10.11.2016

Ein schwarzer Tag für den Föderalismus

Neuordnung des Länderfinanzausgleichs: Historische Chance versäumt

Ein schwarzer Tag für den Föderalismus

Neuordnung des Länderfinanzausgleichs: Historische Chance versäumt

Ein schwarzer Tag für den Föderalismus
Die Freude an der Neuordnung des Finanzausgleichs bleibt nicht ungetrübt. | © PhotoSG - Fotolia

Der Länderfinanzausgleich hat die Aufgabe, im Rahmen des grundgesetzlich gegebenen Auftrages zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse (Art. 106 Abs. 2 Satz 3 GG) alle Länder in die Lage zu versetzen, ihre Aufgaben erfüllen zu können. Die Anforderungen an die Länder sind relativ vergleichbar, während aufgrund unterschiedlicher Wirtschaftsstrukturen das Steueraufkommen sehr unterschiedlich streut. Diese Differenzen soll der Finanzausgleich kleiner machen, aber nicht vollständig beseitigen.

Die rechtlichen Grundlagen finden sich in Artikel 107 GG, dem Maßstäbegesetz sowie dem Finanzausgleichsgesetz. Da die gesetzlichen Ausführungsregelungen parallel zum Solidarpakt II im Jahre 2019 auslaufen, bestand Handlungsbedarf und das Thema war bereits jahrelanger Verhandlungsgegenstand zwischen Bund und Ländern.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hatte die Bereitschaft des Bundes signalisiert, den Ländern mehr Geld zu geben. Diese Bereitschaft war aber mit der Forderung nach strukturellen Veränderungen, weitergehender Verantwortung der Länder und mehr Transparenz in den Bund-/Länder-Finanzbeziehungen verbunden. Es sollte der Grundsatz gelten: „Finanz- und Handlungsverantwortung gehören in eine Hand“ – das bedeutet: Die politische Ebene, die eine Ausgabe tätigt, muss die dafür erforderlichen Finanzmittel selbst bei den Bürgern abschöpfen. Auf diese Weise sollte der Bürger die direkte Verbindung zwischen der Ausgabe für eine Leistung und der Finanzierung durch seine Steuern erkennen können.


Diese – bereits in der Föderalismuskommission II und beim 70. Deutschen Juristentag in Hannover diskutierte – Entwicklung wurde von den Ländern abgelehnt. Die Regierungschefs der Länder einigten sich am 03. Dezember 2015 auf ein Gegenmodel. Ihnen ging es im Wesentlichen darum, den Gegensatz von „Geber-” und „Nehmerländern” zu beseitigen. Dem Vorschlag zufolge sollten alle Länder besser dastehen als im bisherigen System und der Bund zusätzliche Mittel aus seinem Haushalt bereitstellen, um dies zu ermöglichen. Umgesetzt werden sollte dies durch die Abschaffung des Ausgleichs unter den Ländern und der Ergänzungsanteile bei dem Länderanteil an der Umsatzsteuer. Die Finanzkraftunterschiede sollten im Rahmen der Verteilung der Umsatzsteuer ausgeglichen werden.

Rückblick auf das bisherige System

Um die jetzt beschlossenen Änderungen zu verstehen, muss man einen kurzen Blick auf das bisher gültige System werfen.

Auf der ersten Stufe werden die Steuereinnahmen auf die beiden Ebenen Bund und Länder verteilt. Dabei gibt es Steuern im Trennsystem, das heißt die Empfängerebene steht fest. So steht z. B. die Erbschaftsteuer den Ländern zu, die Energie- oder Tabaksteuer dem Bund und die Grundsteuer den Kommunen. Bei den Gemeinschaftssteuern, z. B. der Einkommen- und Körperschaftssteuer, gibt es ein Verbundsystem, wonach den einzelnen Ebenen bestimmte Quoten zustehen. Dabei wird vom jeweiligen Aufkommen in den einzelnen Ländern und Körperschaften ausgegangen. Horizontal gilt also der Grundsatz des örtlichen Aufkommens. Korrekturen gibt es nur durch die Zerlegung bei Steuerpflichtigen, die in mehreren Zuständigkeitsbereichen tätig sind.

