21.09.2022

E-Scooter: Senkrechtstarter und Sorgenkind der E-Mobilität

Wie Elektro-Tretroller Gemeinden Probleme bereiten

E-Scooter: Senkrechtstarter und Sorgenkind der E-Mobilität

Wie Elektro-Tretroller Gemeinden Probleme bereiten

Unfälle und vielerorts unsortiert herumstehende und -liegende E-Scooter sorgen für Irritation. © Trygve – stock.adobe.com
Unfälle und vielerorts unsortiert herumstehende und -liegende E-Scooter sorgen für Irritation. © Trygve – stock.adobe.com

Verstopfte Innenstädte mit überhöhten CO²-Werten und der Klimawandel ließen E-Mobilität durch Kleinstfahrzeuge als eine attraktive Fortbewegungsalternative erscheinen. Ein im Ortsbild kaum zu übersehender Gewinner dieses Trends ist der E-Scooter. Doch seine Schattenseiten beschäftigten nicht nur den 60. Verkehrsgerichtstag in Goslar, sie belasten auch Gemeinden und Gewässer.

Als neues Verkehrsmittel hat sich der E-Scooter, der in San Francisco 2018 eher zufällig „entdeckt“ wurde, rasant etabliert und prägt nun vielerorts das Stadtbild mit. Die Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung (eKFV), mit der ihm der Gesetzgeber den Weg in den Straßenverkehr geebnet hat, trat am 15. Juni 2019 in Kraft. Die danach zulassungsfähigen Elektrokleinstfahrzeuge (eKFs) sollten „leicht, leise und umweltfreundlich“ eine Gegenbewegung zu Luftverschmutzung und dem zu hohen CO²-Ausstoß durch Automobile bilden. Die Freude am abgasfreien Fahren blieb jedoch nicht lange ungetrübt.

Unfälle durch ungeübte, rücksichtslose oder angeheiterte Fahrer und vielerorts unsortiert herumstehende und -liegende E-Scooter sorgten für Irritation. Heftiger Widerwille regte sich, als Mitte 2021 in Köln Taucher mehr als 500 E-Scooter im Rhein sichteten und weil auch aus anderen Flüssen immer wieder Scooter mit großem Einsatz geborgen werden müssen. Der Roller erwies sich dabei als potenzieller Umweltsünder, da undichte Akkus im Wasser Schäden für Wasserqualität, Tier- und Pflanzenwelt verursachen können. Kritisiert wurde auch der sich durch die kurze Haltbarkeit schnell ansammelnde Elektroschrott, insbesondere bei Billigangeboten, wie sie von manchen Scooter-Vermietern eingesetzt werden.


Den unbestreitbaren Vorteilen stehen damit Verkehrsgefährdungen, Belastungen der Gemeinde durch unsachgemäß ausgesetzte Roller und Umweltschäden gegenüber. Mobilitäts-Start-ups, die als E-Scooter-Verleiher zunächst kräftig expandierten, schalten aktuell einen Gang zurück. Doch sollen undisziplinierte Roller-Fahrer und Roller-im-Rhein-Versenker das neue Verkehrswunderkind wirklich stoppen oder ist es nicht besser, es einzuhegen?

E-Scooter-Probleme im Straßenverkehr: Alkohol und Gleichgewicht

E-Scooter wurden nicht ungebremst auf den Straßenverkehr losgelassen. Es besteht Kennzeichen- und Versicherungspflicht. Sie benötigen eine Betriebszulassung und die gibt es nur bis zu einer Geschwindigkeit bis 20 km/h. Doch mit der Elektrokleinstfahrzeuge-VO räumte der Gesetzgeber den Fahrern vielerorts freie Fahrt ein. Zwar soll man grundsätzlich Fahrradwege benutzen, gegebenenfalls auch kombinierte Rad-/Gehwege. Sind keine Fahrradwege vorhanden, ist aber die Nutzung der öffentlichen Straße gestattet. Doch dieses easy-going haben einige Nutzer fehlinterpretiert und die neuen Verkehrsmittel fügten sich nicht ganz unproblematisch in den Straßenverkehr ein: Es kam zu erwartbaren Problemen mit E-Scooter-Touren unter Einfluss von Rauschmitteln.

