10.11.2016

Schwarmstädte: Was macht sie attraktiv?

Die Zukunft der Kommunen: Erfolg lässt sich steuern und messen

Schwarmstädte: Was macht sie attraktiv?

Die Zukunft der Kommunen: Erfolg lässt sich steuern und messen

Ein neues Wanderungsmuster: das Schwarmverhalten junger Menschen. | © dilynn - Fotolia
Ein neues Wanderungsmuster: das Schwarmverhalten junger Menschen. | © dilynn - Fotolia

Die Zukunft von Kommunen wird maßgeblich durch die Entwicklung der Einwohnerzahl geprägt. Daraus ergeben sich zahlreiche Konsequenzen, insbesondere der stetige Konkurrenzkampf um Einwohner, Arbeitskräfte und Arbeitsplätze, Gewerbesteuern, Zuweisungen und möglichst zahlungskräftige Besucher bzw. Touristen. Dies impliziert gleichzeitig, dass es Kommunen mit wachsender Bevölkerung sowie solche mit schrumpfenden Einwohnerzahlen geben muss – also Gewinner und Verlierer, eventuell sogar aussterbende Gebietskörperschaften. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Wie lässt sich die Attraktivität von Kommunen messen und mit welchen Maßnahmen kann man die eigene Zukunft positiv beeinflussen und steuern?

Kreative Klasse und Schwarmstädte – Ursachen für Einwohnerwachstum

Um ein attraktiver Standort zu bleiben beziehungsweise zu werden, sind der demografische Wandel, Veränderungen der gesellschaftlichen Wertehaltung, die technische Entwicklung sowie weitere sozioökonomische Megatrends und Entwicklungen in den Blick zu nehmen. Bedingt durch den Wandel von der Industriegesellschaft hin zu einer Informations- und Wissensgesellschaft werden die Erzeugung, Nutzung und Organisation von Wissen zum Hauptfaktor für Produktivität und Wachstum.

Leistungsträger der Wissensgesellschaft wiederum sind nach Forschungen des amerikanischen Soziologen Richard Florida Angehörige der sogenannten Kreativen Klasse. Faktoren, welche die Kreative Klasse beschreiben, werden in Kurzform als die 3 T’s bezeichnet: Technologie, Toleranz und Talent. Mit diesen Merkmalen stellt die Kreative Klasse als Träger technischer, sozialer und kultureller Innovationen die Keimzelle für zukünftiges Wachstum dar. Sie ist räumlich höchst ungleich verteilt, aber in starkem Maße an der Prägung der regionalökonomischen Entwicklung beteiligt.


Florida unterteilt die Kreativen in künstlerische, technologische und ökonomische Arbeitskräfte, welche sich im Wesentlichen durch den Grad ihrer Autonomie, insbesondere durch das Maß an Selbstverantwortung, Unabhängigkeit, Flexibilität und Problemlösungskompetenz von den anderen Berufsgruppen hervorheben. Die Auswahl eines geeigneten Lebensmittelpunktes der Kreativen Klasse orientiert sich nicht mehr an der bisherigen Standorttheorie, wonach „harte” Faktoren wie Wirtschaftsklima, geografische Lage, Zentrumsnähe, Verkehrsanbindung und Bevölkerungsstruktur ausschlaggebend sind, sondern an den „weichen” Standortfaktoren wie etwa Kulturangebot, Image der Stadt oder Mentalität der Bewohner. Die Kreative Klasse kehrt die Theorie somit um und besagt, dass die Angehörigen der Kreativen Klasse nicht dahin gehen, wo sie Beschäftigung finden (,people follows jobs’), sondern die Unternehmen ihren Standort dort auswählen, wo die Kreativen ihren Wohnsitz wählen (‚jobs follows people’).

