11.11.2016

EU-Beihilfenbegriff konkretisiert

Förderpraxis: Neue Orientierungshilfen der EU-Kommission

EU-Beihilfenbegriff konkretisiert

Förderpraxis: Neue Orientierungshilfen der EU-Kommission

Trotz der Orientierungshilfen der Kommission ist eine sorgfältige Einzelfallprüfung weiterhin erforderlich. | © finecki - Fotolia
Trotz der Orientierungshilfen der Kommission ist eine sorgfältige Einzelfallprüfung weiterhin erforderlich. | © finecki - Fotolia

Die Europäische Kommission hat vor kurzem wichtige Orientierungshilfen zum Begriff der staatlichen Beihilfe veröffentlicht, die insbesondere für Kommunen von praktischer Bedeutung sind. Zum einen ist im Sommer die deutsche Fassung der „Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union” („Bekanntmachung”) erschienen. Zum anderen hat die Kommission in diesem Herbst fünf neue Beschlüsse zu lokalen öffentlichen Fördermaßnahmen verabschiedet, die ihre in der Bekanntmachung zusammengefasste Entscheidungspraxis weiter konkretisieren.

Die Bekanntmachung und das neue Entscheidungspaket der Kommission zu lokalen Förderungen

Die Bekanntmachung ist der letzte Teil der 2012 von der Kommission eingeleiteten Initiative zur Modernisierung des Beihilfenrechts (State Aid Modernisation – kurz: „SAM”), in deren Rahmen die Kommission praktisch alle wichtigen Beihilfenleitlinien und -rechtsakte aktualisiert hat. Bereits im Jahr 2014 hatte die Kommission einen ersten Entwurf der Bekanntmachung veröffentlicht. Dieser Entwurf sah sich im Rahmen eines öffentlichen Konsultationsverfahrens jedoch erheblicher Kritik aus den EU-Mitgliedstaaten ausgesetzt, weshalb die Kommission den Text in der Folgezeit noch einmal überarbeitete. Erst im Mai 2016 publizierte sie auf ihrer Homepage schließlich die letztlich verabschiedete Fassung in englischer Sprache. Nunmehr liegt die Bekanntmachung auch in allen anderen EU-Amtssprachen vor und wurde offiziell im EU-Amtsblatt (C 262 v. 19. 7. 2016, S. 1 ff.) veröffentlicht. Sie umfasst 50 eng beschriebene Seiten und kann hier freilich nicht umfassend dargestellt werden. Dieser Beitrag beschränkt sich auf einige für die (kommunale) Praxis besonders relevante Themen.

Die Bekanntmachung soll insbesondere durch die systematische Zusammenfassung der Rechtsprechung der Unionsgerichte sowie der Kommissionspraxis zu administrativen Vereinfachungen und mehr Rechtssicherheit führen. Sie enthält ausführliche Hinweise zu allen Elementen des Beihilfentatbestandes, nämlich (1.) dem Begriff des Unternehmens und der wirtschaftlichen Tätigkeit, (2.) der Finanzierung aus staatlichen Mitteln, (3.) dem Merkmal des wirtschaftlichen Vorteils, (4.) der sog. Selektivität (d. h. der Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige) und (5.) den Auswirkungen auf den Wettbewerb und den zwischenstaatlichen Handel.


Um das letztgenannte Tatbestandsmerkmal – d. h. die sog. „Binnenmarktrelevanz” – geht es primär auch in dem kürzlich verabschiedeten neuen Entscheidungspaket der Kommission zu lokalen öffentlichen Fördermaßnahmen (vgl. Pressemitteilung IP/16/3141 der Kommission v. 21. 09. 2016). Diese Beschlüsse bauen auf die in der Bekanntmachung dargestellte diesbezügliche Kommissionspraxis auf und entwickeln sie fort.

Keine Beihilfe bei rein lokalen Auswirkungen

Bereits im April 2015 hatte die Kommission sieben Beschlüsse erlassen, in denen – in teilweiser Abkehr von der früheren Kommissionspraxis – eine Beeinträchtigung des Handels zwischen den EU-Mitgliedstaaten verneint wurde, sofern die betroffene öffentliche Fördermaßnahme lediglich rein lokale bzw. regionale Auswirkungen hatte (vgl. Pressemitteilung IP/15/4889 der Kommission v. 29. 04. 2015).

Dieses frühere Entscheidungspaket wurde u.a. in der Bekanntmachung zusammengefasst. Nicht „binnenmarktrelevant” ist demnach ein öffentlich gefördertes örtliches Waren- und Dienstleistungsangebot, wenn (a.) die betreffenden Leistungen nur in einem geografisch begrenzten Gebiet eines Mitgliedstaates offeriert werden und somit unwahrscheinlich ist, dass sie Kunden aus anderen EU-Mitgliedstaaten anziehen und (b.) nicht vorhersehbar ist, das mehr als nur marginale Auswirkungen auf grenzüberschreitende Investitionen bzw. Niederlassungen von Unternehmen bestehen. Für die kommunale Praxis relevant ist hierbei u. a. die Förderung von Sport-, Freizeit- und Kultureinrichtungen bzw. Krankenhäusern mit überwiegend lokalem Einzugsgebiet sowie von kleinen Häfen usw.

