10.08.2013

Die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung

Mehr Plätze im Verhandlungssaal oder Videoübertragung erforderlich?

Die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung

Mehr Plätze im Verhandlungssaal oder Videoübertragung erforderlich?

Das Verhältnis (Straf-)Justiz – Medien ist nicht immer einfach. | © Corgarashu - Fotolia
Das Verhältnis (Straf-)Justiz – Medien ist nicht immer einfach. | © Corgarashu - Fotolia

Der NSU-Prozess in München ist inzwischen in der Normalität angekommen. Vorbei, aber nicht vergessen, sind die Wochen vor Beginn des Prozesses, als in der Öffentlichkeit und vor allem in den Medien unablässig die Frage diskutiert wurde, ob und wie eine zutreffende Öffentlichkeit für das Strafverfahren hergestellt werden könnte, und ob die Kriterien, nach denen die Plätze für Pressevertreter vergeben worden waren, nicht besser durch andere ersetzt werden könnten.

Weiterhin wurde oft die Frage gestellt, ob es nicht andere Auswege aus der damals gegebenen „reichlich verfahrenen Situation“ geben könnte.

Auch wenn die nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. 04. 2013 (BverfG, Beschl. 12. 04. 2013, 1 BvR 990/13 u. a.) gewählte neue Vergabepraxis für Presseplätze unter ausdrücklicher Berücksichtigung ausländischer Pressemedien ebenfalls in die Kritik geriet, ist inzwischen eine Beruhigung der Diskussionen eingetreten und jedenfalls im Ergebnis die Berichterstattung über den Prozess durch die anwesenden Pressevertreter gesichert.


In dieser nun beruhigten Situation soll noch einmal die Rechtslage dargelegt werden, anhand derer Strafprozesse stattfinden, und zugleich die Frage geklärt werden, wie der Grundsatz der Öffentlichkeit eingehalten und zugleich das Recht der Medien auf Berichterstattung gewahrt werden kann.

Grundsatz der Öffentlichkeit

Die Hauptverhandlung im Strafprozess ist das Kernstück des Strafverfahrens. Gemäß § 169 GVG müssen die Verhandlung vor dem Gericht und gemäß § 173 GVG die Verkündung des Urteils grundsätzlich öffentlich sein. Nur ausnahmsweise und bei Vorliegen bestimmter Ausnahmevoraussetzungen kann die Öffentlichkeit während Teilen der Hauptverhandlung ausgeschlossen werden (§§ 171 a, 171 b, 172 GVG).

Der Grundsatz der Öffentlichkeit verlangt, dass die Hauptverhandlung in einem Raum stattfindet, in dem ausreichend Zuhörer Platz finden können. Dabei ist es jedoch nicht erforderlich, dass je nach Andrang der größte vorhandene Verhandlungssaal benutzt wird oder gar in öffentliche Versammlungsräume oder Hallen ausgewichen werden muss. In diesem Zusammenhang ist nämlich auch zu berücksichtigen, dass Fragen der Sicherheit einer Hauptverhandlung und insbesondere von Prozessbeteiligten genauso zu berücksichtigen sind wie Gründe der Prozessökonomie und der Beschleunigung eines Verfahrens, insbesondere wenn es sich um ein Strafverfahren handelt, bei dem Angeklagte sich in Untersuchungshaft befinden.

Diese Überlegungen zugrunde gelegt, kann auch ein Verhandlungssaal mit 100 Sitzplätzen ohne weiteres ausreichend sein, zumal immer bedacht werden muss, dass gerade bei längeren Hauptverhandlungen die Zahl der interessierten Zuhörer vielfach schon nach wenigen Verhandlungstagen abnimmt und die zur Verfügung stehende Zahl an Sitzplätzen dann meist mehr als ausreichend ist.

Keinesfalls ist es erforderlich, für ein bestimmtes Verfahren einen eigenen großen Verhandlungssaal zu bauen, wie dies im Wesentlichen aus Sicherheitsgründen für die RAF-Prozesse in den siebziger Jahren in Stuttgart-Stammheim erfolgte.

Diese möglichen Beschränkungen gelten nicht für Betroffene oder Opfer von Straftaten bzw. bestimmte Angehörige, sofern diese unter den Voraussetzungen des § 395 StPO zum Anschluss als Nebenkläger am Strafverfahren berechtigt sind (insbesondere bei bestimmten Sexualdelikten, Tötungs- und Körperverletzungstaten) und damit an der Hauptverhandlung teilnehmen können, worauf sie dann auch Anspruch auf einen Platz im Verhandlungssaal haben.

Grundrechtsschutz der Pressevertreter

Die vorgenannten Grundsätze gelten dem Grunde nach auch für die Zulassung von Pressevertretern zu einer Hauptverhandlung. Für die Berichterstattung der Presse ist jedoch zusätzlich der freie Zugang zur Information – und damit die Grundrechtsbetätigung – eines Pressevertreters zu berücksichtigen.

