10.02.2016

Guter (Aufsichts-)Rat ist nicht teuer

Faktoren guter Aufsichtsratsarbeit in öffentlichen Unternehmen

Guter (Aufsichts-)Rat ist nicht teuer

Faktoren guter Aufsichtsratsarbeit in öffentlichen Unternehmen

perspektivenvielfalt stellt das Fundament qualitativ hochwertiger Entscheidungsprozesse dar.|© Markus Mainka - Fotolia
perspektivenvielfalt stellt das Fundament qualitativ hochwertiger Entscheidungsprozesse dar.|© Markus Mainka - Fotolia

Wie wichtig gute Aufsichtsratsarbeit auch und vor allem im öffentlichen Sektor ist, zeigt nicht zuletzt das Beispiel des skandalgebeutelten Flughafens Berlin/Brandenburg, bei dem sich das Kontrollgremium aus Gesellschaftsvertretern des Bundes, der Länder Berlin und Brandenburg sowie aus Arbeitnehmervertretern zusammensetzt. Hier wäre es Aufgabe des Aufsichtsrats gewesen, die Geschäftsleitung umfassend zu beraten und zu kontrollieren. Doch was sind mögliche Gründe dafür, dass ein Aufsichtsrat, welcher je nach Art des öffentlichen Unternehmens beispielsweise auch Verwaltungsrat, Stiftungsrat oder Kuratorium genannt wird, diesen substanziellen Aufgaben nicht hinreichend nachkommt? Liegt es an der umfangreichen Größe des Aufsichtsrats, der den Aufsichtsratsmitgliedern nicht ausreichend zur Verfügung stehenden Zeit, ihrer mangelnden Expertise oder vielleicht doch an den kaum vorhandenen monetären Anreizen?

Studien mit widersprüchlichen Ergebnissen

Zweifelsfrei können all diese Faktoren einen Einfluss auf die Qualität der Aufsichtsratsarbeit haben, sodass sich viele wissenschaftliche Studien dem Einfluss solcher Faktoren auf die Unternehmensleistung widmen. Ernüchternder Weise führen die Ergebnisse aber zu Widersprüchen. Dies mag daran liegen, dass sie gute Unternehmensperformance auf finanzielle Kennzahlen reduzieren, welche insbesondere bei öffentlichen Unternehmen, die neben Wirtschaftlichkeitsinteressen auch immer der Gemeinwohlorientierung verpflichtet sind, kein hinreichendes Bewertungsmaß darstellen. Es mag aber auch daran liegen, dass es weniger auf einzelne Eigenschaften des Aufsichtsrats bzw. seiner Mitglieder ankommt, sondern vielmehr auf den Gesamtzusammenhang und die Dynamik der dort ablaufenden Entscheidungsprozesse.

Forschungsprojekt liefert wichtige Impulse für Erfolgsfaktoren

Das Forschungsprojekt „Entscheidungen und Prozesse in deutschen Aufsichtsräten” des Reinhard-Mohn-Instituts, welches Prof. Dr. Michèle Morner in börsennotierten Aufsichtsräten durchführte, liefert wichtige Impulse für Erfolgsfaktoren guter Aufsichtsratsarbeit, die teilweise auch in öffentlichen Unternehmen gelten. Im Fokus des Projekts standen, im Gegensatz zu den oben skizzierten Studien, die häufig außer Acht gelassenen dazwischen liegenden Entscheidungsprozesse, die in den Aufsichtsräten ablaufen. Aus diesem Forschungsprojekt können auch Schlüsse für die Aufsichtsratsarbeit öffentlicher Unternehmen gezogen werden. Denn, obgleich das Feld öffentlicher Unternehmen sehr heterogen ist – beispielsweise hinsichtlich Rechtsform, Vielfalt der im Kontrollorgan vertretenen Interessengruppen oder Vergütungsregelungen – haben diese allesamt gemein, dass für eine erfolgreiche Aufsichtsratsarbeit zunächst ein entsprechender Rahmen für qualitativ hochwertige Entscheidungsprozesse geschaffen werden muss.


In der Studie konnte Prof. Morner insbesondere drei Erfolgsfaktoren qualitativ hochwertiger Entscheidungsprozesse in Aufsichtsräten aufzeigen, auf welche im Verlauf des Beitrags detaillierter eingegangen wird:

  • Bereitschaft zur Perspektivenvielfalt und -übernahme durch die einzelnen Aufsichtsratsmitglieder
  • kooperative Rolle des Aufsichtsratsvorsitzenden
  • gezielte Ausschussbildung zur Entscheidungsunterstützung.

