14.10.2022

Hans Soldan Moot Court

Aus dem akademischen Elfenbeinturm zur gelebten Praxis

Hans Soldan Moot Court

Aus dem akademischen Elfenbeinturm zur gelebten Praxis

Der Soldan Moot Court ist einer der größten deutschen Moot Courts. Im Jahr 2021 nahmen 30 Teams von 16 Universitäten teil. Gerade die richtige Anwendung von Sprache und Rhetorik ist eines der wichtigsten Elemente, nicht nur für eine erfolgreiche Teilnahme am Wettbewerb, sondern auch für das spätere Berufsleben. Genau diese  Fähigkeit schult und fördert der Soldan Moot.

Wer will was von wem woraus? Damit beginnt die typische Fallbearbeitung im Jurastudium. In Vorlesungen und Arbeitsgemeinschaften suchen die Studierenden nach eindeutigen Antworten auf die Fallfrage. Was sagt die Musterlösung dazu? Wie ist der Fall richtig zu lösen? Nichts irritiert Studienanfänger so sehr wie die Antwort: Es gibt keine eindeutige Lösung, sondern mehrere vertretbare Ansichten. Es kommt auf die (sprachliche) Überzeugungskraft der Argumente an, nicht auf das eine „richtige“ Ergebnis. Rechtsstreitigkeiten gründen in der unterschiedlichen Ansicht über die geltende Rechtslage. Rechtsanwälte haben vorgestanzte rechtliche Lösungen im Interesse ihres Mandanten zu hinterfragen. Sie müssen die Tatsachen des Falls so darstellen, dass diese bereits für den Mandanten sprechen, und die unterschiedlichen rechtlichen Argumente am Interesse des Mandanten ausgerichtet zusammentragen.

Die Sach- und Rechtslage durch die Brille einer Partei zu betrachten, unterscheidet sich daher von der Lösung einer Klausur oder der richterlichen Tätigkeit. Gemein ist der anwaltlichen und richterlichen Tätigkeit sowie dem Klausurschreiben: Juristen müssen durch ihre Sprache überzeugen. Mit Moot Courts, wie dem Soldan Moot Court, schlüpfen Studierende in die Rolle von Rechtsanwälten und bearbeiten einen fiktiven Fall. Moot Courts fordern von den Studierenden einen Perspektivenwechsel. Die Argumentation muss, je nachdem ob man den Kläger oder den Beklagten vertritt, angepasst werden. Auf Grund des Rollenspiels, des Wechsels der Perspektive, nehmen die Studierenden in jährlich wachsender Zahl und mit großem Engagement an Moot Courts teil. Oftmals ist bei den Studierenden durch die Teilnahme am Moot Court eine faszinierende fachliche und persönliche Entwicklung zu erkennen. Den Studierenden wird die im Studium fehlende Vielfalt des zivilprozessualen Bereichs der Anwaltstätigkeit lebensecht vermittelt. Ein Moot Court steht für gelebte Praxis.


Sprache als Mittel des Rechtsanwalts

Recht besteht aus Sprache, und Sprache bildet die rechtlichen Regelungen ab. Im Unterschied zu anderen Wissenschaften beschreibt die Rechtswissenschaft keine außerhalb der Sprache liegende wissenschaftliche Erkenntnis, ist also nicht lediglich Mittel zur Darstellung anderweitig gewonnener Erkenntnis. Die Sprache ist vielmehr selbst Gegenstand rechtlicher Erkenntnis und zugleich Werkzeug der Vermittlung der Rechtserkenntnis. Zudem liegt in der Ambiguität der Sprache ein Grund, warum Recht nicht rechenbar ist. Rechtliche Argumente können einsichtig und überzeugend sein, mathematische Gewissheit vermögen sie nicht zu vermitteln.

Wie wichtig die Sprache für die Rechtswissenschaft ist, zeigt sich auch daran, dass erfahrene Rechtsanwälte bei jungen Berufseinsteigern immer zwei Dinge beklagen: Sie können den Sachverhalt nicht richtig erfassen und sie können nicht richtig schreiben.

