Endlagersuche: Über zehn Jahre Standortauswahlgesetz
Beim Standortauswahlverfahren aus gescheiterten Versuchen in der Vergangenheit gelernt
Endlagersuche: Über zehn Jahre Standortauswahlgesetz
Beim Standortauswahlverfahren aus gescheiterten Versuchen in der Vergangenheit gelernt
Am 23.07.2013 wurde das Gesetz zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für hochradioaktive Abfälle (Standortauswahlgesetz – StandAG) verabschiedet. Mehr als ein Jahrzehnt nach seinem Inkrafttreten besteht Grund genug, die vergangenen Jahre Revue passieren zu lassen und dabei die Besonderheiten dieses Gesetzes hervorzuheben.
1. (Gemeinsame) Entwicklung des Gesetzes
Das Standortauswahlgesetz von 2013 war getragen von einem breiten gesellschaftlichen Konsens: Mit dem Beschluss von 2011, aus der zivilen Nutzung der Atomenergie auszusteigen, stellte sich auch die Frage nach einem Endlager neu. Hierfür würde es ein bundesweit abgestimmtes Verfahren brauchen, um einen Standort für die mit der Atom-Technik unweigerlich verbundenen hochradioaktiven Abfälle zu finden. Das Gesetz sah die Einrichtung der Kommission „Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe“ (Endlagerkommission) vor, deren Vorschläge schließlich in der gesetzgeberischen Neufassung des Standortauswahlgesetzes vom 05.05.2017 mündeten, die bis heute Bestand hat.
2. Ablauf des Standortauswahlverfahrens
Der Weg zu einem betriebsbereiten Endlager für hochradioaktive Abfälle beginnt mit dem Standortauswahlverfahren. Daran schließt sich das Genehmigungsverfahren nach § 9b Abs. 1a Satz 1 AtG an, für das die Standortfestlegung verbindlich ist. Das Standortauswahlgesetz unterteilt das Standortauswahlverfahren in drei Phasen – die Ermittlung von Standortregionen für die übertägige Erkundung (Phase I), die übertägige Erkundung (Phase II) und die untertägige Erkundung (Phase III). Am Ende jeder Phase steht ein Bundesgesetz, mit dem der Bundesgesetzgeber über den Fortgang des Verfahrens entscheidet.
3. Verfahrensleitende Grundprinzipien
Das Standortauswahlgesetz stellt das Verfahren unter verschiedene Grundprinzipien. Ausgehend von einer weißen Landkarte der Bundesrepublik soll dabei ein Standort mit der bestmöglichen Sicherheit für den Zeitraum von einer Million Jahren gefunden werden. Das vergleichende wissenschaftsbasierte und sicherheitsgerichtete Verfahren beschränkt sich auf das Inland und ist transparent und selbsthinterfragend sowie lernend angelegt. Die Beteiligung der Öffentlichkeit stellt sich als prägendes Element dar. Der Gesetzgeber hat das Verfahren einerseits als Legalplanung angelegt, andererseits mit den Klagemöglichkeiten gegen die Feststellungsbescheide in Phase II und III spezifische Rechtsschutzmöglichkeiten mit erst- und letztinstanzlicher Zuständigkeit beim Bundesverwaltungsgericht vorgesehen.
4. Innovativer Ansatz
Das Gesetz ist in seiner Kombination verschiedener Formate und seiner zeitlichen Perspektive bislang beispiellos. Neben seinem besonderen Zugang zur Wissenschaftlichkeit, seinem stufenweisen Ablauf und der speziellen Aufsichtsarchitektur ermöglicht das Verfahren, einen Standort zu finden, der nach einem vorher definierten Verfahren ausgesucht wurde. Damit zeigt das Standortauswahlverfahren eindrucksvoll, dass es aus den gescheiterten Versuchen in der Vergangenheit gelernt hat. Der Aspekt, dass das Verfahren sich als dynamisch und lernend ausformt, stellt eine weitere bemerkenswerte Komponente dar. Insbesondere die Kombination von weiterentwickelten bestehenden Beteiligungsformen und -formaten, für die schon einzelne Erfahrungswerte vorliegen, und neuartigen Ideen und Konzepten bietet Raum für innovative Möglichkeiten der Partizipation. Dabei beinhaltet das Gesetz mangels belastbarer Vorbilder stellenweise ausprägungs- und ausfüllungsbedürftige Rechtsbegriffe, um deren Interpretation in der aktuellen Gesellschaft wie in der Zukunft konstruktiv gerungen werden muss.
5. Akteure im Verfahren
Das Standortauswahlgesetz definiert neben den am Gesetzgebungsprozess Verantwortlichen und den verschiedenen Konferenzen (Regionalkonferenzen, Fachkonferenzen) drei Akteure mit Spezialzuständigkeiten.
