herangefahren werden kann an ein Grundstück regelmäßig dann, wenn auf der Fahrbahn der betreffenden Straße bis zur Höhe dieses Grundstücks mit Personen- und Versorgungsfahrzeugen gefahren, dort gehalten und von da ab ggfs. über einen Gehweg und/oder Radweg das Grundstück betreten werden kann. Die Möglichkeit, auf ein Grundstück herauffahren zu können, ist gegeben, wenn das einschlägige Recht erlaubt, dass mit Kraftfahrzeugen einschließlich „normalen“ Lastkraftwagen auf ein anliegendes Grundstück heraufgefahren werden kann. Sowohl der Begriff des „Heranfahrenkönnens“ als auch der des „Herauffahrenkönnens“ stammen aus dem Bebauungsrecht; sie drücken die Anforderungen an die verkehrsmäßige Erschließung eines Grundstücks als Voraussetzung für dessen Bebaubarkeit aus: Während ein Heranfahrenkönnen regelmäßig für die Bebaubarkeit von Grundstücken z.B. in Dorf- und Wohngebieten ausreicht, verlangt das Bebauungsrecht für die bauliche und gewerbliche Nutzbarkeit von Grundstücken in Gewerbe- und Industriegebieten regelmäßig eine Herauffahrenkönnen.

2. Im Beschluss vom 3.4.2020 (15 A 1431/19) bestätigt das OVG Münster seine ständige Rechtsprechung, nach der die Beteiligung eines Grundstücks an der Verteilung des umlagefähigen Aufwands im Straßenausbaubeitragsrecht entscheidend davon abhängt, „welche Anforderungen an die bauliche Nutzung des Grundstücks gestellt werden“. Ein Grundstück sei bei der Aufwandsverteilung zu berücksichtigen, wenn die abzurechnende Anbaustraße ihm „das an verkehrsmäßiger Erschließung verschafft, was für seine Bebaubarkeit oder beitragsrechtlich vergleichbare Nutzung erforderlich ist“.

Nach Ansicht des OVG Lüneburg setzt die Beteiligung eines Grundstücks an der Aufwandsverteilung im Straßenausbaubeitragsrecht „voraus, dass irgendeine der bebauungsrechtlich zugelassenen Nutzungsformen über die ausgebaute Anlage realisiert werden kann“ (OVG Lüneburg, Beschluss v. 9.11.2012 – 9 LA 157/11 – DVBl 2013,127). Danach mangelt es an einer hinreichenden Erreichbarkeit beispielsweise, wenn ein Zugang zu einem Wohngrundstück nicht die Breite aufweist, die bauordnungsrechtlich für die Zugänglichkeit eines Grundstücks verlangt wird. „Diese Mindestbreite ist auch im Straßenausbaubeitragsrecht für die Erreichbarkeit eines Grundstücks maßgebend, wenn dessen bestimmungsgemäße Nutzung als Wohngrundstück zu ermöglichen ist“ (OVG Lüneburg, a.a.O.). Für Grundstücke in planerisch festgesetzten Gewerbe- und Industriegebieten ebenso wie für einzig landwirtschaftlich nutzbare Grundstücke kann nach Meinung des OVG Lüneburg (Urteil v. 11.6.2010 – 9 LB 182/08) grundsätzlich eine hinreichende Erreichbarkeit nur angenommen werden, wenn auf sie mit (den jeweils üblichen Nutz-)Fahrzeugen heraufgefahren werden kann.

Unter Bezugnahme auf seine bisherige Rechtsprechung betont dagegen der VGH München im Beschluss vom 19.3.2020 (Az. 6 ZB 19.2057), dem Straßenausbaubeitragsrecht sei eine Koppelung zwischen Qualität der Erreichbarkeit eines Grundstücks und dessen baulicher Ausnutzbarkeit fremd. Es komme – anders als im Erschließungsbeitragsrecht – nicht darauf an, ob die abzurechnende Straße dem Grundstück diejenige wegemäßige Erschließung vermittele, die für die zulässige bauliche oder gewerbliche Nutzung erforderlich sei. Diese Lösung des Gesetzgebers – so führt der VGH München insoweit abschließend aus – begegne keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

3. Der Straßenausbaubeitrag ist – wie gesagt – ausgerichtet auf den Ausgleich eines (Sonder-)Vorteils. Nach der zuvor skizzierten obergerichtlichen Rechtsprechung wird dieser Vorteil im Ausgangspunkt bestimmt durch zwei Faktoren: Zum einen durch eine qualifizierte, durch die räumliche Nähe des Grundstücks zur ausgebauten Straße begründete Inanspruchnahmemöglichkeit dieser Verkehrsanlage und zum anderen durch eine Grundstücksnutzung, auf die sich diese Inanspruchnahmemöglichkeit positiv auswirken kann. Das führt auf die Frage, was die einschlägigen Kommunalabgabengesetze selbst unter dem auszugleichenden (Sonder-)Vorteil verstehen und inwieweit dieser Vorteil abhängig ist von einer bestimmten, von der baulichen Nutzbarkeit der Anliegergrundstücke beeinflussten Form ihrer Erreichbarkeit von der ausgebauten Straße aus.

