01.04.2021

Euro-Bonds durch die Hintertür?

Deutsches Zustimmungsgesetz für den EU-Wiederaufbaufonds blockiert

Euro-Bonds durch die Hintertür?

Deutsches Zustimmungsgesetz für den EU-Wiederaufbaufonds blockiert

Auch in Europa führt langfristig nur mehr Solidität zu mehr Solidarität. | © Carola Vahldiek - stock.adobe.co
Auch in Europa führt langfristig nur mehr Solidität zu mehr Solidarität. | © Carola Vahldiek - stock.adobe.co

Zunächst stoppten die Richter aufgrund einer Verfassungsbeschwerde von „Bündnis Bürgerwille e.V.“ mit einem sogenannten Hängebeschluss die Ausfertigung des deutschen Zustimmungsgesetzes durch den Bundespräsidenten. Der vorläufige Stopp gilt bis zur Entscheidung über den Eilantrag. Mit dem Hängebeschluss verhindert das Gericht, dass ein unumkehrbarer Zustand eintritt, bis es in der Lage ist, über den Eilantrag zu entscheiden. Das Verfassungsgericht reagierte mit seiner wortkargen Verfügung auf die Verabschiedung des sogenannten Eigenmittelbeschlusses durch Bundestag und Bundesrat. Dieser ermöglicht es der EU erstmals in ihrer Geschichte, im großen Stil Kredite aufzunehmen.

Diese wiederum sollen den 750 Milliarden Euro schweren Wiederaufbaufonds „NextGenerationEU“ (NGEU) speisen, der die ökonomischen Narben der Pandemie heilen soll und als wichtige Anschubfinanzierung für die digitale und ökologische Modernisierung Europas geplant ist. Die EU-Kommission kann mit der Aufnahme der Kredite und der Auszahlung erst beginnen, wenn alle 27 EU-Staaten den Beschluss ratifiziert haben. Insgesamt sollen der Europäischen Union bis Ende 2027 rund 1,8 Billionen Euro zur Verfügung stehen. Die Klage richtet sich dabei nicht gegen die Ausgaben an sich, sondern dagegen, dass nicht jeder Mitgliedstaat die benötigten Mittel auf eigene Rechnung zur Verfügung stellen soll.

Vor Corona wurde – auch von Seiten der EU-Kommission – das Primärrecht nämlich so interpretiert, dass die Europäische Union den nach Artikel 310 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) geforderten Haushaltsausgleich nicht durch die Aufnahme von gemeinschaftlichen Schulden herbeiführen darf. Die Schaffung einer Verschuldungsmöglichkeit zur Finanzierung des Wiederaufbaufonds führt daher zu einer substanziellen Änderung der europäischen Haushalts- und Finanzarchitektur in Richtung einer „Quasi-Staatlichkeit“ der EU. Ob man in dieser Neuausrichtung eine Überdehnung des geltenden Primärrechts. sieht – wie auch der Autor auf dieser Plattform schon früher argumentiert hat (vgl. „Vorschläge der EU-Kommission zum Wiederaufbaufonds – Die coronare Überdehnung der europäischen Verträge“) wird auch zwischen Bundesfinanzministerium (BMF) (verneinend) und Bundesrechnungshof (bejahend) kontrovers gesehen. Über die Frage, ob dabei zudem die Grenze des Zulässigen überschritten wird, muss nun Karlsruhe entscheiden.


Inhaltlicher Kritikpunkt ist zum einen die Organisation indirekter Transfers zwischen den Mitgliedstaaten, bei denen die Bundesrepublik nach Modellrechnungen des Bundesrechnungshofs den geschätzten gesamteuropäischen Nettoeffekt (Zuschüsse abzüglich Rückzahlungsanteil eines Landes) zu etwa 45 % finanziert, was bei mehr als dem Doppelten des regelmäßigen deutschen Finanzierungsanteils von etwa 22 % liegt.

Zum anderen wird dadurch ein neues Haftungsregime etabliert. Sollte nämlich ein Mitgliedstaat seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen können oder wollen, müssen die übrigen Mitgliedstaaten für dessen Anteil an den Schulden (Zuschüsse und Darlehen) einstehen.

