10.08.2013

Ende des Preiskampfes in Schul- und Kitaverpflegung?

Vergaberechtliche Möglichkeiten zur Berücksichtigung von Qualitätsstandards bei der Ausschreibung

Ende des Preiskampfes in Schul- und Kitaverpflegung?

Vergaberechtliche Möglichkeiten zur Berücksichtigung von Qualitätsstandards bei der Ausschreibung

Kita- und Schulessen: Qualität beginnt bei der Ausschreibung. | © Yantra - Fotolia
Kita- und Schulessen: Qualität beginnt bei der Ausschreibung. | © Yantra - Fotolia

Chinesische Erdbeeren und Dumpingpreise

Im Herbst 2012 erkrankten Tausende ostdeutscher Schüler und Kita-Kinder an Brechdurchfall. Auslöser für die Epidemie waren mit Noroviren verseuchte tiefgefrorene Erdbeeren aus China. Der Vorfall löste eine heftige Diskussion um die Qualität von Kantinenessen in Schulen und Kitas bei Eltern und Politikern aus. Im März dieses Jahres startete die Berliner Schulsenatorin eine Initiative unter dem Titel „Das Mittagessen in den Berliner Grundschulen soll besser werden“.

Der Senat will ein Gesetz auf den Weg bringen, das die Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) als verbindliche Mindestanforderung eines einheitlichen berlinweit gültigen Ausschreibungsverfahrens festlegt.

Ab dem 01. 02. 2014 soll ein Schulessen mindestens 3,25 € kosten. Bisher waren Preise von lediglich 2,00 € pro Mittagsmahlzeit in Berlin üblich. Dabei sind sich Experten einig, dass dieser Preis viel zu niedrig ist, um alle Qualitätsanforderungen an eine ausgewogene und gesunde Verpflegung der Kinder zu erfüllen.


Diese Entwicklung wirft eine Reihe vergaberechtlicher Fragen auf. Wie können Qualitätsanforderungen bei der Ausschreibung von Schulverpflegung angemessen berücksichtigt werden? Bisher war meist der Preis das einzige Zuschlagskriterium. Ist die Vorgabe eines Mindestpreises vergaberechtlich zulässig? Dieser Beitrag beantwortet diese Fragen und zeigt Wege für die rechtssichere Ausgestaltung von Ausschreibungen auf, die die vielfach politisch gewünschten Qualitätsverbesserungen berücksichtigen.

Erste Weichenstellung: Dienstleistungsauftrag oder Dienstleistungskonzession

Die Entscheidung über die Auswahl eines Essenslieferanten für Schulen und städtische Kinderbetreuungseinrichtungen treffen die Kommunen. Als klassische öffentliche Auftraggeber sind sie bei Überschreitung des maßgeblichen Schwellenwertes von 200.000 € grundsätzlich zur europaweiten Ausschreibung dieses Dienstleistungsauftrags im Offenen Verfahren verpflichtet. Mancherorts wird die Schul- und Kitaverpflegung jedoch nicht im Wege eines Dienstleistungsauftrags, sondern in Gestalt einer Dienstleistungskonzession vergeben. Der Unterschied zwischen den beiden Modellen liegt darin, dass der Anbieter beim Konzessionsmodell seine Vergütung nicht von der Stadt, sondern direkt von den Eltern bekommt und das wirtschaftliche Risiko seiner Leistungserbringung selbst trägt. Für die Annahme dieses Betriebsrisikos ist es ausreichend, wenn die Eltern die Essensbeiträge aufgrund individueller privatrechtlicher Verträge direkt an den Anbieter zahlen und die Kommune dem Anbieter weder eine Mindestabnahmemenge noch Portionszahlen garantiert (VK Sachsen, Beschl. v. 13. 08. 2009, 1 SVK 034-09; bestätigt durch OLG Dresden, Beschl. v. 08. 10. 2009, WVerg 5/09).

