08.09.2020

Dem Tiger Zähne geben

Städte und Kommunen brauchen wirksamere Instrumente gegen Zweckentfremdung von Wohnraum

Dem Tiger Zähne geben

Städte und Kommunen brauchen wirksamere Instrumente gegen Zweckentfremdung von Wohnraum

Die Knappheit an Wohnraum zählen gegenwärtig ohnehin zu den drängendsten gesellschaftlichen Herausforderungen. | © Sergey Furtaev - stock.adobe.com
Die Knappheit an Wohnraum zählen gegenwärtig ohnehin zu den drängendsten gesellschaftlichen Herausforderungen. | © Sergey Furtaev - stock.adobe.com

Gerade in Zeiten von Corona wird deutlich, wie dringend Wohnraum für Bürger benötigt wird. Um Abhilfe zu schaffen, reicht der gute Wille nicht – es bedarf spürbarer Maßnahmen.

Es ist schwierig, dem Preis eine Grenze zu setzen, wenn man sie der Begierde nicht setzt.“

(Cicero, Die Reden gegen Verres, 2.4.7–18.)

Wer im Corona-Lockdown über eine geräumige Wohnung oder gar ein Haus mit Garten und damit ausreichend Raum verfügte, konnte sich glücklich schätzen. Ruhezeiten, Home-Office und digitaler Schulunterricht benötigen Platz. Die nicht enden wollenden Zeiten der Pandemie zeigen uns im Brennglas, wie existenziell bedeutsam das „Lebensgut Wohnen“ ist. Vor allem in Großstädten wird es stetig teurer; bezahlbarer Wohnraum ist rar gesät. Die massiven wirtschaftlichen Einbrüche verschärfen die Situation. Die Knappheit an Wohnraum und die daraus resultierenden hohen Mietpreise zählen gegenwärtig ohnehin zu den drängendsten gesellschaftlichen Herausforderungen.


Länder schreiten gegen Zweckentfremdung ein

Neben dem Mieterschutz und der Schaffung von Wohnraum, einschließlich der Wohnraumförderung, steht auf der Agenda der Schutz bestehenden Wohnraums, indem Wohnungsmissstände beseitigt sowie ersatzloser Abriss von Wohnraum, unnötiger (oft spekulativer) Leerstand oder andere Nutzungen als zu Wohnzwecken, vor allem durch Vermietung als kurzzeitiges Domizil über Internetplattformen, verhindert werden. Umfang und Inhalt solcher Verbote der Zweckentfremdung von Wohnraum werden in jeweiligen Landesgesetzen festgelegt. Damit erfüllt der Staat auch seine Pflicht gegenüber den Bürgern, sicherzustellen, dass angemessener Wohnraum verfügbar und menschenwürdiges Wohnen möglich bleibt (vgl. etwa Art. 106 Abs. 1 Bayerische Verfassung).

Mit der Föderalismusreform 2006 ist die Gesetzgebungskompetenz für das Zweckentfremdungsrecht vom Bund auf die Länder übergegangen. Diese machen davon fleißig Gebrauch: Besonders stark ausgeprägt sind die Regelungen etwa in Bayern oder Nordrhein-Westfalen, die einen hohen Zuzug zu verzeichnen haben, da dieser regelmäßig mit der Verknappung von Wohnraum verbunden ist. Intensiv gefragt sind auch die Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg. Nach den betreffenden Landesgesetzen bedarf es einer Genehmigung, sofern Wohnraum zu anderen als zu Wohnzwecken genutzt wird. Behörden können zudem eine sog. Wiederzuführung zu Wohnzwecken anordnen. Allerdings gilt dies alles typischerweise nicht kraft Gesetzes, sondern kraft Rechtsverordnung bzw. bei Flächenstaaten erst nach Erlass einer Satzung der jeweiligen Gemeinde. Voraussetzung ist stets die Feststellung, dass die Versorgung der Bevölkerung mit angemessenem Wohnraum besonders gefährdet ist.

