09.09.2020

Erschließungskosten zweimal erhoben

Die Ersetzung einer verkehrsmäßigen Erschließung durch eine andere verkehrsmäßige Erschließung

Erschließungskosten zweimal erhoben

Die Ersetzung einer verkehrsmäßigen Erschließung durch eine andere verkehrsmäßige Erschließung

Bei der Erschließung eines Grundstücks fallen Erschließungskosten an. | © bobmachee - Fotolia.com
Bei der Erschließung eines Grundstücks fallen Erschließungskosten an. | © bobmachee - Fotolia.com

In der Regel fallen Erschließungskosten nur ein einziges Mal an, nämlich bei der Erschließung eines Grundstücks. Es gibt aber besondere Fälle, in denen der Eigentümer ein zweites Mal zu einem Erschließungsbeitrag herangezogen werden kann. Das trifft nicht nur bei z.B. Eckgrundstücken zu, d.h. einer gleichzeitigen Zweiterschließung, sondern – wie die folgende Fallbesprechung belegt – auch in anderen Konstellationen.

I. Ausgangsfall

Im Jahr 2009 zog die Gemeinde Herrn A als Eigentümer eines Grundstücks zu einem Erschließungsbeitrag für die erstmalige endgültige Herstellung der Anbaustraße X heran; sein Grundstück grenzte einzig an eine etwa 40 m lange, von der Straße X abzweigende und von Herrn E mitfinanzierte (unselbständige) Privatstraße an. Später stellte die Gemeinde zur Erschließung eines in einem Bebauungsplan neu ausgewiesenen Wohngebiets unter Einbeziehung der Trasse der seinerzeitigen Privatstraße die ca. 900 m lange Anbaustraße Y her, an der nunmehr u.a. das Grundstück des Herrn E liegt. Für die Kosten der erstmaligen endgültigen Herstellung dieser neuen Erschließungsstraße zog die Gemeinde Herrn E ebenfalls zu einem Erschließungsbeitrag heran. Herr E wendet sich gegen diese Heranziehung und beruft sich auf den Grundsatz der Einmaligkeit einer Beitragserhebung. Im Übrigen macht er geltend, die Straße Y vermittele ihm keinen Erschließungsvorteil, weil sein Grundstück bereits durch die Straße X in Verbindung mit der Privatstraße bebaubar geworden und tatsächlich auch bebaut worden sei. Angesichts dessen könne seine Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag für die neue Straße nur rechtmäßig sein, wenn ihm als Ausgleich für den Verlust der durch die Straße X bewirkten Erschließung der seinerzeit für die Herstellung dieser Anlage gezahlte Erschließungsbeitrag in voller Höhe angerechnet werde.

II. Einmaligkeit der Beitragserhebung und Erschließungsvorteil

1. Der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung besagt, dass eine Erschließungsbeitragspflicht für ein Grundstück bezogen auf die erstmalige endgültige Herstellung einer bestimmten beitragsfähigen Erschließungsanlage nur einmal und in der Höhe unveränderbar entsteht. Er schützt jedoch nicht vor einer (weiteren) Beitragspflicht für die erstmalige endgültige Herstellung einer anderen Erschließungsstraße, die das betreffende Grundstück ebenfalls erschließt.[1] Angesichts dessen könnte Herr A mit seinem Einwand nur durchdringen, wenn es sich bei der Anbaustraße Y um eine mit der Anbaustraße X identische Erschließungsanlage handelte. Das ist jedoch offensichtlich nicht der Fall. Eine solche Identität ist nur anzunehmen, wenn sich die Trasse der neu angelegten Straße weitgehend mit der der alten Verkehrsanlage deckt und sie an keiner Stelle die alte Straßentrasse in vollem Umfang verlässt.[2] Ein solcher Fall ist hier erkennbar nicht gegeben. Denn die Trasse der Straße Y deckt sich lediglich in einem ganz geringen Umfang, nämlich im Umfang der seinerzeitigen 40 m langen Privatstraße, mit der Trasse der neuen Anbaustraße Y. Das steht der Annahme entgegen, diese neue Straße ersetze die Anbaustraße X, für die Herr E bereits Erschließungsbeiträge gezahlt hat.


