15.03.2014

Kommunale Zusammenarbeit

Vergaberechtliche Bewertung: Die "Piepenbrock"-Entscheidung des EuGH

Kommunale Zusammenarbeit

Vergaberechtliche Bewertung: Die "Piepenbrock"-Entscheidung des EuGH

EuGH bremst Praxis mancher Kommunen, das Vergaberecht mittels organisationsrechtlicher Instrumente zu umgehen. | © Jürgen Priewe - Fotolia
EuGH bremst Praxis mancher Kommunen, das Vergaberecht mittels organisationsrechtlicher Instrumente zu umgehen. | © Jürgen Priewe - Fotolia

Die Frage, unter welchen Bedingungen ein öffentlicher Auftraggeber Aufgaben auf einen anderen öffentlichen Auftraggeber ohne ein Vergabeverfahren übertragen darf, ist seit längerem im europäischen wie im nationalen Vergaberecht umstritten. Mit seiner vielbeachteten Piepenbrock-Entscheidung (EuGH, Urt. v. 13. 06. 2013, C-386/11) hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) Licht in das „vergaberechtliche Dunkel“ gebracht und Leitlinien für die vergaberechtliche Qualifizierung der Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Auftraggebern entwickelt. Es handelt sich um ein Urteil mit richtungsweisender Bedeutung für alle europäischen Kommunen.

Sachverhalt

Im vorliegenden Urteil des EuGH geht es um den Abschluss einer öffentlich-rechtlichen Vereinbarung zwischen zwei kommunalen Gebietskörperschaften. Der Kreis Düren wollte mit einer öffentlich-rechtlichen Vereinbarung die Reinigung seiner im Gebiet der Stadt Düren gelegenen Schul-, Verwaltungs- und Bürogebäude vollständig auf die Stadt Düren übertragen. Die Vereinbarung wollte er im Wege bilateraler Verhandlungen ohne ein förmliches Vergabeverfahren schließen. Die Stadt sollte für ihre Reinigungsarbeiten Dritte heranziehen können. Zudem sollte sie finanziell für die Übernahme der Reinigungsaufgabe entschädigt werden. Der Kreis behielt sich vor, zu kontrollieren, ob die Reinigungsaufgabe ordnungsgemäß erfüllt wird.

Die bisher beauftragte Reinigungsfirma Piepenbrock rügte im Nachprüfungsverfahren den Abschluss der Vereinbarung zwischen den beiden Gebietskörperschaften ohne vorhergehendes Vergabeverfahren. Die angerufene Vergabekammer wies den Nachprüfungsantrag zurück mit der Begründung, dass die streitgegenständliche Vereinbarung als Aufgabendelegation dem Vergaberecht entzogen sei.


Das in der zweiten vergaberechtlichen Instanz, der sofortigen Beschwerde nach §§ 116 ff. GWB, angerufene Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf legte dem EuGH zur Vorabentscheidung die Frage vor, ob unter einem öffentlichen Auftrag i.S.d. § 99 GWB auch ein Vertrag zwischen zwei Gebietskörperschaften zu verstehen sei, durch den die eine Gebietskörperschaft der anderen eine eng begrenzte Zuständigkeit gegen Kostenerstattung überträgt, vor allem dann, wenn die übertragene Aufgabe nicht die hoheitliche Tätigkeit als solche, sondern nur Hilfsgeschäfte betreffe.

Die Entscheidung des EuGH

Die Entscheidung des EuGH betrifft im Kern die Ausschreibungspflicht öffentlich-rechtlicher Vereinbarungen zwischen Hoheitsträgern. Grundsätzlich beschaffen öffentliche Auftraggeber, etwa Gebietskörperschaften wie Städte und Kreise, nach § 97 Abs. 1 GWB Waren, Bau- und Dienstleistungen im Wettbewerb und im Wege transparenter Vergabeverfahren. Voraussetzung ist, dass es sich um öffentliche Aufträge handelt. Das sind nach § 99 Abs. 1 GWB entgeltliche Verträge von öffentlichen Auftraggebern mit Unternehmen über die Beschaffung von Leistungen, die unter anderem Dienstleistungen zum Gegenstand haben.