III. Gesetzliche Regelungen zum Vorteil und zur Bedeutung der baulichen Nutzbarkeit der Anliegergrundstücke

1. Der Begriff „Vorteil“ ist vom Gesetzgeber in § 8 KAG NRW – und Entsprechendes gilt beispielsweise für § 6 NKAG und Art. 5 BayKAG – an drei Stellen benutzt worden. In § 8 Abs. 2 Satz 2 KAG NRW (§ 6 Abs. 1 NKAG, Art. 5 Abs. 1 Satz 1 BayKAG) steht er – erstens –  im Zusammenhang mit der Legaldefinition des Beitrags als einer Gegenleistung der Grundeigentümer für die ihnen durch die Inanspruchnahmemöglichkeit einer ausgebauten (öffentlichen) Anlage gebotenen Vorteile. In § 8 Abs. 4 Satz 4 KAG NRW (§ 6 Abs. 5 Satz 4 NKAG, Art. 5 Abs. 3 Satz 2 BayKAG) – zweitens – ist angeordnet, dass bei der Ermittlung des umlagefähigen Aufwands ein dem Vorteil der Allgemeinheit entsprechender (Aufwands-)Anteil außer Ansatz zu bleiben hat. Ferner enthält – was allerdings hier von minderem Gewicht ist und deshalb im Folgenden vernachlässigt wird – § 8 Abs. 6 Satz 1 KAG NRW (§ 6 Abs. 5 Satz 1 NKAG, Art. 5 Abs. 2 Satz 1 BayKAG) eine Leitlinie für die Bemessung der Höhe der Beiträge; sie sind nach den Vorteilen zu bemessen. Der Inhalt des an diesen drei Stellen benutzten Begriffs „Vorteil“ ist identisch. Denn wenn ein Gesetzgeber einen unbestimmten Rechtsbegriff im Rahmen einer einzelnen gesetzlichen Vorschrift ohne jeden Vorbehalt mehrfach verwendet, muss angenommen werden, er meine inhaltlich jeweils das Gleiche. Dieser Erkenntnis kommt für das Verständnis des Merkmals „Vorteil“ ausschlaggebende Bedeutung zu.

Beispielsweise in Nordrhein-Westfalen – und Gleiches trifft zu für Niedersachsen und Bayern – setzt § 8 Abs. 2 Satz 2   KAG NRW (bzw. § 6 Abs. 1 Satz 1 NKAG und Art. 5 Abs. 1 Satz 1 BayKAG) zum einen den Vorteil, der etwa durch die Verbesserung einer Anliegerstraße ausgelöst wird, in eine Beziehung zu den Grundeigentümern, von denen Beiträge erhoben werden sollen. § 8 Abs. 4 Satz 4 KAG NRW hebt – ebenso wie § 6 Abs. 5 Satz 4 NKAG und Art. 5 Abs. 3 Satz 2 BayKAG – zum anderen ab auf den der Allgemeinheit durch eine solche beitragsfähige Ausbaumaßnahme zuwachsenden Vorteil; der Anteil am entstandenen beitragsfähigen Aufwand, der diesem Vorteil entspricht, ist außer Ansatz zu lassen, hat also bei der Ermittlung des auf die Grundeigentümer umzulegenden Aufwands unberücksichtigt zu bleiben. Die zuvor angesprochene inhaltliche Identität des Begriffs „Vorteil“ in den beiden Regelungen zwingt zu der Annahme, dass es bei dem Vorteil nach der Vorstellung des Gesetzgebers um etwas gehen muss, was sowohl den Grundeigentümern als auch der Allgemeinheit messbar zugerechnet werden kann, was von Interesse für die eine wie die andere Gruppe ist, was beide gemeinsam haben. Da der Allgemeinheit anders als den Grundeigentümern jeder Bezug zu Grundstücken im Bereich der ausgebauten Verkehrsanlage fehlt, scheiden für die inhaltliche Bestimmung des im Straßenausbaubeitragsrecht maßgeblichen Vorteils die bauliche Nutzbarkeit und alle sonstigen den Wert dieser Grundstücke beeinflussenden Faktoren aus, weil die Allgemeinheit nicht Eigentümer von solchen Grundstücken ist. Der straßenausbaubeitragsrechtliche Vorteil ist folglich nicht identisch mit dem, was sich im Einzelfall für den Eigentümer eines Grundstücks im Abrechnungsgebiet konkret und in Euro und Cent bezifferbar wertsteigernd erweist. Für die inhaltliche Bestimmung des Vorteilsbegriffs ist deshalb nicht auf eine sich ergebende Wertsteigerung abzustellen, sondern darauf, ob der Straßenausbau etwas bietet, was sowohl für die Allgemeinheit als auch für die Grundeigentümer nützlich ist. Diese Anforderung erfüllt allein die gebotene Möglichkeit der Inanspruchnahme der ausgebauten Straße, und zwar die Inanspruchnahmemöglichkeit als solche; nur diese Inanspruchnahmemöglichkeit ist sowohl der Allgemeinheit als auch den Grundeigentümern eröffnet.

