13.05.2020

Corona-Bonds

Europäische Gemeinschaftshaftung ohne Rechtsgrundlage

Corona-Bonds

Europäische Gemeinschaftshaftung ohne Rechtsgrundlage

Eurobonds müssen sich zunächst an ihrer Vereinbarkeit mit den europäischen Verträgen messen lassen. | © m.mphoto - stock.adobe.com
Eurobonds müssen sich zunächst an ihrer Vereinbarkeit mit den europäischen Verträgen messen lassen. | © m.mphoto - stock.adobe.com

April 2020 – die Corona-Pandemie hält die Welt in Atem. Neben der richtigen Dosierung des „Shut Downs“ sowie den verantwortbaren Pfaden zur Normalisierung geht es in den Diskussionen dabei vor allem um die ökonomische Schadensbegrenzung im nationalen wie internationalen Kontext. Die EU ringt um den richtigen Kompromiss aus Solidarität und Haftungsrisiko.

Alter Wein in neuen Schläuchen

Zur notwendigen Finanzierung des „Wiederaufbaus“ – angesichts der ja weiterhin bestehenden Produktions-Infrastruktur ein etwas irreführender Begriff – haben mehrere Staaten die Auffassung vorgetragen, dass dieser Fonds über eine gemeinsame Verschuldung, also über Eurobonds (nunmehr Corona-Bonds), finanziert werden solle. Denkbar wäre beispielsweise, dass Italien und Spanien im Ernstfall die Zinszahlungen auf künftige, streng befristete Corona-Bonds einstellen können, und diese Zahlungen dann von den anderen Ländern übernommen werden. Sicherlich ist es kein Zufall, dass unter den neun Befürworter-Ländern der Corona-Bonds alle sechs Euro-Staaten mit der höchsten Staatsverschuldung in Relation zum BIP sind. Umgekehrt sind die Länder mit relativ niedriger Verschuldung tendenziell dagegen.

Befürworter argumentieren, dass es hier – angeblich anders als in der Griechenland-Krise – nicht um eine neue Finanzarchitektur auf Dauer gehe, sondern um ein einmaliges Kriseninstrument.  Deshalb soll der Fonds, der die Bonds ausgeben würde, temporär und ausschließlich für den wirtschaftlichen Aufbau nach der Krise genutzt werden. Dies ist jedoch insofern naiv, dass grob gesagt die Corona-Schäden umso stärker sein werden, je schlechter der strukturelle Zustand der Staatsfinanzen vor der Pandemie war. Hier ist allenfalls eine zeitliche, aber keine sachliche Abgrenzung möglich.


Im Übrigen sollte auch der Euro-Krisenfonds EFSF bei seiner Gründung 2010 nur wenige Jahre existieren. Mittlerweile heißt er Europäischer Stabilitätsmechanismus (ESM) und ist auf Dauer angelegt; mit der bevorstehenden Bereitstellung erweiterter Kreditlinien im Rahmen der am 23. April 2020 beschlossenen kurzfristigen Hilfen wird auch sein Verwendungszweck ausgedehnt.

In den aktuellen Vorschlägen werden Corona-Bonds von herkömmlichen Euro-Bonds dadurch abgegrenzt, dass die Rückzahlungsverpflichtung für eine einmalige Emission im Umfang von einer Billion Euro nach dem Kapitalschlüssel der Europäischen Zentralbank (EZB) verteilt würde, die Mittel aber an die Eurostaaten fließen, die den Zugang zum Kapitalmarkt zu verlieren drohen. Damit würden Begünstigung und Finanzierungsanteil aber immer noch auseinanderfallen (direktes Transferelement), während bei den ESM-Krisenkrediten sich Liquiditätshilfen und Verbindlichkeiten genau entsprechen und sich in Höhe der realisierten Zinsermäßigung allenfalls ein indirektes Transferelement ergibt.

Europarechtliche Hindernisse

Als europäische Konstrukte müssen sich Eurobonds nun zunächst an ihrer Vereinbarkeit mit den europäischen Verträgen messen lassen. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass sich eine explizite Kompetenz für die Einführung von Eurobonds derzeit nicht in den Verträgen finden lässt. Selbst eine nur teilweise Vergemeinschaftung von Schulden würde die Wirtschafts- und Währungsunion grundlegend verändern. Die Eigenverantwortlichkeit der Mitgliedstaaten für ihre Haushalte, die auch die eigenständige Ausgabe von Staatsanleihen beinhaltet, stellt einen Grundpfeiler dieser Union dar. Somit liegt keine Kompetenz der EU vor und müsste erst bei Bedarf geschaffen werden.

An diesem Befund ändert auch der im Kontext der letzten Finanzkrise eingeführte Art. 136 Abs. 3 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) nichts, sondern er normiert lediglich die rechtliche Möglichkeit der Errichtung eines Stabilitätsmechanismus – allerdings auf völker- und nicht europarechtlicher Grundlage. Zentral für die europarechtliche Beurteilung von Eurobonds ist Art. 125 Abs. 1 AEUV mit seiner No-Bail-Out-Klausel, deren genaue Reichweite jedoch umstritten ist und die in einen direkten Konflikt mit der Definition der Eurobonds geraten könnte. Nach dem Wortlaut der Norm wird dort das Haften und Eintreten der Union für Verbindlichkeiten der Mitgliedstaaten einschließlich ihrer Körperschaften ausgeschlossen.

