15.12.2016

Justitia und Kopftuchverbot

VG Augsburg gibt muslimischer Rechtsreferendarin Recht

Justitia und Kopftuchverbot

VG Augsburg gibt muslimischer Rechtsreferendarin Recht

Kopftuchverbot im juristischen Vorbereitungsdienst: ein Fall für den Gesetzgeber? | © Glaser - Fotolia
Kopftuchverbot im juristischen Vorbereitungsdienst: ein Fall für den Gesetzgeber? | © Glaser - Fotolia

Für ein großes Echo in Kreisen der Justiz sowie der Politik sorgte ein Urteil des Augsburger Verwaltungsgerichts vom 30. 06. 2016 – Az. Au 2 K 15.457. Eine muslimische Rechtsreferendarin wandte sich in diesem Verfahren gegen das im Bescheid über die Zulassung zum juristischen Vorbereitungsdienst verfügte Verbot, bei Ausübung hoheitlicher Tätigkeiten mit Außenwirkung ein Kopftuch zu tragen. Das Verwaltungsgericht gab der Klage statt.

Klage einer muslimischen Rechtsreferendarin

Die Klägerin, die die pakistanische und die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, leistete nach Ablegung des Ersten juristischen Staatsexamens in einem öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis im Oberlandesgerichtsbezirk München ihren juristischen Vorbereitungsdienst ab. Im Zulassungsbescheid wurde sie mit der Auflage zugelassen, dass bei der Ausübung hoheitlicher Tätigkeiten mit Außenwirkung (z. B. Wahrnehmung des staatsanwaltschaftlichen Sitzungsdienstes, Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen in Zivilverfahren) keine Kleidungsstücke, Symbole oder andere Merkmale getragen werden dürfen, die objektiv geeignet sind, das Vertrauen in die religiös-weltanschauliche Neutralität der Dienstausübung einzuschränken.

Die Klägerin durfte daraufhin im Rahmen ihrer Ausbildung im Gegensatz zu ihren Mitreferendaren keine Verhandlungen leiten und nicht am Richtertisch Platz nehmen. Hiergegen demonstrierte sie zunächst gegenüber ihrer Ausbildungsrichterin und erhob schließlich Widerspruch gegen die Auflage, der vom Präsidenten des Oberlandesgerichts zurückgewiesen wurde. Gegen den Widerspruchsbescheid erhob die Klägerin Anfechtungsklage zum Verwaltungsgericht Augsburg. Nachdem die Auflage nach Ende des Ausbildungsabschnittes bei der Justiz nicht mehr erforderlich war und daher vom Präsidenten des Oberlandesgerichts aufgehoben wurde, wurde die Klage in eine Fortsetzungsfeststellungsklage umgedeutet mit dem Ziel festzustellen, dass die Auflage rechtswidrig war und die Klägerin in ihren Rechten verletzt hat.


Das Verwaltungsgericht hatte hinsichtlich der Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage keine Bedenken. Ein besonderes Feststellungsinteresse wurde bereits deshalb bejaht, weil die begehrte Feststellung der Rechtswidrigkeit der Auflage präjudiziell für die Geltendmachung eines Amtshaftungsanspruchs durch die Klägerin sei. Diese hat nämlich parallel vor dem Landgericht einen Amtshaftungsanspruch gerichtet auf Schadensersatz wegen Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Höhe von zweitausend Euro geltend gemacht.

Schutzbereich der Religionsfreiheit betroffen

Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts gibt es für die Beifügung der streitgegenständlichen Auflage keine Befugnisnorm. So sei unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für behördliche Eingriffe in Form von Verboten oder ähnlichen Maßnahmen, die in den Schutzbereich eines Grundrechts fallen, dadurch die Reichweite des Grundrechts beschränken und damit „wesentlich” sind in dem Sinne, dass sie die Grundlagen der sozialen Gemeinschaft betreffen, ein Parlamentsgesetz durch den förmlichen Gesetzgeber erforderlich (BVerfG, Urteil vom 24. 09. 2003 – 2 BvR 1436/02). Vorliegend sei der Schutzbereich der Religionsfreiheit betroffen. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG bzw. Art. 107 Abs. 1, 2 und 4 BV enthielten ein umfassend zu verstehendes Grundrecht, das die Freiheit des Glaubens und das Recht auf freie Religionsausübung garantiere. Es erstrecke sich nicht nur auf die innere Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben („forum internum”), sondern auch auf die äußere Freiheit, den Glauben zu bekunden und zu verbreiten („forum externum”). Nach diesem Verständnis des Grundrechts der Religionsfreiheit sei dessen Schutzbereich hier eröffnet, weil das Tragen eines muslimischen Kopftuch („Hidschab”), durch das Haare und Hals nachvollziehbar aus religiösen Gründen bedeckt würden, als Teil der Religionsausübung nach außen in den Bereich des sogenannten „forum externum” falle. Auf das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG könne sich die Klägerin auch als Rechtsreferendarin in einem öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis berufen. Da die streitgegenständliche Auflage der Klägerin ein Verhalten, das in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, erheblich erschwere oder unmöglich mache, liege ein Eingriff in das Grundrecht vor.

