10.11.2016

Integration: Angekommen in deiner Stadt

Best Practice: Kommune, Land und Stiftung gemeinsam für Flüchtlinge

Integration: Angekommen in deiner Stadt

Best Practice: Kommune, Land und Stiftung gemeinsam für Flüchtlinge

Individuelle Förderung im Bereich der schulischen und beruflichen Bildung entscheidend für Integration. | © imaginando - Fotolia
Individuelle Förderung im Bereich der schulischen und beruflichen Bildung entscheidend für Integration. | © imaginando - Fotolia

Bildung, Begleitung und Betreuung für junge Geflüchtete – diese Herausforderung verlangt eine Vielzahl engagierter gesellschaftlicher Kräfte.

Das Flüchtlingsprogramm „angekommen in deiner Stadt” zeigt, wie es der Walter Blüchert Stiftung als Akteur der Zivilgesellschaft gelungen ist, in Nordrhein-Westfalen das Land – konkret das Ministerium für Schule und Weiterbildung – und kommunale Verwaltungen zusammenzubringen, Energien zu bündeln, Ressourcen zu entdecken und neue Netzwerke aufzubauen. Mitte 2014 begannen die Gespräche. Im Februar 2015 – noch vor dem großen Flüchtlingsansturm – wurde die erste Kooperationsvereinbarung für junge Flüchtlinge und Zugewanderte mit der Stadt Dortmund unterzeichnet.

Vorbild SchlaU-Schule

Die Walter Blüchert Stiftung setzt sich für Menschen ein, deren Teilhabe an der Gesellschaft schwierig bis aussichtlos erscheint. Sie hilft ihnen, ihre Potenziale zu entwickeln, sodass sie persönliche und gesellschaftliche Barrieren überwinden können.


Als Förderer der Münchener SchlaU-Schule, die schulanalogen Unterricht für Flüchtlinge anbietet, erkannte der Vorstand die Vorzüge dieses integrativen Angebotes und entwickelte es weiter – insbesondere unter Nutzung bestehender Schulkapazitäten. Das neue Konzept: maßgeschneiderte Bildung und Betreuung für junge Geflüchtete.

Gemeinsam erarbeiteten Stiftung, NRW-Schulministerium und der Fachbereich Schule der Stadt Dortmund ein Programm, bei dem es darum ging, ein zusätzliches passgenaues Bildungs- und Integrationsangebot in bestehende Strukturen einzubinden – speziell für Jugendliche der Internationalen Förderklassen an den Berufskollegs: „angekommen in deiner Stadt” (vgl. www.an-ge-kommen.de).

Drei Akteure bündeln Ressourcen

Die Walter Blüchert Stiftung brachte Erfahrungen im Bereich Bildung für minderjährige Flüchtlinge ein und stellte der Kommune über drei Jahre einen Förderbetrag von jährlich 200.000 Euro zur Verfügung.

Das Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes NRW genehmigte für den Zeitraum eine volle Lehrerstelle für das Projekt. Diese Lehrkraft ist zuständig für die Betreuung, Beratung, Berufsorientierung und pädagogische Begleitung der jungen Geflüchteten und für die pädagogische Leitung des Projektes. Als Schulaufsicht und übergeordnete Behörde der kommunalen Schulämter nahm – und nimmt – das NRW-Schulministerium eine wichtige Rolle bei der Kooperation ein, da neue Konzepte ohne Zustimmung des Ministeriums nicht realisierbar sind.

An der Umsetzung in Dortmund arbeiten alle Berufskollegs, das Projektteam und die Mitarbeiter des Fachbereichs Schule gemeinsam. Ein Beirat begleitet und steuert die Projektentwicklung.

Die Säulen des Programms

Die meisten jungen Flüchtlinge sind sehr motiviert, wollen lernen, arbeiten und ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten. Oft fehlen ihnen jedoch Grundvoraussetzungen, um sich in ihrer neuen Heimat zurecht zu finden. Die Kernfrage war also: Wie kann die Integration junge Geflüchteter und Zugewanderter möglichst frühzeitig gelingen?

Das definierte Ziel: Etablierung eines regionalen, zielgruppenspezifischen, kompetenzorientierten und ganzheitlichen Bildungsangebots für geflüchtete und zugewanderte junge Menschen zwischen 16 und 25 Jahren in Dortmund und darüber hinaus ein geschützter Raum, in dem die Jugendlichen Sicherheit erfahren und sich zu Hause fühlen können.

Das Programm „angekommen in deiner Stadt” basiert daher auf einem zwei-Säulen-Modell. Die erste Säule besteht aus der Beschulung in derzeit zehn Berufskollegs mit flexiblen Klassen. Die zweite Säule sieht die Betreuung und Begleitung der Jugendlichen in einem außerschulischen Lern- und Begegnungsort vor. In Dortmund werden Räume einer ehemaligen Hauptschule samt Küche genutzt: Adam´s Corner heißt der Treffpunkt.