Bereitschaft zur Perspektivenvielfalt und -übernahme durch die einzelnen Aufsichtsratsmitglieder

Im Rahmen des Forschungsprojekts zeigte sich, dass die Bereitschaft eines Aufsichtsratsmitglieds zur Perspektivenvielfalt und -übernahme eine wichtige Stellschraube konstruktiver Entscheidungsprozesse in Aufsichtsräten darstellt. Das häufig anzutreffende Argument, dass diese Bereitschaft durch monetäre Anreize verstärkt oder gar erzeugt werden müsse, dies aber aufgrund der immanent angespannten Haushaltslage vieler öffentlicher Unternehmen kaum möglich sei, kann durch die Ergebnisse der Studie entkräftet werden.

Die Höhe der Aufsichtsratsvergütung hat vielmehr eine untergeordnete Bedeutung hinsichtlich der Bereitschaft eines Aufsichtsratsmitglieds, sich konstruktiv an Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Vielmehr motiviert die meisten Aufsichtsratsmitglieder bereits die bloße Zugehörigkeit zum Kontrollorgan, das in der Regel die eigene Reputation erhöht und ein Netzwerk neuer sozialer Kontakte eröffnet.

Der Aufsichtsrat öffentlicher Unternehmen setzt sich vielfältig zusammen – beispielsweise rein politisch nach Parteiproporz, durch Gesellschaftsvertreter aus Ministerien und Behörden, einen Mix aus Gesellschaftsvertretern und externen Fachleuten aus Wirtschaft und Wissenschaft, aber auch mit Arbeitnehmervertretern und Leistungsempfängern (Arbeitnehmervertreter, wenn z. B. Arbeitnehmer-Mitbestimmungsgesetze greifen, Leistungsempfänger z. B. bei Stiftungen und Versicherungen).

Hierbei gilt aus wissenschaftlicher Sicht, dass Perspektivenvielfalt im Aufsichtsratsgremium wichtig ist, um Entscheidungen aus verschiedensten Blickwinkeln zu durchleuchten. Doch erhöht eine Perspektivenvielfalt gleichermaßen die Entscheidungskomplexität und kann nur dann konstruktiv genutzt werden, wenn Aufsichtsratsmitglieder bereit sind, die Realität anderer Interessengruppen in das eigene Denkvermögen zu integrieren. Erst dies schafft die Voraussetzung zur konstruktiven Zusammenarbeit aller Aufsichtsratsmitglieder und stellt gleichzeitig das Fundament qualitativ hochwertiger Entscheidungsprozesse dar. Voraussetzung dafür wiederum ist die Kooperationsbereitschaft der Mitglieder und das kooperationsförderliche Verhalten des Aufsichtsratsvorsitzenden.

Rolle des Aufsichtsratsvorsitzenden

Für die Besetzung des Aufsichtsratsvorsitzenden gibt es in öffentlichen Unternehmen unterschiedlichste Regelungen. Der oder die Vorsitzende kann – wie in börsennotierten Unternehmen üblich – vom Aufsichtsrat gewählt werden. Gerade im öffentlichen Sektor ist die Position jedoch – so wie es beispielsweise in einigen Kommunen vorgesehen ist – an eine bestimmte Position, wie die des Oberbürgermeisters, geknüpft.

Ungeachtet dieser unterschiedlichen Regelungen, nimmt der Aufsichtsratsvorsitzende eine entscheidende Rolle ein, wenn es um die tatsächliche Nutzung der im Aufsichtsrat vorhandenen Potenziale geht. Wie die Ergebnisse des Forschungsprojektes zeigen, wird dieses Potenzial in vielen Fällen nicht ausgeschöpft. Denn, wenngleich Aufsichtsratsvorsitzende formal kaum Führungs- und Leitungskompetenzen gegenüber den übrigen Mitgliedern des Kontrollgremiums haben, nutzen die meisten ihre Machposition als Vorsitzende insofern, als dass sie oft nur einen kleinen Kreis an Mitgliedern (i.d.R. den der eigenen Interessengruppe) frühzeitig in Dialoge und Entscheidungsprozesse mit der Geschäftsleitung einbeziehen. Alle anderen werden erst zu einem sehr späten Zeitpunkt zu Entscheidungen hinzugezogen.

Ein „echter” gemeinschaftlicher Wissensaustausch findet so nicht statt. Dies schädigt in den meisten Fällen das Klima und die Arbeitsatmosphäre. Daher sollte sich der Aufsichtsratsvorsitzende als Partner aller Interessenvertreter verstehen und sich bemühen, nicht nur den Austausch zur sogenannten „In-Group” zu pflegen, sondern möglichst alle Aufsichtsratsmitglieder bei der Entscheidungsfindung frühzeitig „ins Boot” zu holen. Dies schafft die Voraussetzung für ein hohes Maß an Vertrauen, Respekt, Loyalität, gegenseitiger Unterstützung und intensivem Wissensaustausch innerhalb der Gruppe.