Dieses Modell der Organisation von Kantinenverpflegung wird auch häufig in städtischen Krankenhäusern gewählt. Für Dienstleistungskonzessionen gilt das GWB-Vergaberecht nicht. Das hat zur Folge, dass der vergaberechtliche Rechtsschutz nach §§ 102 ff des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) keine Anwendung findet und keine Verpflichtung zur Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens besteht.

Allerdings ist die Kommune auch bei der Vergabe der Schulverpflegung in Gestalt einer Dienstleistungskonzession nicht völlig frei: Für Dienstleistungskonzessionsverträge mit eindeutig grenzüberschreitendem Interesse gelten die Grundregeln des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), insbesondere das Gebot der Transparenz und das Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit (vgl. EuGH, Urteil vom 10. 03. 2011, Rs. C-274/09, „Rettungsdienst Stadler“). Aus der Bindung an die Grundsätze des AEUV resultiert nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH eine Pflicht zur europaweiten Ausschreibung und zur Durchführung eines transparenten und diskriminierungsfreien Verfahrens.

Berücksichtigung von Qualitätsanforderungen in den Vergabeunterlagen

Bei der Durchführung der Ausschreibung steht die Kommune vor der Frage, welche Zuschlagskriterien sie für die Auswahl des wirtschaftlich günstigsten Angebots zu Grunde legen will. Bisher war häufig der Preis das alleinige Zuschlagskriterium, so dass sich stets der günstigste Anbieter durchsetzte, der jedoch nicht unbedingt die beste Qualität lieferte. Eltern und Kommunalpolitiker fordern daher, künftig bei Ausschreibungen die Qualität der Versorgung sowie ein Speisenangebot aus regionalen und saisonalen Produkten verstärkt zu berücksichtigen. Solche Qualitätsanforderungen können durch eine sinnvolle Gestaltung der Vergabeunterlagen vergaberechtskonform umgesetzt werden. Taugliche Unterkriterien für die Qualitätswertung werden im Folgenden dargestellt:

  1. Einhaltung der DGE-Qualitätsstandards für Schul- und Kitaverpflegung als Mindestanforderung

    Die DGE hat in Zusammenarbeit mit den Bundesländern Qualitätsstandards für die Schulverpflegung und für die Verpflegung von Kindern in Tageseinrichtungen entwickelt. Die Standards enthalten Kriterien zur optimalen Lebensmittelauswahl, der Häufigkeit der Verwendung sowie der Speisenplanung und -herstellung bis hin zum nährstoffoptimierten Verpflegungsangebot. Sie sind damit ein hilfreiches Instrument zur Sicherung der Qualität bei der Essensversorgung. Die in den Qualitätsstandards vorgegebenen Rahmenbedingungen können als Mindestanforderung in den Vergabeunterlagen festgelegt werden.

  2. Berücksichtigung regionaler Versorger durch Vorgabe einer maximalen Warmhaltezeit

    Der häufig geäußerte Wunsch nach einer Versorgung durch kleine, bevorzugt regionale Anbieter ist vergaberechtlich nicht ganz einfach umzusetzen. Bekanntlich darf kein potentieller Bieter aufgrund seiner Ortsansässigkeit bevorzugt werden. Insofern wäre ein Zuschlagskriterium „Ortsnähe des Leistungserbringers“ in jedem Fall unzulässig. Hinter dem Anliegen, möglichst einen Anbieter aus der Region zu beauftragen, steht der Gedanke, dass in zentralen Großküchen großer Cateringunternehmen gekochtes Essen häufig über große Entfernungen transportiert und daher zu lange warmgehalten werden muss. Bei den Kindern kommen dann Mahlzeiten an, die verkocht sind und weniger Nährstoffe enthalten. Sinnvoll ist es daher, als Mindestanforderung in den Vergabeunterlagen festzulegen, dass eine bestimmte Warmhaltezeit von der Fertigstellung der Mahlzeiten bis zur Auslieferung, z. B. 60 Minuten, nicht überschritten werden darf. Ausweislich der DGE-Qualitätsstandards für die Schul- und Kitaverpflegung ist die Warmhaltezeit so kurz wie möglich zu halten; sie darf maximal 3 Stunden von der Beendigung des Garprozesses bis zur Ausgabe der Speisen betragen. Insofern handelt es sich bei der Vorgabe einer bestimmten Warmhaltezeit erwiesenermaßen um ein sachgerechtes, durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigtes Kriterium. Indem die Vergabestelle den Bietern verbindlich vorgibt, dass sie eine bestimmte Warmhaltezeit nicht überschreiten dürfen, verschafft sie faktisch regionalen Anbietern mit eigenen Küchen vor Ort und mit kurzen Transportwegen zu den zu versorgenden Einrichtungen – auf vergaberechtlich unbedenkliche Weise – den gewünschten Wettbewerbsvorteil.