Eine besondere Verteilung gilt auf der zweiten Stufe für die Umsatzsteuer. Nach Abzug des Gemeindeanteils von 2,2 % (siehe Übersicht 2a), erhalten der Bund 49,7 % und die Länder 50,3 % des Gesamtaufkommens. Vom Länderanteil werden maximal 25 % der Umsatzsteuer als Ergänzungsanteile nach der Finanzkraft verteilt. Sie fließen an die Länder, deren Aufkommen aus der Einkommen- und Körperschaftsteuer, der Gewerbesteuerumlage und der Landessteuern pro Kopf unter dem Bundesdurchschnitt liegt (2b). Dies geschieht dadurch, dass die Finanzkraft mit einem linear-progressiven Tarif so angehoben wird, dass die Differenz verkleinert wird. Der restliche Länderanteil, mindestens aber 75 %, fließt den Ländern nach der Einwohnerzahl zu (2c). Der Bundesanteil geht dem Bund direkt zu (siehe Übersicht 2d).

Auf der dritten Stufe werden horizontal die Finanzkraftunterschiede zwischen den Ländern dadurch verringert, dass die finanzschwachen Länder (Nehmer) Ausgleichszuweisungen aus den Haushalten der finanzstarken Länder (Geber) erhalten.

Praktisch geschieht dies dadurch, dass die Finanzkraft pro Einwohner in Form einer Finanzkraftmesszahl, basierend auf den Landessteuern, dem Landesanteil an den Gemeinschaftssteuern, dem Landesanteil an der Umsatzsteuer und von 64 % der von Hebesatzelementen bereinigten Gemeindesteuern dem Betrag in Form der Ausgangsmesszahl gegenübergestellt wird, als wenn das Land Einnahmen genau im Bundesdurchschnitt hätte.

Grundsätzlich wird von einem gleichen Finanzbedarf pro Einwohner ausgegangen. Den Stadtstaaten wird allerdings ein höherer Finanzbedarf zugestanden. Deshalb werden deren Einwohner auf 135 % „veredelt”; das heißt, es wird nicht die tatsächliche Einwohnerzahl genommen, sondern eine auf 135 % erhöhte Zahl. Den dünn besiedelten Ländern Brandenburg mit 105 %, Mecklenburg-Vorpommern mit 103 % und Sachsen-Anhalt mit 102 % wird ebenfalls ein höherer Bedarf zugestanden.

Auf der vierten Stufe werden aus der Bundeskasse an die Länder Bundesergänzungszuweisungen gezahlt.

Die „Allgemeinen Bundesergänzungszuweisungen” mit einem Volumen von ca. 3,8 Mrd. € dienen zur weiteren Angleichung der Finanzkraft. Die Grenzen dieser Zuweisungen liegen in dem durch die Rechtsprechung entwickelten Nivellierungsverbot und in dem Verbot der Änderung der Finanzkraftreihenfolge. Diese werden damit begründet, dass es um einen „Ausgleich” und nicht um eine „Angleichung” geht.

Daneben gibt es als Ausgleich für besondere Belastungen einzelner Länder sogenannte Sonderbedarfszuweisungen: für die neuen Länder zum Ausgleich der teilungsbedingten Lasten, zum Ausgleich von Sonderlasten durch besonders hohe strukturelle Arbeitslosigkeit sowie für die Belastung überdurchschnittlicher Kosten der politischen Führung in kleinen, leistungsschwachen Ländern. Daneben gibt es noch Sanierungsbeihilfen für Bremen und das Saarland. Durch die Sonderbedarfszuweisungen kommt es zu einer Verschiebung in der Finanzkraftreihenfolge, ohne dass es zu einer Nivellierung kommt.

Die im Oktober 2016 vereinbarte Neuordnung

Die zwischen der Bundeskanzlerin und den Ministerpräsidenten im Oktober 2016 vereinbarte Neuordnung bringt zahlenmäßig eine Verschiebung von 9,524 Mrd. € vom Bund an die Länder. Künftig sollen der Umsatzsteuervorwegausgleich (siehe Übersicht 2b) und der Länderfinanzausgleich (siehe Übersicht 3) wegfallen. So werden formal die Rollen der „Geber” und „Nehmer” abgeschafft. Dafür soll der Umsatzsteueranteil künftig finanzkraftbezogen verteilt werden. Die kommunale Steuerkraft geht künftig mit 75 % statt bisher 64 % in diese Berechnung ein und der Förderzins, der in Niedersachsen und Schleswig-Holstein erhoben wird, zu 33 %.

