13.01.2020

Unzulässigkeit presseähnlicher gemeindlicher Internetangebote

LG Dortmund entscheidet zum Internetauftritt der Stadt Dortmund

Unzulässigkeit presseähnlicher gemeindlicher Internetangebote

LG Dortmund entscheidet zum Internetauftritt der Stadt Dortmund

Städte müssen sich bei ihrem Internetauftritt stärker auf rein kommunale Informationen beschränken. | © Scanrail - stock.adobe.com
Städte müssen sich bei ihrem Internetauftritt stärker auf rein kommunale Informationen beschränken. | © Scanrail - stock.adobe.com

Eingekleidet in eine wettbewerbsrechtliche Klage entschied das Landgericht Dortmund Anfang November 2019 über die Grenzen staatlicher Öffentlichkeitsarbeit und presseähnlicher Tätigkeiten durch Gemeinden (Urt. v. 8.11.2019 – AZ 3 O 262/17). In Fortentwicklung der Rechtsprechung des BGH von 2018 wendet es die Grundsätze der Staatsferne der Presse erstmals auch auf gemeindliche Internetpublikationen an.

Städtisches Internetportal zu presseähnlich

Der in Dortmund ansässige Lensing-Wolff Verlag, der unter anderem die „Ruhr-Nachrichten“ sowie zugehörige Digitalangebote herausgibt, ging erfolgreich gegen das Internetportal der Stadt Dortmund vor. Dieses enthielt unter anderem aktuelle Nachrichten aus den Bereichen Politik, Sport, Wirtschaft und Kultur sowie einen Veranstaltungskalender. Dem Urteil zufolge verstößt die Stadt mit ihrem Angebot gegen das Gebot der Staatsferne der Presse. Das Internetportal betreffe Themen, die keinen Bezug zur Tätigkeit der Gemeinde aufweisen und sei zudem auch hinsichtlich seiner Aufmachung zu „presseähnlich“ gestaltet.

Über eine vergleichbare Konstellation hat im Jahr 2018 bereits der BGH entschieden (Urt. v. 20.12.2018 – AZ I ZR 112/17). Im damaligen Verfahren klagte ein privates Presseunternehmen gegen die Verbreitung des „Crailsheimer Stadtblatts“, das von der beklagten Gemeinde als Amtsblatt mit redaktionellen Beiträgen und Anzeigenteil in gedruckter Form herausgegeben wurde.


Gebot der Staatsferne der Presse als Grenze kommunaler Selbstverwaltung und Marktverhaltensregel

Der rechtliche Kern der Entscheidungen des LG Dortmund und des BGH betrifft das Verhältnis zwischen der Institutsgarantie der freien Presse und der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung. Teilgehalt der Institutsgarantie der freien Presse aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG sind die Verbote der Beherrschung von Presseunternehmen durch den Staat sowie der lenkenden Einflussnahme auf die Presse, als Eingriffe in den demokratischen Meinungsbildungsprozess. Abzugrenzen ist dies jedoch von zulässiger Öffentlichkeitsarbeit des Staates. In engen Grenzen ist – anders als im linearen Rundfunk – staatliche Publikationstätigkeit zulässig.

Das Gebot der Staatsferne der Presse fungiert für hoheitliche Tätigkeiten auf diesem Gebiet als Marktverhaltensregel  i.S.d. § 3a UWG. Anders als ursprünglich vom LG Dortmund im Vorfeld der BGH-Entscheidung angenommen, schließt es nicht den Marktzutritt durch ein vollständiges Publikationsverbot für Hoheitsträger („Ob“ der Betätigung) aus, sondern setzt vielmehr der Ausübung im überschneidenden Bereich mit der privaten Presse qualitative Grenzen („Wie“ der Betätigung). Damit ist die Voraussetzung der Eröffnung des ordentlichen Rechtswegs erfüllt. Gleichzeitig stellt die Betätigung außerhalb des zugewiesenen Aufgabenbereiches, d.h. die Verletzung des Gebots der Staatsferne, auch eine geschäftliche Handlung i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG dar und ist am Maßstab des Wettbewerbsrechts zu messen.

