25.02.2022

Erfahrungen eines Nichtmuttersprachlers im Jurastudium

Das juristische Alphabet lernen: AGB, BGB, CGB…

Erfahrungen eines Nichtmuttersprachlers im Jurastudium

Das juristische Alphabet lernen: AGB, BGB, CGB…

Jura ist kein Sprachsystem, sondern ein Rechtssystem, das aus viel mehr besteht als Rechtsbegriffen. © fabianodp – stock.adobe.com
Jura ist kein Sprachsystem, sondern ein Rechtssystem, das aus viel mehr besteht als Rechtsbegriffen. © fabianodp – stock.adobe.com

Das Jurastudium stellt für Nichtmuttersprachler eine besonders große Herausforderung dar, da es dabei ganz explizit auf die Sprache ankommt. Der Beitrag beschreibt, was einem Nichtmuttersprachler im Jurastudium besonders schwerfällt und wie man mit den Schwierigkeiten am besten umgeht.

Im Jahr 2014 führte mich der Wunsch, ein Studium im Ausland zu absolvieren, nach Deutschland. Zwei Gründe waren dabei ausschlaggebend. Zum einen bin ich während der Schulzeit viel durch Europa gereist, war aber bis zu diesem Zeitpunkt noch nie in Deutschland. Zum anderen hatte ich mich in einem Fremdsprachengymnasium mit der deutschen Sprache ganze fünf Jahre abgekämpft, bis ich schließlich Deutsch als Wunschfach für das Abi gewählt habe. Dies führte dazu, dass ich direkt nach dem Schulabschluss an der Juristischen Fakultät der Albert-Ludwigs- Universität in Freiburg gelandet bin.

Erfahrungen im Referendariat

2019 bestand ich das erste Staatsexamen und bekam einen Referendarsplatz am LG Baden-Baden. Dort wurde ich für die Zivilstation der 3. Zivilkammer des Landgerichts zugewiesen, die die Zuständigkeit für Bau-, Architektenverträge und zudem eine allgemeine Zuständigkeit für Zivilsachen hatte. Im Anschluss habe ich die Strafstation und die erste Rechtsanwaltsstation absolviert.


Für die Verwaltungsstation wurde ich nach Speyer „entsandt“. Natürlich ist in der heutigen Situation einer weltweiten Corona-Pandemie eine Entsendung nach Speyer in gewisser Weise rein theoretisch, da alle Veranstaltungen und Prüfungen online stattfinden. Die Entsendung bedeutet zurzeit vielmehr die Zusendung von Zugangslinks für die diversen digitalen Lehrräume. Der Online-Unterricht hat sowohl Vor- als auch Nachteile. Vielen Dozenten fehlt der persönliche Kontakt, der es erlaubt, an den Reaktionen der Zuhörer zu erkennen, wie gut ein Vortrag ankommt. Es gibt aber durchaus Dozenten, die es geschafft haben, den Unterricht nicht trotz, sondern gerade mithilfe der Online-Tools besonders spannend zu gestalten.

Das Referendariat stellte mich vor viele Herausforderungen. Die allgemein bekannte Tatsache, dass man mindestens einmal als Vertreter der Staatsanwaltschaft vor Gericht auftreten soll, machte mir Angst. Ich befürchtete, dass Verteidiger und Angeklagte meine eventuell unsichere Ausdrucksweise oder etwaige Sprachschwächen zum Anlass nehmen würden, um mich zu verunsichern. Diese Befürchtung stellte sich als unbegründet heraus und am Ende bereitete mir der Sitzungsdienst großen Spaß. Meine Rechtsanwaltsstation war auch etwas Besonderes, da ich von meinem Ausbilder nach ein paar Wochen sofort ins kalte Wasser geworfen wurde. Eine krankheitsbedingte Abwesenheit des Ausbilders führte dazu, dass ich wochenlang fast jeden Tag allein mit den zwei Bürokräften verbrachte und nach und nach immer mehr mir selber zutrauen musste. Ungeplant hatte ich so zahlreiche Besprechungstermine, Telefonate und Schriftsätze zu erledigen. Ein learning by doing, was im beruflichen Leben natürlich nicht selten ist. Für mich war das eine sehr wertvolle und prägende Erfahrung, für die ich meinem Ausbilder unheimlich dankbar bin.

Die Balance zwischen Lernen und Stationsarbeit ist gut zu bewältigen, wenn man sich im Klaren ist, dass das höchste Ziel immer noch das Staatsexamen selbst ist. Als guter Tipp gilt, dass man seine Arbeitskraft schätzt und nicht allzu lange an einem Entwurf sitzt. Meine Ausbilderin in der Zivilstation sagte mir schon am Anfang, dass ich auf keinen Fall länger als einen bis zwei Tage an einer Akte sitzen soll. Schließlich verfügt man in der Praxis auch nicht über so viel Zeit, dass man wochenlang an Beschlüssen oder Urteilen sitzt. Ich fühle mich im Referendariat mittlerweile angekommen. Vor allem habe ich eine gewisse Routine im Alltag entwickelt. Entscheidende Bedeutung hat dabei der Umstand, dass sich meine Sprachkenntnisse massiv verbessert haben und ich kein Fachgespräch mehr scheue und meine Ansicht sicher vermitteln kann. Dies war aber keineswegs immer so.

