10.08.2013

Akten- oder Produktplan – ein Plädoyer

Produktorientierte Aktenpläne als "Heilmittel"?

Akten- oder Produktplan – ein Plädoyer

Produktorientierte Aktenpläne als "Heilmittel"?

Ist der Produktplan das richtige Ordnungssystem zur Unterstützung der Kommunen? | © Gina Sanders - Fotolia
Ist der Produktplan das richtige Ordnungssystem zur Unterstützung der Kommunen? | © Gina Sanders - Fotolia

Derzeit wird immer wieder die Frage aufgeworfen, ob der Kommunale Aktenplan nicht durch einen völlig neuen ersetzt werden könnte, der auf dem Produktplan aufbaut. Aktuell wird die Frage meist, wenn die Einführung eines Dokumenten­management­systems (DMS) bevorsteht. Dann stellen manche Verwaltungen fest, dass der eingeführte Kommunale Aktenplan (0 bis 9 Aktenplan) bei ihnen keine Anwendung und Pflege mehr findet und wenig Akzeptanz genießt. Da sich diejenigen, die mit dem Kommunalen Aktenplan gut oderzumindest einigermaßen zu Recht kommen, selten positiv äußern, könnte man mitunter auf den ersten Blick meinen, dass alle die fundamentale Kritik am Kommunalen Aktenplan teilen.

Vor allem jene Verwaltungen, die die Ablage ihres Schriftguts in früheren Zeiten vernachlässigt haben, erscheint die Hinwendung zu einem neuen System der Schriftgutablage als nahe liegendes Heilmittel. In ihren Augen schimmert ein produktorientierter Aktenplan besonders verlockend, weil er sich dasjenige Ziffernsystem zunutze machen würde, das die Verwaltungen derzeit mit großer Mühe für den Haushaltsplan einführen. Sie weisen auf Synergieeffekte hin.

Würde der Ersatz des bestehenden kommunalen Aktenplans durch einen produktorientierten Aktenplan die Probleme in der Schriftgutverwaltung tatsächlich lösen? Das ist eher unwahrscheinlich, es gibt gute Gründe, von einem solchen Lösungsansatz abzuraten.


Produktorientierter Aktenplan als Lösung?

Sicherlich, prinzipiell wäre ein produktorientierter Aktenplan machbar. Ein Aktenplan ist stets ein kunstvoll geschaffenes Ordnungssystem für Schriftgut, das einen gewissen Abstraktionsgrad hat. Wer sagt denn, welcher Art die Abstraktion sein muss? An dieser Stelle setzen mitunter Glaubenskriege ein, die unnötig sind. Viel sinnvoller ist es, den Ansatz zu einem produktorientierten Aktenplan mit dem Kommunalen Aktenplan zu vergleichen, zunächst strukturell, dann hinsichtlich des Erstellungs- und Umstellungsaufwands. Manches ist schlichte Mathematik, anderes betriebswirtschaftlich kalkulierbar, mitunter muss auch einfach ein Fragezeichen unterstrichen werden.

Externe Orientierung des Produktplans

In der aktuellen Diskussion sind Aktenplanalternativen, die auf dem 2006 landesweit eingeführten baden-württembergischen Produktplan aufbauen. Zweck des Produktplans ist, „dass die Leistungen der Verwaltung unter den Gesichtspunkten Mengen, Kosten, Zeit und Qualität betrachtet und über Ergebnisse des Verwaltungshandelns gesteuert werden können“. Ein wesentliches Instrument zur Erreichung des Ziels soll der angestrebte interkommunale Vergleich sein, ein Wettbewerb unter den Kommunen, der einen Prozess des „Voneinander-Lernens“ in Gang setzen sollte. Der Produktplan dient gleichzeitig in hohem Maße Zwecken der Finanzstatistik, was in Baden-Württemberg schon hinsichtlich der Verwaltungssteuerung „einige schmerzhafte Kompromisse“, so das Vorwort des Produktplans, erforderlich machte. Zusätzlich engten Anforderungen der IT-Technik den Spielraum bei der Gestaltung des Produktplans ein.