Theoretisch können EU-Staaten dabei in voller Höhe für die Schulden aus dem Wiederaufbaufonds gegenüber der Europäischen Union haftbar gemacht werden, und zwar bis zur vollständigen Rückzahlung aller EU-Anleihen des Fonds, also bis zum Jahr 2058. Dabei bedürfte es im haftungsauslösenden Zeitpunkt keiner erneuten Einwilligung der zahlungspflichtigen Länder. Genau dieses soll nach Artikel 125 AEUV aber grundsätzlich vermieden werden. Denn es könnte die Mitgliedstaaten dazu verleiten, weniger solide zu haushalten und damit falsche Impulse setzen. Das Ergebnis wäre dann womöglich eine weniger robuste und in Krisenzeiten weniger resiliente Wirtschafts- und Währungsunion.

Verhindert werden könnte dies nur durch noch auszuhandelnde Regelungen, wonach z. B. etwaige Zahlungen aus dem EU-Haushalt an säumige Staaten eingefroren und zur Tilgung ihres Anteils an den EU-Anleihen herangezogen werden.

Ein weiteres Spannungsfeld ergibt sich im Hinblick auf Art. 126 AEUV: Danach überwachen EU-Kommission und Rat die Einhaltung der Haushaltsdisziplin der Mitgliedstaaten anhand von zwei Referenzwerten, den sogenannten Maastricht-Kriterien:

  • Der öffentliche Schuldenstand (Schuldenstandsquote) darf einen Wert von 60 % des BIP nicht überschreiten.
  • Das öffentliche Defizit (Defizitquote) darf nicht mehr als 3 % des BIP betragen.

Eine mit den Fiskalregeln vergleichbare Regelung zur Einhaltung der Haushaltsdisziplin gibt es jedoch weder für den EU-Haushalt selbst noch für den Wiederaufbaufonds. Derzeit ist auch nicht vorgesehen, die für den Fonds aufgenommenen Schulden in irgendeiner Form auf die nationalen Schuldenstände der Mitgliedstaaten anzurechnen und sie auf diesem Wege bei den Fiskalregeln zu berücksichtigen. Das BMF sieht hier keine nationale Zurechenbarkeit, während die Deutsche Bundesbank für eine Verteilung entsprechend dem Finanzierungsanteil nach dem Bruttonationaleinkommen (BNE) – für Deutschland also rund ein Viertel – plädiert. Bei einer Auszahlung der Fondsgelder bis 2026 würden der Bundesrepublik zusammen mit den bereits für das SURE-Programm und den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) aufgenommenen Krediten über 280 Mrd. € (rund 8% des BIP 2019) zugeordnet werden müssen. Denn die europäischen Schulden sind – zusätzlich zu den nationalen Schulden – später von den Steuerzahlenden in den Mitgliedstaaten zu bedienen. Anstelle von Zins- und Tilgungszahlungen für nationale Schulden fallen dann höhere Beiträge an den EU- Haushalt an.

Hinzu kommt, dass der Wiederaufbaufonds – anders als der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) – die finanziellen Hilfen weder mit strengen Reformauflagen verknüpft noch eine anteilige Finanzierung der geförderten Projekte durch eigene Mittel verlangt. Durch das Fehlen der Konditionalität sowie der Pflicht zur Kofinanzierung werden Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit des Mitteleinsatzes insbesondere vor dem problematischen Erfahrungshintergrund aus Kohäsionspolitik und Europäischem Semester zusätzlich in Frage gestellt.

Bei allem Bewusstsein für die politische Signalwirkung des Wiederaufbaufonds („Hamilton-Moment“) sollte das höchste deutsche Gericht jedoch im Rahmen seiner Möglichkeiten dabei mitwirken, dass die gemeinschaftliche Kreditaufnahme unter Umgehung der Fiskalregeln – wenn überhaupt – in der Europäischen Union nicht zu einer Dauerlösung wird. Denn die Erfahrungen der Vergangenheit sprechen dafür, dass in der nächsten schweren Krise die Forderung nach einer Wiederholung der geplanten Schuldenfinanzierung aufkommen wird und die vielfach betonte Einmaligkeit der Schuldenfinanzierung dann der Geschichte angehört.

Auch in Europa führt langfristig nur mehr Solidität zu mehr Solidarität.

 

Michael Heinrich

Dozent an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, Fachbereich Bundeswehrverwaltung in Mannheim
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