20.02.2017

Haftungsrisiken für handelnde Beamte?

Sicherheitskonzepte für Großveranstaltungen schaffen Transparenz (2)

Haftungsrisiken für handelnde Beamte?

Sicherheitskonzepte für Großveranstaltungen schaffen Transparenz (2)

Des einen Freud, des anderen Leid: die Besuchermassen bei Live-Konzerten. | © tobb8 - Fotolia
Des einen Freud, des anderen Leid: die Besuchermassen bei Live-Konzerten. | © tobb8 - Fotolia

Die allgemeine Sicherheitslage hat sich in den vergangenen 18 Monaten in Deutschland dramatisch verändert. Damit einhergehend sind die Anforderungen an qualifizierte Sicherheitskonzepte für Großveranstaltungen erheblich gestiegen. Nicht selten werden diese Großveranstaltungen von kommunalen Trägern veranstaltet und verantwortet. Sollte es zu Sach- und/oder Personenschäden im Zusammenhang mit den Sicherheitskonzepten bei diesen Veranstaltungen kommen, stellen sich eine Reihe konkreter Haftungsfragen für die handelnden Beamten. In Teil  1 des Beitrags (PUBLICUS 2016.12) haben wir die Fragen der zivilrechtlichen (Beamten-)Haftung beleuchtet. Im Folgenden untersuchen wir etwaige strafrechtliche Risiken für vermeintliches Fehlverhalten sowie dienst- und disziplinarrechtliche Konsequenzen.

Strafrechtliche Risiken

Wenn es bei Großveranstaltungen zu Personenschäden kommt, bestehen natürlich auch strafrechtliche Risiken. So kommt dann eine Haftung wegen fahrlässiger Körperverletzung oder – im schlimmsten Fall – wegen fahrlässiger Tötung in Betracht. Der öffentliche Erwartungsdruck, der in einem solchen Fall auf Ermittlungsbehörden lastet, ist dabei nicht zu unterschätzen.

Strafrechtliche Fahrlässigkeitshaftung erfordert, dass der handelnde Beamte objektiv gegen eine Sorgfaltspflicht verstößt, die gerade dem Schutz des beeinträchtigten Rechtsguts (Leben, körperliche Unversehrtheit) dient, wenn dieser Rechtsverstoß unmittelbar oder mittelbar eine Rechtsgutsverletzung oder Gefährdung zur Folge hat, die der Beamte nach seinen subjektiven Kenntnissen und Fähigkeit vorhersehen und vermeiden konnte.


Eine Sorgfaltspflichtverletzung kann sich vor allem aus Verstößen gegen Rechtsnormen ergeben, aber auch aus Verstößen gegen vertragliche oder berufliche Pflichten, gegen Pflichten aus vorangegangenem Verhalten oder gegen allgemeine Sorgfaltspflichten. Im Einzelfall bestimmt sich Art und Maß der anzuwendenden Sorgfalt nach den Anforderungen, die bei objektiver Betrachtung der Gefahrenlage ex ante an einen besonnenen und gewissenhaften Menschen in der konkreten Lage und sozialen Rolle des Handelnden zu stellen sind. Besteht also bei Großveranstaltungen ein Sicherheitskonzept, liegt auf der Hand, dass dieses auch befolgt werden muss. Zudem muss ein solches Sicherheitskonzept erwartbaren Gefahren genügen. Dabei muss nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eine Schadenseintrittsvorsorge getroffen werden. So kann es insbesondere zur Erfüllung der eigenen Sorgfaltspflicht erforderlich sein, Experten heranzuziehen oder andere Personen bzw. Gremien mit entsprechender Fachexpertise am Entscheidungsprozess zu beteiligen. Auch wenn zur Beurteilung des Sorgfaltsmaßstabs eine ex-ante-Perspektive eingenommen werden muss, wird der Sorgfaltsmaßstab bei einer gerichtlichen Überprüfung naturgemäß retrospektiv beurteilt, was eine Verteidigung bei Gefahren, die sich tatsächlich verwirklicht haben, erschwert.

Zusätzlich zu der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung muss die Tatbestandsverwirklichung objektiv und subjektiv vorhersehbar gewesen sein. Eine generelle Vorhersehbarkeit theoretisch möglicher Kausalverläufe reicht dazu nicht aus. Die Bedeutung dieses Tatbestandsmerkmals darf nicht überschätzt werden. So wird das, was bereits objektiv auf Grundlage der individuellen Kenntnisse des handelnden Beamten als sorgfaltswidrig erkannt wurde, regelmäßig auch vorhersehbar sein. Das gilt insbesondere für die typischen Gefahren einer Großveranstaltung wie beispielsweise terroristische Anschläge und Verletzung von Personen durch Überfüllung und Massenpanik. Spätestens auf dieser Ebene spielen individuelle Sonderkenntnisse des handelnden Beamten eine Rolle. Individuelle Sonderkenntnisse von anderen beteiligten Personen und Gremien, etwa von Sicherheitsbehörden, Krisenstäben, Brandschutzsachverständigen und dergleichen, können an dieser Stelle entlastend wirken.