Allen genannten Zwecken dient der Produktplan dadurch, dass er standardisierte Kennziffern für eine vergleichende Betrachtung des Verwaltungshandelns erhebt. Weil viele Verwaltungen die ihnen übertragenen Aufgaben mit sehr unterschiedlichen Personen, Standards und Methoden erledigen, sind sie auf der Tätigkeitsebene nur schwer miteinander vergleichbar. Deshalb wurde als Beobachtungs- und Vergleichsstandard beim Produktplan das gewählt, was beim Verwaltungshandeln herauskommt. Unabhängig davon, wie eine Verwaltung beispielsweise eine Kraftfahrzeugzulassung durchführt, egal ob sie davon große Teile elektronisch, mit einem oder mehreren Sachbearbeitern erledigt, am Schluss hält der Antragsteller doch immer einen Bescheid über Zulassung oder Nichtzulassung in der Hand. Auf diesem Phänomen baut die Systematik des Produktplans auf.
Er stellt also die Ergebnisse des behördlichen Handelns in den Mittelpunkt, die externen Ausprägungen des Verwaltungshandelns. Das Denken hinter dem Produktplan lässt sich ein Stück weit mit dem vom Front-Office beim Unternehmensmanagement vergleichen. Die Ergebnisse des Verwaltungshandelns sind vor allem jene Produkte, die die Kunden im Front Office nachfragen können.

Das Back-Office hingegen, das sich mit allen Vorgängen, die für die Erstellung des Produkts erforderlich sind, befasst, bleibt im Schatten. Aufgrund der externen Produktorientierung spielen zunächst alle internen Vorgänge, die zur Erstellung des Produktes führen und die für die Tätigkeit der Behörde an sich erforderlich sind, eine untergeordnete Rolle.

Die Orientierung des Produktplans auf externe Produkte führt zu seiner relativen thematischen Schwäche hinsichtlich mancher Tätigkeiten des Verwaltungshandelns. Für interne Vorgänge, die Kosten produzieren und nicht einzelnen Produkten zugeordnet werden können, hat der bundeseinheitliche Produktrahmenplan als Behelf einen eigenen Produktbereich „11 Innere Verwaltung“ eingefügt. Dieses Hilfskonstrukt umfasst Steuerungs-, Steuerungsunterstützungs- und Serviceleistungen. Daneben bildet dieser Produktbereich noch weitere Leistungen ab, die nicht einmal „klassische“ interne Produkte darstellen, etwa die Aufgaben der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, die Kommunalaufsicht, das Abgabenwesen und Aufgaben des Grundstückverkehrs und der Grundstückverwaltung. Kann dieses Konglomerat mit allen Themen aus den Bereichen des kommunalen Verfassungsrechts, des Verwaltungsaufbaus, der Verwaltungsorganisation oder der Beziehungen zu staatlichen Organen oder übergreifenden Fachfragen zu- rechtkommen? Sicherlich lassen sich die Produktpläne bei der Weiterentwicklung zu Aktenplänen um Stellen ergänzen, denen diese Aufgaben zugeordnet werden können. Hilfskonstrukte laufen jedoch stets große Gefahr, zu Systembrüchen und strukturellen Mängeln zu führen.

Interne Orientierung des Aktenplans

Der Aktenplan hat eine andere Grundorientierung als der Produktplan. Er wird aus den Aufgaben einer Behörde entwickelt und orientiert sich an den internen Verwaltungsvorgängen, unabhängig davon, ob diese eher einem „Front-office“-Bereich oder einem „Back-office“-Bereich zuzuordnen wären. Er hat damit aber auch den „Back-office“-Bereich im Blick, in dem die Mehrzahl der Verwaltungsvorgänge, bei denen Schriftgut anfällt, stattfinden. Damit zielt er sehr stark auf die Art und Weise, in der eine Kommunalbehörde ihre Aufgaben wahrnimmt, unabhängig davon, ob Bürger die Ergebnisse nachfragen. Da das Schriftgut in einer Verwaltung bei allen Vorgängen im Back-Office-Bereich ebenso wie derjenigen im Front-Office-Bereich entsteht, kann es leichter mit Hilfe eines Aktenplans organisiert werden, der beide Bereiche im Blick hat als einem, der sein Hauptaugenmerk auf den Front-Office-Bereich legt.

Auch Verwaltungsgerichte müssen in aller Regel der Frage nachgehen, wie eine Verwaltungsentscheidung zu Stande kam. Deshalb wird bei ihrer Entscheidungsfindung der Back-Office-Bereich eine große Rolle spielen und muss sorgfältig dokumentiert werden.