Zulässige Eingriffe in die Eigentumsfreiheit

Die von diesen Verboten mit Erlaubnisvorbehalt betroffenen Eigentümer werden in ihrer Verfügungsberechtigung zwangsläufig stark eingeschränkt. Das Grundrecht auf Eigentum (Art. 14 Abs. 1 GG) wird gegen Bestimmungen zum Schutz von Wohnraum gerne abwehrend wie ein Schild hochgehalten. Das Bundesverfassungsgericht hat indes bereits in einer Grundsatzentscheidung 1975 staatliches Eingreifen in den Wohnungsmarkt insoweit verfassungsrechtlich legitimiert: Privateigentum sei nach Art. 14 Abs. 2 GG am Gemeinwohl auszurichten (BVerfG, Urt. v. 04.02.1975, 2 BvL 5/74). Es sei daher Rücksicht auf diejenigen Mitbürger zu nehmen, die auf die Nutzung des betreffenden Wohnraums angewiesen seien. Viele seien nicht in der Lage, aus eigener Kraft Wohnraum für sich zu schaffen und deshalb unausweichlich auf Mietwohnungen angewiesen. Wenn eine ausreichende Versorgung mit unentbehrlichem Wohnraum zu angemessenen Bedingungen gefährdet sei, sei es im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG sachgerecht, die Zweckentfremdung grundsätzlich zu verbieten. Das OVG Berlin-Brandenburg hält das Berliner Gesetz über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum für unvereinbar mit Art. 14 Abs. 1 GG. Eine rückanknüpfende Inanspruchnahme der Eigentümer umgewandelten Wohnraums überdehne die Sozialpflichtigkeit des Eigentums. Das Gericht hat es daher dem BVerfG zur Überprüfung vorgelegt (OVG Berlin-Brandenburg Beschlüsse v. 06.04.2017, 5 B 14.16). Das BVerfG könnte in dem für 2020 avisierten Urteil (1 BvL 2/17) die Sozialpflichtigkeit entsprechend der im bevorstehenden „Krisenjahrhundert“ notwendigen Solidarität stärker akzentuieren.

Unterschiedliche Ausgestaltung der Zweckentfremdung

Bundesweit greifen die Regelungen durchaus unterschiedlich intensiv in das sozial gebundene Haus- und Wohnungseigentum ein. Als Zweckentfremdung untersagt sind allgemein längerer Leerstand, Abriss (ohne gleichzeitig angemessenen Ersatzwohnraum zu schaffen), die gewerbliche und berufliche Nutzung von Wohnraum sowie unter bestimmten Voraussetzungen auch die private Vermietung von Wohnraum an Touristen. Im Fokus bei der zweckwidrigen Vermietung von Wohnraum stehen Ferienwohnungen. Nicht nur professionelle Gewerbetreibende tummeln sich online global, um Ferienzimmer, Ferienwohnungen und andere Übernachtungsmöglichkeiten anzubieten. Das mit Abstand größte Portal dabei ist Airbnb mit mehr als sechs Millionen Angeboten weltweit und oft über 90 % Marktanteil in den Städten und jeweils zigtausend Angeboten in den Städten. Auch privates Home-Sharing ist populär und macht oft die Hälfte der Angebote aus. Die Grenze des Noch-Erlaubten bei privaten Vermietungen wird meist in zeitlicher Hinsicht gezogen und reicht von acht (etwa in Hamburg und Frankfurt) bis zwölf Wochen bzw. 90 Tagen (z. B. Rheinland-Pfalz bzw. Berlin) im Jahr. Teils erlaubt bleibt auch die Untervermietung, wenn die Wohnung selbst genutzt wird und nicht mehr als 50 Prozent der Wohnfläche vermietet werden.

Verstärkter Kampf gegen illegale Ferienwohnungen

Die zuständigen Behörden rüsten erfreulicherweise personell und fachlich weiter auf und gehen konsequenter gegen die wachsende Okkupation der Innenstädte vor, orchestriert auch vom medialen Echo und verständlicherweise empörten Anwohnern. Zudem werden die normativen Waffen geschliffen. Bayern, Hamburg und Berlin haben ihr Bußgeld gegen Verstöße jeweils auf bis zu einer halben Million Euro erhöht – nun müssen nur noch die Amtsgerichte den erheblichen sozialen Unwertgehalt der Zweckentfremdung erkennend mitziehen und auch höhere Bußgelder öfter als bisher durch Urteile bestätigen. Abschreckung funktioniert nur, wenn sie auch wirtschaftlich schmerzt. Auf den Portalen lässt sich für die Behörden kaum erkennen, ob privat oder gewerblich vermietet wird. Deshalb sehen die Gesetze in Bayern, Hamburg und Berlin neuerdings bußgeldbewehrte Melde- und Registrierungspflichten vor (in Hamburg sogar als Online-Portal). In anderen Ländern, wie in NRW, stehen diese erforderlichen gesetzlichen Änderungen allerdings noch aus.

