12.09.2022

Beschlussfähigkeit des Bayerischen Landtags in der COVID-19-Pandemie (2)

Eindämmung der COVID-19-Pandemie – Teil 2

Beschlussfähigkeit des Bayerischen Landtags in der COVID-19-Pandemie (2)

Eindämmung der COVID-19-Pandemie – Teil 2

Ein Beitrag aus »Bayerische Verwaltungsblätter« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
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Zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie wurden auch im Parlamentsbetrieb organisatorisch-technische Maßnahmen erlassen. Der Bayerische Landtag reduzierte in diesem Zusammenhang zwischenzeitlich seine Beschlussfähigkeit auf ein Fünftel und setzte sich damit zumindest dem Wortlaut nach in ein Spannungsverhältnis zu Art. 23 Abs. 2 BV. Angestoßen durch eine Popularklage gegen das Bayerische Infektionsschutzgesetz hatte der Bayerische Verfassungsgerichtshof Gelegenheit, die Reduzierung des Beschlussfähigkeitsquorums auf seine Verfassungsmäßigkeit hin zu überprüfen. Der vorliegende Beitrag analysiert die verfassungsrechtliche Ausgangslage zur Beschlussfähigkeit des Landtags sowie seine geschäftsordnungsrechtliche Ausgestaltung und ordnet die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs ein (Teil 2).

C. Rechtliche Einordnung der Beschlussfähigkeit des Bayerischen Landtags

I. Verfassungsrechtliche Ausgangslage

Nach einem Blick in die Bayerische Verfassung (BV) scheint die Frage nach der Beschlussfähigkeit schnell geklärt: Art. 23 Abs. 2 BV regelt – anders als etwa das Grundgesetz – ausdrücklich: „Zur Beschlussfähigkeit des Landtags ist die Anwesenheit der Mehrheit seiner Mitglieder erforderlich.“ Der aktuelle Bayerische Landtag der 18. Legislaturperiode besteht – über die grundsätzliche Zahl von 180 Abgeordneten (Art. 13 Abs. 1 BV) hinaus – aufgrund von zehn Überhang- und 15 Ausgleichsmandaten aus 205 Mitgliedern (Art. 14 Abs. 1 Satz 6 BV). Damit müssen grundsätzlich 103 Abgeordnete zur wirksamen Beschlussfassung im Sitzungssaal des Landtags anwesend sein. Der Begriff „Beschlussfassung“ ist in diesem Zusammenhang weit zu verstehen und umfasst alle formalen Willensäußerungen des Parlaments, das heißt neben Gesetzesbeschlüssen und Wahlen auch sonstige „einfache“ Parlamentsbeschlüsse24.

Eine aktive Beteiligung der Abgeordneten an der Abstimmung ist nach einhelliger Auffassung nicht notwendig25. Dem ist zuzustimmen. Zwar würde dem Zweck von Art. 23 Abs. 2 BV – der Sicherung eines Mindestmaßes an Repräsentativität26 – besser gedient, wenn man von einer Mitwirkungspflicht ausginge. Einer solchen Auslegung steht aber mit dem Kriterium „Anwesenheit […] erforderlich“ der klare Wortlaut der Norm entgegen. Auch die systematische Zusammenschau mit Absatz 1, wonach der Landtag mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen beschließt, spricht für eine solche Auslegung. Eine andere Lesart würde die Beschlussfähigkeitsregelung zu einer verkappten Mehrheitsanforderung umfunktionieren mit der Folge, dass alle Beschlüsse des Landtags mit der Mehrheit der Mitglieder des Landtags gefällt werden müssten. Damit wären über die in Art. 23 Abs. 1 a.E. und Absatz 3 enthaltene Doppelung hinaus Anordnungen der absoluten Mehrheitsregel in der Verfassung (Art. 18 Abs. 1, 48 Abs. 2 BV) allenfalls noch deklaratorisch.