Hierarchisch flach oder stark

Neben ihrer Orientierung unterscheiden sich der Produktplan und der Kommunale Aktenplan auch grundsätzlich durch ihre hierarchische Struktur.

Wie im bundesweiten Rahmenplan vorgesehen, werden auch im Produktplan Baden-Württemberg die sechsziffrigen Produkte zu vierziffrigen Produktgruppen zusammengefasst, diese wiederum in zweiziffrige Produktbereiche. Wechsel zwischen den Hierarchiestufen werden durch Punkte (jeweils nach 2 Ziffern) gekennzeichnet. Der Produktplan benötigt somit sechs Ziffern und zwei Punkte zur Kennzeichnung von 3 Hierarchiestufen. Die Produktbereiche stellen im Ergebnis ein relativ flaches hierarchisches System dar, das – bei voller Nutzung – aus bis zu 100 (0 bis 99) gleichwertigen Produktbereichen bestehen kann. Derzeit sind deutlich weniger als die verfügbaren Stellen durch entsprechende Produkte, Produktgruppen oder Produktbereiche belegt.

Der kommunale Aktenplan und der KGSt-Aktenplan stellen hingegen prinzipiell bis zu sechs Hierarchiestufen zur Verfügung, die durch jeweils eine Ziffer gekennzeichnet sind. In jeder Gliederungsebene stehen hier maximal zehn gleichwertige Positionen (0 bis 9) zur Verfügung. Der Kommunale Aktenplan und der KGSt-Aktenplan sind somit deutlich stärker hierarchisiert als der Produktplan.

Diese stärkere Hierarchisierung verschafft dem kommunalen Aktenplan eine deutlich größere Übersichtlichkeit und Merkfähigkeit als dem Produktplan. Dieser Vorteil lässt sich berechnen. Um circa eine Million Ablagestellen (oder Aktenstellen) zur Verfügung zu stellen, benötigt der Produktplan drei Hierarchiestufen mit jeweils zwei Ziffern, das führt zu den gewünschten 100 hoch drei Ablagestellen. Um das System herzustellen, werden auf jeder der drei Hierarchieebenen jeweils 100 Schalter benötigt, im Gesamtsystem also 300 Schalter. Der Kommunale Aktenplan benötigt auf sechs Hierarchieebenen jeweils 10 Ziffern je Ebene, um dieselbe Zahl von Ablagestellen, nämlich zehn hoch sechs, zur Verfügung zu stellen. Der Kommunale Aktenplan verwendet auf sechs Hierarchiestufen jeweils 10 Schalter, insgesamt lediglich 60 Schalter zur Etablierung seines Systems. Das verschafft ihm eine deutlich größere Übersichtlichkeit.

In der Praxis führt die unterschiedliche Struktur dazu, dass der Produktplan sechs Gliederungsziffern benötigt, wo der Aktenplan häufig noch mit drei oder vier Gliederungsziffern auskommt.

Anpassungsbedarf eines produktorientierten Aktenplans

Der oben angestellte Vergleich ist insofern banal, als der Produktplan eben kein Aktenplan ist. Er wurde nicht zur Ablage von Schriftgut entwickelt. Prinzipiell wäre es allerdings durchaus möglich, den Produktplan zu einem Aktenplan weiterzuentwickeln. Man muss sich allerdings klar-
machen, dass zwischen dem Produktplan und einem zu entwickelnden produktorientierten Aktenplan ein ähnlicher Unterschied wie zwischen dem kameralistischen Haushaltsplan und dem klassischen Kommunalen Aktenplan besteht.

Während der Produktplan seine Gliederung – aufgrund seiner Zielsetzung – noch auf der Ebene der Produkte und damit in einem relativ groben Bereich beendet, folgen im Kommunalen Aktenplan noch zwei bis drei weitere bereits ausentwickelte Hierarchiestufen, die es erlauben, Akten viel systematischer einzuordnen. Um Ähnliches mit dem Produktplan tun zu können, muss dieser erst durch Einführung weiterer Gliederungsebenen – mit entsprechenden Nummernbereichen – zu einem Schriftgutablagesystem ausgebaut werden. Das könnte zu vielstelligen, in untersuchten Praxisbeispielen bis zu 10-stelligen und 12-stelligen Aktenplanzeichen führen, die relativ unübersichtlich sind. Für die Entwicklung des Produktplans zu einem Aktenplan ist in jedem Fall Zeit und Personal aufzuwenden. Strukturell dauerhaft von Nachteil und die Akzeptanz gefährdend blieben das erforderliche Ziffernsystem mit seinem Mehr an Schaltern und die thematische Inkonsistenz.