Große Bedeutung ist bei Fahrlässigkeitsdelikten dem Kausalitäts- bzw. Zurechnungszu-sammenhang beizumessen. Der ursächliche Zusammenhang zwischen dem verkehrswidrigen Verhalten und dem tatbestandlichen Erfolg entfällt nämlich regelmäßig dann, wenn der tatbestandliche Erfolg auch bei verkehrsgerechtem Verhalten eingetreten wäre – wenn also der Schaden sich auch dann verwirklicht hätte. Konkret muss dabei der Frage nachgegangen werden, ob – etwa bei einem unzureichenden Sicherheitskonzept – es auch bei einem ausreichenden Sicherheitskonzept zu den jeweiligen Schäden gekommen wäre. Dieser Nachweis ist in der Praxis häufig nur unter großen Schwierigkeiten zu führen. Entwarnung ist deswegen aber nicht zu geben: Dieses Tatbestandsmerkmal mag in der konkreten repressiven Situation eines Strafverfahrens hilfreich sein, für die präventive Situation hilft es freilich wenig; hier muss bei der Gestaltung eines Sicherheitskonzepts dessen mögliche Kausalität für einen tatsächlich eingetretenen Schaden naturgemäß stets mitgedacht werden. Ist es unzulänglich, kann man sich nicht darauf verlassen, dass ein Schaden eintritt, der bei einem ordnungsgemäßen Sicherheitskonzept ebenfalls eingetreten wäre.

Besonders relevant wird im Bereich von Fahrlässigkeitsdelikten der sogenannte Vertrauensgrundsatz. Dieser besagt etwa bei arbeitsteiligem Vorgehen, dass sich jeder – solange keine offensichtlichen Qualifikationsmängel oder gegenteilige Anhaltspunkte vorliegen – darauf verlassen kann, dass ein anderer seinen ihm zugewiesenen Aufgabenbereich ordnungsgemäß erfüllen wird. Es besteht also keine gegenseitige Überwachungspflicht. Dies gilt insbesondere im Fall einer horizontalen Arbeitsteilung bei Kollegialorganen, beispielsweise Gremien, die für Sicherheitskonzepte verantwortlich sind und naturgemäß aus Mitgliedern mit unterschiedlicher Expertise zusammengesetzt sind (kommunaler Veranstalter, Feuerwehr, allgemeine Sicherheitsbehörden und dergleichen). Eine solche Enthaftung bei arbeitsteiligem Vorgehen kann auch bei vertikaler Aufgabenteilung, also bei Delegation im Über-/Unterordnungsverhältnis, vorliegen. Voraussetzung für eine solche Enthaftung ist allerdings, dass der Übertragende den Übernehmenden sorgfältig ausgewählt hat, und dieser aufgrund seiner Fähigkeiten dazu in der Lage ist, die überantworteten Pflichten ordnungsgemäß zu erfüllen. Hier wandeln sich also die ursprünglichen Sorgfaltspflichten in Organisations-, Anweisungs- sowie Überwachungs- und Eingriffspflichten. Dem Übernehmenden sind zudem klare Anweisungen und Instruktionen hinsichtlich der übertragenen Aufgabe zu erteilen. Dementsprechend ist erforderlich, dass eine klar festgelegte Aufgaben- und Arbeitsteilung vorliegt.

Eine solche Arbeitsteilung kann nicht nur innerhalb einer Behörde oder eines Gremiums stattfinden, sondern auch gegenüber externen Dritten. So ist insbesondere anerkannt, dass man sich auf Expertenrat Dritter prinzipiell verlassen kann. Voraussetzung ist dabei die sorgfältige Auswahl des Beraters, bestehend aus Überprüfung der Sachkunde und persönlicher Zuverlässigkeit, eine zutreffende und vollständige Schilderung der der Expertise zugrundeliegenden Tatsachengrundlage sowie eine Plausibilitätsprüfung der eingeholten Auskünfte.

Müssen andere Behörden zwingend beteiligt werden, sind also Genehmigungen einzuholen, kann auch dies entlastend wirken. Handelt es sich um Genehmigungen gegenüber dem Bürger, kann dieser grundsätzlich darauf vertrauen, dass diese eine als Verhaltensleitlinie dienende behördliche Risikoeinschätzung darstellt, sodass er bei deren Befolgung nicht sorgfaltswidrig handelt.

Handelt es sich demgegenüber um eine innerbehördliche Genehmigung, so gilt dasselbe wie bereits beim arbeitsteiligen Vorgehen angemerkt. Hier kann sich der handelnde Beamte solange auf die erteilte Genehmigung verlassen, wie er keine gegenteiligen Anhaltspunkte hat. Dies bedeutet, dass Genehmigungen von anderen beteiligten Behörden oder Abteilungen von Behörden jedenfalls dann entlastend wirken, wenn hierin eine besondere Sachkunde dieser konkret beteiligten Behörde zum Ausdruck kommt und mit dem Genehmigungserfordernis gezielt abgefragt werden soll.

