14.05.2024

Der Verdachtsfall

Die AfD auf dem verwaltungsgerichtlichen Prüfstand

Der Verdachtsfall

Die AfD auf dem verwaltungsgerichtlichen Prüfstand

Man bedarf keiner prophetischen Gabe, um zu prognostizieren, dass eine Einstufung der AfD als ‚gesichert rechtsextremistisch‘ im Bereich des Wahrscheinlichen liegt.  | © Nico - stock.adobe.com
Man bedarf keiner prophetischen Gabe, um zu prognostizieren, dass eine Einstufung der AfD als ‚gesichert rechtsextremistisch‘ im Bereich des Wahrscheinlichen liegt. | © Nico - stock.adobe.com

Am 13. Mai 2024 hat der 5. Senat des OVG Münster entschieden, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz, BfV, die Partei ‚Alternative für Deutschland‘ und ihre Jugendorganisation JA als extremistischen Verdachtsfall mit geheimdienstlichen Mitteln beobachten und die Öffentlichkeit hierüber unterrichten darf. Auch die Beobachtung des sogenannten AfD-Flügels in der Vergangenheit – zunächst als Verdachtsfall und später als erwiesen extremistische Bestrebung – wurden als rechtmäßig eingestuft. Damit waren die Berufungen von AfD und JA gegen die erstinstanzlichen Urteile des VG Köln vom 8.März 2022 vollumfänglich erfolglos.

Schon im Kölner Verfahren trug die AfD vor, die Einstufung als Verdachtsfall komme in seiner Öffentlichkeitswirkung einem Parteiverbot gleich, ohne dass es ausreichend Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der Gesamtpartei und ihrer Programmatik gebe. Die AfD vertrete keinen grundgesetzwidrigen ethnisch-völkischen Volksbegriff, sondern mache lediglich in der politischen Auseinandersetzung überspitzte Aussagen, um auf drängende Probleme bei Migrations- und Wirtschaftsfragen hinzuweisen. Das BfV hingegen werde durch politische Kräfte missbraucht, um einen unliebsamen Wettbewerber zu diskreditieren und mundtot zu machen, indem es sachfremde Erwägungen und selektive Indizien aufbiete, die die Wahrnehmung der AfD in der Öffentlichkeit bewusst verzerrten.

Das VG Köln und das OVG Münster urteilten mit nahezu identischer Begründung, dass es hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte gebe, dass die AfD als Partei Bestrebungen verfolgt, die gegen die Menschenwürde bestimmter Personengruppen und gegen das Demokratieprinzip gerichtet sind. So sei es erwiesen, dass es zum Wesenskern der AfD gehöre, deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund nur einen rechtlich abgewerteten Status zuzuerkennen. Dies stelle eine nach dem Grundgesetz unzulässige Diskriminierung aufgrund der Abstammung dar, die mit der Menschenwürdegarantie nicht zu vereinbaren sei. Der AfD eigene ethnisch-kulturelle Volksbegriff habe eine Ausgrenzung ‚volksfremder Elemente‘ als politische Zielsetzung. Gepaart werde diese Ausgrenzung von Bürgern mit zahlreichen demokratiefeindlichen Bestrebungen, so wie in der umfänglichen Materialsammlung des BfV dokumentiert.


Die Befugnisse des Verfassungsschutzes

Das Bundesverfassungsschutzgesetz regele Aufgaben und Befugnisse und Rechtsstellung des BfV und seine Zusammenarbeit mit den Verfassungsschutzbehörden der Länder zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. So seien die Verfassungsschutzbehörden berechtigt, Einschätzungen extremistischer Bestrebungen aller Art durch die Sammlung und Auswertung von Informationen zugewinnen und eine Einstufung derartiger Tendenzen als ‚Prüffall‘, als ‚Verdachtsfall‘ oder auch als ‚gesichert extremistische Bestrebung‘ vorzunehmen. Dabei dürfen die Verfassungsschutzbehörden bei den Beobachtungsobjekten der zweiten und dritten Stufe nachrichtendienstliche Mittel unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit einsetzen. Erlauben die gewonnenen Erkenntnisse eine Einstufung in die beiden höchsten Kategorien, sind die Behörden gesetzlich verpflichtet, die Öffentlichkeit von den Ergebnissen der Beobachtung in Kenntnis zu setzen. Die AfD-Landesverbände in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt werden von den jeweiligen Landesämtern für Verfassungsschutz bereits als ‚gesichert rechtsextrem‘ geführt. Derzeit anhängig beim OVG Münster ist noch die Beschwerde der AfD und der JA gegen einen Eilbeschluss des VG Köln vom 5. Februar 2024, bei dem es um die ‚Hochstufung‘ der JA zur ‚erwiesen extremistischen Bestrebung‘ und deren Bekanntgabe durch das BfV geht.

