07.02.2020

Hier wedelt der Schwanz mit dem Hund

Das BVerwG urteilt zum Verbot von ‚linksunten.indymedia‘

Hier wedelt der Schwanz mit dem Hund

Das BVerwG urteilt zum Verbot von ‚linksunten.indymedia‘

Catch-22-Situation: Zur Anfechtung des Vereinsverbots ist nur die verbotene Vereinigung selbst befugt. | © Alexander Limbach - stock.adobe.
Catch-22-Situation: Zur Anfechtung des Vereinsverbots ist nur die verbotene Vereinigung selbst befugt. | © Alexander Limbach - stock.adobe.

Das Bundesverwaltungsgericht urteilte über die Rechtmäßigkeit des Verbots der linksextremen Plattform „linksunten.indymedia.org“ nach dem Vereinsrecht. Die Urteile liefern keine erschöpfenden Ausführungen zur den mit dem Vereinsverbot thematisierten Rechtsfragen.

Die Vorgeschichte

Die Krawalle rund um den G20-Gipfel in Hamburg waren der letzte Anlass für den damaligen Bundesinnenminister, einen linksradikalen Verbund mit dem Sprachrohr ‚linksunten.indymedia‘ zu verbieten. Das Verbot erfolgte nach Art. 9 II GG, da die verbotene Vereinigung in schwerwiegender Weise gegen Strafgesetze verstoße und sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richte. Gemäß § 3 VereinsG wurden der Verein und alle eingegliederten Organisationen aufgelöst.

Die Verbotsbegründung enthielt alle notwendigen Begründungsparameter, die man bereits aus Verbotsverfahren gegen rechtsextremistische Gruppierungen kennt. Dazu gehören, dass Zweck und Tätigkeit des Vereins gegen Strafgesetze verstoßen und die verfassungsmäßige Ordnung bekämpft wird. ‚linksunten.indymedia‘ wurde als zentrale Kommunikationsplattform des gewaltorientierten Linksextremismus identifiziert, auf dessen öffentlichem Portal Nutzer anonym Beiträge und Kommentare einstellen konnten. Der Verein habe es zugelassen, dass zu Gewalthandlungen gegen staatliche Organe aufgerufen wurde. Gerade bei den Gewaltausbrüchen in Hamburg habe ‚linksunten‘ eine koordinierende Rolle im Rahmen des bundesweiten gewaltbereiten Linksextremismus gespielt. Diese Mobilisierungsfunktion habe das Verbot der Plattform unabdingbar gemacht.


Folgerichtig verboten und abgeschaltet wurden die unter der URL https://linksunten.indymedia.org und die im Tor-Netzwerk abrufbare Internet-Seite von ‚linksunten‘, sowie sämtliche sonstige Internetpräsenzen, genutzte E-Mail-Adressen, Kennzeichen des Vereins und mögliche Nachfolgeorganisationen. Das Verbot erfolgte am 14.8.2017.

Gegen das Verbot mit seinen Folgewirkungen war die Anrufung des BVerwG möglich.

Fünf Personen, deren Wohnungen in Freiburg im Rahmen der Vollziehung der Verbotsverfügung durchsucht und Beschlagnahmen durchgeführt wurden, weil man sie als ‚Rädelsführer‘ von ‚linksunten‘ einstufte, wandten sich vor dem BVerwG gegen das Verbot der Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘ (BVerwG 6 A 1.19 – 5.19).

Klägerargumente

Einen Wust von Einlassungen zusammenfassend, handele es sich bei ‚linksunten‘ um ein offenes Diskussionsforum diverser gesellschaftlicher Kräfte, die nur einen verschwindend geringen Anteil von Fremdbeiträgen enthalten habe, auf die die Attribute ‚zu Gewalt aufrufend‘ oder ‚gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet‘ zuträfe. Dies sei keineswegs prägend für das Medium als solches, so dass mit dem Verbot die grundgesetzlich geschützte Meinungs- und Pressefreiheit mit Füssen getreten werde.

