09.03.2020

Jürgen Louis: „Es geht in der öffentlichen Verwaltung nicht um Freundschaften“

PUBLICUS–Interview

Jürgen Louis: „Es geht in der öffentlichen Verwaltung nicht um Freundschaften“

PUBLICUS–Interview

Prof. Dr. Dr. Jürgen Louis, M.A.
Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl, Leiter der Regionalgruppe Baden-Württemberg von Transparency International Deutschland e.V.
 | ©  privat
Prof. Dr. Dr. Jürgen Louis, M.A. Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl, Leiter der Regionalgruppe Baden-Württemberg von Transparency International Deutschland e.V.  | © privat

Deutschland belegt im Korruptionswahrnehmungsindex CPI in Westeuropa nur einen Mittelfeldplatz. Welche Rolle Korruption in der öffentlichen Verwaltung spielt, darüber sprachen wir mit Prof. Dr. Dr. Jürgen Louis (Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl), Leiter der Regionalgruppe Baden-Württemberg von Transparency International Deutschland e.V.

PUBLICUS: Herr Professor Louis, was sind für Sie die prägenden Merkmale von Korruption – und welche davon sind in Kommunen und Behörden anzutreffen?

Louis: Nach einer allgemein anerkannten Definition, die auch von Transparency International verwendet wird, versteht man unter Korruption den Missbrauch anvertrauter Macht zum privaten Nutzen oder Vorteil. Kennzeichnend für Korruptionshandlungen ist es, dass sich Gemein- und Eigenwohlinteressen diametral gegenüberstehen.


Herkömmlich werden die Formen der situativen, strukturellen und systemischen Korruption unterschieden. Die situative Korruption bezeichnet kleinere Korruptionshandlungen, die aus einer Situation heraus bei Gelegenheit begangen werden, z.B. bei einer behördlichen Kontrolle wird dem kontrollierenden Beamten Geld angeboten, damit dieser nicht so genau hinsieht.

Bei der strukturellen Korruption gehen die Täter dagegen gezielt vor. Ihre Bestechungshandlungen sind regelmäßig auf Wiederholung angelegt. Betroffen sind häufig der Beschaffungsbereich, die Leistungsverwaltung sowie Verwaltungsbereiche, in denen wie z.B. im Ausländerrecht bei Aufenthaltsgenehmigungen oder Einbürgerungen über weitreichende Statusänderungen bei Antragstellern entschieden wird. Bei der systemischen Korruption schließlich handelt es sich um groß angelegte, zumeist international organisierte Wirtschaftskriminalität, wie wir sie aus der Abfallwirtschaft kennen.

„Korruption durch Unwissenheit“

In der öffentlichen Verwaltung tritt als weitere Form die Korruption durch Unwissenheit hinzu, bei der sich der Beamte oder der Angestellte des öffentlichen Dienstes nicht bewusst ist, dass sein Verhalten verboten ist und einen Straftatbestand erfüllt.

Ein Klassiker sind hierbei Schulfotoaktionen. Dabei macht ein Fotograf der Schulleitung das Angebot, dass die Schule für die Erteilung eines Auftrags zum Fotografieren der Schulkinder  eine Geldspende von mehreren hundert Euro oder eine Sachspende wie z.B. ein Notebook erhält. Die Schulleitung nimmt das Angebot an, da die Spende vermeintlich der Einrichtung und damit allen Kindern zugute kommt.

Tatsächlich wird diese Spende jedoch von den Eltern durch überhöhte Fotopreise bezahlt. Auswahl und Beauftragung des Fotografen verstoßen regelmäßig gegen dienst- und arbeitsrechtliche Verbote ebenso wie gegen haushaltswirtschaftliche und vergaberechtliche Bestimmungen. Ein Fall von sogenannter Alltagskorruption. Strafrechtlich sprechen wir über Bestechlichkeit.

PUBLICUS: Wie sieht aus Ihrer Sicht sinnvolle Prävention für kleine und mittelgroße Gemeinden konkret aus – wodurch kann das Risiko eingedämmt werden?

Louis: Korruptionsprävention wie auch die Bekämpfung von Korruption ist zunächst einmal ein Thema für den Bürgermeister, in größeren Kommunen auch für die Dezernenten und Fachbereichsleiter („tone at the top“). Das gesetzeskonforme Verhalten der Vorgesetzten ist in der Verwaltungspraxis der Maßstab für das Verhalten der weiteren Bediensteten. Korruptionsprävention beginnt schon bei der richtigen Personalauswahl und setzt sich über die regelmäßige Schulung der Mitarbeiter, die tatsächliche Ausübung der Dienstaufsicht und den Erlass entsprechender Verhaltensrichtlinien und Dienstanweisungen fort.