Nach dem Urteil des EuGH sind auch Vereinbarungen, wie die hier streitgegenständliche, Dienstleistungsaufträge i.S.v. § 99 Abs. 1 GWB. Denn die Vereinbarung der Übernahme der Reinigungsleistungen, einer Dienstleistung, erfülle alle Merkmale eines öffentlichen Auftrags. Dem stehe weder entgegen, dass es sich bei der Stadt Düren als Auftragnehmer ebenfalls um einen öffentlichen Auftraggeber handele, noch, dass die Stadt weder unternehmerisch strukturiert noch ständig auf dem Markt tätig sei. Das Merkmal der Entgeltlichkeit sei ebenfalls erfüllt. Insoweit sei bereits ausreichend, dass der Stadt Düren lediglich entstehende Kosten erstattet würden.

Ausnahmen von der Ausschreibungspflicht

In der Rechtsprechung des EuGH sind zwei Sachverhaltskonstellationen anerkannt, in denen, trotz Vorliegens eines öffentlichen Auftrags, das europäische Vergaberecht keine Anwendung findet: Die so genannte In-House-Vergabe und die so genannte interkommunale Zusammenarbeit. In diesen Fällen kann ein Vertrag ohne vorangehendes Vergabeverfahren abgeschlossen werden. Der Grund für diese Ausnahmen liegt darin, dass die staatliche Beschaffung von Leistungen genuin dazu dient, öffentliche Aufgaben zu erfüllen. Sind daher an einem öffentlichen Auftrag sowohl auf Auftraggeber- als auch auf Auftragnehmerseite ausschließlich öffentliche Akteure beteiligt, wäre es unzweckmäßig, das europäische Vergaberecht anzuwenden. Denn dieses dient vornehmlich dazu, eine weitgehende Öffnung des Binnenmarkts umzusetzen und zu stärken. Genau das ist aber in Konstellationen, in denen eine staatliche Stelle Leistungen selbst erbringen will, nicht berührt. Hierbei geht es vielmehr um Fragen der innerstaatlichen Verwaltungsorganisation, in die das Europarecht wegen der Souveränität der EU-Mitgliedstaaten nicht eingreifen darf.

Im vorliegenden Fall ist allerdings keine der beiden Ausnahmen anwendbar. Zunächst handelt es sich nicht um ein In-House-Geschäft. Nach der Rechtsprechung des EuGH unterliegen Verträge zwischen einer öffentlichen Einrichtung und einer rechtlich von dieser verschiedenen Person nicht den Vorgaben des Vergaberechts, wenn die öffentliche Einrichtung über die betreffende Person eine ähnliche Kontrolle ausübt wie über ihre eigenen Dienststellen, und die betreffende Person darüber hinaus im Wesentlichen für die Einrichtung tätig ist, die ihre Anteile innehat. In dieser Konstellation besteht keine Ausschreibungspflicht, weil keine Nachfrage eines öffentlichen Auftraggebers am Markt stattfindet, sondern es sich um eine staatsinterne Verwaltungsorganisation handelt. Nach der Rechtsprechung des EuGH scheidet aber bereits dann eine vergaberechtsfreie In-House-Vergabe aus, wenn am Kapital der beauftragten Person eine auch nur minderheitliche Beteiligung eines privaten Unternehmens besteht. Denn diese Beteiligung schließt es in jedem Fall aus, dass der öffentliche Auftraggeber über diese Gesellschaft eine ähnliche Kontrolle ausüben kann wie über eine eigene Dienststelle. Schließlich betreffen in diesem Fall die Wirkungen eines solchen Vertrags nicht mehr lediglich den innerstaatlichen Bereich, sondern erstrecken sich auch auf den Wettbewerb um öffentliche Aufträge. In der vorliegenden Konstellation der Piepenbrock-Entscheidung scheitert eine In-House-Vergabe zunächst daran, dass keine Gebietskörperschaft Inhaberin von Anteilen der anderen ist. Zudem unterliegt die Stadt Düren keiner hinreichenden Kontrolle durch den Kreis Düren, auch wenn sich der Kreis das Recht zur Kontrolle der ordnungsgemäßen Durchführung der Reinigungsaufgabe vorbehalten hat. Denn diese Kontrolle ist nicht mit der Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle vergleichbar. Darüber hinaus wird die Stadt nicht überwiegend für den Kreis tätig.

