15.03.2014

Governance-Praxis: Reform drängt

Bundesweite Expertenkommission für Musterkodex empfohlen

Governance-Praxis: Reform drängt

Bundesweite Expertenkommission für Musterkodex empfohlen

Musterkodex als gemeinsames Dach für ein zukunftsfähiges Beteiligungsmanagement. | © beermedia - Fotolia
Musterkodex als gemeinsames Dach für ein zukunftsfähiges Beteiligungsmanagement. | © beermedia - Fotolia

Früher von der sog. Kernverwaltung erfüllte öffentliche Aufgaben wurden in den letzten Jahrzehnten vielfach auf öffentliche Unternehmen übertragen. Aber auch durch ReKommunalisierungen entstehen weitere öffentliche Unternehmen. Nach einschlägigen empirischen Studien arbeiten in den Städten bzw. Kommunen im Bundesdurchschnitt etwa 50 % der von der öffentlichen Hand Beschäftigten inzwischen außerhalb der Kernverwaltung in ausgegliederten Organisationseinheiten.

Dadurch ergeben sich ganz neue Herausforderungen für das Beteiligungsmanagement, denn inzwischen besitzen sehr viele deutsche Städte und Kommunen Strukturen, die Ähnlichkeiten mit privatwirtschaftlichen Konzernen aufweisen. Kaum ein privater Konzern ist jedoch in so unterschiedlichen Branchen bzw. Politikfeldern engagiert und so hoch verschuldet wie die öffentliche Hand. Oft liegt die Verschuldung der ausgegliederten Organisationseinheiten noch höher als der Schuldenstand öffentlicher Kernhaushalte. Und wie mehrere aktuelle Beispiele zeigen, können auch in öffentlichen Unternehmen enorme Risiken entstehen. Darüber hinaus führen formelle Privatisierungen dazu, dass neue Spielregeln (wie z. B. Aktien- und/oder GmbH-Gesetz usw.) gelten, die neben öffentlich-rechtlichen Vorschriften bestehen und diesen teilweise vorgehen.

Vor diesem Hintergrund wird eine verantwortungsvolle Unternehmensführung und -überwachung mit dem Ziel einer nachhaltigen öffentliche Aufgabenerfüllung bzw. einer qualitätsgerechten Daseinsvorsorge gerade bei gleichzeitigen Haushaltskonsolidierungsnotwendigkeiten zur enormen Herausforderung für Kommunen, Länder und den Bund. Genau mit diesen Herausforderungen beschäftigt sich das Thema der Public Corporate Governance. Hierunter verstehen wir einerseits den rechtlichen und faktischen Ordnungsrahmen für die Steuerung, Leitung und Überwachung bzw. die „Spielregeln“ für verantwortungsvolle Unternehmensführung und -überwachung und andererseits die verantwortungsvolle Unternehmensführung selbst sowie das dazugehörige Beteiligungsmanagement. Die Bereiche sind eng miteinander verbunden und bedingen sich gegenseitig.


Ein wichtiger Bestandteil des Ordnungsrahmens ist ein Public Corporate Governance Kodex. Dabei zeigen wir im Folgenden, welche Regelungen bei der Erstellung eines Kodex auf jeden Fall realisiert werden müssen. Eine zentrale Rolle spielt dabei die so genannte Entsprechenserklärung, die den Unternehmen viel Flexibilität erlaubt und unternehmensspezifisch erstellt werden kann und soll. Aktuell nutzen öffentliche Hand und Unternehmen allerdings kaum das volle Potenzial bei der Arbeit mit Public Corporate Governance Kodizes. Sinn würde vor diesem Hintergrund auch die Einrichtung einer bundeslandübergreifenden Expertenkommission machen, die Vorschläge für einen Musterkodex entwickelt.

Entwicklung von Public Corporate Governance Kodizes

Ein Public Corporate Governance Kodex ist eine Zusammenstellung von Grundsätzen verantwortungsvoller Steuerung, Leitung und Überwachung öffentlicher Unternehmen. Sein Vorbild aus der Privatwirtschaft ist der Deutsche Corporate Governance Kodex, der für börsennotierte Unternehmen gilt. Der große Vorteil bei der Regulierung durch einen Kodex ist, dass ein Abweichen von Empfehlungen entsprechend der spezifischen Unternehmenssituation möglich und durchaus in bestimmten Fällen sinnvoll ist. Weichen die Unternehmen von den Empfehlungen des Kodex ab, müssen sie dies dann aber einmal im Jahr begründen und die stattdessen gewählte Lösung nachvollziehbar in einer auf der Unternehmenshomepage veröffentlichten Entsprechenserklärung erläutern. Börsennotierte Unternehmen sind zu derartigen Entsprechenserklärungen nach § 161 Aktiengesetz (AktG) verpflichtet. Für öffentliche Unternehmen liegt eine derartige gesetzliche Grundlage nicht vor.