‚linksunten‘ sei kein Verein und keine Vereinigung, sondern ein unabhängiges Presseorgan. Die linke Szene halte keinerlei verfestigte Vereinsstrukturen vor. Das sei den staatlichen Organen auch bekannt. Ein gewisses Maß an konspirativem Handeln sei als Schutz vor staatlichen Eingriffen unerlässlich. Dies stehe dem Verfestigungsgedanken eines vereinsmäßigen Zusammenschlusses diametral entgegen.

Als Presseorgan unterliege ‚linksunten‘ den Regularien des Telemediengesetzes. Die Vereinsstruktur sei eine Schimäre des Bundesinnenministers, um ein Verbot der Pressearbeit als Annex zu einem konstruierten Vereinsverbot zu erreichen. Damit umgehe man bewusst das eigentliche Instrumentarium, das dem Staat gegen ein unliebsames Presseorgan zustehe. Unterhalten müsse man sich nicht über Verbote, Zerschlagungen und die Einziehung von Vereinsvermögen, sondern über Rügen, Löschungsverlangen, Verantwortlichkeiten einer moderierten Plattform für Fremdinhalte und für die Zukunft auch über das Netzwerksdurchsetzungsgesetz. Das Verbotsverfahren habe die Verfassungsrechtsgüter der Meinungs- und Pressefreiheit hinter dem Deckmantel einer imaginären Vereinsstruktur en passant beiseite gewischt und so den Weg zu der wirklich zutreffenden Sachauseinandersetzung verbaut, wie sie derzeit die sozialen Medien, allen voran Facebook, zu führen haben.

Niemand käme auf die Idee, Facebook zu verbieten und das Unternehmensvermögen einzuziehen, weil diese Plattform und YouTube sowie angegliederte Messengerdienste vor Gewalt, Hass und verfassungswidrigen Ideen nur so trieften.

Auch im Bereich offener Plattformen und Medien müsse Gleiches gleich behandelt werden.

Das forderten die Kläger vor dem BVerwG ein.

Das BVerwG

Wer den Beschluss des BVerwG vom 23.10.2019 (6 PKH 4.19) aufmerksam gelesen hatte, wusste, dass dieses Prozesskostenhilfeverfahren die Hauptsacheentscheidung schon vorweggenommen hatte. Die von manchen Pressorganen ausgemache ‚Hochspannung‘ vor dem Urteil des BVerwG, die bange Frage, ob denn die Klagen überhaupt zulässig seien, die Auftaktdemonstrationen in Leipzig der linksautonomen Unterstützerszene; all das war bloßes Lokalkolorit, denn die Entscheidung zeichnete sich bereits seit Ende Oktober 2019 deutlich ab.

Prozesskostenhilfe könne nämlich nicht bewilligt werden, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete, so das BVerwG.

Der Beschluss und die Hauptsachebegründung ähneln sich wie ein Ei dem anderen und wurden in der Presse häufig als ‚formaljuristisch‘ apostrophiert, so als ob es neben der juristischen Subsumtion auch ein alternatives, regenbogenfarbiges, kreatives Konzept gäbe, das man bei genügend Chuzpe aus dem Richtertalar zaubern und dem staunenden Publikum präsentieren könne.

Und so kam es, wie es kommen musste. Das BVerwG entwarf eine juristische Skizze, die als klassische ‚Catch 22‘- Situation in die Rechtsgeschichte eingehen wird. Der Schwanz begann mit dem Hund zu wedeln. Joseph Heller, der Autor der absurden Zwickmühlenproblematik seines 1961 erschienenen Romans ‚Catch 22‘ hätte seine Freude gehabt.

Das BVerwG urteilt – so die Pressemitteilung vom 30.1.2020 –, dass zur Anfechtung des Verbots einer Vereinigung nur die verbotene Vereinigung selbst befugt sei, nicht aber ein Mitglied oder Dritte. Nur die durch Art. 9 I GG geschützte kollektive Vereinigungsfreiheit sei durch die Verbotsverfügung betroffen, nicht aber die individuelle Vereinigungsfreiheit der Mitglieder.