Die Kommission hat diese Linie nunmehr mit den fünf neuen Beschlüssen aus dem Jahr 2016 bestätigt, darunter auch zwei deutsche Fälle: Sowohl die öffentliche Unterstützung des Baus eines Sportcamps in Nordbayern (Az. SA.43983) als auch die Förderung der Renovierung und Modernisierung der Infrastruktur im Hafen von Wyk auf Föhr (Az. SA. 44692) wurden mit entsprechender Begründung von der Kommission als nicht relevant für den EU-Binnenmarkt und damit als beihilfenrechtlich unbedenklich eingestuft.

Allerdings wird in der Bekanntmachung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich keine allgemeinen Kategorien von Maßnahmen festlegen lassen, die die Voraussetzungen der rein lokalen Auswirkungen in der Regel erfüllen. Damit lässt sich aus der Kommissionspraxis keine eindeutige beihilfenrechtliche Bewertung von (vergleichbaren) Maßnahmen ableiten. Das bedeutet, dass weiterhin in jedem Einzelfall sorgfältig zu prüfen ist, ob tatsächlich keine tatbestandlichen Beihilfen vorliegen.

Kulturförderung

Ferner wurde in die Bekanntmachung ein Abschnitt zur Förderung der Kultur eingefügt. Dabei geht die Kommission von einem weiten (aber nicht völlig uferlosen) Kulturbegriff aus und nennt beispielhaft u. a. Museen, Archive, Bibliotheken, Kunst- und Kulturzentren oder -stätten, Theater, Opernhäuser, Konzerthäuser, archäologischen Stätten, Denkmäler, historische Stätten und Gebäude, traditionelles Brauchtum und Handwerk, Festivals und Ausstellungen, sowie Tätigkeiten im Bereich der kulturellen und künstlerischen Bildung. Die Kommission nimmt an, dass für viele kulturelle Tätigkeiten wegen fehlender Austauschbarkeit kein dem Wettbewerb zugänglicher Markt besteht, was eine Beihilfe ausschließe. Sie ist der Auffassung, dass die öffentliche Finanzierung kultureller Tätigkeiten – mangels wirtschaftlicher Tätigkeit – keine Beihilfe darstellt, sofern die geförderten Aktivitäten der Öffentlichkeit kostenlos zugänglich gemacht werden oder ein etwaiger Teilnehmerbeitrag nur einen Bruchteil der tatsächlichen Kosten deckt. Werden hingegen kulturelle Aktivitäten vorwiegend aus Besucher- bzw. Benutzerentgelten oder durch andere kommerzielle Mittel finanziert (wie kommerzielle Ausstellungen, Kinovorführungen, kommerzielle Musikaufführungen und Festivals sowie vorwiegend aus Studiengebühren finanzierte Kunstschulen), sind sie aus Sicht der Kommission als Tätigkeiten wirtschaftlicher Natur einzustufen, sodass der Beihilfentatbestand grundsätzlich eröffnet ist. Die spannende – und noch in der Praxis zu klärende – Frage dürfte sein, wo die Grenze einer lediglich einen „Bruchteil” der Kosten deckenden Beitragsfinanzierung liegt (bis zu 50 %?).

Infrastruktur

Anders als noch im Bekanntmachungsentwurf von 2014 hat die Kommission dem Thema Infrastruktur nun einen eigenen Abschnitt gewidmet. Hierbei unterscheidet sie in hergebrachter Weise zwischen Beihilfen zugunsten der Träger bzw. Eigentümer, der Betreiber und der Endnutzer der geförderten Infrastruktur.

Ein Kernpunkt der Prüfung einer Beihilfe zugunsten der Träger/Eigentümer ist bei Infrastrukturmaßnahmen die Frage, ob die geförderte Infrastruktur wirtschaftlich genutzt wird oder nicht. Sofern keine wirtschaftliche Nutzung vorliegt, scheidet eine Beihilfe aus. Bei gemischt wirtschaftlich-nichtwirtschaftlichen Tätigkeiten soll nach der Bekanntmachung grundsätzlich eine Quersubventionierung durch eine getrennte Buchführung ausgeschlossen werden. Die Kommission zieht in diesem Zusammenhang den (auch bereits aus dem Forschungs- und Entwicklungssektor bekannten) Grundsatz heran, wonach wirtschaftliche Tätigkeiten aus dem Anwendungsbereich des Beihilfenrechts herausfallen können, wenn diese reine Nebentätigkeiten (bis zu 20 % der Gesamtkapazität pro Jahr) einer nichtwirtschaftlichen Tätigkeit darstellen.