Fehlende gesetzliche Grundlage

Aus diesem Grund sieht das Verwaltungsgericht zur Rechtfertigung der streitgegenständlichen Auflage ein formelles Parlamentsgesetz als erforderlich an. Der Gesetzgeber sei verpflichtet, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen, insbesondere dann, wenn – wie hier – konkurrierende Grundrechte wie die Religions- und Ausbildungsfreiheit einerseits und das im Rahmen der Justiz besonders wichtige Neutralitätsgebot aufeinandertreffen. Eine solche Rechtsgrundlage, die es erlaubt, einer muslimischen Rechtsreferendarin bei der Ausübung hoheitlicher Tätigkeiten mit Außenwirkung im juristischen Vorbereitungsdienst das Tragen eines Kopftuchs zu verbieten, finde sich jedoch weder im Bundes- noch im (bayerischen) Landesrecht. Die Auflage sei daher rechtswidrig.

Berufungsentscheidung des BayVGH steht noch aus

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Da der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zukommt, hat das Verwaltungsgericht Augsburg in seinem Urteil die Berufung zugelassen. Der bayerische Justizminister kündigte auch direkt im Anschluss an die Verkündung des Urteils an, dass der Freistaat Bayern gegen das Urteil Berufung einlegen werde. Eine unabhängige und neutrale Justiz gehöre zu den Grundpfeilern unseres freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates. Jeder Verfahrensbeteiligte in einem Gerichtssaal müsse auf die Unabhängigkeit, die Neutralität und erkennbare Distanz der Richter und Staatsanwälte vertrauen können. Dieses Vertrauen – so der Minister – dürfe schon durch das äußere Erscheinungsbild nicht erschüttert werden. Für Rechtsreferendare dürfe nichts anderes gelten, wenn sie in hoheitlicher Funktion richterliche oder staatsanwaltschaftliche Aufgaben wahrnehmen. Wann der Bayerische Verwaltungsgerichtshof über die inzwischen eingelegte Berufung entscheiden wird, steht noch nicht fest.

Handeln des Gesetzgebers erforderlich

Der Bund Deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen (BDVR) sprach sich in einer Stellungnahme grundsätzlich ebenfalls für ein Verbot von Kopftüchern für Richterinnen aus. Richterinnen mit Kopftuch könnten aus Sicht des BDVR das Vertrauen in die Unparteilichkeit der Justiz erschüttern. Dies gelte besonders in Fällen, in denen die Prozessparteien andere religiöse Überzeugungen als den Islam haben. Eine ausgleichende Lösung zu finden sei Aufgabe des Gesetzgebers. Ähnlich äußerte sich auch der deutsche Richterbund. In einigen Bundesländern, so z. B. in Baden-Württemberg, wird auch bereits über den Erlass einer entsprechenden gesetzlichen Regelung diskutiert.

Selbstverständlich bei einer entsprechenden gesetzlichen Neuregelung dürfte sein, dass sich ein Verbot im Lichte des Gleichheitsgrundsatzes nicht nur auf das Kopftuch, sondern auf alle vergleichbaren religiösen Kleidungsstücke oder Symbole, d. h. z. B. auch christlicher oder jüdischer Art, beziehen müsste.

Ein weiterer Fall für das Bundesverfassungsgericht?

Fraglich wird weiter sein, ob ein pauschales Verbot durch Gesetz angeordnet werden darf. Für Lehrerinnen hat das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluss aus dem Jahr 2015 klargestellt, dass ein Schulgesetz kein pauschales Kopftuchverbot aufstellen dürfe. Das Tragen von Kopftüchern durch Lehrerinnen sei als Ausdruck ihrer Religionsfreiheit in einer pluralistischen Gesellschaft legitim. Ein Verbot des Kopftuchs an der Schule sei erst dann gerechtfertigt, wenn sonst der Schulfrieden gefährdet sei. Das Schulgesetz aus Nordrhein-Westfalen sowie die Schulgesetze anderer Bundesländer, die fast wortgleich formuliert waren, seien insoweit verfassungswidrig.

Ob diese Grundsätze in gleicher Weise für die Justiz gelten, erscheint zweifelhaft. Die Schüler werden grundsätzlich täglich von mehreren Lehrern unterrichtet, der Lehrkörper repräsentiert grundsätzlich die Breite der Gesellschaft. Dies war auch für das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss von 2015 ein wesentliches Argument. Für den Bürger vor Gericht stellt sich die Situation aber anders dar. Dieser steht grundsätzlich dem einen bzw. „seinem” Richter gegenüber, der für die Entscheidung seines Falles zuständig ist. Der Bürger verlässt sich insoweit auf die Neutralität des Richters, die nach außen durch die schwarze Richterrobe symbolisiert wird. Für den Bürger wird hierdurch nach außen wahrnehmbar dokumentiert, dass Urteile auf Recht und Gesetz beruhen und unabhängig von Religion, Politik und Weltanschauung zustande kommen. Ob sich das Tragen des Kopftuchs durch eine Richterin hiermit verträgt, erscheint zumindest zweifelhaft.

Es bleibt abzuwarten, ob bzw. welche gesetzlichen Regelungen in den einzelnen Bundesländern verabschiedet werden und inwieweit diese dann einer voraussichtlich anschließenden Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht standhalten werden.

 

Axel Weisbach

Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Arbeitsrecht, Meidert & Kollegen Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Augsburg/München
n/a