Das juristische Alphabet lernen: AGB, BGB, CGB…

Ohne zu glauben, jemanden groß zu überraschen, kann ich sagen, dass am Anfang die Sprache meine größte Herausforderung war. Auch wenn ich mich über eine sehr gute sprachliche Vorbereitung freuen konnte, waren meine Deutschkenntnisse für so ein Studium einfach nicht ausreichend. In der Schule hatten wir die Grammatik und den Wortschatz sehr umfangreich vermittelt bekommen. Eine Auseinandersetzung und die Einübung kognitiver und rhetorischer Fähigkeiten gingen allerdings in dem großen Teil des Unterrichts unter. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass das Gymnasium auf das Abitur vorbereiten soll, das solche Kenntnisse nur rudimentär abprüft. Schließlich ist das aber das, woran man erkennen kann, wie gut jemand die Sprache spricht. Einen Zettel mit Wörtern, eine Art Wörterbuch, aus dem ersten Semester habe ich immer noch in der Schreibtischschublade liegen. Jetzt, nachdem ich mit Begriffen wie dem Haftungsverband der Hypothek, dem Kontrahierungszwang und dem Pfändungspfandrecht einigermaßen sicher umgehen kann, kann ich nur darüber lachen, dass auf diesem DIN A4-Blatt Wörter, wie „Vertrag“, „klagen“ und „Gebühr“ zu lesen sind. Ich kann mich auch sehr klar daran erinnern, wie ich im ersten Semester in einer Arbeitsgemeinschaft im Staatsorganisationsrecht saß und kein Wort verstanden habe, was der Dozent gesagt hat. In meinem Kopf herrschte das blanke Chaos, ein Gedanke jagte den anderen. Was ist denn bitte eine Rechtfertigung, eine Kompetenz-Kompetenz, eine Ermächtigungsgrundlage oder ein Untersuchungsausschuss und so weiter und so fort. Ist das etwa ein „Internet“? BGB, dachte ich mir, schon ein komischer Name für ein Lehrbuch. Und was hat es mit diesem komischen Dollar- Zeichen – § – auf sich?

Ich war kurz davor, das Studienfach zu wechseln, als ich mich aus reiner Sturheit bei der strafrechtlichen Klausur entschied, gegen das Ergebnis „nicht bestanden“ zu remonstrieren. Nach Informationen des Lehrstuhls seien die Erfolgschancen bei der Remonstration sehr gering, da der Professor selbst über die Klausuren geschaut habe. Doch reichte es bei mir zum Bestehen. Vielleicht lohnt es sich doch dabei zu bleiben, dachte ich mir. Immerhin hatte ich mich bereits im zweiten Semester mit einem Rechtsbehelf durchgesetzt. Danach ging es schnell bergauf. Augen zu und durch – das war mein Motto für die nächsten acht Semester.

Wann wird es endlich besser?

Mit der Zeit verbesserten sich meine Sprachkenntnisse massiv und die Scheu und die Angst vor Blamage verschwanden. Die Noten wurden mit der Zeit auch besser, wenn man seine Gedanken nicht mehr von der eigenen Muttersprache ins Deutsche übersetzen muss, sondern von vornherein auf Deutsch denkt. Die Beobachtung eines Professors, der mich für eine Bewerbung auf ein Stipendium begutachtete, dass ich trotz des sprachlichen Nachteils gegenüber Kommilitonen im Studium ganz gut vorankam, stärkte zusätzlich mein Selbstbewusstsein sehr. Ich bemühte mich auch, jede Gelegenheit zu nutzen, um meine Komfortzone zu verlassen und so meine Sprachkenntnisse zu verbessern. So bot ich mich als ehrenamtlicher Dolmetscher für Leute an, die vor Gericht aussagen müssen. Bereits im dritten Semester saß ich öfters in Sitzungssälen und durfte mich mit Richtern und Anwälten austauschen. Meinem Engagement kamen diese mit sehr positiven Reaktionen entgegen, was mich ebenfalls weiter motivierte. Einer dieser Praktiker wurde später auch mein Ausbilder in der Rechtsanwaltsstation im Referendariat.

So viel anders ist es dann doch nicht

Die Aussage, die man erstaunlicherweise immer wieder in Foren liest, Jura sei kein geeignetes Studium für Nichtmuttersprachler, ist natürlich – mit Verlaub – Schwachsinn. Einerseits kommt es in diesem Fach ganz besonders auf die Sprache an, andererseits können aber selbst die virtuosesten und brillantesten Sprachkenntnisse ein fehlendes Fachwissen nicht ersetzen. Jura ist kein Sprachsystem, sondern eben ein Rechtssystem, das aus vielem mehr besteht als Rechtsbegriffen. Diese brauchen wir nur, um uns dieses System näherzubringen und mit ihm umgehen zu können. Die Sprache ist das Werkzeug, das man zwar unbedingt benötigt, sich aber auch aneignen kann, indem man fleißig bleibt und es nicht scheut, viel Arbeit und Mühe in das Erlernen der Fachsprache hineinzustecken.

Im Endeffekt geht es Muttersprachlern am Anfang des Studiums ganz ähnlich wie Nichtmuttersprachlern, was die juristische Terminologie angeht. Es kommt entscheidend darauf an, dass man im Studium mit Menschen zusammenkommt, die bereit sind, sich den Herausforderungen gemeinsam zu stellen, die einen ermutigen und zu besseren Ergebnissen pushen. Selbst nach vielen Jahren bleibt eine gewisse Sprachbarriere da und man gerät immer wieder in Situationen, die einem peinlich sind, weil etwas nicht verstanden wird oder ein Wort oder Ausdruck einem nichts sagen. Da liegt es an der Person selbst, sich damit nicht zufriedenzugeben, was bereits im Hinblick auf die sprachliche Entwicklung erreicht wurde, sondern weiter neuen Erfahrungen und Erkenntnissen gegenüber offen zu bleiben. Man hört nie auf, (eine Sprache) zu lernen.

 

Dieser Beitrag stammt aus dem Wirtschaftsführer für junge Juristen, Ausgabe 1/2021.

 

Vasil Aleksiev

Rechtsreferendar Baden-Baden
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