Der elektronische Tintenkiller im Gemeinsamen Ministerialblatt GMBl
Gut ist das Gegenteil von gut gemeint
Der elektronische Tintenkiller im Gemeinsamen Ministerialblatt GMBl
Gut ist das Gegenteil von gut gemeint
§ 15 Absatz 2 Satz 3 des E-Government-Gesetzes des Bundes zum Thema „Amtliche Mitteilungs- und Verkündungsblätter“ (BGBl. 2013 I S. 2749) lautet: „Es ist sicherzustellen, dass die publizierten Inhalte allgemein und dauerhaft zugänglich sind und eine Veränderung des Inhalts ausgeschlossen ist.“ Daran sollte das BMI nochmals üben.
Tippfehler im amtlichen Verkündungsblatt
Amtliche Verkündungsblätter werden im Rahmen von E-Government-Projekten seit vielen Jahren auch online zur Verfügung gestellt. Das hat den Vorteil, dass der gleichzeitige und parallele Zugriff vieler Rechtsanwender gewährleistet ist und dass man auch ohne an ein Bibliotheksregal zu gehen jederzeit historische Ausgaben nachlesen kann. Voraussetzung dafür ist die Gewährleistung, dass die Papierausgabe und die Online-Ausgabe (im Normalfall als Text-PDF, im Idealfall als digital signiertes PDF/A) identisch sind. Hilfreich ist zudem ein Vorsorgeklausel für Problemfälle. § 15 Absatz 2 Satz 4 EGovG lautet daher: „Bei gleichzeitiger Publikation in elektronischer und papiergebundener Form hat die herausgebende Stelle eine Regelung zu treffen, welche Form als die authentische anzusehen ist.“ Eine Regelung für nachträgliche Abweichungen wird allerdings nicht gefordert. [1]
Das Gemeinsame Ministerialblatt der Bundesregierung, herausgegeben vom Bundesministerium des Innern (amtliche Abkürzung „GMBl“, ISSN 0939-4729) erscheint als amtliches Verkündungsblatt in loser Folge und parallel dazu als elektronische Version auf den Seiten www.gmbl-online.de.
Die Ausgabe GMBl. 2018 Nr. 41-43 publizierte am 10. Oktober 2018 Änderungstabellen zu Tarifverträgen im öffentlichen Dienst (TVöD). Auf den Seiten 796 und 797 gab es dabei Tippfehler: Auf Seite 796 wurde in recht offensichtlicher Weise in der Tausenderstelle eines Monatsgehalts für Beschäftigte im Pflegedienst eine „5“ anstelle einer „4“ abgedruckt, sodass man in „Stufe 2“ ca. 800 Euro mehr verdient hätte als in „Stufe 3“, obwohl die Gehälter ansonsten parallel zu den Stufenbezeichnungen aufsteigen. Auf Seite 797 wurde für Beschäftigte im Sozial- und Erziehungsdienst in einer Entgeltgruppe für den Zeitraum „1.4.2019 bis 29.2.2020“ in allen Stufen dasselbe Gehalt ausgewiesen wie für den Zeitraum „1.3.2018 bis 31.3.2019“, obwohl in allen anderen Entgeltgruppen Steigerungen vorgesehen waren. Diese Fehler wurden im GMBl. 2019 Nr. 4 Seite 69 berichtigt. Soweit also ein „normaler“ Vorgang, der zwar zum Glück selten ist, aber vorkommt und für den auch ein Standardverfahren vorgesehen ist.
„Heimliche“ Änderung im online gestellten Verkündungsblatt
Erwähnenswert wird diese Berichtigung in einem amtlichen Verkündungsblatt durch folgende Besonderheit: Wenn man unter der Homepage www.gmbl-online.de des beauftragten Verlags Wolters Kluwer nachsehen will, was denn da vorher gestanden hat, dann findet man die genannten Fehler im PDF nicht mehr. Vielmehr zeigen die Seiten 796 und 797 des Jahrgangs 2018 exakt den Zustand, der unter Beachtung der Berichtigung aus 2019 dort stehen müsste und man fragt sich, wozu denn nun diese Berichtigung überhaupt erforderlich war. Vergleicht man allerdings die Papierausgabe vom 10. Oktober 2018 mit dem online-PDF, dann stellt man fest, dass das Papier tatsächlich die genannten Fehler enthielt.