Beispiel Dortmund: Lernen auch in den Ferien

Die Vielfalt der Bildungsbiografien der jungen Flüchtlinge erfordert ein hohes Maß an individueller Förderung. Dies gelingt in Dortmund mit vereinten Kräften der Lehrer, Schulsozialarbeiter und umfangreicher externer Unterstützung – z. B. durch den Einsatz von Teach-First-Fellows und die Technische Universität (TU) Dortmund, die Schnupperkurse anbietet, sowie das Dortmunder Modell: Hier fördern Lehramtsstudierende Gruppen von vier bis sechs Schülern mit „Deutsch als Zweitsprache” an Dortmunder Schulen aller Schulformen als schulfachbezogenen Förderunterricht (keine „Nachhilfe in Deutsch”), didaktisch vorbereitet und begleitet von der TU.

In Adam’s Corner treffen die „angekommen”-Schüler Gleichaltrige mit ähnlichen Erfahrungen, Ängsten und Hoffnungen – und auch deutsche Jugendliche. Die Sozialpädagogen sind als feste Ansprechpartner wichtige emotionale Stützen.

Das Team von Adam´s Corner entwickelt Angebote, aus denen die Berufskollegs Fördermaßnahmen auch im Vormittagsbereich auswählen können. Dabei stehen sowohl Zusatzkurse für Deutsch und Mathematik als auch Soziales Kompetenztraining, Sport, Ernährung, naturwissenschaftliche und handwerkliche Inhalte auf dem Plan. Auch Alltägliches wie der Umgang mit Behörden sind Themen, die das Team zielgruppenorientiert aufbereitet.

Freizeitangebote werden u. a. vom BVB-Lernzentrum des Fan-Projekts Dortmund e.V. und zahlreichen Vereinen gestaltet – mit Koch- und Schwimmkursen, Fußballtraining etc. Für die meisten jungen Geflüchteten war es wichtig, möglichst viel zu lernen – auch außerhalb der Schulzeit. Zu den ersten Angeboten in Adam´s Corner gehörte daher Unterricht in den Ferien. Derzeit – September 2016 – können ca. 1000 zugewanderte Jugendliche in 50 Klassen vom Programm „angekommen in deiner Stadt Dortmund” profitieren.

Auch in Bielefeld, Münster und Recklinghausen

Dass das Dortmunder Modellprojekt für Kommunen erfolgversprechend ist, belegen die Folgeprojekte: Das Programm „angekommen in deiner Stadt” wird seit September 2016 mit der Walter Blüchert Stiftung, dem NRW-Schulministerium und den kommunalen Partnern auch in Münster, Bielefeld und im Kreis Recklinghausen realisiert. Gemeinsam ist allen „angekommen”-Projekten das Zwei-Säulen-Konzept. Im Detail erfolgt die Umsetzung ganz unterschiedlich. Während in Dortmund, Bielefeld und im Kreis Recklinghausen Jugendliche im Alter von 16 bis 25 Jahren in das Programm aufgenommen werden, bezieht die Stadt Münster nur die 16- bis 21-jährigen Geflüchteten ein.

In Münster können umgestaltete Räume des Jugendausbildungszentrums JAZ für das „angekommen”-Programm genutzt werden. Das Amt für Schule und Weiterbildung unterstützt mit den „MitSprache”-Kursen die Jugendlichen beim Spracherwerb. Und der Hochschulsport fördert mit einem Paten-Angebot in weit über 100 Sportarten das Kennenlernen und den persönlichen Austausch mit den Studierenden der Westfälischen Wilhelms-Universität.

In Bielefeld ist das Berufskolleg der Vereins BAJ mit der Durchführung der Nachmittagsangebote beauftragt. Seine Räumlichkeiten mitten in der Innenstadt dienen als zentrale Begegnungsstätte mit Gruppen- und Beratungsräume, Werkstätten etc. Auch die Regionale Personalentwicklungsgesellschaft (REGE) ist eingebunden. Ergänzend zum Schulunterricht erhalten die Jugendlichen nachmittags sowie in Ferienzeiten Angebote wie begleitetes Selbstlernen, Alltagshilfen und Kurse zur Persönlichkeitsentwicklung – auch im kulturellen und sportlichen Bereich.

Der Kreis Recklinghausen bezieht das Kommunale Integrationszentrum sowie das kommunalen Jobcenter ein und bietet zum Auftakt drei Begegnungszentren an: in Recklinghausen, Datteln und Gladbeck, später sollen ggf. Castrop-Rauxel und Marl folgen. Das Emscher-Lippe Netzwerk (ELNeT) unterstützt das angekommen-Projekt, organisiert z. B. Sprachförderung durch Integrationslotsen und Praktika.

Beispielhafte Bildungschancen

Alle Projektpartner sind überzeugt: Die systematische Verzahnung von Schule und außerschulischen Angeboten hilft den Jugendlichen, in Deutschland anzukommen. Für Projekt-Initiator Prof. Dr. Gunter Thielen, Vorstandsvorsitzender der Walter Blüchert Stiftung, steht fest, dass individuelle Begleitung auf dem Weg ins deutsche Schul- und Ausbildungssystem den entscheidenden Beitrag zur Integration leistet und nicht nur den jungen Menschen, sondern letztlich der Gesellschaft insgesamt zugutekommt. Das unterstreicht auch NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann: „Uns eint das Ziel, dass die jungen Geflüchteten gute Bildungschancen erhalten. Das Projekt ‚angekommen in deiner Stadt’ verknüpft hierzu beispielhaft schulische und berufliche Bildung mit vielfältigen Angeboten außerhalb der Schule.”

 

Ulrike Naim

Walter Blüchert Stiftung
n/a