Einzelne Gesetzgeber – wie z.B. der in Baýern – haben anders als die Gesetzgeber etwa in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen darauf verzichtet, im Gesetz dem Begriff „Vorteil“ den Zusatz „wirtschaftlicher“ beizufügen. Das ist indes unbeachtlich. Denn das wirtschaftliche Prinzip der Entgeltlichkeit gebietet ohnehin eine Beschränkung auf wirtschaftliche Vorteile. Überdies entspricht es dem Wesen des auf einen Vorteilsausgleich aufbauenden Straßenausbaubeitragsrechts, dass nur auf Vorteile abgestellt werden kann, die sich wirtschaftlich auswirken und insoweit messbar sind (u.a. OVG Koblenz, Urteil v. 4.7.1978 – GS 1/78 – KStZ 1978,214). In der gebotenen Inanspruchnahmemöglichkeit einer ausgebauten Straße liegt nicht etwa nur ein ideeller Vorteil (u.a. VGH Kassel, Urteil v. 27.5.1987 – 5 UE 245/85 – GemHH 1988,160). Vielmehr ist sie geeignet, sowohl den Eigentümern der anliegenden Grundstücke als auch der Allgemeinheit (Gebrauchs-)Vorteile mit wirtschaftlichem Charakter zu vermitteln, die mit Hilfe des Umfangs der wahrscheinlichen (erfahrungsgemäß zu erwartenden) Inanspruchnahme quantifizierbar und deshalb einer beitragsrechtlich relevanten Bewertung zugänglich sind.

2. Ausschließlich in Rheinland-Pfalz und im Saarland haben die Gesetzgeber den Kreis der Grundstücke, die im Straßenausbaubeitragsrecht am Vorteilsausgleich teilnehmen, beschränkt auf Grundstücke, die „baulich oder in ähnlicher Weise“ (§ 10 Abs. 5 Satz 1 KAG RP) bzw. die „baulich, gewerblich oder in ähnlicher Weise“ (§ 8 Abs. 6 Satz 3 SaarlKAG) nutzbar sind. Ebenso wie im Erschließungsbeitragsrecht der Bundesgesetzgeber durch § 133 Abs. 1 BauGB haben diese beiden Landesgesetzgeber durch die bezeichneten Vorschriften entschieden, für eine Teilnahme von Anliegergrundstücken an der Aufwandsverteilung im Straßenausbaubeitragsrecht genüge nicht schon eine Inanspruchnahmemöglichkeit als solche, sondern es müsse sich um eine Inanspruchnahmemöglichkeit handeln, die zu einer baulich oder beitragsrechtlich vergleichbaren Nutzbarkeit der betreffenden Grundstücke führt. Aufgrund dieser Entscheidungen sind im Erschließungsbeitragsrecht wie im Straßenausbaubeitragsrecht der beiden genannten Länder nur die Grundstücke bei der Verteilung des umlagefähigen Aufwands für eine beitragsfähige Ausbaumaßnahme an einer Anbaustraße zu berücksichtigen, denen die ausgebaute Verkehrsanlage die Art von Erreichbarkeit verschafft, die für ihre Bebaubarkeit oder beitragsrechtlich vergleichbare Nutzbarkeit erforderlich ist.