  3. Anteil von Zutaten aus kontrolliert ökologischem Anbau

    Die Herkunft und Qualität der vom Anbieter verwendeten Zutaten bestimmt naturgemäß ganz wesentlich die Qualität und den gesundheitlichen Wert der fertigen Mahlzeiten. Insofern stellt sich die Frage, wie bestimmte Anforderungen der Vergabestelle an die Qualität der Ausgangsprodukte effektiv umgesetzt werden können. Gewünscht wird häufig die bevorzugte Verwendung von regionalen Produkten. Es dürfte allerdings kaum möglich sein, eine präzise und abschließende Definition von Zutaten aus regionalem Anbau zu bilden. Wie weit darf der geographische Umkreis sein, aus dem die Produkte stammen? Wie ist mit dem Regionalitätskriterium in Bezug auf Fleischprodukte umzugehen? Stammt Schweinefleisch aus der Region, wenn zwar der Schweinemäster im Umkreis sitzt, die Schweine jedoch als Ferkel von einem weit entfernten Züchter gekauft wurden? Zuschlagskriterien müssen stets transparent und diskriminierungsfrei sein. Es bietet sich daher an, als Kriterium für die Herkunft der Produkte die im Markt und bei Verbrauchern anerkannte Eigenschaft der Zutaten aus kontrolliert ökologischem Anbau gem. EU Bio-Siegel oder Siegeln mit vergleichbarem Standard (z. B. Demeter oder Bioland) zu wählen. Beispielsweise könnte den Bietern die Mindestvorgabe gemacht werden, dass der Anteil der Bio-Zutaten bei der Herstellung ihrer Mahlzeiten mindestens 10 Prozent des geldwerten Anteils gemessen am Wareneinsatz eines Monats betragen muss. Positiv bewertet werden können zudem verbindlich angebotene Überschreitungen des 10 Prozent-Mindestanteils.

  4. Abfrage eines konkreten Versorgungskonzepts

    Zur umfassenden Beurteilung der Qualität und der Organisation des künftigen Versorgers bei der Herstellung der Mahlzeiten und Belieferung der Einrichtungen bietet es sich an, bei den Bietern die Abgabe eines auftragsbezogenen Versorgungskonzeptes abzufragen. Das Versorgungskonzept sollte Angaben enthalten zur Art und Weise der Herstellung der Speisen, Aussagen über Produktverwendung und -verarbeitung, über die Bezugsquellen der Produkte, über Ort und Zeit der Speisenzubereitung, Lieferzeiten zu einzelnen Leistungsorten, Art und Weise der Essensausgabe vor Ort, Angaben zum eingesetzten Personal, zum Gesundheits- und Hygienekonzept etc.

Durchführung eines Probeessens

Neben den genannten Gesichtspunkten Warmhaltezeit, Bio-Anteil und Versorgungskonzept verbleibt die Frage, wie die Qualität der Speisen im Hinblick auf Geschmack, Geruch, Aussehen und Konsistenz im Rahmen der Ausschreibung vergaberechtskonform beurteilt werden kann. Schließlich soll das Essen des zukünftigen Versorgers den Kindern ja auch gut schmecken, es sollte gut riechen und ansprechend aussehen. Hierfür bietet sich die Durchführung eines Probeessens an. Die Bieter, deren Angebote aufgrund einer vorläufigen Auswertung für den Zuschlag in Betracht kommen, werden zu diesem Probeessen eingeladen. Da nur eine begrenzte Anzahl von Bietern am Probeessen teilnimmt, hält sich der Aufwand bei der Vergabestelle in Grenzen.