Umstrittene Auskunftspflicht von Airbnb

Die Dunkelziffer nicht gemeldeter Anbieter ist besonders in der Anonymität der Großstädte und des Internets hoch. Es drängt sich daher auf, vor allem Airbnb mehr in den Blick behördlichen Argusauges zu nehmen, um effektiv und flächendeckend an Daten zu gelangen. Doch hob der Bayerische VGH jüngst ein Urteil des VG München auf (VGH München, Beschl. v. 20.5.2020, 12 B 19.1648; auch schon VGH München, Beschl. v. 20.08.2019, 12 ZB 19.333), das einen Bescheid der Stadt München auf Auskunft gegen Airbnb anlässlich tausender Unterbringungen zum Oktoberfest 2018 bestätigt hatte. Die Stadt müsse sich auf Auskunftsersuchen im Einzelfall beschränken. Eine allgemeine Kontrolle „ins Blaue hinein“ sei weder durch das Grundgesetz noch durch Bundes- oder Landesrecht gestützt. Auskünfte über Daten der Kunden seien Airbnb als Vermittler auf Grundlage der Zweckentfremdungs-Satzung und der „datenschutzrechtlichen Öffnungsklausel“ des § 14 Abs. 2 Telemediengesetz (TMG) ausdrücklich nur „im Einzelfall“ erlaubt. Ein Datenschutzaustausch sei nur möglich, wenn die „Türen“ beider Regelungsbereiche passgenau geöffnet seien. Das TMG erlaube nur aber eine Einzelanfrage. Diese setze einen konkreten personen- oder objektbezogenen Anfangsverdacht für eine Zweckentfremdung voraus. Eine gelegentliche, auch mehrfache Vermietung oder Gebrauchsüberlassung reiche nicht aus; auch nicht bei anonymen Anbietern. Im Internet müssten sich Bürger grundsätzlich frei bewegen können. Eine generelle und flächendeckende „Datenerhebung auf Vorrat“ komme nicht in Betracht.

Es dürfte für die Behörden nach diesen Urteilen schwer werden, diese Airbnb zupass kommende datenschutzrechtliche Käseglocke (ihrer gesetzlichen Aufgabe nachkommend) durch gezielt begründete Einzelanfragen gelegentlich aufzuheben. Jeder Anbieter muss sich fragen lassen, was er im Zweifel vor den Behörden im anonymen Internet zu verbergen hat – und Airbnb, ob es imagefördernd ist, sich sozialer Verantwortung zu entziehen. Der Bund ist ferner aufgerufen, im Einklang mit europäischen Datenschutzrecht die „Doppeltür“ zur Abfrage und Übermittlung der Daten hier durch ein geändertes TMG weiter aufzustoßen, um den Behörden den Zugriff gegen illegale Wohnnutzungen zu erleichtern.

Künftiger Wohnraumschutz mit europäischem Biss und nationalem Mut

International agierende Internetkonzerne wie Airbnb mit Sitz in Irland müssen notfalls auch durch europäisches Recht mit Transparenz- und Informationspflichten an die legislative Kandare genommen werden. Es braucht vordringlich, wie fast alle europäischen Städte mit jeweils ähnlichen Problemen wegen des Ferientourismus in einem gemeinsamen Papier formulieren, strengere Regulierungen für den digitalen Binnenmarkt, der Vermittlungsplattformen von Ferienwohnungen dazu verpflichtet, erforderliche Daten mit den Stadtverwaltungen auszutauschen. Die Länder sollten bis dahin mutig vorhandene legislative Spielräume ausloten, die Kommunen Personal verstärken und die Kontrollen verdichten. Eine weitere von den Kommunen zu wenig ausgespielte Trumpfkarte ist das Bauplanungsrecht. Wohnungsmangel kann auch über die Bebauungspläne geregelt werden. So lassen neue Bebauungspläne auf einigen ostfriesischen Inseln Ferienwohnungen auch nicht ausnahmsweise zu.

Die Fantasie des Gesetz- und Satzungsgebers sollten allenfalls verfassungsrechtliche Grenzen aufhalten. Diese sind angesichts der nachweisbar prekären Lage auf den städtischen Wohnungsmärkten lokal weit zu stecken. Das BVerfG hob zuletzt in einem Urteil zur Mietpreisbremse die Sozialpflichtigkeit des Eigentums hervor (Beschl. v. 18.07.2019, 1 BvL 1/18 u. a.). Schärfere Maßnahmen gegen die Zweckentfremdung würden der Verdrängung wirtschaftlich weniger leistungsfähiger Bevölkerungsgruppen aus stark nachgefragten Stadtteilen entgegenwirken. Es braucht wirksamere Instrumente bei der Zweckentfremdung, um einer Dominanz der Rollkoffer-Armada in den Innenstädten bei allem Verständnis für die wirtschaftliche Bedeutung des coronagebeutelten Tourismus entgegenzutreten; und stattdessen urbanes Leben sowie klimafreundliches Wohnen und somit Lebensqualität in den Städten zu ermöglichen. Es ist an der Zeit, Wohnungsaufsicht und generell die Entwicklung des Wohnungswesen zu stärken und noch mehr in die tatkräftigen Hände der Kommunen zu legen. Das Virus hat uns schließlich auch mit der Erkenntnis infiziert, dass wir die wild galoppierenden Pferde abseits aussterbender Ponyhöfe zügeln und in gewünschte Richtungen lenken können – wenn wir nur wollen.

 

Franz Dillmann

Leiter des Bürgeramtes Köln-Rodenkirchen
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