PUBLICUS: Was raten Sie solchen Gemeinden, die sich sinnvolle Präventionsmaßnahmen nicht leisten können?

Louis: Richtig ist, dass einige der herkömmlichen Präventionsmaßnahmen wie das Vier-Augen-Prinzip, das Rotationsprinzip der Mitarbeiter, die Bestellung eines Antikorruptionsbeauftragten innerhalb der Verwaltung oder einer externen Ombudsperson bzw. eines Vertrauensanwalts für kleinere Verwaltungen zumeist aus tatsächlichen oder wirtschaftlichen Gründen nicht geeignet sind.

„Erlass von Richtlinien, wie mit Geschenken umzugehen ist, gehört zum Mindeststandard“

Für die regelmäßige Sensibilisierung der Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes braucht es jedoch weder große Personalressourcen noch viel Geld. Schulungsmaßnahmen können auch über E-Learning-Module angeboten werden. Auch der Erlass klarer Richtlinien und Dienstanweisungen, wie mit Geschenken umzugehen ist, gehört zum Mindeststandard.

Auch sollten Kommunen nichtbeamtete Personen, die für sie tätig sind, auf die gewissenhafte Erfüllung ihrer Obliegenheiten förmlich verpflichten. Dadurch werden beispielsweise Architekten und Fachplaner, die für eine Behörde Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen, strafrechtlich wie ein Amtsträger behandelt. Der Anwendungsbereich der einschlägigen Korruptionsdelikte wie Vorteilsannahme und Bestechlichkeit wird so auf diesen Personenkreis ausgedehnt.

PUBLICUS: Nach einer unzulässigen Spendenannahme sehen sich gelegentlich auch Bürgermeister mit dem Besuch des Staatsanwalts konfrontiert. Ist ein angemessenes Bewusstsein von Amtsträgern per se zu erwarten – oder bedarf es vielmehr der besseren Aufklärung über die Strafbarkeitsrisiken im Amt?

Louis: Genau Letzteres möchte unser Handbuch zur Korruptionsprävention leisten: Nicht nur Bürgermeistern, sondern allen Mitarbeitern der öffentlichen Verwaltungen soll aufgezeigt werden, wie schnell die Schwelle zu einer strafbaren Korruptionshandlung überschritten sein kann. Die Kommentierung der einschlägigen strafrechtlichen Vorschriften durch Martin Paul Waßmer von der Universität Köln gibt einen guten praktischen Überblick über die Reichweite des Korruptionsstrafrechts.

Hinzu kommt: Die öffentliche Verwaltung lebt vom Vertrauen der Bürger in eine korruptionsfreie Verwaltung. Es gilt jedweden bösen Anschein von Anfang an zu vermeiden, dass Verwaltungshandeln durch Geschenke oder Vergünstigungen beeinflusst werden kann. Dies erreicht man am Besten durch ein generelles Verbot der Annahme von Bargeld sowie von Sachgeschenken und anderen privaten Vorteilen, kurz „zero tolerance“.

Dass dieses Bewusstsein selbst bei Regierungsmitgliedern im Alltag schon einmal verloren gehen kann, zeigt die Berichterstattung der letzten Wochen über eine Einladung des baden-württembergischen Sozialministers zu zwei Abendessen durch einen Unternehmer, der sich zu diesem Zeitpunkt um Fördermittel im Zuständigkeitsbereich des Sozialministeriums bemühte.

Hier hilft nur die ständige Sensibilisierung der Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes.

PUBLICUS: Auch die Annahme kleinerer Geschenke birgt hierzulande Risiken für Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes. Sie sprachen von „zero tolerance“: Sollte nicht einfach die Null-Euro-Grenze eingeführt werden, mit der Folge, dass auch kleine Geschenke zurückzuweisen sind?

Louis: Ja, dies wäre absolut wünschenswert. Es ist eine Frage der Fürsorgepflicht des Dienstherrn, die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes durch klare und eindeutige Regelungen davor zu schützen, sich durch die Annahme von Geschenken aus Unwissenheit strafbar zu machen.

Viele Kommunen arbeiten in diesem Zusammenhang mit Wertgrenzen, nach denen die Annahme von Sachgeschenken bis zu einem bestimmten Betrag – häufig 15, 20 bis hin zu 40 Euro im Einzelfall – als allgemein genehmigt gilt.