Die Sprache ist aber das Handwerkzeug des Juristen. Durch sie bietet der Rechtsanwalt den Zugang zum Recht und überzeugt das Gericht von seinen Argumenten.

Dabei geht es nicht darum, möglichst verschachtelt und hochgestochen zu schreiben. Die Devise lautet: KISS – Keep it short and simple. Doch dort setzt das Problem an, denn einfach ist schwierig, und schwierig ist einfach. Je klarer und einfacher man ein rechtliches Problem ausdrücken will, desto schwieriger wird es für den Verfasser.

Das rechtliche Problem muss abstrahiert und auf das Wesentliche heruntergebrochen werden. Das Ganze sollte dann noch überzeugend dargestellt werden. Dafür sind zwei Aspekte wesentlich, zum einen die sorgfältige Erfassung und Würdigung der Fakten und zum anderen deren Darstellung im Schriftsatz.

Die Vorarbeit in Form der genauen Faktenlage und Faktenanalyse kann nicht hoch genug bewertet werden. Welche Fakten unterstützen die Position der eigenen Partei? Wie lässt sich die Mail der Gegenseite interpretieren? An wen ist die Mail noch adressiert gewesen, wer musste also noch Kenntnis von dem Vorgang gehabt haben? Stimmt die Zusammenstellung der gelieferten Waren oder liegt ein Additionsfehler vor? Prozesse werden zu mindestens 90 % nicht durch Rechts-, sondern durch Tatsachenfragen entschieden. Hierfür weckt ein Moot Court Verständnis.

Zwar müssen die Studierenden auch im Studium den Sachverhalt vollständig erfassen, bei einem Moot Court kommt dem aber weitaus größere Bedeutung zu. Die Fallakte eines Moot Court Falls ist so aufgebaut, dass sie sowohl für den Kläger als auch für den Beklagten günstige Tatsachen enthält. Wie sind nun die Tatsachen im Sinne des Mandanten darzustellen? Werden Baumängel an einem Bad dargestellt, macht es einen Unterschied, ob man neutral von Bad, oder einer Nasszelle oder gar von einem Privat-Spa spricht. Die Konnotation ist jeweils eine andere. Geringfüge Farbabweichung bei den Fliesen ist wohl bei einer Nasszelle eher hinzunehmen als bei einem Privat-Spa.

Wie unsere Sprache auch den Sachverhalt formen und die richtige Richtung geben kann, lernen die Studierenden bei der Erstellung der Schriftsätze. Hier geht es darum, dem Schriftsatz eine „storyline“ zu geben. Der Anwalt muss dabei den Richter für seinen Mandanten einnehmen. Er muss seinen Mandanten in ein günstiges, sympathisches Licht setzen. Der Richter soll emotional auf die Seite des Mandanten gezogen werden: „Dem kleinen Handwerker muss doch geholfen werden.“ Werden die Tatsachen eines Falls mit dem richtigen Framing versehen,[1] fällt das Recht wie von selbst auf die richtige Seite – die des eigenen Mandanten.

Auch für Schriftsätze gilt: Bilder sagen mehr als tausend Worte. Vielfach lässt sich der Sachverhalt durch Graphiken und visuell dargestellte Statistik weitaus besser veranschaulichen als durch seitenlange Beschreibungen.

Auch wenn man die Bedeutung von Tatsachen für das Ergebnis eines Prozesses nicht unterschätzen kann, bestimmt das Recht am Ende den Ausgang des Verfahrens. Das auf den konkreten Fall anzuwendende Recht steht nicht bereits fertig in den Büchern, sondern muss im Prozess selbst erst herauskristallisiert werden.[2] Prozesse entstehen ja gerade, weil die Interpretation des sprachlich gefassten und nur sprachlich fassbaren Rechts zwischen den Parteien umstritten ist. Rechtsprechung muss daher ein dialogisches Verfahren sein, in dem die Parteien ihre Rechtsansicht zur Diskussion und Disposition stellen.