Handelt ein Beamter auf Weisung eines Dienstvorgesetzten, so ist er prinzipiell gerechtfertigt. Allerdings ist eine solche Weisung dann nicht bindend, wenn ihre Befolgung die Begehung einer Straftat bedeutete. Dies ist bei Fahrlässigkeitstaten problematisch, da hier eine Weisung regelmäßig nur deren sogenanntes Handlungsunrecht verwirklichen kann. Das Erfolgsunrecht einer Fahrlässigkeitstat und damit die eigentliche Verwirklichung des Straftatbestandes hängt demgegenüber wesentlich vom Zufall ab, nämlich, ob es tatsächlich zu einem Personenschaden kommt. In diesem Fall sogenannter gefährlicher Weisungen ist strittig, ob eine Befolgungspflicht vorliegt. Erschöpft sich der Konflikt des Beamten in einer unterschiedlichen Beurteilung des Sorgfaltsmaßstabs, also in der Frage, ob die gefährliche Weisung tatsächlich gefährlich ist oder nicht, wird regelmäßig eine Rechtfertigung angenommen werden müssen. Hält der handelnde Beamte eine Weisung aber für rechtswidrig, da das Beurteilungsermessen überschritten ist, so besteht eine Remonstrationspflicht des Beamten.

Dienst- und disziplinarrechtliche Haftung

Zuletzt ist noch die dienst- und disziplinarrechtliche Haftung der Amtsträger zu erwähnen. Erstere greift auch dann, wenn der Amtswalter im Rahmen der Amtshaftung im Außenverhältnis von einer persönlichen – zivilrechtlichen – Verantwortlichkeit freigezeichnet wird. Wie bereits erwähnt trägt jeder Beamte für sich die volle persönliche Verantwortung für die Rechtmäßigkeit seiner dienstlichen Handlungen. Deshalb können Beamte im Innenverhältnis zu ihrem Dienstherrn bei einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Dienstpflichtverletzung schadenersatzpflichtig sein. In diesem Sinne behält auch Art. 34 Satz 2 GG den Rückgriff der Anstellungskörperschaft vor. Dieser Rückgriff im Innenverhältnis kann auch nicht durch abweichende Vereinbarungen zwischen Dienstherren und Beamten, etwa durch Haftungsfreistellungserklärungen für besonders haftungsträchtige Tätigkeiten im Zusammenhang mit Veranstaltungen, ausgeschlossen oder begrenzt werden. Für alle Beamten gilt ein einheitlicher und unabdingbarer Haftungsmaßstab.

Disziplinarrechtliche Folgen kommen immer dann in Betracht, wenn ein Amtsträger Amtspflichten schuldhaft verletzt hat. Auch hier sind Vorsatz und Fahrlässigkeit als Verschuldensformen zu berücksichtigen. Die Entscheidung darüber, ob eine Disziplinarmaßnahme verhängt wird, obliegt dem pflichtgemäßen Ermessen des Dienstherrn. Disziplinarmaßnahmen dienen dazu, die Ordnung und Integrität des Beamtentums zu sichern. Sie sind hingegen nicht auf Vergeltung, Sühne oder Restitution gerichtet. Der Dienstvorgesetzte hat deshalb bei Bejahung eines Dienstvergehens im Rahmen des Opportunitätsgrundsatzes und unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles darüber zu entscheiden, ob und gegebenenfalls welche Disziplinarmaßnahmen ergriffen werden.

Fazit

Der Beitrag zeigt, dass sich eine pauschale Beurteilung konkreter Haftungsrisiken im Zusammenhang mit kommunalen Veranstaltungen verbietet. Es ist stets der konkrete Einzelfall zu untersuchen, um zu ermitteln, ob und in welchem Umfang Risiken für die einzelnen handelnden Amtsträger bestehen. Jedenfalls aber zeigt der vorliegende Beitrag, dass solche Risiken nicht zu unterschätzen sind. Jedem fürsorgenden Dienstherrn muss daran gelegen sein, diese Risiken soweit als möglich zu minimieren. Schließlich werden seine Beamten ja für ihn tätig, wenn sie die haftungsträchtigen Amtspflichten im Zusammenhang mit kommunalen Veranstaltungen ausführen. Hierzu können sich eine Reihe von Maßnahmen anbieten, wie beispielsweise die Konkretisierung von Arbeitsplatzbeschreibungen oder die Erteilung direkter dienstlicher Weisungen.

 

Christian Alexander Mayer

Rechtsanwalt, Noerr LLP, München,
Lehrbeauftragter für Umweltrecht & Regulierung (Universität Stuttgart)
 

Dr. Martin Schorn

Rechtsanwalt, Noerr LLP, München
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