03.09.2020

Die Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft

Unabhängig und neutral

Die Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft

Unabhängig und neutral

Verbraucherschutz: Wie teuer darf anwaltliche Beratung sein? | © bluedesign - stock.adobe.com
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Seit Januar 2011 hat die Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft mehr als 8.000 Anträge bearbeitet. Der nachfolgende Artikel stellt das Schlichtungsverfahren dar und schildert typische Fälle aus der Praxis.

Die Einrichtung der Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft beruht auf dem 2009 in die Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) neu eingefügten § 191 f.[1] Organisatorisch handelt es sich bei dieser Institution um eine von der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) unabhängige Einrichtung. Der Präsident der BRAK ernennt einen oder mehrere Schlichter. Sie müssen – sofern sie allein die Fachverantwortung für Schlichtungsvorschläge tragen – die Befähigung zum Richteramt besitzen und dürfen in den letzten drei Jahren vor ihrem Amtsantritt nicht als Rechtsanwalt tätig oder bei der Kammer beschäftigt gewesen sein. Durch diese einschränkende Regelung soll die Unparteilichkeit der Streitmittler nach Außen dokumentiert werden.

Die Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft ist eine von insgesamt 26 vom Bundesamt für Justiz auf der Grundlage des Verbraucherstreitbeilegungsgesetzes (VSBG) anerkannten Verbraucherschlichtungsstellen (Stand 5. Dezember 2018).[2] Das am 1. April 2016 in Kraft getretene Gesetz geht auf die Umsetzung der EU Richtlinie 2013/11/EU zurück und regelt Mindeststandards für Schlichtungsverfahren wie z. B. Unparteilichkeit, Unabhängigkeit, Transparenz und den generellen Verfahrensablauf.[3]


Die Einzelheiten der Binnenorganisation und der konkrete auf die Schlichtung zwischen Rechtsanwalt und Mandant zugeschnittene Ablauf des Verfahrens sind in einer Satzung geregelt, die die Hauptversammlung der BRAK, der Zusammenschluss der regionalen Kammern, erlassen hat.[4]

Typische Verfahrensarten

Ein Schlichtungsverfahren kann bei einer vermögensrechtlichen Auseinandersetzung aus einem bestehenden oder beendeten Mandatsverhältnis sowohl von dem Mandanten als auch von dem Rechtsanwalt eingeleitet werden. Im Zeitpunkt der Antragstellung muss der Rechtsanwalt noch Mitglied einer Kammer sein. Der Wert der vermögensrechtlichen Auseinandersetzung darf 50.000 € nicht überschreiten. Damit wird die Tätigkeit der Einrichtung der Schlichtungsstelle umgrenzt.

Die Schlichtungsstelle ist nicht zuständig für die Erteilung von Rechtsrat, sie bewertet anwaltliches Handeln nicht abstrakt und ist keine „Superrevisionsinstanz“. Auch enden ihre Möglichkeiten bei Konflikten eines Mandanten mit dem Anwalt der gegnerischen Partei. Folgende Fallkonstellationen sind typisch für die Arbeit der Schlichtungsstelle:

– Der Mandant beanstandet die generelle Abrechnung durch den Rechtsanwalt oder eine konkrete Gebühr.

– Bei Abschluss einer Vergütungsvereinbarung auf Stundenbasis herrscht im Nachhinein Streit über die Berechtigung der abgerechneten Stunden.

– Die Parteien haben unterschiedliche Auffassungen darüber, was überhaupt Gegenstand des Anwaltsvertrages war (eine Beratung oder zugleich eine Vertretung gegenüber einem Dritten).

– Die Parteien streiten darüber, ob der Rechtsanwalt beim Zustandekommen einer Einigung mitgewirkt und die Einigungsgebühr verdient hat.

– Der Mandant macht eine Schlechtleistung des Rechtsanwalts geltend und verlangt Schadensersatz.

– Der Mandant bereut einen in seiner Gegenwart abgeschlossenen Vergleich und sieht den Rechtsanwalt hierfür in der Verantwortung.

Selbst bei Vorliegen einer vermögensrechtlichen Streitigkeit ist das Tätigwerden der Schlichtungsstelle ausgeschlossen, wenn sich die Streitigkeit für diese Konfliktlösungsmethode nicht eignet. Das ist z. B. dann der Fall, wenn der Antragsteller kein schutzwürdiges Interesse hieran hat, etwa, weil die konkrete Streitsache schon bei Gericht anhängig ist, eine andere Verbraucherschlichtungsstelle sich schon mit der Angelegenheit befasst oder andere schwerwiegende Hinderungsgründe vorliegen. Rund 47 % der bei der Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft eingehenden Anträge müssen aus den genannten Gründen abgelehnt werden. Für die Ablehnungsentscheidung gibt der Gesetzgeber ein Zeitfenster von drei Wochen vor.[5]

Verfahrensablauf

Zunächst ist mit der weit verbreiteten Fehlvorstellung aufzuräumen, ein Schlichtungsverfahren werde durch einen einfachen Anruf eingeleitet und führe anschließend zu einer mündlichen Verhandlung in Gegenwart beider Konfliktparteien. Das Gegenteil ist der Fall.