Die „Jury“ sollte sinnvollerweise ausgewogen besetzt und unvoreingenommen sein. Sie könnte z. B. aus Vertretern der zu versorgenden Einrichtungen, Schulkindern und Elternvertretern bestehen. Zur fachmännischen Beurteilung von Geschmack, Geruch, Aussehen und Konsistenz der Speisen könnte zudem ein ausgebildeter Koch Mitglied der Jury sein. Die Durchführung eines Probeessens durch eine Jury, bestehend aus Schülern, Eltern und Vertretern der Einrichtungen, wurde in der Nachprüfungspraxis bereits als vergaberechtlich zulässiges Verfahren zur Beurteilung des Zuschlagskriteriums „Qualität“ beurteilt (VK Berlin, Beschluss vom 28. 08. 2009, VK-B 1-25/09).

Die Durchführung eines Probeessens kann auch zur Erhöhung der Akzeptanz der Vergabeentscheidung in den zuständigen politischen Gremien sowie bei Eltern und Schülern führen. Um sachfremde Erwägungen der Jurymitglieder bei ihrer sensorischen Prüfung des Essens von vornherein auszuschließen, empfiehlt es sich, das Probeessen als sog. Blindverkostung durchzuführen. Es sollte für die Jury nicht erkennbar sein, welche „Testmahlzeit“ von welchem Bieter stammt. Ein solches Verfahren stellt sicher, dass die Jurymitglieder die Person des Bieters bei ihrer Prüfung des Essens außer Acht lassen. Eine etwaige Auslese über die Person des Bieters bei einer Qualitätsüberprüfung der zu liefernden Mahlzeiten wäre vergaberechtswidrig (VK Berlin, Beschluss vom 28. 08. 2009, VK-B 1-25/09).

Vereinbarung von Kontrollrechten

Um sicherzustellen, dass die Qualitätsanforderungen im Hinblick auf Warmhaltezeit und Bio-Anteil der Speisen in der täglichen Praxis der Essensversorgung auch tatsächlich eingehalten werden, sollte die Kommune mit dem Versorger im Dienstleistungsvertrag entsprechende Kontrollrechte vereinbaren. Der Auftraggeber sollte sich das Recht einräumen lassen, die Räume, in denen die Mahlzeiten hergestellt werden, nach kurzfristiger Ankündigung zu besuchen, um dort Stichproben durchzuführen.

Ist die Vorgabe eines Mindestpreises vergaberechtskonform?

Die Initiative der Berliner Schulsenatorin sieht vor, dass bei Ausschreibungen künftig ein Mindestpreis von 3,25 € pro Mittagessen gilt. Es ist allerdings zweifelhaft, ob eine solche Vorgabe vergaberechtlich zulässig wäre. Das OLG Düsseldorf (Beschluss vom 22. 12. 2010, VII-Verg 33/10) geht davon aus, dass in einer Ausschreibung grundsätzlich keine Anforderungen an die Preishöhe gestellt werden dürfen. Die Kalkulationsfreiheit der Bieter müsse grundsätzlich erhalten bleiben. Der Auftraggeber könne daher für die Leistungen keine Mindestpreise festsetzen. Insofern bleibt abzuwarten, wie das geplante Berliner Ausschreibungsmodell in der Vergabepraxis aufgenommen wird. Vorzugswürdig ist aus unserer Sicht gegenüber der Vorgabe eines Mindestpreises die transparente Integration von Qualitätsanforderungen in den Vergabeunterlagen in der dargelegten Weise. So kann eine rechtssichere Vergabe von Schul- und Kitaverpflegung und ein besseres Mittagessen für die Kinder gewährleistet werden.

 

Anna Burmeister

Rechtsanwältin, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Hannover
 

Dr. Henning Holz

LL.M., Rechtsanwalt, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Hannover
n/a