Das OVG führt aus, dass die Handlungsweise des BfV und die hieraus gewonnenen Erkenntnisse und Schlussfolgerungen hinsichtlich der AfD, der JA und des inzwischen aufgelösten ‚Flügels‘ innerhalb der AfD rechtlich nicht zu beanstanden seien. Insbesondere gebe es keine Hinweise, dass das BfV von politischen Kräften gegen die Berufungskläger aus sachfremden Motiven instrumentalisiert worden sei.

Der Vorsitzende des Senats verglich die Vorgehensweise der Verfassungsschutzämter mit der Warnfunktion eines Rauchmelders, der – wenn aktiviert – ein Betreten einer Wohnung notwendig mache, um festzustellen, ob und welche Gefahr drohe. Vom Ergebnis der Gefahrerforschung hänge es ab, ob man lösche oder sich zurückziehen müsse. Im Fall der AfD habe der Rauchmelder der gefährdeten demokratischen Grundordnung geschrillt und eine genauere Untersuchung notwendig gemacht. Nicht mehr und nicht weniger sei geschehen. Im konkreten Fall sei die Erkenntnislage aufgrund hinreichend verdichteter Umstände zweifelsfrei so beschaffen, dass die Warnung zu Recht erfolgt sei.

Wie es weitergeht

Gegen das Urteil ließ das OVG keine Revision zu. Allerdings steht den Berufungsklägern das Rechtmittel der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zum BVerwG in Leipzig offen, um die Entscheidung des OVG auf Rechtsfehler zu prüfen. Weitere Beweisanträge können nicht mehr gestellt werden.

Rechtsfehler in den bisherigen Verfahren sieht die AfD zuhauf. Ganze 470 Beweisanträge der Prozessvertreter der AfD wurden vom 5. Senat des OVG aus diversen Gründen Ende April abgelehnt. Zum Teil wurden die Anträge als rein verfahrensverzögernd oder beweisrechtlich unerheblich eingestuft. Andere Anträge waren nach Überzeugung des Gerichts reine Ausforschungsanträge gegen den Verfassungsschutz.

Die Berufungsklägerin ist der Meinung, sowohl das VG Köln als auch das OVG Münster hätten als Teil des politischen Establishments entlastende und klarstellende Beweise und Indizien nicht oder nicht hinreichend gewürdigt, dafür aber sogenannte Erkenntnisse der Gegenseite ohne konkrete Prüfung übernommen. Die notwendige Sachverhaltsaufklärung sei noch nicht einmal in Ansätzen erfolgt. Die Verfahren seien weder fair, noch rechtsstaatlich sauber geführt worden.

Sollte die AfD ihren eingeschlagenen Kurs unbeirrt und öffentlichkeitswirksam wie bisher weiterverfolgen, ist anzunehmen, dass ein neues Gutachten des Verfassungsschutzes auf dem Fuß folgen wird. Man bedarf keiner prophetischen Gabe, um zu prognostizieren, dass eine Einstufung der AfD als ‚gesichert rechtsextremistisch‘ im Bereich des Wahrscheinlichen liegt.

Sollte es so kommen, wird die Diskussion um ein mögliches Parteiverbot mit neuer Heftigkeit entbrennen.

 

Professor Achim Albrecht

Westfälische Hochschule, Gelsenkirchen
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