2. Ob ein Grundstück durch eine weitere Anbaustraße erschlossen im Sinne des § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB und in der Folge im Sinne des § 133 Abs. 1 BauGB bebaubar ist, hängt davon ab, ob diese Verkehrsanlage dem Grundstück eine verkehrsmäßige Verbindung verschafft, die zu dessen Bebaubarkeit führt. Vermittelt eine Anbaustraße einem Grundstück eine bebauungsrechtlich hinreichende verkehrsmäßige Anbindung, rechtfertigt das die Annahme, dem betreffenden Grundstück wachse eben durch die Vermittlung des bebauungsrechtlichen Erschlossenseins als einer Voraussetzung für dessen Bebaubarkeit ein Erschließungsvorteil zu. Dazu genügt in Wohngebieten regelmäßig, dass die Straße die Möglichkeit eröffnet, mit Personen- und Versorgungsfahrzeugen bis zur Höhe des Grundstücks zu fahren und es von da ab zu betreten.[3] Eine solche Möglichkeit eröffnet die Straße Y.

Maßgeblich für die Berücksichtigung des Grundstücks des Herrn E bei der Verteilung des umlagefähigen Aufwands für die Herstellung des Straße Y und für eine Belastung mit einem Erschließungsbeitrag für diese Herstellung ist also, ob diese Straße allein, d.h. unabhängig von einer anderen Anbaustraße, geeignet ist, das Grundstück – soweit es um die verkehrsmäßige Erschließung geht – bebaubar zu machen. Es muss – mit anderen Worten – bei der Prüfung des Erschlossenseins durch eine hinzutretende Anbaustraße die dem jeweiligen Grundstück bereits durch eine andere Verkehrsanlage vermittelte Bebaubarkeit „weggedacht“ werden.[4] Es besteht kein Zweifel, dass die aufgeworfene Frage zu bejahen, die Straße Y  mithin allein geeignet ist, dem Grundstück des Herrn E das bebauungsrechtliche Erschlossensein zu vermitteln. Dieses Grundstück ist durch die Straße Y erschlossen; gegenwärtig verschafft allein diese Verkehrsanlage eine Verbindung zwischen diesem Grundstück und dem übrigen Verkehrsnetz der Gemeinde, nur sie ermöglicht dessen Bebauung. Daran ändert nichts, dass früher schon die Straße X in Verbindung mit der unselbständigen Privatstraße eine Bebaubarkeit des Grundstücks vermittelt hat. Das hebt die den derzeitigen Zustand kennzeichnende Abhängigkeit von der Straße Y nicht auf. Die rechtliche Situation des Grundstücks von Herrn E in Bezug auf die Straße Y gleicht vollauf der der anderen einzig an diese Verkehrsanlage angrenzenden Grundstücke, so dass aus erschließungsbeitragsrechtlicher Sicht kein Gesichtspunkt erkennbar ist, der es rechtfertigen könnte, Herrn E anders zu behandeln als deren Eigentümer. Ändert – so lassen sich diese Erwägungen zusammenfassen – nach der angesprochenen sog. Wegdenkenstheorie das Hinzutreten einer – an sich in der Regel eher „überflüssigen“ – Zweiterschließung nichts an der durch sie bewirkten Vermittlung eines Erschließungsvorteils, so muss das erst recht bei einem Wegfall einer Ersterschließung gelten.[5]

III. Ausgleich durch Gewährung einer beitragsfreien neuen Erschließung

Ein anderes Ergebnis lässt sich nicht damit rechtfertigen, eine Erschließungsbeitragserhebung für die Kosten einer Anbaustraße sei „unbillig“, wenn diese Anlage nur gleichsam an die Stelle einer anderen, bisher die verkehrsmäßige Erschließung vermittelnden Anbaustraße getreten sei, weil dann „per saldo“ lediglich eine durch eine Anbaustraße bewirkte Erschließung ersetzt worden sei durch eine von einer anderen Anbaustraße vermittelten Erschließung und dies keine vorteilhafte Veränderung der Erschließungssituation mit sich bringe. Eine solche Betrachtungsweise ist von der Überlegung geprägt, der Verlust der früheren Erschließung (hier: durch die Anbaustraße X in Verbindung mit der unselbständigen Privatstraße) verlange einen Ausgleich durch die Gewährung einer beitragsfreien neuen Erschließung (hier: durch die Anbaustraße Y), zumindest aber durch Anrechnung des für die frühere Erschließung gezahlten Beitrags. Für eine solche Betrachtung bietet das Gesetz namentlich in Gestalt des § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB jedoch keinen Ansatz.