Eine digitale Signatur der Heftdateien von gmbl-online.de liegt nicht vor, ein PDF/A-Format ebenso wenig. Die Dokumenteigenschaften des aktuellen PDF hingegen weisen eine Änderung der Datei nach, die am 14.11.2018, also über einen Monat nach der Veröffentlichung, stattgefunden hat. Hier als Abb. 5 ein Screenshot aus dem „Eigenschaften“-Dialog der fraglichen PDF-Datei in der Fassung vom 4. März 2019:
Das online gestellte PDF wurde also nachträglich vom Verlag Wolters Kluwer geändert. Vermutlich handelt es sich dabei genau um die beiden von der späteren Berichtigung erfassten Textstellen und vermutlich hat der Verlag dies nicht aus eigenem Antrieb, sondern auf Weisung des als Herausgeber fungierenden Bundesministeriums des Innern getan.
Vorsicht bei digitalen Verkündungsformen!
Unabhängig vom Motiv ist die Idee, ein Verkündungsblatt-PDF nachträglich zu verändern, nicht gut: Angenommen, eine Personalbuchhaltung hätte im Vertrauen auf die Richtigkeit der Verkündung einer Pflegekraft der Entgeltgruppe „P16“ 1.000 Euro zu viel überwiesen und wollte sich dafür gegenüber der vorgesetzten Stelle unter Hinweis auf das GMBl. rechtfertigen, die Papierausgabe wäre nicht auffindbar und im Internet stünde nur noch die korrigierte Fassung. Dann würde diese Rechtfertigung unzumutbar erschwert.
Ein amtliches Verkündungsblatt verkörpert Vertrauensschutz und Rechtssicherheit. Was man dort gelesen hat, muss gelten und später verifizierbar bleiben, damit man, falls man im Vertrauen auf eine amtliche Verkündung eine Disposition getroffen hat, diese später unter Vorlage des amtlichen Textes begründen kann. Ganz besonders wichtig ist ein solches Erfordernis der Unveränderlichkeit, wenn es, wie hier, um Geldbeträge geht, die man erhält oder schuldet. An dieser vom Rechtsstaatsprinzip geforderten Unveränderlichkeit darf sich nichts ändern, nur weil ein elektronisches Dokument vorliegt, welches Änderungen leichter zugänglich ist als ein bereits versandtes Papierdokument. Vielmehr ist so einer Veränderlichkeit vorsorglich durch technisch-organisatorische Maßnahmen („by design“) zu begegnen, beispielsweise indem man – entsprechend der Empfehlung M 4.170 des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik für Langzeitarchivierungen – das Datenformat PDF/A nach ISO 19005-1:2005 verwendet und die online gestellten Dokumente mit einem Zeitstempel versieht und digital signiert.
Der Fall, dass ein online gestelltes amtliches Verkündungsblatt des Bundes nachträglich und beinahe „heimlich“ verändert wird, ist geeignet, grundsätzliche rechtsstaatliche Bedenken gegen digitale Verkündungsformen hervorzubringen und sowohl E-Government als auch Private-Public-Partnership-Modelle in Verruf zu bringen. Das sollte aber nicht passieren, sondern es sollten an die digitale Verkündungsform angepasste bestehende Prozesse und Regularien gemäß § 15 EGovG beachtet werden, gerade auch vom BMI und dessen Verwaltungshelfern.
[1] Einer der Vorreiter für die elektronische Publikation von Verkündungsblättern war die Schweiz. Dort bestimmt Artikel 15 des Publikationsgesetzes im Falle einer Abweichung zwischen dem in Papier und online veröffentlichten Bundesrecht: „Die auf der Publikationsplattform veröffentlichte Fassung ist massgebend.“, vgl. https://www.admin.ch/gov/de.