An die Stelle des bloßen Meinens (Ich habe Recht) muss die argumentative Auseinandersetzung mit der Gegenauffassung treten. Hierin liegt auch eine notwendige Distanzierung von der eigenen Rechtsansicht, ohne die eine Diskussion nicht möglich ist.

Konkret gesprochen, im Schriftsatz darf nicht nur der eigene Rechtsstandpunkt behauptet werden, sondern es müssen die Argumente der Gegenseite aufgegriffen und widerlegt werden. Im Prozess versuchen die Parteien, das Gesetz für ihre jeweiligen Interessen einzunehmen und den jeweiligen Begriffen des Gesetzestextes eine entsprechend ihren Interessen strategisch vorteilhafte Bedeutung zuzuschreiben. Es findet mithin ein Kampf ums Recht im Raum der Sprache statt.[3] Die Wortbedeutung, die der Gegner verwendet, soll dabei insoweit diskreditiert werden, dass die eigene sich im Kampf ums Recht behauptet.

Rhetorik beim Verhandeln

Der Kampf ums Recht, der durch den Streit um die Wortbedeutung ausgetragen wird, gewinnt besondere Bedeutung in der mündlichen Verhandlung. Herzstück eines jeden Moot Courts sind daher die mündlichen Verhandlungen. In allen Moot Courts wird in der Regel so verhandelt, wie es auch für die Richter und Rechtsanwälte im richtigen Leben (leider nicht allzu häufig) gelebte „best praxis“ wäre.

Gut vorbereitet, mit hervorragender Aktenkenntnis und mit einem juristisch reichlich bestückten Argumentationskasten treten die Teilnehmenden in den mündlichen Verhandlungen gegeneinander an. Insbesondere in der mündlichen Verhandlung kommt es nicht so sehr darauf an, who’s wrong or right. Vielmehr müssen die die Verhandlung bewertenden Juroren überzeugt werden.

Nicht jede Verhandlung gleicht der anderen. Manchmal muss man mit Fakten und gut vorgetragenen Argumenten überzeugen, manchmal eine Geschichte erzählen und dem Vorsitzenden ein Bild der Verhältnisse malen. Dabei sind Sprache und Vortragsstil nicht nur Vehikel, sondern oftmals der Weg zum Ziel. Denn auch das noch so klügste Argument verpufft bei einem schlechten Auftreten.

Entscheidend ist also, welchen Eindruck man hinterlässt. Ein nervös und unsicher vorgebrachtes richtiges Argument überzeugt weitaus weniger als ein selbstbewusst (aber nicht überheblich) vorgetragenes nicht ganz so richtiges Argument. Nicht ohne Grund heißt es: 60 % zählt, wie man es sagt und 40 %, was man sagt.

Die Form der Präsentation ist damit mehr als ein notwendiger Transporteur für den erarbeiteten rechtlichen Inhalt. Verhandeln will also gelernt sein. Doch welches sind die entscheidenden Punkte für einen überzeugenden Auftritt und einen guten sprachlichen Vortrag? Wie jedes Verfahren und jede Verhandlung anders ist, sind es auch die Strategien, die angewendet werden müssen. So kann es gelegentlich sinnvoll sein, den Schwerpunkt auf einen bildreich dargestellten Sachverhalt zu legen.

Andere Verhandlungssituationen verlangen wiederum eine klare Strukturierung der rechtlichen Argumente. Manchmal bietet es sich an, die Aufmerksamkeit vor dem nächsten Argument mit einer Kunstpause zu erhöhen. Trotz der Vielfalt der Verhandlungssituationen lassen sich gewisse Faustformeln festlegen, die für jede Verhandlung gelten.

Weder langweilig noch zu reißerisch sollte der Vortrag sein. Zudem muss spontan auf die Argumente der Gegenseite reagiert und auf die Fragen des Richters geantwortet werden können. Nicht zuletzt ist ein souveräner Umgang mit Fehlern zu erlernen. Fehler sind menschlich und unterlaufen auch dem besten Juristen im Gerichtssaal. Wie man eigene Fehler mit einem Lächeln oder einer ironischen Bemerkung überspielen kann, kann man lernen. Bei alldem darf aber das Sachlichkeitsgebot[4] nicht überschritten werden.

