10.08.2013

Kita-Anspruch für unter dreijährige Kinder

Brauchen wir eine Zentrale Vergabestelle für Kita-Plätze?

Kita-Anspruch für unter dreijährige Kinder

Brauchen wir eine Zentrale Vergabestelle für Kita-Plätze?

Kita-Platz oder Tagesmutter? Diese Frage stellt sich seit 01.08.2013 für Eltern. | © ioStephy.it - Fotolia
Kita-Platz oder Tagesmutter? Diese Frage stellt sich seit 01.08.2013 für Eltern. | © ioStephy.it - Fotolia

Viel war schon zu lesen zum neuen Rechtsanspruch auf Betreuung für unter dreijährige Kinder. Sechsstellige Zahlen, die angeben, wie viele Kita-Plätze noch fehlen, schauten uns aus Zeitungen an. Klagewellen wurden befürchtet. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) schlug vor, arbeitslos gewordene Schlecker-Mitarbeiterinnen zu Erzieherinnen umzuschulen. Teilnehmer von Protestaktionen machten ihrem Unmut über vermeintlich verschlechterte Qualitätsstandards Luft und zogen in Sternmärschen zu Rathäusern. Wie erleben anspruchsberechtigte Familien die rechtliche Neuerung?

Seit bald zwei Jahrzehnten gibt es den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für Kinder ab drei Jahren bis zum Schuleintritt. Ab dem 1. August 2013 sollen auch Kinder im Alter von 1 bis 3 Jahren gefördert werden. Der bisher einschlägige § 24 Sozialgesetzbuch VIII gilt fortan in textlich neuer Fassung. Ab diesem Stichtag hat jedes Kind, das das erste Lebensjahr vollendet hat, bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege, d. h. das Recht auf einen Betreuungsplatz in einer Kindertageseinrichtung oder in Kindertagespflege.

Frühkindliche Förderung ist Sozialleistung

Der Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege in § 24 Sozialgesetzbuch VIII stellt durch seine Einbettung in die Sozialgesetzbücher eine Sozialleistung dar. Auf Sozialleistungen besteht grundsätzlich ein Rechtsanspruch. Dem Anspruch auf frühkindliche Förderung liegt auch eine verfassungsrechtliche Dimension inne, einmal als Verfassungsauftrag an den Staat, zum anderen als Gewährleistung grundrechtlich geschützter Positionen von Kindern und Eltern. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das elterliche Erziehungsrecht sind hier zu nennen, auch die Gleichstellung von Mann und Frau in der Teilhabe am Arbeitsleben.


Diese Sozialleistung ist überwiegend in den §§ 22 bis 26 Sozialgesetzbuch VIII geregelt. Im Sozialgesetzbuch VIII finden sich weitere einschlägige Vorschriften, in § 5 (Wunsch- und Wahlrecht), in § 36 a (Steuerungsverantwortung, Selbstbeschaffung) sowie in § 43 (Erlaubnis zur Kindertagespflege) und § 45 (Erlaubnis für den Betrieb einer Einrichtung).

Tageseinrichtungen oder Kindertageseinrichtungen sind Einrichtungen, in denen Kinder sich für einen Teil des Tages oder ganztägig aufhalten und in Gruppen gefördert werden. Kindertageseinrichtungen, abgekürzt Kitas, stellen den Oberbegriff dar, zu ihnen gehören Kinderkrippen, Krabbelstuben, Kindergärten, Kindertagesstätten, Kinderhorte. Zwischen den Bundesländern, teils auch innerhalb eines Bundeslandes, variieren die Begriffe. Überwiegend werden Kinderkrippen und Krabbelstuben von Kindern bis zu drei Jahren (U3), Kindergärten von Kindern ab drei Jahren (Ü3) und Kinderhorte von Kindern im Grundschulalter besucht. Kindertagespflege hingegen wird von einer geeigneten Tagespflegeperson in ihrem Haushalt oder im Haushalt des Personensorgeberechtigten geleistet.

Unter Förderung ist Betreuung, Bildung und Erziehung zu verstehen, es geht um die soziale, emotionale, körperliche und geistige Entwicklung des Kindes.

Wie erleben anspruchsberechtigte Familien den sog. Rechtsanspruch U3?

Der Anspruch auf frühkindliche Förderung der unter Dreijährigen ist den Familien längst bekannt, nicht zuletzt aufgrund vieler Berichte in Zeitungen und anderen Medien in den letzten Jahren. Diese haben sicherlich dazu geführt, dass Familien bereits um den Zeitpunkt der Geburt sich um einen Kita-Platz bemühen, sei es, dass sie in Betracht kommende Kitas kontaktieren oder besichtigen oder dort sogar schon ausgefüllte Formulare abgeben. Um den Zeitpunkt der Geburt herum wird unstreitig als rechtzeitiges Bemühen der Eltern aufzufassen sein. Vielerorts wird die Sicht vertreten, ungefähr 6 Monate vor gewünschtem Betreuungsbeginn sei eine Anmeldung erforderlich. Manchmal nimmt es unweigerlich tragisch-komische Züge an, wenn auf ein frühzeitiges Bemühen der Eltern die Kita zunächst nur antworten kann: „Nach der Geburt können Sie dann das Geburtsdatum und den Namen nachreichen.“

Nach Vornahme der Anmeldungen durch Übergabe ausgefüllter Formulare beginnt das Warten auf Antwort, mitunter auch das Bangen und Zittern. Beispielsweise die Landeshauptstadt Stuttgart (Baden-Württemberg) gibt an, „dass Platzzusagen bis zum 1. April von der Einrichtung mitgeteilt werden“. In einer anderen Landeshauptstadt, Wiesbaden (Hessen), hörte eine Familie nach vorgenommenen Anmeldungen von den Einrichtungen überhaupt nichts. Auf telefonische Nachfrage erhielten sie die Bemerkung, „man könne ja nicht 140 Ablehnungen verschicken“.