Neuer Faktor: der Territorial-Index

Eine Studie der agiplan GmbH (Studie Kreative Klasse 2015, Kreativität als entscheidender Faktor für wirtschaftlichen Erfolg: Entwicklungen und Ausprägungen in Deutschland, Mülheim/Ruhr 2015) untersuchte im vergangenen Jahr den Kreative-Klasse-Index für alle deutschen Städte und Kreise unter Anwendung von beispielhaften Faktoren wie z. B. der FuE-Ausgaben (Ausgaben für Forschung und Entwicklung) der Wirtschaft am Bruttoinlandsprodukt, dem Anteil der Personen mit Hochschulabschluss, der Zahl der freiberuflich tätigen Künstler oder etwa dem Anteil rechtsextremer Wähler bei den letzten Wahlen. Völlig neu ist dabei die Einbeziehung eines 4. T’s: des Territorial-Index. Somit wird Floridas Theorie der 3 T’s erweitert um einen Indikator bezüglich der Standortqualität, welcher auf den theoretischen Grundgedanken der „quality of place” von Florida fußt. Dazu zählen beispielsweise der Anteil der Erholungsfläche, die Authentizität des Ortes oder die Chancen bei der Partnerwahl. Gewinner des Territorial-Index ist die Stadt Berlin: Sie verfügt über eine überdurchschnittliche Identifikation der dort Lebenden mit ihrer Stadt. Am Beispiel der (Auto-)Stadt Wolfsburg wird deutlich, dass eine eher monostrukturell aufgestellte Wirtschaft für ein schwaches Ergebnis bei der Beurteilung der Standortqualität sorgt. Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass es einen weiteren – nicht unwesentlichen – Indikator für die Entwicklung von Kommunen gibt, mit dem diese die eigenen Stärken und Schwächen einschließlich der daraus resultierenden Chancen und Risiken besser einschätzen und im Idealfall auch optimal nutzen können.

Neues Wanderungsmuster: das Schwarmverhalten

Die traditionelle ökonomische Erklärung der Zuwanderung bezieht sich auf der einen Seite auf den erwarteten Nutzenüberschuss – beispielsweise durch erwartete Zusatzeinkommen –, auf der anderen Seite auf den aktuellen Stand im jeweiligen Lebenszyklus. An welchem Punkt meines Lebens befinde ich mich aktuell? Ausbildung? Familienplanung? Altersruhe? Diese traditionellen Ansätze werden erweitert durch den Kohortenansatz des empirica Forschungs- und Beratungsinstituts (nach Simons/Weiden, Schwarmstädte – eine Untersuchung zu Umfang, Ursache, Nachhaltigkeit und Folgen der neuen Wanderungsmuster in Deutschland, Berlin 4/2015). Dieser definiert ein neues Wanderungsmuster – das Schwarmverhalten – innerhalb Deutschlands, wonach insbesondere die Jüngeren wie Vögel aus vielen Regionen Deutschlands aufsteigen und sich dann als Schwarm in vergleichsweise wenigen Schwarmstädten niederlassen.

Logischerweise folgt daraus eine Entleerung der verlassenen Kommunen und eine Verdichtung in den „Schwarm’’-Kommunen. Während sich früher die Bevölkerung großflächig von Ost nach West bewegte, wandert man nun eher von kleineren Vororten in die große Stadt. Bildungsexpansion oder auch die zunehmende Auslandszuwanderung sind dabei nicht die wirklichen Gründe für das Phänomen der Schwarmstadt. Die Hauptursache ist vielmehr in dem stark ausgeprägten demografischen Wandel in den ländlichen Regionen zu sehen. Junge Menschen sind auf dem Land eine Minderheit geworden und Minderheiten rotten sich für gewöhnlich zusammen.

Da die Bevölkerungsentwicklung in ihrer Gesamtheit eher stabil ist – es sind überwiegend die jungen Menschen, die aus den verschiedensten Gründen wandern–, verwendet das wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Forschungs- und Beratungsinstitut empirica das Maß der Kohorten-Wachstumsrate. Zur aktivsten Gruppe der Schwärmer zählen die Berufsanfänger in der Altersklasse 25 bis 35 Jahre. Sie wandern zunächst aus einer sehr ländlichen in eine eher städtische Region und anschließend wandern sie weiter in die sogenannten Schwarmstädte. Die „top ten” dieser Untersuchung: München, Leipzig, Frankfurt am Main, Heidelberg, Darmstadt, Regensburg, Dresden, Karlsruhe, Freiburg und Stuttgart. Da die Attraktivität mit jedem Zuzug zunimmt und mit jedem Wegzug abnimmt, ist das Schwarmverhalten zudem höchst selbstverstärkend.

Wirtschaftliche Folgen/Handlungsansätze

Die Entleerung der Regionen, die vom Wegzug betroffen sind, führt zu einem Leerstand von Wohnraum und den daraus resultierenden Problemen wirtschaftlicher und sozialer Natur. Die durch den Zuzug betroffenen Schwarmstädte wiederum müssen sich mit den Schwierigkeiten der Ressourcenknappheit auseinandersetzen. Chancen für Schwarmstädte liegen insbesondere im Wachstum. Dazu können – um nur einige wenige Beispiele zu nennen – eine Steigerung der Infrastrukturmaßnahmen, mehr Erwerbstätige, vielfältigere Dienstleistungen und neue Start-Up-Unternehmen beitragen. Der Wohnraum als solches wird deutlich aufgewertet, es kommt zu Mieterhöhungen, was wiederum zu weiterem Wachstum führt. In den verlierenden Regionen hingegen kommt es durch den Leerstand zu einem Wohnungsüberschuss und einem sich selbstverstärkenden Verlust an Attraktivität.