Das Verfahren beginnt stets mit einem schriftlichen Antrag und läuft ausnahmslos schriftlich ab. Liegen keine Ablehnungsgründe vor, übermittelt der Schlichter nach Eingang der Stellungnahme des Antragsgegners und einer denkbaren Replik des Antragstellers binnen 90 Tagen einen Vorschlag zur Beilegung des Konflikts.[6]

Der Vorschlag ist zu begründen und am geltenden Recht auszurichten, kann daneben aber Plausibilitäts- und Billigkeitserwägungen enthalten. Auf Grund der rein schriftlichen Ausgestaltung ist die Schlichtung als Konfliktbeilegungsmethode vom Ansatz her wenig geeignet, wenn die Durchsetzung des Anspruchs von einer bestrittenen Aussage oder der Einholung einer Expertise abhängt. Denn Zeugen und Sachverständige können in diesem Verfahren nicht angehört werden. Der Schlichter ermittelt den Sachverhalt nicht vollständig aus.

Die Teilnahme am Schlichtungsverfahren beruht auf dem Prinzip der Freiwilligkeit. Damit unterscheidet sich diese Verfahrensart grundlegend vom staatlichen Zivilprozess. Wer ein Gerichtsverfahren anstrengt, hat es in der Hand, gegen den Beklagten auch bei dessen Verweigerung eine rechtsverbindliche Entscheidung zu erlangen, die mit den Mitteln der Zwangsvollstreckung notfalls durchgesetzt werden kann.

Der Antragsgegner im Schlichtungsverfahren ist gesetzlich nicht dazu verpflichtet, an einem Einigungsversuch mitzuwirken und kann in jedem Stadium des laufenden Verfahrens ohne Angabe von Gründen aussteigen. Auch der Antragsteller wird in seiner Verfahrensautonomie nicht eingeschränkt. Er kann den Schlichtungsantrag jederzeit ohne nähere Begründung zurücknehmen.[7]

Auch sind die Parteien in ihrer Entscheidung frei, ob sie die abschließende Schlichtungsempfehlung annehmen oder nicht. Stimmen beide Parteien zu, schließen sie einen privatrechtlichen Vergleich, aus dem nicht unmittelbar die Zwangsvollstreckung betrieben werden kann. Wird der Vergleich nicht erfüllt, müssen die hierin geregelten Ansprüche notfalls in einem Gerichtsverfahren durchgesetzt werden. Die Einigungsquote bei der Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft beträgt aktuell rund 66 % und bewegt sich damit auf einem hohen Niveau.

Vorteile des Schlichtungsverfahrens

Schlichtungen bei der Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft bringen sowohl für den Mandanten als auch für den Rechtsanwalt als Konfliktpartei Vorteile mit sich. Zunächst ist das konkrete Verfahren für beide Beteiligten kostenfrei. Der Etat der Schlichtungsstelle generiert sich über Beiträge, die die lokalen Kammern bei jedem (und nicht nur bei dem von einem Schlichtungsverfahren betroffenen) Rechtsanwalt erheben. Dieser Beitrag beträgt aktuell 5,50 € pro Jahr. Ein weiterer Vorteil des Schlichtungsverfahrens gegenüber einem staatlichen Gerichtsverfahren ist in der durchschnittlichen Verfahrensdauer zu sehen. Diese beträgt bei der Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft derzeit 74 Tage[8] und liegt damit unter der vergleichbaren Laufzeit eines entsprechenden amtsgerichtlichen Verfahrens von knapp fünf Monaten.[9] Eine anwaltliche Vertretung ist im Schlichtungsverfahren möglich, aber nicht erforderlich. Formvorschriften für die Antragstellung, wie sie in den Prozessordnungen normiert sind, gibt es hier nicht. Der Antrag kann in Briefform eingereicht, aber auch digital übermittelt werden.

Schließlich entfaltet ein Antrag bei der Schlichtungsstelle materiell-rechtliche Wirkungen. Er hemmt grundsätzlich die Verjährung.[10] Zwei Voraussetzungen müssen hierfür erfüllt sein:

– Die Schlichtungsstelle muss den Antrag dem Antragsgegner demnächst bekannt geben.

– Der im Antrag geltend gemachte Anspruch muss hinreichend konkret individualisiert sein, um den Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung an eine Verjährungshemmung zu genügen.

Die Möglichkeit der Verjährungshemmung kann es für Rechtsanwälte durchaus attraktiv erscheinen lassen, statt eines kostenpflichtigen Gerichtsverfahrens die Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft mit einer offenen Gebührenforderung zu befassen.

