15.03.2014

Wie man den Wähler beeinflusst…

Kein Vorbild: Das neue Kommunalwahlrecht Rheinland-Pfalz

Wie man den Wähler beeinflusst…

Kein Vorbild: Das neue Kommunalwahlrecht Rheinland-Pfalz

Frauenquote im Kommunalparlament: Darf Hinweis auf dem Stimmzettel Vorschub leisten? | © Nik - Fotolia
Frauenquote im Kommunalparlament: Darf Hinweis auf dem Stimmzettel Vorschub leisten? | © Nik - Fotolia

Das Land Rheinland-Pfalz hat unlängst sein Kommunal­wahl­gesetz (Landes­gesetz über die Wahlen zu den kommunalen Vertretungs­organen [Kommunal­wahl­gesetz – KWG] in der Fassung vom 31.01.1994, mehr­fach geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 08. 05. 2013 [GVBl. S. 139]) geändert und um einen neuen § 29 Absatz 2 ergänzt:

„Die Stimmzettel enthalten den im Wortlaut abzudruckenden Text des Artikels 3 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes, den Geschlechteranteil in der Vertretungskörperschaft zwei Monate vor der Wahl und die zugelassenen Wahlvorschläge in der Reihenfolge ihrer öffentlichen Bekanntmachung (§§ 23, 24 Abs. 1 und 2) unter Angabe des Kennworts sowie des Namens, Vornamens und Geschlechts der Bewerber jedes Wahlvorschlags. In einem Feld unterhalb des jeweiligen Kennworts werden für die Liste Angaben zum Geschlechteranteil auf dem Wahlvorschlag bis zu dem Platz, der der Hälfte der in der Wahl zu vergebenden Plätze entspricht (aussichtsreiche Plätze), gemacht. Mehrfachbenennungen zählen einfach. Auf dem Stimmzettel werden höchstens so viele wählbare Personen aufgeführt, wie Ratsmitglieder zu wählen sind. Wenn Bewerber im Wahlvorschlag mehrfach aufgeführt werden, verringert sich die Zahl der höchstens aufzuführenden wählbaren Personen entsprechend.“

Frauenanteil in Kommunalvertretungsorganen erhöhen


Um diese Bestimmung zutreffend würdigen zu können, ist es hilfreich zu wissen, dass der Frauenanteil in rheinland-pfälzischen Kommunalvertretungsorganen („Kommunalparlamente“) aktuell 16,8 % beträgt und diese neue Wahlrechtsbestimmung erkennbar den Zweck verfolgt, durch die auf dem Stimmzettel aufgenommenen Informationen den Frauenanteil in den Kommunalvertretungsorganen zu erhöhen. Die Landesregierung von Rheinland-Pfalz hält diese neue Vorschrift für verfassungsrechtlich unbedenklich, wobei sie sich auf ein Gutachten des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Sozialrecht der Universität Frankfurt am Main (Prof. Dr. Ingwer Ebsen) stützt. Kritiker dieser Bestimmung hingegen, insbesondere der rheinland-pfälzische Gemeinde- und Städtebund, aber auch Vertreter der einzigen Oppositionspartei, halten diese Bestimmung für verfassungswidrig.

Grundsatz der Freiheit der Wahl

Wie fügt sich diese neue Regelung in das geltende Wahlrecht ein? Ist sie mit dem Grundsatz der Freiheit der Wahl vereinbar?

Ausgangspunkt der Betrachtung ist Artikel 76 Absatz 1 der Verfassung für Rheinland-Pfalz vom 18. 05. 1947, zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. 12. 2010 (GVBl. 2010, S. 547).

Dort heißt es:

„Wahlen und Volksentscheide auf Grund dieser Verfassung sind allgemein, gleich, unmittelbar, geheim und frei.“

Inhaltlich entspricht diese Bestimmung den Wahlrechtsgrundsätzen des Artikels 38 Absatz 1 Satz 1 GG, so dass für die weitere Betrachtung auf die einschlägige Kommentierung und Rechtsprechung zu diesem Grundgesetzartikel zurückgegriffen werden kann.

Nach unbestrittener Auffassung ist die Freiheit der Wahl nur gegeben, wenn jeder unmittelbare oder auch nur mittelbare Zwang oder Druck auf die Entscheidungsfreiheit des Wählers über die auszuwählenden Kandidaten unterbleibt. (Vgl. nur BVerfGE 44, 125 [129]; 66, 369 [380]; 124, 1 [24]; Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Auflage 2012, Art. 38 Rn. 9; Magiera, in: Sachs, Grundgesetz, Kommentar, 4. Auflage 2007, Art. 38 Rn. 85; Kloepfer, Verfassungsrecht, Band I, 1. Auflage 2011, § 7 Rn. 134; Gröpl, in: Gröpl/Windthorst/von Coelln, Grundgesetz, Studienkommentar, 1. Auflage 2013, Art. 38 Rn. 17; Leisner, in: Sodan, Grundgesetz, 1. Auflage 2009, Art. 38 Rn. 29).