Allerdings seien die Klagen zulässig, weil die Kläger durch die vereinsrechtlichen Verfügungen in ihren Rechten aus Art. 2 I GG verletzt und damit rechtsschutzbefugt seien. Eine Überprüfung von Verbotsgründen nach § 3 I VereinsG i.V.m. Art. 9 II GG könne aber nach ständiger Rechtsprechung in einem solchen Verfahren nicht vorgenommen werden (so z.B. auch BVerwG, Urteil vom 14.5.2014 – 6 A 3.13). Für alle Rechtsfragen rund um die Rechtmäßigkeit des vereinsrechtlichen Verbotsverfahrens fehle es den Klägern an der erforderlichen Betroffenheit in eigenen Rechten.

Tatsächlich haben die Kläger offengelassen, ob sie Mitglieder, Repräsentanten oder Vertreter von ‚linksunten‘ sind, da jede rechtliche Zuordnung zu der verbotenen Struktur zur Strafverfolgung führen könne. ‚Selbst gewählte und aufrecht erhaltene klandestine Strukturen könnten nicht dergestalt privilegiert werden, dass eine vollständige Überprüfung des Vereinsverbots erfolgen könne‘, so der Vorsitzende.

Im Übrigen erfülle ‚linksunten.indymedia‘ die gesetzlichen Voraussetzungen des Vereinsbegriffs, da mehrere Personen in einem Gründungstreffen 2008 beschlossen, einen gemeinsamen Zweck zu verfolgen, nämlich eine linke Gegenöffentlichkeit durch den Betrieb der Plattform zu schaffen und zu vernetzen. Es sei eine arbeitsteilige Organisationsstruktur geschaffen und die Plattform gemeinsam betrieben worden.

Sämtliche im Zusammenhang mit dem Verbot thematisierten Rechtsfragen seien in dem Klageverfahren nicht zu erörtern. Auch einen als obiter dictum getarnten Seitenblick versagte sich das BVerwG. Die Klagen seien zulässig aber unbegründet. Ein nüchternes Fazit, das man bedauern, nicht aber ernsthaft rügen kann.

Die Wertung

Ist diese Entscheidung nun halbherzig oder gar hasenfüßig. Hat das BVerwG eine große Chance vertan? Macht sich ein deutsches Gericht zum Handlanger der Exekutive?

Alles das sind Fragen, die man so oder so ähnlich in der Presse lesen konnte. Dabei hat in einer, auch von den Klägern aus nachvollziehbaren Gründen mit hervorgerufenen Catch 22-Situation der Schwanz zwangsläufig mit dem Hund gewedelt. Achtung Rechtsschutzfalle.

Das Ergebnis: keine Klärung, ob Verein oder Presseorgan. Keine erschöpfenden Ausführungen zur Frage von Vereinsverboten ohne klassisch entstandenen Verein. Keine Ausführungen zum Vereinsrecht als Instrument für Medienverbote – kein, kein, kein. Zumindest wurde dem kurzen Intermezzo vor dem BVerwG attestiert, man habe sich in entspannter Atmosphäre ausgetauscht und es sei zu keinen weiteren gewalttätigen Auseinandersetzungen rund um das Gericht gekommen. Auch das ein Fortschritt.

Im nächsten Akt wird man das BVerfG bemühen müssen, um an die kostbare Grundrechtsexegese heranzukommen.

Die Erwartung der Kläger ist es, vom BVerfG etwas Ähnliches zu erwirken, wie den Beschluss vom 24.5.2005 (1 BvR 1072/01), der der im rechten Spektrum verorteten Wochenzeitung ‚Junge Freiheit‘ attestierte, dass ihre Aufnahme in die NRW-Verfassungsschutzberichte 1994 und 1995 im Lichte der Pressefreiheit verfassungswidrig sei. Abgedruckte Artikel und Meinungen Dritter dürften nur dann der Redaktion zugerechnet werden, wenn verfassungsfeindliche Bestrebungen der Gastbeiträge durch aktiv lenkende redaktionelle Auswahl entsprechend übernommen würden.

Auch ‚linksunten.indymedia‘ hofft, als bloßer Hort eines linken ‚Marktes der Meinungen‘ bei vollem Grundrechtsschutz beurteilt zu werden.

Das wird man abwarten müssen.

 

Professor Achim Albrecht

Westfälische Hochschule, Gelsenkirchen
n/a