Laut Kommission sind zudem Auswirkungen auf Wettbewerb und Handel ausgeschlossen, wenn eine Infrastruktur in der Regel keinem unmittelbaren Wettbewerb ausgesetzt ist, in dem betreffenden Wirtschaftssektor auf der Ebene des Mitgliedstaats nur unbedeutende private Finanzierungsmittel aufgebracht werden und die Infrastruktur nicht selektiv ein bestimmtes Unternehmen oder einen bestimmten Wirtschaftszweig begünstigt, sondern für die Gesellschaft insgesamt von Nutzen ist.

Vor diesem Hintergrund ist es laut Kommission in der Regel bei Straßen- und Eisenbahninfrastruktur, Binnenwasserstraßen sowie Wasserversorgungs- und Abwassernetzen möglich, das Vorliegen einer Beihilfe auszuschließen. Im Gegensatz dazu stehen Infrastrukturen in Bereichen wie Energie, Breitband, Flughäfen oder Häfen häufig im Wettbewerb mit ähnlichen Infrastrukturen. Wenn in diesen letztgenannten Bereichen ein Vorhaben mit öffentlichen Mitteln finanziert wird, während konkurrierende Vorhaben ohne staatliche Förderung auskommen müssen, könne diese Finanzierung eine anmeldepflichtige Beihilfe darstellen.

Selbst wenn eine Infrastruktur mit Hilfe staatlicher Beihilfen gebaut wird, liegt laut Kommission keine Beihilfe für den Betreiber und die Nutzer vor, wenn diesen die Infrastruktur unter Marktbedingungen zur Verfügung gestellt wird. Dies ist gewährleistet, wenn der Betreiber bzw. der Nutzer einen marktüblichen Preis für den Betrieb bzw. die Nutzung der betreffenden Infrastruktur zahlt, der beispielsweise das Ergebnis eines offenen, transparenten, diskriminierungs- und bedingungsfreien Ausschreibungsverfahrens ist.

Ausschreibung: Annäherung an die EU-Vergaberegeln

Nach der Bekanntmachung muss eine solche Ausschreibung insbesondere wettbewerblich sein, damit alle interessierten und qualifizierten Bieter daran teilnehmen können. Die Kommission geht mittlerweile davon aus, dass die Einhaltung der in den EU-Vergaberichtlinien vorgesehenen Verfahren grundsätzlich Gewähr dafür bieten kann, eine Beihilfe auszuschließen. Dies war jedoch nicht immer so: Noch bis vor kurzem hatte die Kommission ein „Verhandlungsverfahren mit Veröffentlichung einer Bekanntmachung” im Regelfall nicht als ausreichend angesehen – hiervon ist sie nunmehr in ihrer Bekanntmachung abgerückt.

Allerdings bleibt die Kommission bei der Einschränkung, dass auch durch die Einhaltung der EU-Vergabeverfahrensregeln eine Beihilfe nicht ausgeschlossen wird, wenn besondere Umstände vorliegen, die die Ermittlung eines marktüblichen Preises unmöglich machen. Dies ist etwa der Fall beim Rückgriff auf das „Verhandlungsverfahren ohne Veröffentlichung einer Bekanntmachung”. Auch wenn nur ein einziges Angebot abgegeben wird, besteht laut Kommission die (allerdings widerlegbare) Vermutung, dass das Vergabeverfahren nicht ausreichend ist, um den Marktpreis zu bestimmen.

Fazit

Es bleibt abzuwarten, inwieweit die Kommission mit ihrer Bekanntmachung die Ziele der Verwaltungsvereinfachung und der Erhöhung der Rechtssicherheit in der Praxis tatsächlich erreichen wird. Schließlich trifft die Verantwortung für die Prüfung, ob eine Beihilfe vorliegt oder nicht, nach wie vor die EU-Mitgliedstaaten (einschließlich ihrer Untergliederungen, d. h. Länder, Kommunen, öffentliche Unternehmen usw.). Hierbei können sie sich zwar an der Entscheidungspraxis der Kommission sowie den in der Bekanntmachung enthaltenen Ausführungen und Fallbeispielen orientieren. Allerdings wird sich hieraus – trotz der begrüßenswerten Klarstellungen und Präzisierungen der Kommission – häufig keine eindeutige Bewertung des Einzelfalls ableiten lassen. Auch weiterhin tragen damit die Fördermittelgeber und -empfänger das beihilfenrechtliche Auslegungsrisiko und müssen jeden Einzelfall sorgfältig prüfen. Lässt sich der Beihilfentatbestand nicht rechtssicher ausschließen und greift auch keine Freistellung von der beihilfenrechtlich vorgeschriebenen Anmelde- und Genehmigungspflicht ein (etwa nach der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung), wird sich im Zweifel ein (formelles oder informelles) Notifikationsverfahren bei der Kommission nicht immer vermeiden lassen.

 

Dr. Gerd Schwendinger, LL.M.

Rechtsanwalt und Partner, GvW Graf von Westphalen, Hamburg/Brüssel
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