Die Auslegung der Beschlussfähigkeitsregelung als bloße Anwesenheitsuntergrenze will ein Mindestmaß an Repräsentativität vielmehr dadurch sichern, dass gewährleistet wird, dass eine Mehrheit der Abgeordneten bei Willensäußerungen des Parlaments zumindest Kenntnis über den Beschlussvorgang erlangt27. Auf diese Weise wird das Risiko verringert, dass eine Minderheit von Abgeordneten durch kurzfristige Änderungen Beschlüsse fasst, hinter denen nicht die Mehrheit des Landtags steht.

II. Konkretisierung in der Geschäftsordnung und richterliche Kontrolle

Vor diesem Hintergrund scheint die Praxis des Bayerischen Landtags in seiner 42. und 43. Sitzung, nur mit einem Fünftel der Abgeordneten zusammenzukommen, offensichtlich mit Art. 23 Abs. 2 BV zu kollidieren. Zu diesem Schluss kommt auch der BayVerfGH in seiner Entscheidung, wenn er feststellt, der Bayerische Landtag setze sich „über Art. 23 Abs. 2 BV hinweg“ 28. Ganz so klar ist die Rechtslage allerdings nicht und bei diesem Ausgangspunkt bleibt der BayVerfGH auch zu Recht nicht stehen, denn vor einer Beschlussfassung wird die Beschlussfähigkeit nicht einzeln festgestellt. Vielmehr wird sie gemäß § 123 Abs. 1 GeschOBayLT widerlegbar vermutet29. Nach Schluss der Aussprache und vor der Abstimmung kann die Beschlussfähigkeit durch ein Mitglied des Landtags bezweifelt werden. Sollte das geschäftsführende Präsidium die Beschlussfähigkeit weder einmütig bejahen noch verneinen, ist sie durch Namensaufruf festzustellen (§ 123 Abs. 2 GeschOBayLT). Damit regelt die Geschäftsordnung das Verfahren, wie ein Verstoß gegen Art. 23 Abs. 2 BV durch den Landtag festzustellen ist.

Prozessuale Regelungen werden kompetenztechnisch auf die Geschäftsordnungsautonomie des Landtags (Art. 20 Abs. 3 BV) gestützt und wegen der andernfalls bestehenden Fehleranfälligkeit überwiegend als notwendig angesehen30. Der Bay- VerfGH betont in seiner Entscheidung, dass Art. 23 Abs. 2 und 3 BV nur die materiellen Voraussetzungen der Beschlussfähigkeit festlegten, die Fragen „wann, durch wen und in welchem Verfahren die Beschlussfähigkeit festgestellt wird oder bestritten werden darf “, seien gerade nicht normiert31. Weshalb der Bay- VerfGH in diesem Zusammenhang auch auf Absatz 3 abstellt, erschließt sich nicht, da die bayerische Verfassung gerade keine Ausnahmen für die Beschlussfähigkeit kennt. Mit Ausnahme des in der Praxis nahezu bedeutungslosen Zwischenausschusses für die Zeit außerhalb von Tagungen und nach der Auflösung oder Abberufung des Landtags (Art. 26 BV), kennt die bayerische Verfassung – anders als beispielsweise ihr Pendant in Baden- Württemberg mit Art. 62 VerfBW – gerade keine Regelung über ein verkleinertes Notparlament, das zur Wahrnehmung seiner Aufgaben befugt wäre. Vielmehr verbietet Art. 70 Abs. 2 BV die Übertragung des Gesetzgebungsrechts ausdrücklich auch auf Ausschüsse32.

Mit seiner Einschränkung und der Betonung, dass grundsätzlich die GeschOBayLT das Verfahren zur Feststellung der Beschlussunfähigkeit regelt, spricht der BayVerfGH aber die richterliche Kontrolldichte der Bestimmung zur Beschlussfähigkeit an und knüpft mit seiner Entscheidung an eine Rechtsprechungslinie an, die vom Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich begründet wurde. Dieser vertrat die Auffassung, dass man nach der Einführung der Parlamente in das Verfassungsleben niemals daran gedacht habe, die in der parlamentarischen Verhandlung selbst gar nicht aufgeworfene Frage der Beschlussfähigkeit einer nachträglichen gerichtlichen Prüfung zu unterstellen33. Damit sei eine gerichtliche Kontrolle auf die Einhaltung des Verfahrens bei Bezweiflung der Beschlussfähigkeit im Parlament begrenzt.