Einige statistische Daten

In den ersten sechs Jahren ihrer Existenz und auch im Jahr 2018 verzeichnete die Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft rund 1.000 Anträge pro Jahr. Lediglich im Jahr 2017 kam es in der ersten Jahreshälfte zu einem spürbaren Verfahrensanstieg. Ein Grund hierfür mag in der zum 1. Februar 2017 in Kraft getretenen spezifischen Hinweispflicht auf die Schlichtungsstelle liegen.

Rechtsanwälte, die mehr als zehn Personen beschäftigen und eine Website unterhalten oder Allgemeine Geschäftsbedingungen verwenden, trifft eine allgemeine Informationspflicht. Sie müssen auf die Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft als gesetzlich anerkannte Verbraucherschlichtungsstelle aufmerksam machen und gleichzeitig angeben, ob sie sich generell an einem Schlichtungsverfahren beteiligen.[11] Auch wenn sie ihre generelle Teilnahmebereitschaft signalisieren, können sie später eine konkrete Schlichtungsempfehlung ablehnen. Nach dem Entstehen der Streitigkeit müssen Rechtsanwälte konkret und in Textform unter Angabe der Kontaktdaten der Schlichtungsstelle auf diese hinweisen und ebenfalls angeben, ob sie zur Teilnahme am konkreten Verfahren bereit sind.[12] Im Kalenderjahr 2017 hat die Schlichtungsstelle 426 schriftlich ausgearbeitete Schlichtungsvorschläge unterbreitet, die in 66 % auf beiderseitige Zustimmung stießen.

293 der ausgesprochenen Schlichtungsempfehlungen schlugen ein gegenseitiges Nachgeben vor. Dabei werden unter dem Begriff „Gegenseitiges Nachgeben“ alle Schlichtungsvorschläge erfasst, in denen die Schlichtungsstelle die Forderungen bzw. Argumente beider Parteien nicht für vollständig berechtigt hält, sondern einen Vorschlag macht, der für beide Beteiligten ein Abweichen von ihrer ursprünglichen Forderung bedeutet.[13] 133 und damit rund 31 % der unterbreiteten Schlichtungsvorschläge enthielten eine Lösung ausschließlich zugunsten einer Partei des Verfahrens.

Schlussbetrachtung und Ausblick

Qualifizierte und standardisierte Verbraucherschlichtung ist in Deutschland noch relativ neu. Sie wird ihre Bedeutung im deutschen Rechtssystem in der Zukunft steigern und ihren Umfang kontinuierlich weiter ausbauen können.

Barrierefreiheit, Vertraulichkeit, Schnelligkeit und Kostenfreiheit für die Beteiligten zeichnen das Verfahren der Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft aus. Schlichter sind unabhängig und richten ihre Arbeit ausschließlich am geltenden Recht und dem Grundsatz der Vorzugswürdigkeit einer Verständigung aus. Zwar findet im Verfahren keine mündliche Verhandlung statt. Dieses vermeintliche Defizit wird aber dadurch kompensiert, dass die Schlichtungsvorschläge explizit auf die persönlichen Argumente der Beteiligten eingehen und diese in den Mittelpunkt der Erwägungen stellen. Genau hierin liegt eine große Stärke des Verfahrens, das auch Menschen erreicht, die wegen ihres Konflikts aus unterschiedlichen Gründen niemals zu einem Gericht gehen würden.

Hinweis der Redaktion: Der Beitrag entstammt aus dem »Der Wirtschaftsführer für junge Juristen«.

Um den Wirtschaftsführer auch unterwegs bequem lesen zu können, finden Sie hier unsere »Wirtschaftsführer-App«.

[1] Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung der Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften vom 30. 07. 2009, BGBl I 2009, 2449

[2] Liste der beim Bundesamt für Justiz anerkannten Verbraucherschlichtungsstellen, Stand Dezember 2018

[3] Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten – Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, v. 19. 2. 2016, BGBl. I 2016, 254

[4] Weitere Details finden sich in der Satzung der Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft, abrufbar unter: https://www.schlichtungsstelle-derrechtsanwaltschaft.de

[5] § 14 Abs. 3 S. 2 VSBG

[6] § 20 Abs. 2 VSBG

[7] § 15 VSBG

[8] S. Tätigkeitsbericht der Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft 2017, S. 21, abrufbar unter: https://www.schlichtungsstelle-der-rechtsanwaltschaft.de

[9] Statistisches Bundesamt, Rechtspflege 2017 Zivilgerichte, Fachserie 10 Reihe 2.1

[10] §§ 203, 204 Abs. 1 Nr. 4 a BGB

[11] § 36 VSBG

[12] § 37 VSBG

[13] S. Tätigkeitsbericht der Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft (Fn. 8), S. 23.

 

Monika Nöhre

bis August 2015 Präsidentin des KG, bis August 2019 Schlichterin der Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft
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