Deshalb erscheint es ratsam, die Erstellung und Veröffentlichung einer Entsprechenserklärung in der Satzung des jeweiligen öffentlichen Unternehmens verbindlich vorzuschreiben. Diese wird von Aufsichtsrat und Geschäftsführung einmal im Jahr gemeinsam erstellt, unterschrieben und auf der Internetseite des Unternehmens veröffentlicht.

Hierbei müssen Aufsichtsräte und Geschäftsführungen einmal im Jahr mit wenigen Zeilen zu den Empfehlungen und Anregungen im Kodex Stellung nehmen. Sachgerecht erstellt liefern Entsprechenserklärungen alltagsnützliche Informationen und eine wertvolle Basis für zielorientierte Dialoge. Bei der Befolgung einzelner Empfehlungen besteht Flexibilität, aber die Abgabe und Veröffentlichung einer Entsprechenserklärung ist klar vorgeschrieben und bei Bedarf justiziabel.

Public Corporate Governance Kodizes können somit deutlich spezifischere, präzisere und unter Umständen auch weiterreichende Anforderungen verfassen als Gesetze. Die in Gesetzen entstehenden Regelungslücken kann ein Public Corporate Governance Kodex gerade in neuralgischen Bereichen gezielt füllen. Aufgrund der vorgesehenen Abweichungskultur ist es in wichtigen Feldern möglich, Grundsätze verantwortungsvoller Leitung und Überwachung im Zweifelsfall eher strikter als lockerer zu formulieren.

Unterschiede und Defizite in Public Corporate Governance Kodizes

Aktuelle Analysen von Public Corporate Governance Kodizes zeigen in allen zentralen Regelungsfeldern auffällige Abweichungen von einschlägigen Forderungen und steuerungsrelevante Gestaltungsunterschiede. Substanzielle Defizite finden sich dabei vor allem in folgenden Regelungsbereichen: Verantwortlichkeiten und Ablauf bei der Entwicklung von Unternehmensstrategien und Zielen, Einbindung von politischen Gremien in die Public Corporate Governance, Aus-/ Fort-/Weiterbildung von Aufsichtsratsmitgliedern, Bildung von Prüfungsausschüssen im Aufsichtsrat, Effizienzprüfung und (Selbst-)Evaluation beim Aufsichtsrat, Berichtsinhalte der Geschäftsführung an den Aufsichtsrat, Ausgestaltung von D&O-Versicherungen, Vermeidung und Offenlegung von Interessenkonflikten, Veranschaulichung der Vergütungskriterien für Geschäftsführung und Aufsichtsrat, interne Revision, Unabhängigkeit des Abschlussprüfers sowie bei der Bereitstellung von relevanten Corporate Governance Informationen auf der Internetseite des Unternehmens.

Chancen und Notwendigkeiten einer bundeslandübergreifenden Expertenkommission

Zahlreiche Autoren haben die Uneinheitlichkeit von Public Corporate Governance Kodizes und das Auseinanderdriften von Grundsätzen verantwortungsvoller Unternehmensführung kritisiert und die Entwicklung eines Musterkodexes durch eine hochrangig besetzte Kommission mit besonderem Nachdruck empfohlen. Derartige Kommissionen gibt es bereits nicht nur für börsennotierte Unternehmen, sondern auch für Familienunternehmen. Ein Musterkodex mit entsprechender Beteiligung bei der Erarbeitung wäre dabei keine unzulässige Einschränkung der kommunalen Selbstverwaltung, sondern vielmehr ein – fundiert ausgearbeitetes – Angebot, das die jeweiligen Kommunen nutzen und gegebenenfalls situationsgerecht anpassen könnten.