Die zweite der beiden Ausnahmen betrifft den Bereich der interkommunalen horizontalen Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Stellen. Nach der Rechtsprechung des EuGH soll die Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Auftraggebern auf vertraglicher Grundlage dann nicht den Vorgaben des europäischen Vergaberechts unterliegen, wenn solche Verträge ausschließlich zwischen öffentlichen Einrichtungen ohne Beteiligung Privater geschlossen werden, kein privater Dienstleistungserbringer besser gestellt wird als sein Wettbewerber und die vereinbarte Zusammenarbeit durch Überlegungen bestimmt wird, die mit der Verfolgung von gemeinsamen, im öffentlichen Interesse liegenden Zielen zusammenhängen. Damit wird es öffentlichen Stellen grundsätzlich freigestellt, ihre im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben mit ihren eigenen Mitteln und/oder in Zusammenarbeit mit anderen öffentlichen Stellen zu erfüllen, ohne die Aufgabenerfüllung an externe Dienstleister übertragen zu müssen.

Eine solche Zusammenarbeit ist durch den Gedanken einer Kooperation zwischen mehreren Gebietskörperschaften zur Erfüllung von Aufgaben geprägt, die ihnen allen obliegt. Auch diese Ausnahme beruht auf der Souveränität der Mitgliedstaaten, deren Hoheitsgewalt die innerstaatliche Verwaltungsorganisation und -verfahren unterliegt. Ein solcher Akt der internen Verwaltungsorganisation weist von vornherein keinen Bezug zu öffentlichen Beschaffungsvorgängen auf.

Der EuGH hat in der Piepenbrock-Entscheidung die Annahme einer vergaberechtsfreien interkommunalen Zusammenarbeit abgelehnt. Das folgt daraus, dass Stadt und Kreis nicht horizontal zur gemeinsamen Erfüllung einer ihnen beiden obliegenden Aufgabe zusammenarbeiten, sondern der Kreis die Stadt mit der Durchführung einer allein ihm obliegenden Aufgabe betrauen wollte. Zudem sollte sich die Mitwirkungsleistung des Kreises schlicht in den für Reinigungsarbeiten üblichen Obliegenheiten und Pflichten erschöpfen, vor allem, die Objekte zugänglich zu machen. Hierbei geht es nach dem oben Gesagten also gerade nicht um die Zusammenarbeit zwischen zwei öffentlichen Einrichtungen zur Erfüllung einer gemeinsamen Gemeinwohlaufgabe, sondern um eine bloße Aufgabendelegation. Hinzu kommt, dass die private Reinigungsfirma Piepenbrock durch den vertraglich zwischen Stadt und Kreis vorgesehenen Rückgriff auf Dritte gegenüber anderen Marktteilnehmern unzulässig privilegiert würde.

Fazit und Ausblick

Im Ergebnis wertete der EuGH die Kooperationsvereinbarung zwischen dem Kreis Düren und der Stadt Düren als ausschreibungspflichtigen öffentlichen Auftrag. Sie hätte daher nach den Regelungen der §§ 97 ff. GWB ausgeschrieben werden müssen. Damit schiebt der EuGH der Praxis mancher Kommunen einen Riegel vor, mithilfe organisationsrechtlicher Instrumente wie Kooperationsvereinbarungen die Beschaffung von Dienstleistungen dem Vergaberecht entziehen zu wollen. Zwar bleibt die rein innerstaatliche Verwaltungsorganisation auch weiterhin ein vergaberechtsfreier Vorgang. Allerdings bieten organisationsrechtliche Instrumente keine Handhabe, um eigentlich dem Vergaberecht unterliegende Aufträge ausschreibungsfrei zu vergeben. Der EuGH macht daneben deutlich, dass nach seiner Auffassung lediglich in zwei Fällen Ausnahmen von den beschaffungsrechtlichen Vorgaben des europäischen Vergaberechts bestehen: bei In-House-Vergaben einerseits und bei horizontaler interkommunaler Zusammenarbeit andererseits. Der Gerichtshof stärkt mit seiner Entscheidung die tragenden Säulen des Vergaberechts, namentlich den Wettbewerbsgrundsatz und die Diskriminierungsfreiheit, und fördert zugleich die Öffnung des Binnenmarkts.

 

Dr. Verena Bärenbrinker

LL.M., Rechtsanwältin Tätigkeitsschwerpunkt: Vergabeund Beihilfenrecht, Kanzlei Baker & McKenzie, Berlin
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