Die Klausel stellt allerdings kein absolutes Verbot dar, sondern beschränkt sich lediglich auf die Untersagung des Eintritts in ein bereits bestehendes Schuldverhältnis eines anderen Mitgliedstaates. Für neue Verbindlichkeiten könnten Mitgliedstaaten jedoch garantieren und bürgen. Im Beispiel Griechenland wurde dieser Interpretation gefolgt. Durch die dort eingesetzten konditionierten Hilfsmaßnahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) wurde das Ziel der Haushaltsdisziplinierung im Nachhinein besser erreicht als es Art. 125 Abs. 1 AEUV selbst aufgrund der Nachlässigkeit der Finanzmärkte vermocht hatte.

Allerdings setzte Art. 136 AEUV die No-Bail-Out-Klausel des Art. 125 Abs. 1 AEUV nicht außer Kraft, sondern ermöglichte nur die Etablierung des ESM als dauerhaften Krisen- bzw. Stabilisierungsmechanismus, der nach der extensiven Interpretation des Art. 125 Abs. 1 AEUV nicht mit diesem zu vereinen war.

Als dauerhaftes Refinanzierungsinstrument sind Eurobonds aber nicht mehr Teil eines ESM-Krisenmechanismus, solange bei den Gemeinschaftsanleihen weder die Letztentscheidungskompetenz der garantierenden Länder noch die Bindung der Kreditvergabe an haushaltspolitische Bedingungen gegeben wäre. Vielmehr entziehen Eurobonds die Teilnehmer gezielt der unmittelbaren Kontrolle ihrer Haushaltspolitik durch die Finanzmärkte, während gleichzeitig eine effektive politische Kontrolle durch die anderen Teilnehmer nicht gewährleistet werden kann. Hieraus ergibt sich eine strikte Unvereinbarkeit von Eurobonds jeglicher Art mit dem Regelungsziel des Art. 125 Abs. 1 AEUV, was zu einer europarechtlichen Unzulässigkeit führt.

Solange die Nationalstaaten für ihre Haushalte zuständig bleiben, sind Eurobonds auch ordnungspolitisch ein Fremdkörper. Sie setzen eine Zentralisierung haushaltspolitischer Kompetenzen verbunden mit einer Vergemeinschaftung zentraler Politikfelder einschließlich regionaler Umverteilungen voraus. Die derzeitigen Bestrebungen zur haushaltspolitischen Überwachung und Koordinierung reichen hierfür in keinem Fall aus.

Verfassungsrechtliche Hürden

Darüber hinaus eröffnet sich ein rechtliches Spannungsfeld zwischen nationaler Souveränität und europäischer Integration im Bereich der Budgethoheit des Bundestages und der Frage der Grenzen der Gewährleistungsübernahme. So ist es zweifelsohne mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, dass Organe der EU mit Durchgriffsrechten ausgestattet über den Bundeshaushalt entscheiden.

In der Praxis dürfte folglich keine durch Deutschland garantierte Emission ohne vorherige Bewilligung des Bundestages erfolgen. Hierfür müssten alle Teilnehmer ihren Finanzierungsbedarf über Eurobonds verbindlich anmelden, damit dieser Teil der (Haushalts-)Gesetzgebung werden und im Anschluss die „Ausschüttung“ erfolgen kann.

Implizite Obergrenze für Gewährleistungen ist allenfalls der faktische Verlust der Haushaltsautonomie des Gesetzgebers bzw. die Aufgabe seines Budgetrechts, die sich jedoch numerisch nicht eindeutig bestimmen lassen. Das Bundesverfassungsgericht hat z.B. in seinem Urteil vom 18.03.2014 (2 BvR 1390/12) ausgeführt, dass sich aus der absoluten Höhe der mit dem ESM-Vertrag maximal eingegangenen Zahlungspflichten von damals 190,0248 Milliarden Euro – entsprechend dem deutschen Anteil am ESM-Stammkapital –  keine Beeinträchtigung der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung des Bundestages ableiten lasse. Allerdings ist dieser Spielraum nicht grenzenlos: auch dem Bundestag ist es als Gesetzgeber verwehrt, dauerhafte völkervertragsrechtliche Mechanismen zu etablieren, die auf eine Haftungsübernahme für Willensentscheidungen anderer Staaten hinauslaufen, vor allem wenn sie mit schwer kalkulierbaren Folgewirkungen verbunden sind.

Fazit

Die Ungleichzeitigkeiten, Ambivalenzen und Defizite der europäischen Einigung mitten in der größten Krise der Nachkriegszeit beseitigen zu können, ist eine wunderbare, aber leider unrealistische Vorstellung.

Nicht nur für die akute Krisenunterstützung, sondern auch für einen bald zu beschließenden   Wiederaufbaufonds sollten daher solche „innovativen“ Finanzierungsformen gefunden werden, die den EU-Verträgen entsprechen und über die sich die Mitgliedstaaten einig sind.

 

Michael Heinrich

Dozent an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, Fachbereich Bundeswehrverwaltung in Mannheim
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