Die Grundsätze verantwortungsvoller Unternehmensführung und -überwachung sind von Schleswig-Holstein bis Bayern und von Nordrhein-Westfalen bis Sachsen und auch zwischen verschiedenen Branchen identisch. In den Regelungsfeldern Aufsichtsrat, Geschäftsführung, Zusammenwirken von Aufsichtsrat und Geschäftsführung, Rechnungslegung, Abschlussprüfung, Berichtswesen, Bereitstellung von Informationen auf der Unternehmenshomepage/Transparenz, interne Revision usw. gibt es auf dem Niveau von Grundsätzen verantwortungsvoller Public Corporate Governance in der Sache keine gegen einen Musterkodex sprechenden Differenzen. Die lediglich im Bereich des Gesellschafters bestehenden Unterschiede könnten sprachlich und inhaltlich situationsgerecht angepasst werden.

Besonders groß sind die Schwierigkeiten auch bei der jährlich vorgesehenen Evaluation und Überarbeitung eines Public Corporate Governance Kodexes. Zur Erfüllung der Anforderungen müsste in jeder einzelnen Stadt bzw. Gebietskörperschaft umfassend analysiert werden, welche Entwicklungen in der Corporate Governance Überarbeitungen des Kodex´ erfordern bzw. neue Chancen bieten. Angemessen wird dies in den allermeisten Fällen nicht zu leisten sein. Beim Kodex für börsennotierte Unternehmen kann zu den geplanten Änderungen, die vorab veröffentlicht werden, im Rahmen eines Konsultationsverfahrens beispielgebend sogar Stellung genommen werden.

Notwendig und hilfreich wäre, einen Musterkodex für die öffentliche Wirtschaft einmal im Jahr fundiert und transparent zu evaluieren. Die in den Musterkodex eingearbeiteten Änderungen könnten dann wiederum die Basis für Evaluierungen und situationsgerechte Anpassungen in einzelnen Städten und Gebietskörperschaften sein.

Fazit und Ausblick

Angesichts der einschlägig belegten Vollzugs- und Regelungsdefizite in der Public Corporate Governance werden in Städten mit einem Kodex im Vergleich zu Städten ohne Kodex bei allen Herausforderungen für das Gemeinwesen nicht realisierte Entwicklungsbeiträge möglich. Dabei kann ein Kodex als „übersichtliches konzeptionelles Dachdokument“ hilfreiche Beiträge für die einzelnen Bereiche leisten. Bei allen damit einhergehenden Vorteilen ist jedoch ein Kodex kein Ersatz für die zentralen Steuerungselemente wie Unternehmenssatzungen, Geschäftsordnungen, Strategie-/Zielebildung, klassische Planungs- und Controllinginstrumente und vor allem nicht für kompetente Mitarbeiter/Innen im Beteiligungsmanagement.

Um nachhaltige öffentliche Aufgabenerfüllung gleichzeitig mit erforderlicher Haushaltskonsolidierung zu realisieren, müssen alle hierfür hilfreichen Chancen ausgeschöpft werden. In den Worten von Oscar Wilde: „Am Ende wird alles gut. Wenn es nicht gut wird, ist es noch nicht das Ende.“

Um die vielschichtigen Aspekte verantwortungsvoller Unternehmensführung in ihrer Gesamtheit zu behandeln, hat Prof. Dr. Michèle Morner an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften die Tagungsreihe Public Corporate Governance etabliert. In diesem Jahr ist Jun.-Prof. Dr. Ulf Papenfuß von der Universität Leipzig in der wissenschaftlichen Leitung dazugestoßen. Unter Moderation von Rudolf X. Ruter werden aktuelle Themen der Public Corporate Governance gemeinsam mit Experten aus Wissenschaft und Praxis diskutiert und weiterentwickelt, um das vernetzte Denken und Handeln von Praxis und Wissenschaft im Bereich der Public Corporate Governance zu stärken.

Während die 1. Speyerer Tagung für Public Corporate Governance dem Kodex gewidmet war, setzt sich die 2. Speyerer Tagung für Public Corporate Governance vom 28. – 29. April diesen Jahres mit verschiedenen aktuell besonders diskutierten Aspekten für ein zukunftsfähiges Beteiligungsmanagement auseinander.

 

Univ.-Prof. Dr. Michèle Morner

Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften, Speyer Wissenschaftliches Institut für Unternehmensführung und Corporate Governance (wifucg), Berlin
 

Jun.-Prof. Dr. Ulf Papenfuß

Universität Leipzig
n/a