Als sogenannte Vorhabenträgerin nach § 3 StandAG ist Aufgabe der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) mbH die technische Durchführung des Standortauswahlverfahrens. Das Unternehmen legt am Ende jeder Phase einen Vorschlag vor.
Das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) erfüllt nach § 4 StandAG zwei Funktionen: seine Aufgabe ist einerseits die Aufsicht über das Verfahren und andererseits die Tätigkeit als Träger der Öffentlichkeitsbeteiligung. So hat es beispielsweise bereits die Fachkonferenz Teilgebiete einberufen und in einer Geschäftsstelle unterstützt. Am Ende jeder Phase wird es die Vorschläge der BGE mbH prüfen und mit einer begründeten Empfehlung über das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) und die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag zuleiten. Am Ende von Phase III bewertet das BASE, welcher der von der BGE mbH vorgeschlagenen Standorte der Standort mit der bestmöglichen Sicherheit ist.
Zur Begleitung des Standortauswahlverfahrens hat der Gesetzgeber das Nationale Begleitgremium (§ 8 StandAG) ins Leben gerufen. Seine Aufgabe ist die vermittelnde und unabhängige Begleitung des Standortauswahlverfahrens, insbesondere der Öffentlichkeitsbeteiligung, mit dem Ziel, so Vertrauen in die Verfahrensdurchführung zu ermöglichen.
6. Gerechtigkeit zwischen den Generationen
Während der (energietechnische) Nutzen der Atomkernenergie in Deutschland seit Mitte April 2023 Teil der Vergangenheit ist, stellt die Lagerung des hochradioaktiven Abfalles eine Herausforderung für die Zukunft dar. Das Standortauswahlverfahren offenbart damit das Dilemma der intergenerationellen Gerechtigkeit. Weil der hochradioaktive Abfall seine radiotoxische Wirkung noch Tausende von Jahren aufrechterhält, sind hier potenziell 30 000 Generationen betroffen, wenn die heutigen Generationen keine dauerhafte, nachhaltige Lösung für die Lagerung finden.
Eine solche besteht nach dem Stand von Wissenschaft und Technik im weltweiten Konsens aktuell in der tiefengeologischen Endlagerung, bei der ein Wirtsgestein im Bereich eines sogenannten einschlusswirksamen Gebirgsbereiches die Abfälle dauerhaft so weit isoliert, dass sie innerhalb des vorgegebenen Zeitraums (in Deutschland: eine Million Jahre) von der Biosphäre abgeschlossen sind. Diese hohen Zeiträume gehen einher mit besonderen Herausforderungen – neben den technischen auch mit gesellschaftlichen: wie wird Wissen konserviert? Wie lässt sich das Wissen um die gefährlichen Hinterlassenschaften transportieren? Wie lässt sich sicherstellen, dass das Thema mit der gebotenen Aufmerksamkeit und Ernsthaftigkeit behandelt wird? Wie lassen sich die Bedarfe der kommenden Generationen adäquat in das heutige Verfahren integrieren?
7. Wo stehen wir und wie geht es weiter
Im Frühjahr 2024 (aktuell) befindet sich das Verfahren in Phase I. Zum Ende dieser Phase wird die BGE mbH den Standortregionenvorschlag für die übertägige Erkundung übermitteln.
Das Verfahren ist mit Herausforderungen belegt. Im November 2022 war bekannt geworden, dass die BGE im besten Fall im Jahr 2046 mit der Entscheidung eines Endlagerstandortes rechnet, ein anderes Szenario sieht gar einen Zeitkorridor bis 2068 vor. Nach Ansicht des BASE müssen weitere Verzögerungen vermieden werden, denn Aspekte der Sicherheit dürfen nicht losgelöst vom Faktor Zeit beurteilt werden.
Es ist wichtig, einen realistischen, aber zugleich ehrgeizigen Zeitplan zu haben. Ziel aller Akteure muss es sein, den Stellenwert des Verfahrens längerfristig aufrecht zu erhalten. Hierzu gehört insbesondere, der Bevölkerung weiterhin innovative Möglichkeiten der Partizipation zu bieten. Gleichzeitig besteht die gesamtgesellschaftliche Verpflichtung, Kompetenzen im Bereich der nuklearen Entsorgung langfristig zu sichern und das Thema mit den verschiedenen Akteuren auch zukünftig fachkompetent angehen zu können. Übergeordnetes Ziel muss es sein, ein langzeitsicheres Endlager in Deutschland zu einem möglichst frühen Zeitpunkt zu realisieren.