Die Frage, ob die Grenze der Beschlussfähigkeit eingehalten wurde, liege zuvörderst beim Parlament selbst. Werde dort die Beschlussfähigkeit nicht angezweifelt, stehe sie für ein späteres Verfahren vor Gericht fest34. Ganz so eng zieht der BayVerfGH die Grenzen seiner gerichtlichen Kontrolle freilich dennoch nicht: Die Geschäftsordnungsautonomie finde ihre Grenzen dort, wo sie durch die Verfassung selbst gesetzt sind35. Der BayVerfGH stellt – unter teilweisem Rückgriff auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – drei Prüfkriterien für die Grenzen der Parlamentsautonomie hinsichtlich der Beschlussfähigkeit auf.

 

III. Grenzen der Parlamentsautonomie hinsichtlich der Beschlussfähigkeit in der Rechtsprechung des BayVerfGH

1. Wirksame verfahrensmäßige Absicherung

Als Grenze kommt es nach Ansicht des BayVerfGH zunächst darauf an, dass eine „ausreichend wirksame – und die Rechte der parlamentarischen Opposition (Art. 16a BV) […] wahrende – verfahrensmäßige Absicherung“ vorliegt. Diese wirksame verfahrensmäßige Absicherung sieht er in der Konstruktion von § 123 Abs. 2 und 3 GeschOBayLT als gegeben an. Schließlich könne jeder einzelne Abgeordnete die Beschlussfähigkeit bezweifeln36. Damit ist die bayerische Regelung jedenfalls extensiver gefasst als § 45 Abs. 2 GOBT. Dort kann die Beschlussfähigkeit nur von einer Fraktion oder von anwesenden fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages angezweifelt werden.

Gleichwohl führt eine entsprechende Anzweiflung der Beschlussfähigkeit nicht automatisch zu einer Feststellungsnotwendigkeit. Vielmehr existiert mit dem geschäftsführenden Präsidium – wer das genau ist, dazu schweigt die GeschOBayLT – ein Korrektiv. Zu einer Feststellung der Beschlussfähigkeit kommt es nur, wenn das geschäftsführende Präsidium die Beschlussfähigkeit weder einmütig bejaht noch verneint. Von entscheidender Relevanz ist insbesondere die einmütige Annahme der Beschlussfähigkeit. Je nachdem, ob und, falls ja, inwieweit man dem geschäftsführenden Präsidium (auf Bundesebene: Sitzungsvorstand, § 8 Abs. 1 GOBT) bei dieser Frage einen Beurteilungsspielraum einräumt, reicht letztlich die Wirksamkeit einer entsprechenden Rüge eines Abgeordneten. Diese Frage ist bislang ungeklärt, obwohl es sich bei ihr nicht um reine Theorie handelt, wie ein Blick auf die Bundesebene in der 19. Legislaturperiode zeigt37.

Dort hatte die Fraktion der Alternative für Deutschland (AfD) mehrfach die Beschlussfähigkeit des Bundestages angezweifelt. Bereits in der 7. Sitzung am 18. Januar 2018 wurde die Sitzung aufgehoben, nachdem ein entsprechender Hammelsprung stattfand und nur 312 statt der notwendigen 355 Abgeordneten daran teilgenommen hatten38. Ein weiterer Antrag der AfD in der 72. Sitzung vom 14. Dezember 2018 hatte in der Sache keinen Erfolg, da der Hammelsprung die Anwesenheit von 414 Mandatsträgern ergab und das, obwohl die AfD-Abgeordneten geschlossen nicht an der Abstimmung teilnahmen39. In beiden Fällen konnten Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau und ihr Sitzungsvorstand die Beschlussfähigkeit nicht einmütig feststellen, obwohl das Plenum in Anbetracht der Umstände nicht ungewöhnlich dünn besetzt war. Anders war es dann in zwei weiteren Fällen, in denen ein entsprechender Antrag durch den Sitzungsvorstand abgelehnt wurde: In der 104. Sitzung am 6. Juni 2019 ging Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki gemeinsam mit seinen Schriftführern mit dem Argument, die Abgeordneten könnten kurzfristig vom in unmittelbarer Nähe stattfindenden Sommerfest der Parlamentarischen Gesellschaft herbeigerufen werden, genauso einmütig von der Beschlussfähigkeit des Bundestages aus wie die Sitzungsleitung um Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth in der 107. Sitzung in der Nacht vom 27. auf den 28. Juni 2019, die sogar gänzlich auf eine Begründung verzichtete40.

