27.01.2020

Gefährliche Provokation

Krawall während Hochzeitsfeiern in Städten und auf Autobahnen

Gefährliche Provokation

Krawall während Hochzeitsfeiern in Städten und auf Autobahnen

Manöver auf Autobahnen und Autostraßen fordern die Polizei heraus. | © dizfoto1973 - stock.adobe.com
Manöver auf Autobahnen und Autostraßen fordern die Polizei heraus. | © dizfoto1973 - stock.adobe.com

Eskalationen durch Hochzeitsfeiern kommen immer häufiger im gesamten Bundesgebiet vor. Vor allem Meldungen über Autokorsos von Hochzeitsgesellschaften, die Straßen in Innenstädten und auch Autobahnen lahmlegen und die Polizei in Atem halten, nehmen seit einigen Monaten zu. Die nordrhein-westfälische Polizei geht nun in die Offensive.

Keine Bagatellen

In den letzten Monaten häufen sich Meldungen über Hochzeitsgesellschaften, die Pyrotechnik oder Schreckschusswaffen abfeuern oder mit ihren Autos Verkehrswege und sogar Autobahnen blockieren, um dort die Reifen einzelner Fahrzeuge durchdrehen zu lassen und somit die Fahrbahn zu markieren. Vor allem in Nordrhein-Westfalen treten feiernde Personengruppen mit rücksichtlosen und mitunter gefährlichen Verhaltensweisen im öffentlichen Raum auf. In gut zwei Monaten, zwischen April und Anfang Juli 2019, musste die Polizei NRW insgesamt 252 Mal wegen eskalierender Hochzeitsfeiern einschreiten. Die meisten Einsätze gab es in Duisburg (36), gefolgt von Köln (33) und Essen (20). Dabei wurden 55 Mal Schüsse gemeldet, was sich in 26 Fällen für die Polizei vor Ort bestätigte, 28 Mal wurde nicht angemeldete Pyrotechnik in der Öffentlichkeit gezündet. Bei 35 solcher Einsätze handelte es sich um Manöver auf Autobahnen, die die Polizei auflösen musste. Auch kam es während einer Hochzeitsfeier zur Behinderung von Rettungskräften, die nach einem Unfall ein Kind versorgen und in ein Krankenhaus bringen mussten. Erst nach Einschreiten der Polizei wurde dies möglich.

Bei solchen Einsätzen wurden durch die Polizei u. a. Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren eingeleitet, Waffen sichergestellt, Verwarnungen sowie Platzverweise erteilt und Fahrzeuge stillgelegt.


Hintergrund

Bei den Hochzeitsgesellschaften handelt es sich um Menschen mit meistens einem türkischen und zum Teil auch kurdischen Migrationshintergrund. Entsprechende Landesflaggen werden regelmäßig bei derartigem grenzüberschreitendem Verhalten gezeigt. Auch Angehörige polizeibekannter Großfamilien, sogenannter Clans, fallen vereinzelt mit den in Rede stehenden Verhaltensweisen auf. Es stellt sich somit die Frage, inwiefern solches Verhalten kulturell bedingt ist und warum sich diese Eskalationen im Rahmen von Hochzeiten aktuell häufen.

In den türkischen Communities werden die Vorfälle gegenwärtig ebenfalls diskutiert. Die Ansichten reichen von der Feststellung, dass türkisch stämmige Menschen einfach in den vergangenen Jahren tatsächlich in Deutschland angekommen seien und deswegen Traditionen stärker im öffentlichen Raum ausleben würden. Gerade öffentliche Statements betonen unbenommen dessen jedoch die notwendige Einhaltung geltenden Rechts: Die übliche Emotionalität bei Feierlichkeiten dürfe nicht Gesetze verletzen oder Menschen in Gefahr bringen.

Dass sich die Vorfälle häufen, erscheint logisch, wenn man sich die Delinquenten selbst anschaut: Hierbei handelt es sich regelmäßig um junge Männer, die sich innerhalb der Hochzeitsgesellschaft, aber auch in sozialen Netzwerken präsentieren wollen. Facebook-Seiten und Handy-Videos, die auf Plattformen wie YouTube hochgeladen werden, fordern innerhalb bestimmter Gruppen nicht nur zur Nachahmung, sondern auch dazu auf, das Gezeigte weiter zu überbieten. Damit verbundene Verstöße wiegen hingegen nur maximal sekundär, es geht um den Ruf innerhalb einer bestimmten Community. Insofern sind die Vorfälle sicherlich auch als Trend zu werten.

Die Beobachtungen der Polizei dokumentieren derweil eine weitere Facette: Nämlich die der bewussten Provokation und Herausforderung staatlicher Akteure. Nicht selten gewinnen Beamte in solchen Einsätzen den Eindruck, dass sich ihr Gegenüber vor der staatlichen Intervention nicht fürchtet, sondern vielmehr vorbereitet ist und direkt einen Anwalt als Ansprechpartner benennen kann. Dies widerspricht dem Eindruck, es handele sich in solchen Fällen um spontane Ausbrüche, über die nicht weiter nachgedacht wurde und die sich aus einer emotionsentladenden Freude heraus ergeben. Insbesondere, wenn Waffen und Pyrotechnik eingesetzt wurden, kann man dies ohnehin ausschließen, denn solche mussten zur Feier mitgebracht werden.