Letzteres setzt insbesondere bei komplexen, fachspezifischen Entscheidungen voraus, dass dem Aufsichtsrat für seine Entscheidungsfindung hinreichend Zeit zur Verfügung steht. Sogenannte Ausschüsse, die der Aufsichtsrat zur intensiven Ausarbeitung bestimmter Themenkomplexe außerhalb der großen Aufsichtsratsrunde bilden kann, eignen sich, um dieses Problem zu überwinden.

Ausschussbildung zur Entscheidungsunterstützung

Ausschüsse bestehen in der Regel aus mindestens drei Mitgliedern des Aufsichtsrats und können entscheidungsvorbereitende als auch entscheidungstreffende Funktionen haben. Allerdings haftet auch bei der Entscheidung im Ausschuss immer der gesamte Aufsichtsrat als Kollektivorgan. In vielen öffentlichen Unternehmen wird die Option zur Ausschussbildung bislang vergleichsweise wenig genutzt, obgleich sie in vielen Fällen einen sinnvollen Beitrag zur effektiven Aufsichtsratsarbeit leisten könnte.

Der wohl wichtigste Ausschuss ist der Prüfungsausschuss. Obgleich ausschließlich kapitalmarktorientierte Unternehmen zur Einrichtung eines solchen Ausschusses verpflichtet sind, kann er auch in vielen öffentlichen Unternehmen für eine detailliertere Überwachung des unternehmerischen Rechnungswesens sinnvoll sein. Wichtig ist in jedem Fall, den Aufsichtsrat mit mindestens einem unabhängigen und entsprechend qualifizierten Finanzexperten zu besetzen.

Vergleicht man die Praxis der Aufsichtsratsbesetzung öffentlicher Unternehmen, wird deutlich, dass Nominierungsverfahren von neuen Mitgliedern sehr unterschiedlich vonstattengehen. Wie bereits zu Beginn des Beitrags skizziert wurde, sind Aufsichtsräte öffentlicher Unternehmen aufgrund verschiedenster Regelungen unterschiedlich besetzt. Obliegt dem Aufsichtsrat die Möglichkeit, Nominierungsvorschläge für Aufsichtsratsmitglieder abzugeben, ist zur Professionalisierung der Aufsichtsratsbesetzung die Einrichtung eines Nominierungsausschusses sinnvoll.

Doch auch hier zeigen die Ergebnisse des Forschungsprojekts, dass die Qualität dieser Ausschussarbeit maßgeblich von der Rolle des Aufsichtsratsvorsitzenden beeinflusst wird. Erst wenn dieser – im Gegensatz zur häufigen Praxis – davon absieht, trotz Nominierungsausschuss im „Alleingang” mit der Geschäftsleitung Kandidatenvorschläge abzugeben, und stattdessen den Nominierungsausschuss als Entscheidungsarena anerkennt, kann dieser zur professionalisierten Aufsichtsratsbesetzung beitragen. Zusätzlich zu fachlichen Kriterien gilt es dabei, Merkmale der Perspektivenvielfalt und -übernahme als Entscheidungsgrundlage heranzuziehen.

Das Thema effektiver Aufsichtsratsarbeit in öffentlichen Unternehmen wird auch Fokus der nunmehr 4. Speyerer Public Corporate Governance Tagung sein, die vom 4. bis 5. April 2016 an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften (DUV) Speyer stattfindet. Sie richtet sich an Vorstände und Geschäftsführer in öffentlichen Unternehmen, Beteiligungsmanager und Verwaltungsmitarbeiter der öffentlichen Hand, sowie Politiker, Abgeordnete, Ratsmitglieder aus Bund, Ländern, Städten und Kommunen, die als Aufsichtsräte oder als Entscheider in Unternehmen mit öffentlicher Beteiligung und der öffentlichen Verwaltung verantwortlich sind. Weitere Informationen und die Möglichkeit zur Anmeldung erhalten Sie über die Webseite der Universität Speyer (Rubrik: Weiterbildung): www.uni-speyer.de

 

Dipl.-Hdl. Bettina Klimke-Stripf

Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften, Speyer
 

Univ.-Prof. Dr. Michèle Morner

Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften, Speyer Wissenschaftliches Institut für Unternehmensführung und Corporate Governance (wifucg), Berlin
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