In beiden Fällen lassen die Bilder des Parlamentsfernsehens darauf schließen, dass offensichtlich nicht die gemäß § 45 Abs. 1 GOBT erforderlichen 355 Abgeordneten im Saal waren. Die AfD reichte daraufhin einen Eilantrag beim Bundesverfassungsgericht ein, der aber zu Recht aus prozessualen Gründen als unzulässig verworfen wurde41. Das für die Hauptsacheentscheidung angedrohte Organstreitverfahren scheint nicht eingeleitet worden zu sein, sodass eine Klärung der Rechtmäßigkeit des Verfahrens durch das BVerfG weiterhin nicht erfolgt ist. Die aufgezeigten Fälle deuten das Spannungsfeld an, in dem sich das geschäftsführende Präsidium bei der Entscheidung über die Feststellung der Beschlussfähigkeit bewegt. Einerseits soll verhindert werden, dass der parlamentarische Ablauf und damit die Funktionsfähigkeit des Parlaments durch einzelne Abgeordnete mit offensichtlich unbegründeten Anträgen bis hin zur Obstruktion gestört wird42. Andererseits darf die Anwendung des Korrektivs – jedenfalls nach der Rechtsprechung des BayVerfGH – nicht dazu führen, dass dadurch eine wirksame verfahrensmäßige Absicherung unterbunden wird. Es erscheint damit naheliegend, den Beurteilungsspielraum eng zu halten und ihm zumindest formal eine Begründungspflicht zur Seite zu stellen, um eine gerichtliche Überprüfung zu ermöglichen43.

Ob das Kriterium einer ausreichend wirksamen verfahrensmäßigen Absicherung und damit einhergehend die Begrenzung der gerichtlichen Überprüfungsreichweite auf die in der Geschäftsordnung vorgesehenen Mechanismen unter Außerachtlassung der konkreten Umstände überzeugt, scheint schon vor dem Hintergrund der Flexibilität der Geschäftsordnungsregelungen höchst fraglich, wenn nicht gar als ein Scheinkriterium. Insbesondere der Umstand, dass die in der 42. und 43. Sitzung praktizierte Anwesenheit von nur einem Fünftel der Abgeordneten durch Einvernehmen der Fraktionen erfolgte, ist in dieser Hinsicht – anders als vom BayVerfGH gesehen – nicht unproblematisch. Gerade das Bestimmungsrecht der Fraktionen, welche Abgeordnete letztlich im Plenum erscheinen sollen, beeinflusst die Wirksamkeit des Mechanismus von § 123 GeschOBayLT erheblich.

Zwar kann eine solche Auswahl gegenüber dem einzelnen Abgeordneten nicht verbindlich erfolgen44. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Abgeordneter darüber hinwegsetzt, ist aber sehr gering. Noch problematischer ist der Umstand, dass die Fraktionen zudem vereinbart hatten, die Beschlussfähigkeit nicht anzuzweifeln. Durch die Inbezugnahme der Vereinbarungen der Task-Force jeweils in den Tagesordnungspunkt 1 „Beschlussfassung zum Ablauf der Sitzung und Beschluss zur Abweichung von der Geschäftsordnung im Einzelfall“ 45 könnte man zu der Auffassung gelangen, dass über den Mechanismus in § 193 GeschOBayLT in den entsprechenden Sitzungen von der Einhaltung der Regeln in § 123 GeschOBayLT abgesehen wurde. Diese Annahme ist schon deshalb nicht fernliegend, weil in die Geschäftsordnungen anderer Landtagsparlamente eine ähnliche Konstruktion im Zuge der Corona-Pandemie ausdrücklich in den Wortlaut aufgenommen wurde46.