Abstrakt betrachtet wird die zulässige Publikationstätigkeit der Gemeinde innerlich durch den Bezug zu den ihr zugewiesenen öffentlichen Aufgaben im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung gem. Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG begrenzt. Es ist daher stets ein Bezug der Informationstätigkeit zu den Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft erforderlich. Umgekehrt ist die kommunale Selbstverwaltungsgarantie nicht geeignet, als Schranke der Pressefreiheit zu fungieren. Ihr Gewährleistungsgehalt betrifft die Kompetenzverteilung zugunsten der Gemeinden im Verhältnis zu anderen staatlichen Organisationseinheiten und entfaltet keine einschränkende Wirkung gegenüber anderen Grundrechtsträgern und verfassungsrechtlichen Instituten.  Eine Rechtfertigung weitergehender Publikationstätigkeit der Gemeinde kann daher nicht auf Grundlage der Selbstverwaltungsgarantie erfolgen. Vielmehr stellt die Institutsgarantie der freien Presse die äußere Grenze der zulässigen Publikationstätigkeit dar.

Kein Grundversorgungsauftrag im Pressebereich

Die äußere Grenze der zulässigen Betätigung wird auch nicht durch etwaige auf dem örtlichen Markt bestehende Informationsdefizite oder eine Monopolstellung des privaten Wettbewerbers beeinflusst. Sowohl der BGH als auch das LG Dortmund lehnten eine Erweiterung der zulässigen Publikationstätigkeit der Gemeinde auf dieser Grundlage ab. Im Einzelfall bestehende staatliche Informationspflichten, etwa die Warnung vor Gefahren, fallen ohnehin in den Bereich der zulässigen Öffentlichkeitsarbeit. Angeblich unzureichende Berichterstattung über das allgemeine lokale Geschehen durch private Akteure rechtfertigt hingegen keine „Ersatzberichterstattung“ durch die Gemeinde. Mängel der Grundversorgung der Bevölkerung mit vielfältigen Presseangeboten können und dürfen gerade nicht durch den Staat ausgeglichen werden. Vielmehr besteht auf bereits konzentrierten Meinungsmärkten, wie regelmäßig im Bereich der Lokalpresse, ein umso höheres Risiko der einseitigen Beeinflussung durch staatliche Pressetätigkeiten als in einer pluralen Umgebung mit vielfältigen privaten Angeboten. Der Ableitung eines Grundversorgungs- oder Funktionsauftrags nach Vorbild des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aus der Allzuständigkeit der Gemeinde i.S.d. Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG wird damit eine klare Absage erteilt.

Kriterien der Presseähnlichkeit

Konkret folgen aus diesen Grundsätzen sowohl inhaltliche als auch gestalterische Grenzen für gemeindliche Publikationen. Inhaltlich bedeutet die Beschränkung der Gemeinde auf ihre Selbstverwaltungsangelegenheiten, dass Informationen über die Politik und Tätigkeiten der Gemeinde in Form neutraler Sachinformationen im Vordergrund stehen müssen. Unzulässig sind dagegen eine darüber hinausgehende umfassende Berichterstattung über das gesellschaftliche Leben sowie tendenziöse oder wertende Beiträge. Während beispielsweise Berichte über kommunale Wirtschaftsförderungsprogramme oder Veranstaltungen der Gemeinde dem Bereich der zulässigen Öffentlichkeitsarbeit zuzurechnen sind, überschreiten allgemeine Beiträge über lokale Privatunternehmen und private Sport- oder Musikveranstaltungen diese Grenze. Veranstaltungskalender sind auf reine Ankündigungen ohne pressemäßige Vorberichterstattung zu begrenzen. Bezüglich der Form der Publikation soll eine boulevardmäßige Aufmachung, die optisch nicht von privaten Presseangeboten zu unterscheiden ist, vermieden werden. Die Betrachtung bezieht sich dabei auf das Gesamtangebot, nicht auf einzelne Beiträge. Je näher der thematische Zusammenhang mit den gemeindlichen Aufgaben besteht, umso mehr ist auch eine presseähnliche Gestaltung und die Verwendung pressetypischer Darstellungsformen (wie Interviews) zulässig.

Schutz vor Wettbewerbsverzerrung

Die Entscheidungen des BGH und des LG Dortmund gehen primär auf das Gebot der Staatsferne der Presse und seine Funktion zur Verhinderung staatlicher Einflussnahme auf den Meinungsbildungsprozess ein. Auch der Schutz vor Konkurrenz durch staatliche finanzierte Angebote hat jedoch gegenüber dem Schutz vor unmittelbarer staatlicher Einflussnahme eine eigenständige Bedeutung.