Vorgehen der Polizei NRW

Gerade im Ruhrgebiet fallen entsprechende Ausschreitungen auf und sie nehmen zu. Darauf reagierte das nordrhein-westfälische Innenministerium nun mit einer entsprechenden Null-Toleranz-linie, in deren Kontext auch ein Flyer erstellt wurde, der Hochzeitsteilnehmern kurz und knapp genau auflistet, was erlaubt und welche Verhaltensweisen verboten und daher zu unterlassen sind. Diese Flyer wurden in entsprechenden Brautmodeläden und Festsälen verteilt – den Flyer finden Sie hier.

Zudem informiert die Polizei über ein konsequentes Vorgehen gegen derlei Exzesse. So stellen Hochzeitskonvois im öffentlichen Verkehrsraum grundsätzlich eine Straßenbenutzung dar, für die eine Genehmigung der zuständigen Straßenverkehrsbehörde erforderlich ist. Ein Verstoß wird daher mit Bußgeldern geahndet. Kommt es bei solchen Konvois zu Fahrbahnschäden, werden die Kosten den Verursachern auferlegt. Neben Bußgeldern von bis zu tausend Euro drohen dann zusätzliche Kosten für die Fahrbahnsanierung. Im Schadensfall kann grob fahrlässiges Verhalten zum Verlust des Versicherungsschutzes führen. Zudem kann der Führerschein entzogen werden, wenn Verstöße berechtigte Zweifel an der charakterlichen Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen begründen.

Ordnungswidrigkeiten und Straftaten im Rahmen ausufernder Hochzeitsfeiern werden entsprechend nach dem jeweiligen Tatbestand geahndet. Eine exemplarische Aufzählung findet sich auf den Internetpräsenzen der Polizei in NRW:

Mögliche Straftaten

  • § 125 Strafgesetzbuch (StGB): Landfriedensbruch
  • § 223/244 StGB: Köperverletzung und gefährliche Körperverletzung durch pyrotechnische Gegenstände
  • § 303 StGB: Sachbeschädigung
  • § 303 a StGB: Schwere Gefährdung durch Freisetzen von Giften von Pyrotechnik
  • § 315b StGB: Gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr
  • § 315c StGB: Gefährdung des Straßenverkehrs
  • § 315d StGB: Verbotene Kraftfahrzeugrennen
  • § 240 StGB: Nötigung
  • § 40 Sprengstoffgesetz: Verbotenes Abbrennen von pyrotechnischen Gegenständen
  • § 52 Waffengesetz: Straftat wegen des Führens einer PTB-Waffe ohne Kleinen Waffenschein

Mögliche Ordnungswidrigkeiten

  • § 1 Straßenverkehrsordnung (StVO): Jeder Verkehrsteilnehmer hat sich so zu verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.
  • § 4 StVO: Der Abstand zu einem vorausfahrenden Fahrzeug muss in der Regel so groß sein, dass auch dann hinter diesem gehalten werden kann, wenn es plötzlich gebremst wird. Wer vorausfährt, darf nicht ohne zwingenden Grund stark bremsen.
  • § 16 StVO: Schall- und Leuchtzeichen darf nur geben, wer sich und andere gefährdet sieht.
  • § 18 StVO: Halten auf der Autobahn, auch auf Seitenstreifen, ist verboten.
  • § 29 StVO: Veranstaltungen, für die Straßen mehr als verkehrsüblich in Anspruch genommen werden, bedürfen der Erlaubnis, das ist der Fall, wenn die Benutzung der Straße für den Verkehr wegen der Zahl oder des Verhaltens der Teilnehmer oder der Fahrweise der beteiligten Fahrzeuge eingeschränkt wird
  • § 30 StVO: Bei der Benutzung von Fahrzeugen ist unnötiger Lärm und unnötiges Hin- und Herfahren verboten.
  • § 37 StVO: Regelungen im Zusammenhang mit Wechsellicht- und Dauerlichtzeichen (Rotlicht)
  • § 113 OWiG: Unerlaubte Personenansammlung
  • § 23 Bundesfernstraßengesetz (FStrG): Sondernutzung auf Bundesfernstraßen
  • § 59 Straßen- und Wegegesetz des Landes NRW (StrWG NRW): Sondernutzung auf anderen Straßen in NRW
  • § 41 Sprengstoffgesetz: Ordnungswidrigkeiten durch das verbotene Abbrennen von pyrotechnischen Gegenständen
  • § 17 Landes-Immissionsschutzgsetz (LImschG): Ordnungswidrigkeit durch die Störung der Nachtruhe
  • § 17 LImschG: Ordnungswidrigkeit durch das Abbrennen von Feuerwerk ohne Genehmigung
  • § 53 Waffengesetz: Ordnungswidrigkeit wegen des Schießens mit einer PTB-Waffe ohne Erlaubnis
  • Kommunale Verordnungen wie Straßensatzungen oder Satzungen zur Öffentlichen Sicherheit und Ordnung.

Fazit

Die beschriebenen Ausschreitungen während Hochzeitsfeiern müssen als das betrachtet werden, was sie sind: Bewusste Provokationen, die den öffentlichen Frieden stören und den Staat herausfordern sollen. Eine Verniedlichung derartiger Verhaltensweisen, die Unbeteiligte in Gefahr bringen und im höchsten Maße rücksichtlos sind, wäre angesichts dieses Impetus deplatziert. Es geht nicht um eine kulturell-übliche, zum Ausdruck gebrachte Freude über die Eheschließung zweier Menschen, sondern um eine Machtdemonstration meist recht junger Männer, ohne viel Lebenserfahrung und mit sichtlichen Mängeln im Sozialverhalten. Die Antwort des Staates muss daher eine solche sein, die erzieherisch wirksam ist.

 

Prof. Dr. Dorothee Dienstbühl

Professorin an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (HSPV) Nordrhein Westfalen

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