Auch bei den immer häufiger durchgeführten Verhandlungen im Weg der Bild- und Tonübertragung verliert die Rhetorik nicht an Gewicht. Ganz im Gegenteil: Die Wirkung der körperlichen Präsenz geht zu einem großen Teil hinter dem Bildschirm verloren, um so wichtiger ist ein didaktisch gut aufgebauter Vortrag. Dabei kommt es bei den „Online-Verhandlungen“ insbesondere auf die phonetische Verständlichkeit des Vortrags an. Die anderen Parteien müssen trotz etwaiger Verbindungsprobleme den Vortrag so wahrnehmen können, als ob man sich in Präsenz gegenübersitzen würde. Zwar kann bei einer virtuellen Verhandlung nicht unmittelbar Augenkontakt gehalten werden, jedoch erlaubt der Blick in die Kamera deutlich mehr direkten Kontakt als mancher denkt.

Der Soldan Moot als perfekte Möglichkeit, Sprache und Rhetorik zu trainieren

Aus dem akademischen Elfenbeinturm hinein in die anwaltliche Praxis – diese einmalige Gelegenheit bietet der Soldan Moot Court. Die einzelnen Phasen des Wettbewerbs sind genau darauf ausgelegt, die Anwendung der Sprache zu schulen, indem die Studierenden als Interessenvertreter einen Fall rechtlich analysieren, Beweismittel würdigen und Rechtsmeinungen formulieren.

Gelöst wird der Fall in einem meist aus vier Studierenden bestehenden Team. Auch hier ist der Soldan Moot Court nah an der anwaltlichen Praxis. Anwälte arbeiten heute überwiegend im Team, entsprechend sind die Fälle so konzipiert, dass in allen Phasen des Wettbewerbs gemeinsames Arbeiten erforderlich ist. Im Zuge der ersten Phase des Wettbewerbs haben die Studierenden dann zunächst fünf Wochen Zeit, eine Klageschrift anzufertigen und sich mit den aufgeworfenen Fallfragen auseinanderzusetzen. Dabei muss genau herausgefiltert werden, welche Informationen der Fallakte wichtig sind, um die Interessen des Mandanten vertreten zu können. Auf das Einreichen der Klageschrift folgt das Ausarbeiten der Klageerwiderung. Dafür erhält jedes Team eine gegnerische Klage zugelost. Es heißt zwar learning by doing, jedoch müssen die Teams dafür das passende Handwerkszeug parat haben. Hierfür erhalten die Teilnehmenden ausführliche Unterstützungsprogramme, wie Workshops zum anwaltlichen Schreiben.

Im Anschluss finden die mündlichen Verhandlungen statt. Dabei kommen alle zusammen und treten gegeneinander an. Die Teams plädieren in der simulierten Verhandlung gegeneinander und versuchen, die Juroren zu überzeugen. In den Vorrunden treten die Teams viermal gegeneinander an, die Besten spielen anschließend im K.-o.-System gegeneinander, um den Sieger zu ermitteln. Zur Vorbereitung auf die mündlichen Verhandlungen erhalten die Teilnehmenden eine Rhetorikschulung und Workshops zum rechtlichen Vortrag.

Also: Mut zum Moot und mit einer Teilnahme am Wettbewerb den juristischen Werkzeugkoffer auffüllen.

Dieser Beitrag stammt aus dem „Wirtschaftsführer für junge Juristen“.

[1] Wehling, Politisches Framing, 1992.

[2] Wolf in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 3. Aufl., Einl. Rz. 64 ff.

[3] Lerch/Christensen, Die Sprache des Rechts, Bd. 2, 2005, S. 1 (81).

[4] Zum Sachlichkeitsgebot, Zuck in Gaier/Wolf/Göcken (Fn. 3), § 43a BRAO Rz. 55 ff.

 

Prof. Dr. Christian Wolf

Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Deutsches, Europäisches und Internationales Zivilprozessrecht an der Leibniz Universität Hannover
 

Christian Denz

Wissenschaftlicher Mitarbeiter
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