Damit ist die Begründung des BayVerfGH, es hätte jedem Abgeordneten freigestanden, entgegen der Absprache die Beschlussfähigkeit zu bezweifeln47, zumindest nicht gänzlich überzeugend. Die Anwendung von § 193 GeschOBayLT hätte jedenfalls zur Folge, dass zur Verhinderung des Vorgehens nicht ein Abgeordneter, sondern eine Fraktion oder 20 Mitglieder des Landtags nötig wären. Damit ist wohl kaum noch vom Vorliegen einer wirksamen verfahrensmäßigen Absicherung zu sprechen48.

 

Anmerkung der Redaktion: Der Beitrag wird fortgesetzt.

Entnommen aus den Bayrischen Verwaltungsblättern 8/2022, S. 253.

 

24 Möstl in Lindner/Möstl/Wolff, BayVerf., 2. Aufl., Art. 23 Rn. 4 m. w. N.

25 Vgl. Huber in Meder/Brechmann, BayVerf. 6. Aufl, Art. 23 Rn. 5; Möstl (Fn. 24), Art. 23 Rn. 8; Schweiger in Nawiasky/Schweiger/Knöpfle, Bay- Verf., 2. Aufl., Art. 23 Rn. 6. Die Anzahl der Abgeordneten kann, wenn ein Abgeordneter ausgeschieden ist oder seine Mitgliedschaft ruht und gem. Art. 58 Abs. 2 LWG der Ersatzmann noch nicht einberufen ist, im Einzelfall von der gesetzlichen Mitgliederzahl abweichen.

26 Möstl (Fn. 24), Art. 23 Rn. 1; ähnlich BVerfGE 44, 308, 317: „(…) das Verlangen nach Präsenz aller Abgeordneten im Plenum [würde] dem Geiste des Parlamentarismus und des Prinzips der Repräsentation am ehesten gerecht werden“. Wenn Huber (Fn. 25), Art. 23 Rn. 1 davon spricht, dass Art. 23 Abs. 2 BV „sicherstellen soll, dass an dessen Entscheidungen [des Landtags] eine hinreichende Zahl von Abgeordneten beteiligt ist, um sie dem Parlament […] insgesamt zurechnen zu können“, ist das zumindest missverständlich. Die Beteiligung beschränkt sich allenfalls auf die passive Informationsaufnahme des Beschlussablaufs.

27 Die Anwesenheitspflicht erstreckt sich anders als z. B. Art. 87 Abs. 1 Hessische Verfassung nicht auf die Beratung insgesamt, vgl. Möstl (Fn. 24), Art. 23 Rn. 4 m. w. N.

28 BayVerfGH, E.v. 28.09.2021 – BayVBl. 2021, 843/846 f. Rn. 43.

29 Zum Unterschied zwischen Vermutung und Fiktion: Pracht/Ehmer, JuS 2019, 531/532. Der BayVerfGH scheint § 123 Abs. 1 GeschOBayLT insoweit irrig als Fiktion einzuordnen: BayVerfGH, E.v. 28.09.2021 – BayVBl. 2021, 843/846 Rn. 40.

30 So jedenfalls Huber (Fn. 25), Art. 23 Rn. 6; Möstl (Fn. 24), Art. 23 Rn. 9; BayVerfGH, E.v. 28.09.2021 – BayVBl. 2021, 843/846 Rn. 38; wesentlich restriktiver wohl Schweiger (Fn. 25), Art. 23 Rn. 6.