Um einen landeseinheitlichen produktorientierten Aktenplan zu erstellen, müsste zudem ein Abstimmungsprozess zwischen Entwicklern, kommunalen Spitzenverbänden und deren Facharbeitskreisen durchgeführt werden, wie er beim Kommunalen Aktenplan bereits erfolgt ist. An die Erarbeitung eines produktorientierten Aktenplans schlösse sich sodann eine jahrzehntelange intensive Optimierungsphase an, so wie sie auch der Einführung des Kommunalen Aktenplans nachging.

Hoher Umstellungsaufwand

Gesondert abzuschätzen bleibt der Aufwand für die tatsächliche Einführung eines produktorientierten Aktenplans in den Verwaltungen. Wollen die Kommunen und Landkreise an einem einheitlichen Aktenplan in Baden-Württemberg festhalten, dann müssten auch bestehende funktionierende Schriftgutverwaltungen auf den produktorientierten Aktenplan umstellen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus über 1000 Kommunen und Landkreisen in Baden-Württemberg müssten zunächst geschult werden. Danach erst könnten sie ihre Akten umformieren, umsignieren, gegebenenfalls deren Standorte ändern. Vor der Entscheidung für ein Projekt zur Einführung eines produktorientierten Aktenplans sollte dieser Aufwand unbedingt vorher landesweit ermittelt werden.

Variabilität des Aktenplans

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass den Kommunen und Landkreisen große Gestaltungsspielräume bei der Anpassung des Produktplans eingeräumt sind. Diese gehen deutlich über die Gestaltungsspielräume hinaus, die das hierarchische System des Kommunalen Aktenplans bei der Ablage von Schriftgut eigentlich lässt. Dass es in der Praxis durch Falschinterpretation des Aktenplans zu Fehlentwicklungen gekommen sein mag, widerspricht dieser Feststellung nicht. Ein produktorientierter Aktenplan liefe deshalb von vorneherein ein hohes Risiko, landesweit deutlich uneinheitlicher umgesetzt zu werden, als der Kommunale Aktenplan. Verheerend wird es vollends, wenn sich zwei Aktenplansysteme nebeneinanderher entwickelten, einerseits der neue produktorientierte für alle, die bisher den Aktenplan vernachlässigt haben, andererseits der fortgeführte Kommunale Aktenplan, den wohl die meisten beibehalten würden, die bisher gut mit ihm gefahren sind. Damit wäre die bisher doch einigermaßen gewährleistete Landeseinheitlichkeit des Kommunalen Aktenplans massiv gefährdet.

Garantiert hoher Aufwand bei ungewissem Ausgang

Insgesamt wäre ein vielköpfiges Projektteam unter Einbeziehung weiterer Fachleute längere Zeit mit der Erarbeitung eines produktorientierten Aktenplans beschäftigt, die Einführung in Kommunen und Landkreisen würde enorme Ressourcen binden. Das Ergebnis dieser Arbeit würde aufgrund der strukturellen Gegebenheiten jedoch eine hohe Gefahr bergen, unbefriedigender und ungeeigneter zu sein, als der bestehende Kommunale Aktenplan. Ob ein solcher neuer, produktorientierter Aktenplan größere Akzeptanz finden würde als der eingeführte Kommunale Aktenplan, erscheint sehr fraglich. Jedenfalls rechtfertigt eine Akzeptanzprognose nach dem Prinzip Hoffnung den Aufwand nicht. Statt der aufwändigen Entwicklung neuartiger produktorientierter Aktenpläne sollten deshalb die Anstrengungen auf eine Verbesserung und Überarbeitung des im Grunde genommen bewährten und über Jahrzehnte entwickelten Kommunalen Aktenplans zielen. Eine solche Erarbeitung bereiten der Landkreistag und der Gemeindetag Baden-Württemberg mit dem Verlag Richard Boorberg derzeit vor.

Hinweis der Redaktion: Der Beitrag wird in der nächsten Ausgabe mit einem Artikel zur Bedeutung des Aktenplans für das Management elektronischer Akten fortgesetzt.

 

Prof. Dr. Wolfgang Sannwald

Projektleiter des Kommunalen Aktenplans 21 Baden-Württemberg
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