Die Frage der Zulassung und die Art und Weise einer Akkreditierung von Pressevertretern ist gesetzlich nicht geregelt. Die Entscheidung über die Zugänglichkeit zu Gerichtsverhandlungen, die Reservierung einer bestimmten Anzahl von Plätzen für Medienberichterstatter und auch die Verteilung knapper Sitzplätze an diese ist gemäß der Unabhängigkeit der Gerichte zunächst der Prozessleitung des Vorsitzenden in dem jeweiligen Gerichtsverfahren zugewiesen (BVerfGE, Beschl. v. 12. 04. 2013 – 1 BvR 990/13). Insoweit hat dieser einen weiten Entscheidungsspielraum, welcher nur einer eingeschränkten verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt. Die Vergabegrundsätze müssen jedoch in Berücksichtigung des grundsätzlichen Anspruchs der Presse auf Zugang für eine freie Berichterstattung sachlich ausgestaltet sein und dem subjektiven Recht der Medienvertreter auf gleiche Teilhabe an den Berichterstattungsmöglichkeiten Rechnung tragen (vgl. BVerfGE 80, 124, 133 f.). Danach ist zwar grundsätzlich auch eine Vergabe im sogenannten „Windhundprinzip“ (nur die ersten erhalten die vorhandenen Plätze) zulässig; allerdings bedarf auch dieses Prinzip einer Ausgestaltung, die die Chancengleichheit realitätsnah gewährleistet und auch die tatsächliche Situation der vorhersehbar Interessierten hinreichend berücksichtigt.

Dies gilt insbesondere dann, wenn, wie im NSU-Verfahren, zahlreiche Opfer einer bestimmten Bevölkerungsgruppe ausländischer Herkunft angehören und damit gerade Medienvertreter dieses Landes ein besonderes Interesse an einer vollumfänglich eigenständigen Berichterstattung über diesen Prozess geltend machen können. Gegebenenfalls muss diesen Medienvertretern dann ein kleiner Teil der übrigen Sitzplätze im Verhandlungssaal zugewiesen werden, auch wenn  dadurch ein Nachteil für die allgemeine Öffentlichkeit eintritt, weil infolge des erforderlichen Zusatzkontingents einige wenige Plätze der ansonsten öffentlichen Plätze den genannten Medienvertretern zur Verfügung gestellt werden – jedenfalls solange nach wie vor ein angemessener Teil der im Sitzungssaal verfügbaren Plätze dem allgemeinen Publikum vorbehalten bleibt.

Ton- und Filmaufnahmen prinzipiell verboten

Soweit im NSU-Verfahren konkret angeregt wurde und dies teilweise auch in anderem Zusammenhang diskutiert wird, Videoübertragungen aus der Hauptverhandlung zuzulassen, ist festzustellen, dass hierauf weder ein Anspruch besteht, noch das Gerichtsverfassungsgesetz überhaupt diese Möglichkeit vorsieht. Im Gegenteil sind gemäß § 169 Satz 2 GVG Ton- und Filmaufnahmen einer laufenden Hauptverhandlung grundsätzlich verboten. Filmaufnahmen sind nur vor und nach der Verhandlung oder in den Verhandlungspausen, im Übrigen nur außerhalb des Sitzungssaals erlaubt.

Dies gilt allerdings nicht für Aufnahmen, welche vom Gericht selbst veranlasst sind und der Dokumentation von Aussagen und der Verhandlung dienen; erlaubt sind auch Videoaufnahmen der Vernehmung eines Zeugen, welcher sich hierbei in einem anderen Raum aufhält, und dann die Aussage gemäß § 247 a StPO in Bild und Ton zeitgleich in den Sitzungssaal übertragen wird.

Die Möglichkeit, per Video die gesamte Hauptverhandlung in einen anderen Raum zu übertragen, um dort weiteren Zuhörern oder Pressevertretern die Gelegenheit zu geben, die Hauptverhandlung auf diese Weise „live“ mitzuverfolgen, ist vom Gesetz nicht vorgesehen und lässt sich auch aus der von Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG gewährleisteten Pressefreiheit und dem Recht auf freie Berichterstattung nicht herleiten (BVerfG, Beschl. v. 11. 11. 1992 – 1 BvQ 19/92).

Im Übrigen stehen einem solchen Verfahren erhebliche Nachteile gegenüber, auch wenn auf diese Weise relativ einfach die Zahl der Zuhörer vergrößert werden könnte. Insbesondere kann letztlich nicht sichergestellt werden, dass gerade angesichts der heute nahezu allgegenwärtigen Aufnahmemöglichkeiten durch Smartphones, Tablets oder PCs sowie durch Miniaturaufnahmegeräte unter Zuhilfenahme der Videoübertragung keine unerlaubte Aufnahmen von der Gerichtsverhandlung gefertigt und verbreitet werden.

Fazit und Ausblick

Es bleibt festzuhalten, dass es keinen Anspruch der Öffentlichkeit oder Presse gibt, dass ein Gericht den Hauptverhandlungssaal allein danach bestimmt, ob viele oder wenige Zuschauer zu erwarten sind. Dies gilt nicht für Betroffene oder Opfer von Straftaten, welche als Nebenkläger am Strafverfahren teilnehmen können und damit auch Anspruch auf einen Platz im Verhandlungssaal haben.

Bei Pressevertretern muss das Verfahren einer Platzvergabe nach gleichen Grundsätzen erfolgen. In besonderen Fällen, insbesondere bei Tatopfern einer bestimmten Nationalität, ist jedoch zu gewährleisten, dass zumindest einige Medienvertreter aus diesem Land Presseplätze erhalten können.

 

Dr. Jürgen Graf

Richter am Bundesgerichtshof, 1. Strafsenat, Karlsruhe
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