31 BayVerfGH, E.v. 28.09.2021 – BayVBl. 2021, 843/846 Rn. 38.

32 Näher zur Delegation parlamentarischer Befugnisse: Pfengler, Plenarvorbehalt und Delegation, 2020.

33 StGH für das Deutsche Reich, B.v. 10.11.1932, abgedruckt in RGZ 139 Anhang 1, 5*.

34 So ausdrücklich StGH für das Deutsche Reich, a. a. O.

35 BayVerfGH, E.v. 28.09.2021 – BayVBl. 2021, 843/846 Rn. 38 f. Allgemein: Groh in v.Münch/Kunig, GG, 7. Aufl. 2021, Art. 40 Rn. 15; Bollmann, Verfassungsrechtliche Grundlagen und allgemeine verfassungsrechtliche Grenzen des Selbstorganisationsrechts des Bundestages, 1992, S. 29 ff.

36 BayVerfGH, E.v. 28.09.2021 – BayVBl. 2021, 843/846 Rn. 39.

37 Näher dazu und dem Folgenden Cancik, Der Staat 2020, 7 ff.; Beckermann, DÖV 2020, 243 ff.

38 Vgl. Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 19/7, S. 619 ff.

39 Vgl. Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 19/72, S. 8472 ff. Auch in der 71. Sitzung am 13.12.2018 hatte die AfD die Beschlussfähigkeit bezweifelt, scheiterte allerdings aus formalen Gründen, Plenarprotokoll 19/71, S. 8366.

40 Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 19/104, S. 12738 f. und Plenarprotokoll 19/107, S. 13294 f.

41 BVerfG, B.v. 20.11.2020 – 2 BvQ 86/20 – BeckRS 2020, 34110.

42 Vgl. dazu und dem Folgenden auch Deger, VerfBlog, 2019/8/14, https://verfassungsblog.de/wie-hoch-muessen-die-hammel-springen/, zuletzt abgerufen am 11.01.2022. Das Spannungsverhältnis zur Obstruktion lag bereits der Entscheidung des Staatsgerichtshofs zu Grunde, StGH für das Deutsche Reich, B.v. 10.11.1932, abgedruckt in RGZ 139 Anhang 1, 4*.

43 Für eine enge Auslegung Beckermann, DÖV 2020, 273/275 f., der aber von einer gerichtlich nicht nachprüfbaren Entscheidung ausgeht. Wesentlich weitergehender Cancik, Der Staat 2020, 7, 19 f., die für den Sitzungsvorstand im Bundestag nur im Falle einer Unterschreitung der 5 % Grenze das Recht zur einmütigen Bejahung der Beschlussfähigkeit abspricht. Gleichwohl beleuchtet sie das Problem nicht vor dem Erfordernis des wirksamen Kontrollmechanismus, welches der BayVerfGH erstmals aufgestellt hat.

44 Zum insofern vergleichbaren Pairingabkommen, vgl. Arndt in Schneider/Zeh ParlRParlPrax 1989, § 21 Rn. 51. Schuldei, Die Pairing Vereinbarung, 1997.

45 Vgl. Bayerischer Landtag, Plenarprotokoll 18/42, S. 5218 f.; Plenarprotokoll 18/43, S. 5345 f.

46 Vgl. etwa zu der vorübergehenden Regelung in § 59 Abs. 2a der Geschäftsordnung des Schleswig-Holsteinischen Landtags, wonach der Landtagspräsident im Falle der Bezweiflung der Beschlussfähigkeit einen Antrag auf Feststellung einer unaufschiebbaren Notlage stellen kann, über den die Mehrheit der anwesenden Mitglieder entscheidet und nach dessen Annahme eine Anwesenheit von 11 Abgeordneten für die Beschlussfähigkeit genügt (LT-Drs. S-H, 19/2098) Yasin, NordÖR 2020, 335.

47 BayVerfGH, E.v. 28.09.2021 – BayVBl. 2021, 843/846 f. Rn. 43.

48 In diese Richtung ließe sich auch Möstl (Fn. 24), Art. 23 Rn. 9 deuten, der eine § 45 GOBT entsprechende Regelung für unzulässig ansieht und die gegenwärtige bayerische Regelung vor dem Hintergrund der einmütigen Umgehungsmöglichkeit zumindest für kritisch hält.

 

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Rico Neidinger

Wiss. Mitarbeiter am Lehrstuhl für deutsches und ausländisches öffentliches Recht, Völkerrecht und Europarecht, Universität Würzburg
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