Die Einwohnerveredlung für Berlin, Bremen und Hamburg sowie Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt bleibt unverändert. Verteilerschlüssel soll für den Länderanteil der Umsatzsteuer die Einwohnerzahl sein. Um hier einen Finanzkraftausgleich zu erreichen, werden Zu- und Abschläge auf die Zahl der Einwohner eingeführt.

Der Länderanteil an der Umsatzsteuer wird erhöht. Zugeschlagen werden 2,6 Mrd. € als Festbetrag – also nicht entsprechend der Umsatzsteuerentwicklung dynamisiert – und Umsatzsteuerpunkte im Wert von 1,42 Mrd. €, die künftig mit der Umsatzsteuerentwicklung steigen.

Der Tarif zur Berechnung der Zu- und Abschläge bei der Umsatzsteuer soll linear gestaltet und auf 63 % festgesetzt werden. Das Ergebnis dieser Veränderungen findet sich in Zeile 12 der hier hinterlegten Tabelle.

BLF-Modell vom 03.12.2016–2019

Künftig soll der Bund in einer noch verfassungsrechtlich zu verankernden Form eine Zuweisung zum Ausgleich der Finanzkraftunterschiede auf der Gemeindeebene in Höhe von 1,5 Mrd. € leisten. Gemessen werden soll diese an 80 % des bundesweiten Durchschnitts der gemeindlichen Finanzkraft. Die Lücke zwischen der eigenen Quote und den 80 % wird zu 53,5 % ausgeglichen werden. Das Ergebnis findet sich in Zeile 15 der Ergebnistabelle.

Auch bei den allgemeinen Bundesergänzungszuweisungen gibt es Korrekturen. Sie werden um 4,321 Mrd. € erhöht. Der Tarif zur Angleichung wird auf 99,75 % der Differenz zu einem Bundesdurchschnitt von 80 % festgesetzt. Das Ergebnis ist in Zeile 14 abgebildet.

Die Sonderergänzungszuweisungen für die neuen Länder enden wie geplant 2019.

Die Sonderergänzungszuweisungen für strukturelle Arbeitslosigkeit und für Hafenlasten bleiben strukturell unverändert, letztere werden um 39 Mio. € aufgestockt (Zeile 25). Die Sonderbedarfsergänzungszuweisungen (SoBEZ) für Kosten der politischen Führung bleiben bis auf einen zusätzlichen Betrag von 11 Mio. € für Brandenburg unverändert.

Neu eingeführt wird eine Bundesergänzungszuweisung für Forschungsförderung in Höhe von 181 Mio. €. Als Maßstab gilt dabei eine Auffüllung in Höhe von 35 % der Differenz der eigenen Nettozuflüsse zu 95 % des Länderdurchschnitts der Nettozuflüsse. Das Ergebnis steht in Zeile 16. Die Forschungsprogramme des Bundes bleiben daneben bestehen, sodass es sich um einen Netto-Zugewinn der Länder handelt.

Die Sanierungsbeihilfen für das Saarland und Bremen werden weiterhin in Höhe von 800 Mio. € gewährt.

Ausgeweitet werden sollen die Befugnisse des Stabilitätsrates, der künftig auch die Einhaltung der Schuldenbremse überwachen soll. Sanktionsmöglichkeiten werden aber nicht geschaffen.

Verständigt hat man sich auch über einen Katalog von Maßnahmen zur Verbesserung der Aufgabenerledigung im Bundesstaat. Es sind dieses namentlich:

  • Verwaltung der Bundesautobahnen in einer Gesellschaft des Bundes mit der Möglichkeit, die Bundesstraßen einzubeziehen
  • zentrales Bürgerportal des Bundes zur Erledigung aller öffentlichen Online-Anwendungen
  • zusätzliche Steuerungsrechte des Bundes bei Finanzhilfen, z. B. Mitfinanzierungsmöglichkeiten des Bundes bei der kommunalen Bildungsstruktur
  • Erweiterung der Weisungsrechte des Bundes beim IT-Einsatz in der Steuerverwaltung
  • Veränderungen beim Unterhaltsvorschussgesetz.