Ansatz zur Reduzierung des Schwarmverhaltens

Ein möglicher Ansatz zur Reduzierung des Schwarmverhaltens ist die Steigerung der Attraktivität von verlierenden Regionen. Für diese ist es vor allem wichtig, Profil zu zeigen. Das bedeutet, sie müssen sich auf Basis der eigenen Stärken und Potenziale ein positives Image erarbeiten – und dieses intern wie extern kommunizieren und leben. Dass eine kleine Gemeinde aus der Lüneburger Heide oder dem Harz nicht gegen eine Metropole wie Berlin, Hamburg oder Köln konkurrieren kann, ist angesichts der aktuellen Bedürfnislage der Bevölkerung selbstverständlich. Fast jede Kommune kann aber mit ihren ganz eigenen, individuellen und speziellen Potenzialen und Vorteilen um Verbleib oder Zuzug werben. Diese Potenziale und Besonderheiten müssen zwingend herausgestellt werden. Leuchttürme sollten gestärkt und in Position gebracht werden. Vorausschauende und innovative Vorlagen sowie kreative politische Beschlüsse bezüglich Lebensqualität, Alleinstellungsmerkmal, Wohnungsmarkt, Stadtentwicklung und Raumordnung sind unerlässlich. In der Literatur sind eher allgemeine Ratschläge und Maßnahmen zu finden, die als übergeordnete politisch-flankierende Instrumente anzusehen sind und nur bedingt in den kommunalen Handlungsradius fallen. Beispiele hierfür sind die Anpassung der städtebaulichen Strukturen zur Erfüllung der Daseinsvorsorge, die Neuordnung ländlichen Grundbesitzes, die Gestaltung attraktiver und lebenswerter Ortskerne oder die Erhöhung des Tourismus und dessen Marketing.

Fazit

Eines ist sicher: Die Realität wird bereits in einigen Jahren zeigen, wie erfolgreich und vorausschauend die verantwortlichen Entscheidungsträger in den Kommunen gehandelt haben. Bei nüchterner Betrachtung der politischen Vorlagen und Beschlüsse einiger Kommunen könnte man denken, dass das Ortseingangsschild bald durch ein ‚Betreten verboten’ ersetzt werden müsste. ‚Wir existieren ja noch’-Parolen oder plumpes ‚Nichts tun’ schaffen keine realen Zukunftsperspektiven. Klassische „Eher-Nichtsbringer-Maßnahmen” sind beispielsweise das Erstellen von Leerstandskatastern, die Teilnahme an Leader-Programmen, das Drucken von Werbeflyern, die Wirtschaftsförderung im Sinne einer Bestandspflege oder das krampfhafte Festhalten an tendenziell unattraktiven und antiquierten kommunalen Einrichtungen (Schwimmbad, DGH, Bibliothek, Heimatmuseum, usw.). Ebenso wie die unendliche Suche nach Investoren oder das Verschenken von Grund und Boden deuten solche Maßnahmen eher auf Hilflosigkeit und mangelnden Zeitgeist sowie geringen Realitätssinn hin.

Kommunen sollten besser heute als morgen Maßnahmen zur Gestaltung und Umsetzung ihres individuellen Profils und ihrer besonderen Attraktivität ergreifen. Die oben beschriebenen Ansätze geben ausreichend Handlungsspielraum für die verantwortlichen Entscheidungsträger in den Kommunen, um die aktuelle Lage und Ausgangssituation genau zu beschreiben, zu erfassen und zu analysieren, in wie weit man von ‚Schwarmstadt’ oder ‚Schwundstadt’ sprechen kann. Im Anschluss daran werden kreative und innovative Handlungskonzepte zu erstellen sein, die eine positive Zukunftsperspektive ermöglichen, um die eigene Existenz nachhaltig zu sichern und im Wettbewerb mit anderen Einheiten die Nase vorn zu haben. Die zahlreichen guten Beispiele zeigen, dass aus einer Schwundstadt durchaus eine Schwarmstadt werden kann.

Prof. Dr. Stefan Eisner

Prof. Dr. Stefan Eisner

Geschäftsführer, NSI Consult, Braunschweig
 

Marina Romaschin

NSI Consult, Beratungs- und Servicegesellschaft mbH, Braunschweig
n/a