26.09.2022

73. Deutscher Juristentag

Was in Bonn zur Justiz beschlossen wurde

73. Deutscher Juristentag

Was in Bonn zur Justiz beschlossen wurde

Schlaglicht auf die Justiz: Mutige Beschlussvorlagen in der Fachabteilung Justiz fanden keine Mehrheit.
© privat
Schlaglicht auf die Justiz: Mutige Beschlussvorlagen in der Fachabteilung Justiz fanden keine Mehrheit. © privat

In sechs Fachabteilungen diskutierten Juristinnen und Juristen auf dem 73. Deutschen Juristentag (DJT) aktuelle rechtliche Fragestellungen. Besonderen Diskussionsbedarf gab es in der Fachabteilung Justiz, die sich mit der Besetzung von Richterpositionen befasst hat.

Es wurde lange diskutiert und hart gerungen um die einzelnen Beschlüsse zur richterlichen Unabhängigkeit bei Ernennungs- und Beförderungsentscheidungen sowie zu den Anforderungen an die Auswahl der Richterschaft. Die Fachabteilung Justiz stand unter der Überschrift „Empfehlen sich Regelungen zur Sicherung der Unabhängigkeit der Justiz bei der Besetzung von Richterpositionen?“. Am Ende wurde von der Fachabteilung über 52 Beschlussvorlagen abgestimmt. 38 davon wurden angenommen, 14 teilweise nur knapp abgelehnt.

Große Einigkeit herrschte unter den abstimmungsberechtigen Mitgliedern, dass die sachliche und persönliche Unabhängigkeit von Richtern ein konstitutives Element von Demokratie und Rechtsstaat ist, weshalb rechtliche Rahmenbedingungen notwendig seien, diese Unabhängigkeit abzusichern und „unseren Rechtsstaat gegen Angriffe von innen und außen zu schützen“. Mehrfach wurden hier Fehlentwicklungen innerhalb der EU, wie etwa in Polen, als Mahnung genannt.


Vorsitzende unter sich (v. li. n. re.): Gerhard Wagner (Zivilrecht), Rainer Schlegel (Sozialrecht), Anke Müller-Jacobsen (Strafrecht), DJT-Präsident Matthias Habersack, Wolfgang Kahl (Öffentliches Recht), Peter Hemeling (Wirtschaftsrecht) und Marie Luise Graf-Schlicker (Justiz) stellen die Beschlüsse der Fachabteilungen vor. © privat

Konkrete Maßnahmen, wie etwa die Erstreckung des Lobbyregistergesetzes auf die Justiz einschließlich des Bundesverfassungsgerichts, wurde mit dem bemerkenswerten Abstimmungsergebnis von 11 Nein-Stimmen, bei 8 Ja-Stimmen und 39 Enthaltungen abgelehnt. Hätte diese Vorlage eine Mehrheit gefunden, so hätte dies die Offenlegung der Gutachten bedeutet für akademische Titel, „um verdeckte Dritteinflüsse“ zu verhindern. Des weiteren mit diesem Antrag verknüpft war, dass bei Nebeneinkünften insbesondere die Mittelherrschaft offenzulegen sei, „ebenso wie Tätigkeiten nach Ausscheiden aus dem Richteramt einer Kontrolle zu unterwerfen, ob es sich um nachträgliche gezahlte Vergütungen für früheres Verhalten handelt“.

Welche Anforderungen soll an die Auswahl der Richterschaft gestellt werden?

Breiten Raum nahm die Frage der Besetzung von Richterposten ein. Dem Vorbild von EuGH und EGMR, für die unabhängige Kommissionen für die Besetzung der Richterposten tätig werden, wurde nicht gefolgt. Bei der Bestenauslese solle nach der großen Mehrheit der Fachabteilung neben den beiden Staatsexamina-Noten die „soziale Kompetenz“ stärker gewichtet werden. Richterwahlausschüsse sollten bei der Auswahl nicht eingebunden werden, da sie das Risiko der politischen Einflussnahme in sich trügen. Auch Präsidentenposten an Gerichten sollten nicht auf Entscheidungen von Legislativorganen, sondern durch die gerichtliche Bestenauslese erfolgen.

Auf Basis eines per Gesetz oder Verordnung definierten Anforderungsprofils solle über Beförderungen entschieden werden. Da derzeit sehr unterschiedliche Verfahren bei der Beurteilung von Richterinnen und Richtern zum Einsatz kommen, sollten einheitliche Beurteilungsmaßstäbe innerhalb landesweiter Vergleichsgruppen normativ definiert werden. Beurteilungsgremien indes lehnte die Versammlung ab. Vielmehr sollten die einzelnen Beurteiler fortgebildet und durch Coachingprogramme unterstützt werden.

Nicht selten streben mehrere Personen dieselbe höhere Position bei Gericht an. Hierfür sollte daher das Konkurrentenstreitverfahren instanziell neu geordnet werden und bei den Oberverwaltungsgerichten beginnen.
Besonderes Augenmerk gelte für die Wahl von Bundesrichtern. Hier plädiert der DJT dafür, die Einflussnahme und Steuerung durch die politischen Parteien soweit wie möglich durch verfahrensrechtliche Vorgaben „auszuschließen, mindestens zu begrenzen“. Gesonderte Wahlausschüsse für jede einzelne Gerichtsbarkeit wurden abgelehnt. Analog zur Richterwahl am Bundesverfassungsgericht sollte auch für Bundesrichter und -richterinnen eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Wahlausschuss votieren.

Nachvollziehbare Kriterien und größere Transparenz

Hinsichtlich des Auswahlverfahrens wurden klare Erwartungen postuliert: Nachvollziehbare Eignungskriterien, die „im Gesetz im Einzelnen benannt werden“, ein Verfahren, das dokumentiert und der Öffentlichkeit transparent gemacht werden muss. Ein allgemeiner Verfahrenszugang ist durch Ausschreibungen zu gewährleisten. Für das Entscheidungsgremium soll es einen Besetzungsvorschlag mit Begründung zur Eignung für das fragliche Richteramt geben. Den Präsidialräten solle weiterhin Gelegenheit zur Stellungnahme über die Eignung eingeräumt werden.

Hinsichtlich der Wahl von Richtern zum Bundesverfassungsgericht hat sich die Versammlung dafür ausgesprochen, dass das Zwei-Drittel-Mehrheitserfordernis für die Wahl, der Ausschluss der Wiederwahl sowie die Amtszeiten zukünftig im Grundgesetz verankert sein sollen.

Ausgewogene, aber mutlose Beschlussfassungen

Beobachter konstatierten, dass dem Fachausschuss an wichtigen Punkten der Mut fehlte. Obgleich in der Diskussion durchaus Kritik auch am Bundesverfassungsgericht anklang und ein Vertrauensverlust in die richterliche Unabhängigkeit beklagt wurde, gab es keine Mehrheit für klarere Maßnahmen. So wäre die Anwendung des Lobbyregistergesetzes auf die Justiz ebenso ein sinnvoller Ansatz gewesen wie die Auswahlpraxis an EuGH und EGMR zu übernehmen.

 

Marcus Preu

Ltg. Lektorat und Redaktion, Rechtsanwalt
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