Zwischen den Gerichten war zunächst umstritten, ob ein E-Scooter ein Kraftfahrzeug i. S. von § 69 StGB ist. Das AG Göttingen lehnte es z.B. ab, einem Scooter-Fahrer, der mit 1,84 Promille unterwegs war, die Fahrerlaubnis wegen einer Trunkenheitsfahrt gem. § 316 StGB zu entziehen, weil es dazu am Führen eines Kraftfahrzeugs fehle. Doch das LG Göttingen folgte der Beschwerde der Staatsanwaltschaft mit Blick auf die Vollmotorisierung des Fahrzeugs. Die Bedienung sei dadurch ungleich schwerer als die eines Fahrrads (LG Göttingen, Beschluss v. 10.06.2022, 2 Qs 18/22). Auch viele andere Gerichte entschieden, dass der E-Scooter ein Kfz sei und für ihn die 1,1 ‰-Grenze gilt. Sie verhängten Fahrverbote und entzogen Fahrerlaubnisse (u.a. VG Würzburg, Urteil v. 23.02.2022, W 6 K 21.1113; BayObLG, Beschluss v. 24.07.2020, 205 StRR 216/20).

Den Irrtum über den Grenzwert der absoluten Fahruntüchtigkeit bei der Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter wertete das LG Dortmund mit Beschluss v. 11.02.2020, 43 Qs 5/20, als vermeidbaren Verbotsirrtum. Andere Gerichte stuften dagegen das abstrakte Gefährdungspotenzial von E-Scootern niedriger ein als das der „klassischen“ Kraftfahrzeuge und lehnten die Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB zur Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen für berauschte E-Scooter-Fahrer ab (LG Dortmund, Beschluss v. 07.02.2020, 31 Qs 1/20; LG Halle, Beschluss v. 16.07.2020, 3 Qs 81/20).

Das OLG Zweibrücken besiegelte vorerst den Trend zur Roller-Gleichsetzung bei der Trunkenheitsfahrt: Die von E-Scootern ausgehende abstrakte Gefahr sei nicht deutlich geringer als bei Motorrollern oder Mofas und angesichts der stehenden Fahrposition und der kleinen Räder könnten Gleichgewichtsbeeinträchtigungen kritische Verkehrssituationen erzeugen. Auch die Wahrscheinlichkeit, andere Verkehrsteilnehmer mit einer nicht berechenbaren Fahrweise zu irritieren, beeinflusst laut OLG die abstrakte Gefährlichkeit von E-Scootern (Beschluss v. 29.06.2021, 1 OWi 2 SsBs 40/21).

Gesetzeslücke bei der Haftung und Inklusionsgefährdung?

Ärgerlich für Unfallgegner: Beim E-Scooter gilt, anders als etwa beim Auto, keine Gefährdungshaftung. Weil er aufgrund seiner Bauart nicht schneller als 20 km/h fahren kann, kommt nach § 8 StVG bei einem Unfall nur eine Verschuldenshaftung in Betracht (LG Münster, Urteil v. 03.03.2020, 08 O 272/19). Eine analoge Anwendung des § 7 StVG ist gem. AG Frankfurt a. M., Urteil v. 22.04.2021, 29 C 2811/20 (44), abzulehnen. Auch bei einem Sturz über einen unachtsam abgestellten E-Scooter gingen Geschädigte zumeist leer aus.

Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) kritisiert, dass E-Scooter an jeder beliebigen Stelle des Gehwegs abgestellt werden können und Stolperfallen bilden. Der Blinden- und Sehbehindertenverein Westfalen versuchte, E-Scooter-Vermietung nach dem „free-floating-System“ im Stadtgebiet von Münster verbieten zu lassen. Das VG Münster bremste aber mit Beschluss vom 09.02.2022, 8 L 785/21, die Stadt Münster aus, die dem Antrag zunächst gefolgt war.