„Festsetzung von Wertgrenzen ist realitätsfremd“

Die Festsetzung von bestimmten Wertgrenzen erweist sich jedoch als realitätsfremd. Wie soll ein Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes den Wert beispielsweise eines Päckchens Kaffee auf den ersten Blick erkennen können? Gegebenenfalls handelt es sich um einen der heutzutage verbreiteten Spezialitätenkaffees, der die willkürlich gesetzte Wertgrenze des Dienstherrn für die Annahme von Geschenken überschreitet, ohne dass der Verwaltungsmitarbeiter dies erkennt. Auch sagt eine Wertgrenze nichts darüber aus, wie oft ich von ein und derselben Person Geschenke annehmen darf: einmal wöchentlich, monatlich oder jährlich? Das Risiko, sich einer Vorteilsannahme schuldig zu machen, geht also mit dem Bediensteten heim.

Erweist sich die vorgenommene Diensthandlung bei einer späteren Überprüfung sogar als pflichtwidrig, war die Geschenkannahme sowieso nicht genehmigungsfähig und wir reden über Bestechlichkeit. Ein striktes Annahmeverbot von Geschenken und anderen privaten Vorteilen würde auch das Vertrauen der Bürger in die Arbeit der öffentlichen Verwaltung insgesamt stärken.

PUBLICUS: Oder sind wir Deutschen bei den kleinen Gaben, die die Freundschaft erhalten, nicht einfach zu streng?

Louis: Nein, ganz im Gegenteil. Wir Deutschen denken häufig, unser Land sei eine Insel der Seligen, wenn es um das Thema Korruption geht. Schauen wir jedoch auf den jährlich erscheinenden Korruptionswahrnehmungsindex CPI, belegt Deutschland unter den westeuropäischen Staaten nur Plätze im Mittelfeld. Die Liste der Länder mit wenig wahrgenommener Korruption wird regelmäßig von den skandinavischen Ländern angeführt.

Es geht in der öffentlichen Verwaltung nicht um Freundschaften. Der öffentliche Dienst ist für alle Bürger in gleicher Weise da. Der Bürger hat die Leistungen der öffentlichen Verwaltung bereits mit seinen Steuern bezahlt oder aber das Verwaltungshandeln wird durch Gebühren und Beiträge abgerechnet. Freundlichkeit und angenehme Umgangsformen der Bediensteten gibt es im Verständnis der öffentlichen Verwaltung als Dienstleister für die Bürger gratis dazu. Dafür braucht es keine milde Gaben für die Verwaltungsmitarbeiter, weder kleine noch große Geschenke.

PUBLICUS: Da die Digitalisierung der Verwaltungsverfahren eine immer größere Rolle spielt: Wird sich diese Entwicklung positiv auf die Korruptionsprävention in den Gemeinden auswirken?

Louis: Die Digitalisierung wird zu mehr Transparenz von Verwaltungsentscheidungen führen können. Hierzu müssen jedoch in den meisten Bundesländern wie auch auf Bundesebene erst noch die gesetzlichen Grundlagen geschaffen werden. An die Stelle der bestehenden Informationsfreiheitsgesetze sollten Transparenzgesetze treten, die die öffentlichen Verwaltungen verpflichten, von sich aus amtliche Informationen auf einem Transparenzportal öffentlich zugänglich zu machen.

PUBLICUS: Wagen wir einen Ausblick: Handelt es sich bei der Korruption um ein wachsendes oder ein schrumpfendes Problem für die Kommunen?

Louis: Weder noch. Die in der Polizeilichen Kriminalstatistik erfassten Straftaten, also diejenigen Straftaten, die der Polizei innerhalb eines Jahres bekannt geworden sind und zur weiteren Verfolgung an die Staatsanwaltschaften abgegeben wurden, liegen für den Bereich der Vorteilsannahme und Bestechlichkeit seit Jahren unter tausend Fällen jährlich. Allerdings ist das jeweilige Dunkelfeld sehr groß. Zudem werden Korruptionssachverhalte den Strafverfolgungsbehörden häufig nicht angezeigt, da Behördenleitungen vermeiden möchten, dass öffentlich werdende Korruptionsfälle das Ansehen der Behörde belasten. Dem könnten Antikorruptionsgesetze auf Bundes- und Länderebene mit der Verpflichtung entgegenwirken, dass Korruptionssachverhalte stets angezeigt werden müssen.

 

Marcus Preu

Ltg. Lektorat und Redaktion, Rechtsanwalt
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