Kriterien bei der Bewertung der gemeindlichen Publikationstätigkeit sind unter anderem auch die kostenlose Verteilung oder Verbreitung der Angebote sowie eine etwaige Anzeigenfinanzierung. Hieraus wird deutlich, dass auch die ökonomische Wettbewerbsstellung der privaten Anbieter, als Voraussetzung ihrer Teilnahme am publizistischen Wettbewerb, geschützt wird. In Abgrenzung zur Verteilung sog. „Gratiszeitungen“ durch private Konkurrenten, die wettbewerbsrechtlich nicht angreifbar ist (vgl. BGH, Urt. v. 20.11.2003 – AZ I ZR 151/01), sind Wettbewerbsverzerrungen durch staatlich finanzierte Angebote nicht unbegrenzt hinzunehmen.

Dieser Schutzgedanke ist insbesondere aus dem Rundfunkrecht bekannt. Die Tätigkeit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten wird gegenüber den privaten Wettbewerbern nicht durch das Gebot der Staatsferne des Rundfunks begrenzt, da diesem bereits durch die Unabhängigkeit und Struktur der Anstalten Rechnung getragen wird. Beschränkungen ergeben sich jedoch aus dem Schutzziel der Erhaltung des unverzerrten Wettbewerbs sowie aus dem Beihilferecht, wobei jede Beschränkung auch der Sicherung des publizistischen Wettbewerbs dienen muss. Auch dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist daher die Verbreitung „presseähnlicher“ Telemedien im Rahmen seines gebührenfinanzierten Angebots gem. § 11d Abs. 7 RStV untersagt. Die ehemalige Fassung dieser Vorschrift lag dem Streit um das ARD-Angebot „Tagesschau-App“ zugrunde (vgl. BGH, Urt. v. 30.04.2015 – I ZR 13/14). Detaillierte Beschränkungen folgen auch aus der Negativliste für Telemedien (Anlage zu § 11d Abs. 5 Nr. 4 RStV), die Dienste von besonders hoher wirtschaftlicher  Relevanz für private Anbieter auflistet.

Funktionale Äquivalenz auch zwischen Internetangeboten

Die wesentliche Neuerung der Entscheidung des LG Dortmund gegenüber dem Urteil des BGH von 2018 stellt die Verbreitungsform des gemeindlichen Angebots im Internet dar. Nach der Argumentation des LG lassen sich aus den Grundsätzen der BGH-Entscheidung inhaltliche Grenzen für jegliche Form gemeindlicher Publikationen ableiten, ohne dass es darauf ankäme ob es sich um gedruckte Erzeugnisse oder Internetinhalte handelt. Entscheidend sei lediglich, dass das jeweilige Angebot vom Adressatenkreis als funktionales Äquivalent zu den Angeboten der privaten Mitbewerber wahrgenommen werde. Da der klagende Verlag vorliegend ebenfalls ein entsprechendes Internetangebot betreibt, sei diese Voraussetzung erfüllt.

Über den Fall hinaus dürfte die Entscheidung Konsequenzen für ähnlich gestaltete städtische Internetportale in ganz Deutschland nach sich ziehen. Die Mittel der gemeindlichen Selbstdarstellung werden empfindlich begrenzt. Dies ist rechtlich geboten und bereits seit der BGH-Entscheidung absehbar. Während im Nachklang des BGH-Urteils z.T. noch eine funktionale Äquivalenz zwischen Internetangeboten der Gemeinden und gedruckt verbreiteten Tageszeitungen abgelehnt wurde, ist die Substituierbarkeit von gemeindlichen und privaten Internetangeboten nicht mit vernünftigen Erwägungen zu widerlegen und die Entscheidung des LG Dortmund in dieser Hinsicht nur konsequent. Auch vermag der im Einzelfall sicherlich vorhandene Mehrwert entsprechender gemeindlicher Angebote, gerade vor dem Hintergrund der Schließung etlicher Lokalredaktionen, nicht die unbedingt schützenswerten Grundsätze der Staatsferne der Presse aufzuwiegen. Aus gutem Grund besteht für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein komplexes System organisatorischer Vorkehrungen gegen staatliche Einflussnahme als Voraussetzung seiner Tätigkeit. Vertritt man die Ansicht, der (Online-)Pressemarkt bedürfe ebenfalls einer positiven Ordnung zum Ausgleich von Defiziten, würde dies gleichwertige Gewährleistungen der Unabhängigkeit erfordern. Gemeinden jedenfalls dürfen nicht als „öffentlich-rechtliche Presse“ agieren, sondern stehen als Hoheitsträger schlicht unter dem Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes.

 

Dr. Sarah Hartmann

Wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht der Universität Münster
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