Umgesetzt werden sollen die Veränderungen in einem unverzüglich aufzunehmenden Verfahren zur Änderung der entsprechenden Gesetze und des Grundgesetzes. Man darf gespannt sein, wie dieses ausschließlich vom zahlenmäßigen Ergebnis getriebene, ohne eine nachvollziehbare innere Logik bestimmte Werk in ein allgemeinverständliches Gesetz umgesetzt werden wird.

Neuordnung keine Hilfe bei Durchsetzung einer auf Dauer tragfähigen Haushaltspolitik

Neue Begriffe werden eingeführt, wie z. B. Nettozuflüsse, die für einen neutralen Dritten nicht zu verstehen sind. Sie werden nur von den Autoren der Tabellen beherrscht. Es wird kein Beitrag zur Transparenz geleistet. Das genaue Gegenteil ist der Fall.

Man gewinnt den Eindruck, dass sich die Tagespolitik durchgesetzt hat: Ein Ergebnis sollte her – ohne Rücksicht auf strukturelle Klarheit und Verbesserung. Erreicht hat man einen einheitlichen Finanzausgleich – formal betrachtet ohne neue und alte Länder sowie ohne „Geber” und „Nehmer”. Materiell entbehren die ausschließlich ergebnisgetriebenen Umrechnungsgrößen jeglicher inneren Logik. Das zeigen allein die ohne das zahlenmäßige Ergebnis nicht verständlichen Werte und Größenordnungen an den einzelnen Schaltstellen. Auch wird auf diesem Wege keine dauerhafte Befriedung erreicht, denn materiell sind die Geber- und Nehmerrollen nicht abgeschafft. Durch entsprechende Rechnungen sind die Effekte jederzeit berechenbar. Es wird nicht lange dauern, dann treten die Streitfragen um die Wertströme wieder auf – wie es auch in der Vergangenheit nach jeder Einigung der Fall war.

Man hat es versäumt, die Wertströme mit inhaltlichen Strukturen zu unterlegen und für mehr Transparenz zu sorgen. Es wurde unterlassen, durch Stärkung der Verantwortung und Nachvollziehbarkeit Vorsorge für mehr Haushaltsdisziplin zu treffen: Der Bund gleicht die durch die verantwortungslose Verschuldungspolitik einiger Länder entstandene Schieflage aus seiner Kasse aus und sorgt damit dafür, dass die eingetretenen Pfade einer Verlagerung heutiger Lasten auf die Schultern der nächsten Generation weitergegangen werden. Das gesetzliche Auslaufen der Regelungen war eine einmalige Chance, diesen verhängnisvollen Kreislauf aufzubrechen. An Konzepten dazu mangelt es nicht, wie die Vorstellungen von Finanzminister Schäuble und der Wissenschaft – z. B. auf dem Juristentag 2014 in Hannover – beweisen.

Das Umsetzungsdefizit wird einfach fortgeschrieben.

Auch die Länder werden nur kurze Zeit Freude über den geringfügigen fiskalischen Gewinn empfinden, denn die neue Struktur des Länderfinanzausgleiches hilft ihnen nicht bei der Durchsetzung einer auf Dauer tragfähigen Haushaltspolitik. Im Gegenteil: Es werden neue Bedarfe angesichts des vordergründig „gewonnenen” Haushaltsspielraumes auftauchen. Noch mehr Bürger werden sich in einem Gefühl der Ohnmacht vom Staat abwenden, weil sie sich angesichts der nicht zurechenbaren Verantwortlichkeiten von der Politik abwenden (Wer hat für was in der Politik die Ursachen gesetzt?) und die Wahlbeteiligung wird weiter zurückgehen. Dies wiederum gibt den radikalen Rändern Auftrieb, weil sie die ersehnten „einfachen Rezepte” haben. Deshalb kann die politische Euphorie über den Erfolg nicht nachvollzogen werden. Angesichts der Tatsache, dass sich die Länder aus der Solidarität füreinander verabschiedet haben und immer mehr zum Kostgänger des Bundes werden, war dies eher ein schwarzer Tag für den Föderalismus und für die Demokratie.

 

Jochen-Konrad Fromme

Rechtsanwalt, Mitglied des Deutschen Bundestags a. D., Haverlah
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