Fragen, Besichtigungen, Formulare austeilen, Nachfragen, Formulare entgegennehmen, Plätze zuteilen, Absagen erteilen, Bescheide versenden, Wartelisten führen, Betreuungsverträge schließen – alles Aufgaben der einzelnen konkreten Kita. Alles Aufgaben mit keinem pädagogischen Bezug. Hier scheint ein zentrales Problem zu liegen. Auch der Umstand, dass Städte und Gemeinden Listen von Kindertageseinrichtungen oder Online-Suchen bereitstellen und Beratung anbieten, verkleinert das Problem nicht, denn die Anmeldungen gehen an die Kita, von ihnen kommen die Entscheidungen. Pädagogische Mitarbeiter einer Kita sind aber nicht ausgebildet und nicht eingestellt, um Verwaltungsaufgaben zu erledigen. Vielerorts verfügt eine Kita nicht über eine Verwaltungsstruktur, die Organisation der Platzvergabe und vor allem der Versand ablehnender Bescheide können nicht oder nur unter Mühen erledigt werden.

Familien werden auch viele verschiedene Kitas kontaktieren und dort ihre Anmeldungen vornehmen. Es ist anzunehmen, dass Kitas mit Anmeldungen befasst sind, die etwaig nicht ernsthaft gemeint sind, sondern nur dem Gedanken entspringen, zur Sicherheit wurde auch dort ein Anmeldeformular abgegeben.

Rechtsschutzmöglichkeiten

Gegen einen ablehnenden Bescheid ist der Widerspruch möglich und setzt den Rechtsschutz in Gang, in der Folge ist bei weiterer Ablehnung eine Klage in der Hauptsache möglich. Wenn pädagogische Mitarbeiter in Kitas ohne Verwaltungsstruktur Anmeldungen nicht bescheiden, nichts von sich hören lassen, sind die Rechtsschutzmöglichkeiten mangels schriftlichen Bescheids zunächst eingeschränkt. Es bleibt, einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO beim Verwaltungsgericht zu stellen. Eine einstweilige Anordnung ist zu erlassen, ein Obsiegen in der Hauptsache angesichts des bestehenden Rechtsanspruchs sicher, die Eilbedürftigkeit offensichtlich, denn der Anspruch auf frühkindliche Förderung ist zeitgebunden.

Probleme im Anmeldeverfahren und verringerte Rechtsschutzmöglichkeiten sind deutlich geworden. Zeit, auf einen schriftlichen Ablehnungsbescheid der Kita zu warten, bleibt den Familien nicht. Pädagogischen Mitarbeitern einer Kita können Verwaltungsaufgaben nicht zugemutet werden. Städte und Gemeinden tun daher gut daran, ähnlich der ehemaligen Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS), heute Stiftung für Hochschulzulassung (SfH), Abteilungen in ihren Rathäusern zu schaffen, um Kita-Plätze auf Bewerber zu verteilen. Familien melden sich mit ausgefüllten Formularen ungefähr 6 Monate vor Betreuungsbeginn bei der „Kita-Platz-ZVS“ an, die mit Verwaltungsstruktur und ausgebildeten Verwaltungsmitarbeitern ausgestattet in der Lage ist, Platzvergaben vorzunehmen und Bescheide zu verschicken. Pädagogische Mitarbeiter kümmern sich ausschließlich um die sog. Förder-„Trias“, nämlich Betreuung, Bildung und Erziehung.

Die Nichtzurverfügungstellung eines Platzes ist als Nichterfüllung des Rechtsanspruchs zu qualifizieren mit der Folge der Kostenerstattung selbst beschaffter Leistungen (privat organisierter Ersatzplatz). Nachrangigkeit ist ein Grundsatz des Sozialrechts, auch ausdrücklich in § 36a Sozialgesetzbuch VIII geregelt. Der Grundsatz der Nachrangigkeit wird den Familien aber nicht geläufig sein. Es besteht für sie daher die Gefahr, dass sie nach vorgenommenen Anmeldungen von den Kitas nichts hören, sie es als faktische Nichterfüllung auffassen und von ihrer jeweiligen Stadt oder Gemeinde Kostenerstattung für den Ersatzplatz fordern – allerdings vergeblich. Denn Städte und Gemeinden könnten mit der Sicht davonkommen, dass eine Nichtzurverfügungstellung eines Platzes nicht in schriftlicher Form vorliege, Nichterfüllung nicht sicher feststehe (Beweislast), eine Kostenerstattung wegen des Grundsatzes der Nachrangigkeit folglich verneint werden müsse.

 

Sibylle Schwarz

Rechtsanwältin
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