3. Eine solche einschränkende Regelung enthalten jedoch weder das Straßenausbaubeitragsrecht in Nordrhein-Westfalen noch das Straßenausbaubeitragsrecht in den übrigen Ländern. Diese Länder stellen vielmehr für die Beteiligung von Anliegergrundstücken an der Aufwandsverteilung einzig auf die Vermittlung einer (qualifizierten) Inanspruchnahmemöglichkeit ab, geben sich – mit anderen Worten – mit einer Inanspruchnahmemöglichkeit als solcher zufrieden. Denn in den Kommunalabgabengesetzen dieser Länder fehlt eine dem § 133 Abs. 1 BauGB bzw. den §§ 10 Abs. 5 Satz 1 KAG RP und 8 Abs. 6 Satz 3 SaarlKAG entsprechende, auf die bauliche oder beitragsrechtlich vergleichbare Nutzbarkeit der anliegenden Grundstücke abhebende Bestimmung. In diesen Ländern ist deshalb die bauliche oder gewerbliche Nutzbarkeit von Grundstücken für die Veranlagung von Anliegergrundstücken zu Straßenausbaubeiträgen regelmäßig ohne Bedeutung, kommt es mithin nicht darauf an, ob die ausgebaute Verkehrsanlage den anliegenden Grundstücken die wegemäßige Erschließung verschafft, die für ihre Bebaubarkeit oder beitragsrechtlich vergleichbare Nutzbarkeit erforderlich ist. Daraus folgt indes nicht, dass in diesen Ländern auch Anliegergrundstücke in den Vorteilsausgleich einbezogen werden, für die die gebotene Inanspruchnahmemöglichkeit wertlos ist.

Die Bewertung einer gebotenen Inanspruchnahmemöglichkeit erfolgt – wie angedeutet – mit Hilfe des Umfangs der wahrscheinlichen (erfahrungsgemäß zu erwartenden) Inanspruchnahme der ausgebauten Straße. Je mehr eine ausgebaute Straße nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit von einem Anliegergrundstück aus in Anspruch genommen werden wird, desto wertvoller ist diese Verkehrsanlage für dieses Grundstück und desto höher ist der ihm gebotene Vorteil (u.a. OVG Bautzen, Beschluss v. 27.5.2003 – 5 BS 48/01); die Höhe des durch die Inanspruchnahmemöglichkeit vermittelten Vorteils ist abhängig von der Bewertung der Inanspruchnahmemöglichkeit mit Hilfe der Wahrscheinlichkeit (u.a. OVG Lüneburg, Urteil v. 17.6.2008 – 9 LC 252/07). Ist nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten, dass von einem an die ausgebaute Straße anliegenden Grundstück aus diese Verkehrsanlage in einem relevanten Umfang in Anspruch genommen werden wird, ist die gebotene Inanspruchnahmemöglichkeit für dieses Grundstück objektiv (so gut wie) wertlos, hat es von dieser Inanspruchnahmemöglichkeit keinen nennenswerten Vorteil und scheidet deshalb aus dem Kreis der bei der Aufwandsverteilung zu berücksichtigenden Grundstücke aus (u.a. OVG Magdeburg, Urteil v. 3.4.2007 – 4 L 230/06 KStZ 2007,178). Allerdings ist eine solche Erwartung nur ganz ausnahmsweise gerechtfertigt, nämlich nur dann, wenn das betreffende Grundstück keinen Gebrauchswert hat, weil es über den bloßen Besitz hinaus zu (beinahe) nichts genutzt werden kann. Das trifft beispielsweise zu, wenn ein Grundstück infolge seiner geringen Größe allenfalls mit einer Hundehütte gebaut werden kann (vgl. dazu Arndt, Straßenbaubeiträge, § 10 Rn. 13)  oder wenn es als (nicht bewertbares) sog. Unland zu qualifizieren ist (OVG Magdeburg, Urteil v. 10.11.2016 – 4 L 23/15).

IV. Ergebnis

Die verbesserte X-Straße bietet die Möglichkeit, von ihr aus das Grundstück des Herrn A fußläufig zu erreichen; nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit ist sogar davon auszugehen, dass von dieser Möglichkeit tatsächlich etwa von Besuchern und Kaufinteressenten, die Autos auf diesem Grundstück besichtigen wollen, Gebrauch gemacht wird. Zwar hindert das im Bebauungsplan festgesetzte Ein- und Ausfahrverbot daran, dass von der ausgebauten Straße aus auf das Gewerbegrundstück heraufgefahren werden kann. Doch kommt es auf die Art der Erreichbarkeit nach § 8 KAG NRW entgegen der Ansicht des OVG Münster nicht darauf an, ob eine z.B. verbesserte Anbaustraße einem Grundstück die wegemäßige Verbindung verschafft, die für dessen bauliche oder gewerblich Nutzbarkeit erforderlich ist. Deshalb ist der Einwand des Herrn E gegen seine Heranziehung zu einem Straßenausbaubeitrag unbegründet.

Hinweis der Redaktion: Der Beitrag erschien in NWVBl. 9/2020.

 

 

Prof. Dr. Hans-Joachim Driehaus

Prof. Dr. Hans-Joachim Driehaus

Rechtsanwalt und Wirtschaftsmediator, vormals Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht, Berlin
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