Verkehrsgerichtstag: Ausweitung verschuldensunabhängiger Haftung

In Anbetracht sich häufender Unfälle beschäftigten sich auf dem 60. Verkehrsgerichtstag in Goslar vom 17. bis 19.08.2022 Verkehrsexperten auch mit dem E-Scooter. Gefordert wurde eine Änderung des § 8 Nr. 1 StVG: Der generelle gesetzliche Ausschluss der Gefährdungshaftung für langsam fahrende Kraftfahrzeuge sei wegen deren häufiger Unfallbeteiligung nicht mehr zeitgemäß. Neben anderen langsam fahrenden Kraftfahrzeugen wie Forst- und Baufahrzeugen sollten auch E-Scooter aufgrund ihres Gefährdungspotenzials in die Gefährdungshaftung einbezogen werden. Außerdem sollten Verleiher von E-Scootern haften, wenn unsachgemäß abgestellte Scooter Stürze verursachen oder durch Umfallen parkende Fahrzeuge beschädigen.

E-Scooter – Gemeingebrauch oder Sondernutzung?

Wie Gemeinden regulierend eingreifen können, richtet sich danach, ob Unternehmen, die die Gemeinden mit E-Scootern ausstatten, sich damit noch im Rahmen des Gemeingebrauchs halten oder schon eine Sondernutzung ausüben. Bei einer Sondernutzung können die Kommunen nicht nur Sondernutzungsgebühren von den Verleihern verlangen, sondern sie auch durch Auflagen einschränken. Im Rahmen des Gemeingebrauchs bestehen weniger Eingriffsmöglichkeiten.

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags hat die Frage „E-Scooter – Gemeingebrauch oder Sondernutzung?“ in einer Ausarbeitung vom April 2020 zurückhaltend beantwortet. Mangels einschlägiger Rechtsprechung und Gesetzgebung und angelehnt an die Mietfahrräder-Rechtsprechung tendierte er zur Einordnung als Gemeingebrauch. Das OVG Münster entschied dagegen mit Beschluss vom 20.11.2020 (11 B 1459/20), der Gebrauch der städtischen Infrastruktur durch E-Scooter-Verleiher unterscheide sich nicht vom Straßenhandel, es sei als gewerbliche Nutzung der Straße dafür eine Erlaubnis erforderlich.

Sondernutzungsverordnungen: Gemeinden bilden einen Scooter-Flickenteppich

Die Einordnung als Sondernutzung greifen immer mehr Städte auf, indem sie Sondernutzungsverordnungen erlassen, die Gebühren der Vermieter für die aufgestellten E-Scooter festlegen. Häufig sind diese nach Bereichen gegliedert (z. B. Innenstadt, Stadteile, Außenbereich), begrenzen die Zahl der E-Scooter und schreiben jeweils vor, ob die Scooter nur stationär (z. B. in der Innenstadt) oder nach dem „free-floating-Prinzip“ vermietet werden dürfen. Die Vermietgebühr läuft teilweise so lange weiter, bis der Roller an einem offiziellen Parkplatz abgestellt worden ist.

Einige Gemeinden wie Köln und Düsseldorf (Rhein) verhängen inzwischen Bußgeld für falsch abgestellte E-Scooter. Ein vollständiges Verbot des „free-floating-Systems“ ist nach dem Beschluss des VG Münster wohl nicht zu erwarten. Doch mittlerweile fordert der Städtetag angesichts der unterschiedlichen und unterschiedlich erfolgreichen Regulierungsbemühungen der Gemeinden, die Elektrokleinstfahrzeuge-VO durch strengere Regeln für E-Scooter zu überarbeiten. Gewünscht wird von vielen Seiten eine „gute und sichere Einbindung von E-Scootern in den Verkehrsmix“.

 

Dr. Renate Mikus

Assessorin iur. Fachautorin, Freiburg
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