Sicher ist, dass durch die neue Regelung auf den Wähler weder unmittelbar noch mittelbar ein Zwang dahingehend ausgeübt wird, vom Wahlrecht in einem bestimmten Sinne Gebrauch zu machen. Auch kann man nicht davon sprechen, dass durch diese neue Regelung in irgendeiner Weise Druck auf den Wähler ausgeübt wird.

Hinweis zum Zeitpunkt der Stimmabgabe

Starke Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung kommen aber dann auf, wenn man bedenkt, dass zur Wahlfreiheit auch gehört, dass im Zeitpunkt der Stimmabgabe darüber hinaus auf den Wähler auch eine sonstige Willensbeeinträchtigung nicht ausgeübt werden darf (vgl. nur Gröpl, a.a.O., Art. 38 Rn. 17). Der Wähler muss seinen politischen Willen in völliger Freiheit umsetzen können.

Durch den Hinweis auf dem Stimmzettel auf Artikel 3 Absatz 2 Satz 1 GG, auf den aktuellen Geschlechteranteil zwei Monate vor der Wahl sowie nicht zuletzt auf den Geschlechteranteil der aussichtsreichen Plätze wird, auch wenn geschlechtsneutral formuliert, angesichts des genannten Frauenanteils von gerade einmal 16,8 % die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass sich der eine oder andere noch unsichere und unentschlossene Wähler dazu verleiten lässt, im Sinne der von den Regierungsparteien gewünschten Richtung „frauenorientiert“ zu wählen.

Dies jedoch ist ein Verstoß gegen den Grundsatz der Freiheit der Wahl nach Artikel 76 Absatz 1 der Verfassung für Rheinland-Pfalz.

Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass auf dem Stimmzettel eigentlich nur auf die geltende Rechtslage (Artikel 3 Absatz 2 Satz 1 GG) sowie auf aktuelle statistische Werte zum Geschlechteranteil hingewiesen wird. Denn diese Wählerinformation hat nämlich erkennbar nur den einen Zweck, den Wähler zu einer bestimmten – frauenfreundlichen – Wahlentscheidung zu veranlassen. Dies aber ist mit dem Grundsatz der freien Wahl nicht zu vereinbaren. Dieser verlangt, dass der Bürger in der Wahlkabine frei von jeder Einflussnahme seinen politischen Willen umsetzen kann. Bei einem Wahlakt, bei dem wenige Sekunden zuvor tendenziös amtlich dem Wähler staatsrechtliche Informationen und statistische Daten mitgeteilt werden, kann von einer „freien“ Wahl im Sinne der Verfassung für Rheinland-Pfalz nicht mehr gesprochen werden.

Erforderlich: Dauerhafte Akzeptanz des Wählers

Weist heute der Gesetzgeber auf dem Stimmzettel auf Artikel 3 Absatz 2 Satz 1 GG hin, so wird er vielleicht schon morgen den Wähler dort über andere Selbstverständlichkeiten der Verfassung informieren, nur um andere weitere verfassungsrechtlich wünschenswerte Ziele zu erreichen. Dafür aber ist der jetzt gewählte Weg eindeutig nicht nur nicht geeignet und verfassungswidrig, er ist auch gesellschaftspolitisch nicht wünschenswert: Denn nur dann, wenn der Bürger in einer öffentlich ausführlich geführten Diskussion davon überzeugt wird, dass gesellschaftliche Unebenheiten angegangen werden müssen, ist er auch bereit, von sich aus hierzu seinen Beitrag zu leisten, der dauerhaft die Gesellschaft weiterentwickelt. Dies wird er dann gerne auch mit einem Stimmzettel der herkömmlichen Art bekräftigen. Veränderungen aber, die durch einseitige staatliche Intervention unmittelbar vor dem Wahlakt veranlasst werden, wird die erforderliche dauerhafte Akzeptanz des Wählers fehlen.

Überdies ist es auch betrüblich, wenn der Staat die Situation des einsamen und um eine Entscheidung bemühten Wählers in der Wahlkabine (aus)nutzt, um ihm noch in diesem letzten Stadium des Wahlvorganges wesentliche, für den Wahlausgang vielleicht entscheidende Informationen zu geben.

Kurzum: Der neue § 29 Absatz 2 Kommunalwahlgesetz ist nicht nur politisch unklug, er verstößt auch gegen den Wahlrechtsgrundsatz der Freiheit der Wahl. Er darf für andere Bundesländer nicht zum Vorbild werden.

Anmerkung: Der Beitrag gibt die persönliche Auffassung des Verfassers wieder.

 

Ekkehard Jentzsch

Thüringer Innenministerium, Prüfungsamt, Erfurt
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