15.12.2013

Gericht ohne Richter

Wer bestimmt über die Veröffentlichung von Urteilen?

Gericht ohne Richter

Wer bestimmt über die Veröffentlichung von Urteilen?

Exklusive Belieferungsverträge für juris – Episode 3 eines ungewöhnlichen Rechtsstreits.
Exklusive Belieferungsverträge für juris – Episode 3 eines ungewöhnlichen Rechtsstreits.

Im Editorial zu Heft 44/2013 der NJW schreibt RiOLG Dr. Gregor Vollkommer (München) einen prägnanten Beitrag über eine wichtige Vorfrage zu einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren, in welchem ein Anbieter einer juristischen Datenbank vom Bundesverfassungsgericht Gleichbehandlung nach dem Informationsweiterverwendungsgesetz verlangt (siehe dazu ausführlich die Beiträge in PUBLICUS 2013.6, S. 23 sowie 2011.11, S. 24).

Der Prozess geht in die dritte Instanz vor dem Bundesverwaltungsgericht. Und die wichtige Vorfrage betrifft den Vorwurf der Befangenheit der Richter des Bundesverwaltungsgerichts, weil diese sich angeblich derselben Veröffentlichungspraxis bedienten wie das im Klagewege angegriffene Bundesverfassungsgericht, also auch juris vor anderen Publikationswilligen bevorzugten. Vollkommer stellt nun die Frage „Entscheiden Richter des Bundesverwaltungsgerichts in eigener Sache, wenn sie über die exklusive Vermarktung von Urteilen durch juris urteilen?“ und gibt die folgende Antwort: „Sicher nicht. Denn die (…) Veröffentlichungspraxis ist eine Aufgabe der Justizverwaltung, die dem Präsidenten und vielleicht einzelnen Mitgliedern des Präsidiums obliegt.“

Theorie…

In der Theorie ist dies sicher richtig. Ein öffentlich zugängliches Dokument über die Praxis sagt aber etwas anderes. Die in weiten Teilen empirische Dissertation von Reinhard Walker mit dem Titel „Die Publikation von Gerichtsentscheidungen“ (1998) ist in vier Teilen im Internet nachzulesen, beginnend mit dem Link http://www.jurpc.de/jurpc/show?id=19980034. Über die Veröffentlichungspraxis des Bundesverwaltungsgerichts steht dort unter Gliederungspunkt 1.1.2.5: „Beim Bundesverwaltungsgericht hat sich zur Herausgabe der amtlichen Sammlung ein Verein gebildet, dem alle Richter angehören. Die Arbeit wird durch eine Kommission organisiert, in der jeder Senat mit einem Mitglied vertreten ist. Die zur Veröffentlichung bestimmten Entscheidungen redigieren die Senate selbst. Außerdem übertrug der Verein den Senaten die Betreuung der Fachzeitschriften, die schwerpunktmäßig im Bereich der jeweiligen Ressortzuständigkeit publizieren. Die Honorare aus den Veröffentlichungen werden für Gemeinschaftsveranstaltungen verwandt, jeder Richter erhält aber von der Kommission auch bestimmte Finanzzuweisungen.“ Dafür wird folgende Quelle genannt: „Berkemann, Jörg, Protokoll des Arbeitskreises B2: Wie gelangen Urteile in die Öffentlichkeit?, Aus den Akten des EDV-Gerichtstages, jur-PC 1994 S. III und IV“.


…und Praxis

Das gesamte Kapitel 1.1 – „Organisation und Honorarregelung der Veröffentlichung von Entscheidungen beim Bundesverfassungsgericht und den obersten Gerichtshöfen des Bundes“ erläutert die – jedenfalls 1998 noch – gängige Praxis der Herausgebervereine, die sich um die Publikation kümmern und die auch finanziell an Erlösen partizipieren; von der Justizverwaltung und den Gerichtspräsidenten ist kaum die Rede.

In der aktuellen zweitinstanzlichen Entscheidung des VGH Mannheim in derselben Sache (Az. 10 S 281/12 vom 24. 05. 2013, S. 20) wird ebenfalls noch dargestellt, dass der Verein der Richter des Bundesverfassungsgerichts e.V. Tätigkeiten bei der Veröffentlichung von Entscheidungsmaterial entfaltet. Und auch in der amtlichen Sammlung des Bundesverwaltungsgerichts steht: „herausgegeben von den Mitgliedern des Gerichts“. Daher steht zu vermuten, dass auch heute die Richterschaft und nicht die Gerichtsverwaltung des Bundesverwaltungsgerichts diese Arbeit verantwortet.

Fazit

Mag sein, dass der Inhalt der Arbeit von Walker in den letzten 25 Jahren teilweise von der Wirklichkeit überholt worden ist. Aber nachdem die Justiz ein Hort der Tradition ist und nachdem konkret widersprechende Untersuchungen nicht vorliegen, erscheint die apodiktische Argumentation von Vollkommer ein wenig zu knapp im Sinne eines palmström‘schen „Weil nicht sein kann, was nicht sein darf“.

 

Dr. Alexander Konzelmann

Leiter der Boorberg Rechtsdatenbanken RDB, Stuttgart
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