Bei der Anwendung des § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB (oder auch des § 133 Abs. 1 BauGB) einen Ausgleich der beschriebenen Art erreichen zu wollen, „vernachlässigt in unvertretbarer Weise, dass das Erschließungsbeitragsrecht abstellt einerseits auf die Kosten der erstmaligen Herstellung einer ganz bestimmten beitragsfähigen Erschließungsanlage und andererseits auf den Kreis der durch diese Anlage erschlossenen Grundstücke. Infolge dieser Festlegungen lässt das Erschließungsbeitragsrecht – abgesehen allenfalls von § 135 Abs. 5 BauGB (Beitragserlass aus Billigkeitsgründen) – keinen Raum für Erwägungen über den Ausgleich eines etwaigen Verlustes einer in früherer Zeit durch eine andere Anlage vermittelten Erschließung. Vielmehr ist ein solcher Verlust auszugleichen im Zusammenhang mit der Maßnahme, die ihn auslöst. Ist das beispielsweise durch die Einziehung der seinerzeit die verkehrsmäßige Erschließung vermittelnden Anbaustraße geschehen, ist zu prüfen, ob dem betroffenen Grundstückseigentümer ein Entschädigungsanspruch nach Maßgabe der einschlägigen straßenrechtlichen Bestimmungen zusteht.“[6]

IV. Ergebnis

Der Einwand des Herrn E, der Grundsatz der Einmaligkeit einer Beitragserhebung stehe seiner Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag für die Kosten der erstmaligen Herstellung der Straße Y entgegen, ist unbegründet. Denn dieser Grundsatz gewährt einen Schutz einzig gegen eine zweite Veranlagung für die gleiche beitragsfähige Erschließungsanlage. Die Straße Y ist aber nicht identisch mit der Straße X, für deren Herstellungskosten Herr E seinerzeit einen Erschließungsbeitrag gezahlt hat. Die neue Straße vermittelt seinem Grundstück ebenso wie allen anderen allein an sie angrenzenden Grundstücken ein bebauungsrechtliches Erschlossensein und damit einen Erschließungsvorteil, so dass Herr E ebenso wie die Eigentümer dieser anderen Grundstücke einen Erschließungsbeitrag für die Herstellungskosten dieser Straße zu entrichten hat. Einen Ausgleich für den Verlust der früheren Erschließung seines Grundstücks durch die Straße X in Verbindung mit der von ihm mitfinanzierten Privatstraße kann Herr E nicht im Rahmen des Erschließungsbeitragsrechts erlangen; in diesem Rahmen besteht keine Möglichkeit zur Gewährung eines solchen Ausgleichs. Er muss ihn vielmehr im Zusammenhang mit der Maßnahme suchen, die zur Einbeziehung der Privatstraße in die Anbaustraße Y geführt hat.

 

 

 

 

[1] U.a. VGH München, Beschluss v. 3.2.2020 – 6 ZB 19.2115 -.

[2] Vgl. BVerwG, Urteil v. 10.10.1995 – 8 C 13.94 – BVerwGE 99,308 = KStZ 1996,213 = ZMR 1996,159.

[3] Siehe statt vieler BVerwG, Urteil v. 21.10.1988 – 8 C 56.87 – NVwZ 1989,570 = ZMR 1989,98 = HSGZ 1989,64.

[4] Vgl. zur sog. Wegdenkenstheorie des Bundesverwaltungsgerichts im Einzelnen Driehaus in LKV 2018,403.

[5] VGH München, Beschluss v. 3.2.2020 – 6 ZB 19.2115 – unter Hinweis auf BVerwG, Beschluss v. 14.12.2010 – 9 B 58.10 -.

[6] BVerwG, Urteil v. 1.12.1989 – 8 C 52.88 – KStZ 1990,150 = ZMR 1990,233 = NVwZ 1990,872.

Prof. Dr. Hans-Joachim Driehaus

Prof. Dr. Hans-Joachim Driehaus

Rechtsanwalt und Wirtschaftsmediator, vormals Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht, Berlin
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